Leitsatz (amtlich)
1. Auch wenn es dem Tatrichter mangels (verwertbarer) Blutprobe, verlässlicher Erkenntnis über das Trinkgeschehen oder "beweissicherer" Atemtests nicht möglich ist, eine annähernd bestimmte Alkoholkonzentration festzustellen, scheidet die Annahme von alkoholbedingter Fahrunsicherheit nicht aus; eine alkoholbedingte relative Fahruntüchtigkeit kann auch ohne die Feststellung oder die Berechnung einer Blutalkoholkonzentration nachgewiesen werden.
2. Erforderlich ist dazu die Feststellung einer - wenn auch nur geringen - Ausfallerscheinung, die durch die Aufnahme alkoholischer Getränke zumindest mitverursacht sein muss.
3. Des Nachweises einer bestimmten Mindest-Atemalkoholkonzentration oder einer Mindest-Blutalkoholkonzentration bedarf es hingegen nicht; die Verurteilung des Angeklagten nach § 316 StGB setzt nicht den sicheren Nachweis einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,3 % voraus.
Normenkette
StPO § 261; StGB § 316
Verfahrensgang
AG Schwandorf (Entscheidung vom 06.05.2022; Aktenzeichen 1 Cs 146 Js 12501/21) |
LG Amberg (Entscheidung vom 20.07.2022; Aktenzeichen 3 Ns 146 Js 12501/21) |
Tenor
I.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Amberg wird das Urteil des Landgerichts Amberg vom 20. Juli 2022 samt den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
II.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Amberg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Landgericht Amberg hat mit Urteil vom 20. Juli 2022 auf die Berufung des Angeklagten das Urteil des Amtsgerichts Schwandorf vom 6. Mai 2022 aufgehoben, den Angeklagten vom Vorwurf der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr aus tatsächlichen Gründen freigesprochen und die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Die Berufungskammer habe nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht feststellen können, dass der Angeklagte zur Tatzeit alkoholbedingt fahruntüchtig gewesen wäre. Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der ausgeführten Sachrüge, die von der Generalstaatsanwaltschaft München vertreten wird.
II.
Die nach §§ 333, 341 Abs. 1, §§ 344, 345 Abs. 1 StPO zulässige Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Der Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Nach § 316 StGB macht sich strafbar, wer im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Im Sinne von § 316 StGB fahruntüchtig ist ein Kraftfahrer dann, wenn seine Gesamtleistungsfähigkeit, namentlich infolge Enthemmung sowie geistiger, seelischer oder körperlicher Leistungsausfälle so weit herabgesetzt ist, dass er nicht mehr fähig ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr über eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichem Auftreten schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (st. Rspr., vgl. BGHSt 13, 83, 90). Die Fahruntüchtigkeit muss infolge des Genusses von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln bestehen. Eine Fahruntüchtigkeit infolge Alkoholgenusses ist nach der gefestigten Rechtsprechung - unabhängig von der Fahrweise - stets gegeben, wenn auf den Fahrer zum Zeitpunkt der Fahrt ein Blutalkoholgehalt von 1,1% oder mehr einwirkt (sogenannte absolute Fahruntüchtigkeit). Eine sogenannte relative Fahruntüchtigkeit infolge Alkoholgenusses liegt vor, wenn konkrete Umstände der Tat erweisen, dass der Alkoholkonsum zu einer Fahruntüchtigkeit geführt hat (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 22. April 1982 - 4 StR 43/82 -, BGHSt 31, 42 ff., juris Rn. 6 m.w.N). Die "relative" Fahruntüchtigkeit unterscheidet sich von der "absoluten" nicht in dem Grad der Trunkenheit oder der Qualität der alkoholbedingten Leistungsminderung, sondern allein hinsichtlich der Art und Weise, wie der Nachweis der Fahruntüchtigkeit als psychophysischer Zustand herabgesetzter Gesamtleistungsfähigkeit zu führen ist (BGH a.a.O. Rn. 7 m.w.N).
2. Ob infolge Alkoholgenusses die Grenze zwischen Fahrtüchtigkeit und Fahruntüchtigkeit überschritten worden ist, stellt das Gericht in freier Beweiswürdigung fest. Ist es dem Tatrichter mangels (verwertbarer) Blutprobe, verlässlicher Erkenntnisse über das Trinkgeschehen oder "beweissicherer" Atemtests nicht möglich, eine annähernd bestimmte Alkoholkonzentration festzustellen, scheidet die Annahme von alkoholbedingter Fahrunsicherheit gleichwohl nicht aus (König in LK StGB, 13. Aufl., § 316 Rn. 91, 96 f.; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 316 Rn. 30 ff.; Hecker in Schönke/ Schröder, StGB, 30. Aufl., § 316 Rn. 12; Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. 2022, StGB § 316 Rn. 19-20). Vielmehr besteht in der Rechtsprechung und der wissenschaftlichen Literatur weitgehend Übereinstimmung darüber, dass korrelierend zu einer rauschmittelbedingten Fahruntüchtigkeit eine alkoholbedingte relative Fahruntüchtigkeit auch ohne die Feststellung oder die...