Entscheidungsstichwort (Thema)

Testamentsauslegung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die ergänzende Auslegung dient zwar in erster Linie dazu, Lücken zu schließen, die sich daraus ergeben, daß sich nach der Errichtung des Testaments vom Erblassers nicht bedachte Veränderungen ergeben haben.

2. Die Lücke, d.h. die planwidrige Unvollkommenheit der, kann sich aber auch daraus ergeben, daß der Erblasser wie hier die Verhältnisse zur Zeit der Testamentserrichtung falsch beurteilt hat, z.B. aus einem bekannten tatsächlichen Umstand fehlerhafte rechtliche Schlußfolgerungen gezogen oder sich über den Inhalt eines Vertrages geirrt hat.

3. Das Gericht der ersten Tatsacheninstanz darf seine Ermittlungen abschließen, wenn von einer weiteren Beweisaufnahme kein sachdienliches, die Entscheidung beeiflussendes Ergebnis mehr zu erwarten. Die Grenzen des dem Tatsachengericht insoweit zustehenden Ermessen sind jedoch überschritten, wenn Beweismittel außer acht gelassen werden, die nach ihrem behaupteten Gehalt unmittelbare Aussagekraft für die im Rahmen der Auslegung entscheidende Motivation des Erblassers bei Abfassung seiner letztwilligen Verfügung haben.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 2084

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 16.09.1996; Aktenzeichen 13 T 9617/95)

AG Hersbruck (Aktenzeichen VI 767/88)

 

Tenor

Auf die weiteren Beschwerden der Beteiligten zu 2 und 3 wird der Beschluß des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 16. September 1996 aufgehoben. Die Sache wird zu anderer Behandlung und neuer Entscheidung an das Landgericht Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I.

Die Erblasserin ist im Alter von 90 Jahren verstorben. Sie war seit 1956 verwitwet. Die Beteiligten zu 1 bis 3 sind ihre ehelichen Söhne. Der Nachlaß besteht im wesentlichen aus zwei Grundstücken. Die Erblasserin hatte im Dezember 1986 einen Schlaganfall erlitten. In der Folgezeit war bei mehreren ärztlichen Untersuchungen Rindenblindheit festgestellt worden. In der letzten Zeit vor ihrem Tod war für die Erblasserin Pflegschaft angeordnet.

In einem privatschriftlichen Testament vom 18.7.1984 hat die Erblasserin folgendes verfügt:

Nach meinem Ableben erhält mein Sohn Heinz (Beteiligter zu 2) aus meinem Nachlaß D.M. 30.000,- … vorweg ausbezahlt. Das restliche Vermögen bzw. Nachlaß erhalten mein Sohn Oskar (Beteiligter zu 3) und mein Sohn Heinz …. zu gleichen Teilen. Mein Sohn Fritz (Beteiligter zu 1) erhielt bereits seinen Erbteil ausbezahlt, weshalb er keinen weiteren Anspruch mehr hat.

Diesem Testament war eine Geldleistung des Beteiligten zu 2 an den Beteiligten zu 1 in Höhe von 30.000 DM vorausgegangen. In dem von den beiden Beteiligten hierüber abgeschlossenen privatschriftlichen Vertrag vom 18.10.1983 ist unter anderem vereinbart, daß der Beteiligte zu 1 zum Ausgleich für diese Zahlung auf sein Erbteil am Nachlaß der Erblasserin zugunsten des Beteiligten zu 2 verzichtet.

Am 15.7.1987 hat die Erblasserin in auffällig großer und ungelenker Schrift ein weiteres privatschriftliches Testament errichtet, in dem sie ihr „ganzes Hab und Gut” ihrem Sohn Oskar (Beteiligter zu 3) „gibt”.

Die Beteiligten zu 2 und 3 stritten zunächst um die Wirksamkeit des Testaments vom 15.7.1987. Am 23.8.1989 hat das Nachlaßgericht auf der Grundlage des Testaments vom 18.7.1984 dem Beteiligten zu 2 einen gemeinschaftlichen Erbschein erteilt des Inhalts, daß die Erblasserin von den Beteiligten zu 2 und 3 zu je 1/2 beerbt worden sei. Es vertrat die Ansicht, daß das Testament vom 15.7.1987 unwirksam sei, weil die Erblasserin bei seiner Abfassung nicht mehr lesefähig gewesen sei.

In der Folgezeit erklärten die Beteiligten verschiedene Anfechtungen und führten mehrere Zivilprozesse gegeneinander. Mit einem undatierten Schriftsatz an das Nachlaßgericht, der dort am 18.9.1991 eingegangen ist und den Beteiligten zu 1 und 2 zugeleitet wurde, focht zunächst der Beteiligte zu 3 das im Testament vom 18.7.1984 enthaltene Vorausvermächtnis an. Die gegen ihn gerichtete Klage des Beteiligten zu 2 auf Auszahlung des Vermächtnisbetrages in Höhe von 30.000 DM wies das Landgericht am 30.7.1992 als im Urkundenprozeß unstatthaft ab. Ein Nachverfahren ist nicht durchgeführt worden. Der Beteiligte zu 3 hat seine Anfechtung inzwischen wieder „zurückgezogen”. In einem weiteren Verfahren wies das Landgericht am 26.2.1993 eine Klage des Beteiligten zu 1 gegen den Beteiligten zu 3 auf Auszahlung eines Pflichtteils in Höhe von 13.500 DM ab. Schließlich verurteilte das Landgericht den Beteiligten zu 1 am 24.5.1995 zur Rückzahlung des gemäß Vertrag vom 18.10.1983 an ihn geleisteten Betrages an den Beteiligten zu 2, weil der in dem Vertrag erklärte Erbverzicht formunwirksam sei und der Zahlung der Rechtsgrund fehle. In allen drei Urteilen vertrat das Landgericht die Auffassung, das Testament vom 18.7.1984 sei durch die Anfechtung des Beteiligten zu 3 insgesamt unwirksam geworden, so daß der Beteiligte zu 1 Miterbe sei. Die drei Urteile sind rechtskräftig.

Im Zusammenhang mit diesem Zivilstreitverfahren hat auch der Beteiligte zu 1...

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