Entscheidungsstichwort (Thema)
Irrtum über die Zugehörigkeit bestimmter Vermögenswerte zum Nachlass
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Irrtum über die Zugehörigkeit bestimmter Vermögenswerte zum Nachlaß ist Eigenschaftsirrtum im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB.
2. Gemäß § 1954 Abs. 1, Abs. 2 BGB kann die Anfechtung der Ausschlagung binnen sechs Wochen von dem Zeitpunkt an erfolgen, in welchem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Kenntnis vom Irrtum hat der Anfechtungsberechtigte, wenn ihm die dafür maßgeblichen Tatsachen bekannt werden und er erkennt, daß seine Erklärung eine andere Bedeutung oder Wirkung hatte, als er ihr beilegen. Bloßes Kennenmüssen genügt ebensowenig wie das Vorliegen von Verdachtsgründen. Andererseits muß der Anfechtende über das Anfechtungsrecht als solches nicht unterrichtet sein. Volle Überzeugung vom Bestehen des Anfechtungsrechts ist nicht erforderlich
Normenkette
BGB § 119 Abs. 2, § 1954 Abs. 1-2
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 30.05.1997; Aktenzeichen 13 T 211/96) |
AG Neustadt a.d. Aisch (Aktenzeichen VI 672/91) |
Tenor
I. Die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluß des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 30. Mai 1997 wird mit der Maßgabe, daß der Geschäftswert für das Verfahren der Beschwerde auf DM 220.000,– festgesetzt wird, zurückgewiesen.
II. Der Beteiligte zu 1 trägt die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde.
III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf DM 220.000,– festgesetzt.
Tatbestand
I.
1. Die Erblasserin heiratete 1970 im Alter von 68 Jahren den damals 75-jährigen S. Die Eheleute setzten sich jeweils mit Testament vom 23.10.1970 gegenseitig zu Erben ein. Mit gemeinschaftlichem Testament vom 27.3.1985 bestimmten sie den Beteiligten zu 1 als Schlußerben des Überlebenden. Am 17.12.1987 wurde er als Pfleger für die Erblasserin bestellt, die zunehmend an den Folgen der Alzheimerschen Erkrankung litt und Ende 1987 in ein Pflegeheim eingewiesen wurde.
2. Am 23.3.1988 stellte S. Antrag auf Sozialhilfe mit einem von ihm und dem Beteiligten zu 1 als Pfleger der Erblasserin unterzeichneten Formular, in dem die Frage nach Geldvermögen und sonstigen Vermögenswerten sowie nach der Abgabe von Vermögenswerten an Dritte in den letzten Jahren unbeantwortet blieb. Am 25.3.1988 beantragte der Beteiligte zu 1 als Pfleger der Erblasserin beim Bezirk Mittelfranken die Übernahme der Pflegekosten durch die Sozialhilfe und erklärte:
„Die Eheleute verfügen über kein Sparguthaben. Nachdem die Eheleute nicht rentenversichert sind und ihre Ersparnisse aus den Jahren der selbständigen Tätigkeit aufgebraucht sind, …”
Die Stadt leistete in der Zeit vom 1.11.1988 bis 31.12.1990 an S. Sozialhilfe in Höhe von DM 31.374,–. Der Bezirk Mittelfranken wendete für die Erblasserin in der Zeit vom 11.4.1988 bis 11.9.1991 DM 83.273,06 auf.
3. Am 24.3.1988, also einen Tag nach dem Sozialhilfeantrag für S. und einen Tag vor dem Sozialhilfeantrag für die Erblasserin, schloß der Beteiligte zu 1, der in der Zeit vom 1.6.1981 bis 31.1.1988 an die Eheleute Unterhaltsleistungen von DM 82.600,– erbracht hatte, mit S. einen notariellen Vertrag, mit dem ihm dieser seine gesamte Wohnungseinrichtung, insbesondere Teppiche und Gemälde im Gesamtwert von DM 319.100,– und Sparguthaben in Höhe von DM 236.076,94 zur „Absicherung und Tilgung” darlehensweise erhaltener Unterhaltszuwendungen, übereignete. Der Vertrag sah lebenslangen Nießbrauch des S. an dem übertragenen Vermögen vor und sollte nur gelten, wenn der Beteiligte zu 1 S. überlebt; andernfalls sollte das Eigentum bei letzterem verbleiben und die Rückzahlung der darlehensweise gewährten Unterhaltszuwendungen entfallen.
4. Am 29.12.1990 starb S. Am 9.4.1991 hob der Beteiligte zu 1 die inzwischen auf DM 238.569,08 aufgelaufenen Sparguthaben des S. ab und nahm Gemälde und Teppiche aus dessen Wohnungseinrichtung im Wert von mindestens DM 107.360,– in Besitz. Am 3.6.1991 schlug der Beteiligte zu 1 für sich und als Pfleger der Erblasserin für diese die Erbschaft nach S. aus.
5. Am 13.8.1991 wurde der Beteiligte als Pfleger der Erblasserin entlassen, nachdem seine Erklärungen gegenüber den Sozialhilfeträgern einerseits und der Übereignungsvertrag vom 24.3.1988 andererseits bekanntgeworden waren. Der neu bestellte Pfleger erwirkte nach erfolgreicher Anfechtung der Erbausschlagung einen Erbschein zugunsten der Erblasserin, der sie als Alleinerbin des S. auswies.
6. Am 1.9.1991 verstarb die Erblasserin. Am 11.11.1991 eröffnete das Nachlaßgericht die letztwilligen Verfügungen der Erblasserin in Anwesenheit des Beteiligten zu 1, der sogleich die Erbschaft ausschlug. Mit Beschluß vom 25.5.1992 stellte das Nachlaßgericht fest, daß ein anderer Erbe als der Fiskus nicht vorhanden ist. Dieser erhob gegen den Beteiligten zu 1 Klage auf Herausgabe des mit Überlassungsvertrag vom 24.3.1988 übertragenen Geld- und Sachvermögens. Mit Endurteil des Landgerichts vom 1.12.1994 wurde der Beteiligte zu 1 zur Bezahlung von D...