Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachlaß. Erbscheinserteilung. Erbschein
Leitsatz (redaktionell)
1. Die örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts ist im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit in jeder Instanz von Amts wegen zu beachten. Da es sich hierbei um eine Frage des Verfahrensrechts handelt, kann das Rechtsbeschwerdegericht die von den Instanzgerichten hierzu getroffenen Feststellungen selbständig nachprüfen sowie neue Tatsachen und Beweismittel berücksichtigen.
2. Entsprechend dem Grundsatz, daß die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet, ist ein Erblasser solange als testierfähig anzusehen, als nicht die Testierunfähigkeit mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit zur Überzeugung des Gerichts feststeht.
3. Die Feststellungslast für die Testierunfähigkeit als einer das Erbrecht vernichtenden Tatsache trägt, wer sich auf die Unwirksamkeit des Testaments beruft. Da jedoch die Feststellungslast immer erst dann bedeutsam wird, wenn nach dem Ermittlungsergebnis Zweifel verbleiben, müssen zunächst die Aufklärungsmöglichkeiten in gebotenem Umfang ausgeschöpft werden.
Normenkette
FGG §§ 12, 73 Abs. 1; BGB § 2350 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Schweinfurt (Beschluss vom 04.02.1985; Aktenzeichen 1 T 33/84) |
AG Bad Neustadt a.d. Saale (Beschluss vom 15.02.1984; Aktenzeichen VI 310/82) |
Tenor
I. Die Beschlüsse des Landgerichts Schweinfurt vom 4. Februar 1985 und des Amtsgerichts Bad Neustadt a.d. Saale vom 15. Februar 1984 werden aufgehoben.
II. Die Sache wird an das Amtsgericht Bad Neustadt a.d. Saale zurück gegeben. Dieses hat die Sache an das örtlich zuständige Amtsgericht Würzburg abzugeben.
III. Der Geschäftswert für das Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf je 26 900 DM Festgesetzt.
Tatbestand
I.
1. Am 20.9.1902 verstarb in … die Hausfrau … (Erblasserin) im Alter von … Jahren. Sie war ledig und kinderlos. Als gesetzliche Erben kommen die Beteiligten zu 1 bis 3 zu je einem Zwölftel und die Beteiligten zu 4 bis 6 zu je einem Viertel in Betracht.
Der Nachlaß besteht im wesentlichen aus dem Wohnhaus … dessen Verkehrswert auf 266 000 DM geschätzt wird, sowie aus Bargeld, Bankguthaben und Mobiliar. Nach Abzug der Nachlaßverbindlichkeiten verbleibt gemäß der Abrechnung der Gebrechlichkeitspflegerin … ein reiner Nachlaßwert von 323 156,05 DM.
2. Die Erblasserin lebte bis Dezember 1901 allein in ihrem Haus in … Am 28.12.1901 wurde sie in das … in … verbracht, wo sie bereits um die Jahreswende 1900/01 behandelt worden war. Am 30.12.1901 stellte der Beteiligte zu 1 beim Amtsgericht – Vormundschaftsgericht – Würzburg den Antrag, für die Erblasserin, Keine Tante, eine Gebrechlichkeitspflegschaft mit dem Recht der Aufenthaltsbestimmung, der Heilbehandlung und der Regelung der Vermögensangelegenheiten anzuordnen. Er legte hierzu eine von der Stationsärztin … des … unterzeichnete ärztliche Bescheinigung vom 30.12.1981 vor, in der es hieß, die Erblasserin sei aufgrund ihres geistigen Verwirrtheitszustands nicht geschäftsfähig, sie könne nicht mehr allein leben. Deshalb erscheine ihre Unterbringung in einem Altersheim nötig. Das Vormundschaftsgericht holte eine gutachtliche Stellungnahme des … ein und ordnete mit Beschluß vom 15.2.1982 eine Verfahrenspflegschaft an mit dem Wirkungskreis der Vertretung im Verfahren wegen Gebrechlichkeitspflegschaft, weil die Betroffene wegen „Desorientierung” an einem gerichtlichen Verfahren nicht beteiligt werden könne. Die Erblasser in wurde von dem Beteiligten zu 1 und seiner Ehefrau betreut. Sie erteilte diesen am 18.1.1982 Vollmacht zur Verwaltung ihres Vermögens. Am 20.1.1982 wurde die Erblasserin im … untergebracht. Dort verblieb sie acht Monate bis zu ihrem Tode. Mit Verfügung vom 24.3.1902 bestimmte das Amtsgericht Würzburg anstelle des zunächst ausgewählten Beteiligten zu 1 dessen Ehefrau … als Verfahrenspflegerin für die Erblasserin; sie wurde auf Ersuchen des Amtsgerichts Würzburg vom Amtsgericht Bad Neustadt a.d. Saale am 5.4.1982 als Pflegerin mit dem Wirkungskreis „Vertretung im Verfahren wegen Gebrechlichkeitspflegschaft” verpflichtet. Gemäß ihrer Anregung ordnete das Amtsgericht Würzburg mit Beschluß vom 30.4.1982 für die Erblasserin eine Gebrechlichkeitspflegschaft an mit dem Wirkungskreis „Aufenthaltsbestimmung, Heilbehandlung, Regelung der Vermögensangelegenheiten.” In den Gründen des Beschlusses ist ausgeführt, die Betroffene leide nach dem Gutachten des … vom 26.1.1982 an Desorientierung und sei deshalb geschäftsunfähig; sie habe nicht gehört werden können, weil sie an einem gerichtlichen Verfahren nicht beteiligt werden könne. Als Gebrechlichkeitspflegerin mit dem genannten Wirkungskreis wurde wiederum … ausgewählt und am 3.5.1982 verpflichtet. Sie erklärte hierbei, die Erblasserin habe nach wie vor ihren ersten Wohnsitz in … und sei mit dem zweiten Wohnsitz in … gemeldet; sie beantragte die Abgabe der Pflegschaft an das Amtsgericht Bad Neustadt a.d. Saale. Dieses Gericht übernahm am 3.5.1982 die Pflegschaft. Am gleichen Tage meldete die Pf...