Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Begünstigung außerordentlicher Zuflüsse nach § 34 EStG ist unter besonderen Umständen auch dann möglich, wenn sie nicht in einem Kalenderjahr zufließen, sondern sich auf zwei Kalenderjahre verteilen.
Normenkette
EStG § 19/1/2, § 24 Ziff. 1, § 34/2/2, § 34 Abs. 1
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) war bis zum Jahre 1942 als Ministerialrat Mitglied der Hauptverwaltung der Deutschen Reichsbahn. Von ihr war er zu einer Tochtergesellschaft der Reichsbahn beurlaubt und übte dort die Tätigkeit als Vorsitzender des Vorstandes aus. 1942 wurde er aus dem Reichsdienst entlassen und nicht zu Lasten der Reichsbahn, sondern der Tochtergesellschaft pensioniert. Die Tochtergesellschaft erfüllte den mit ihr geschlossenen Pensionsvertrag bis zum Zusammenbruch. Von 1945 bis 1950 war der Bf. durch die Russen in Konzentrationslagern interniert. Erst nach seiner Rückkehr und nach langen Verhandlungen erhielt der Bf. von der Nachfolgerin der Tochtergesellschaft seit dem 1. Mai 1952 laufend ein Ruhegeld. Diese Gesellschaft gewährte dem Bf. zur Abgeltung seiner Ruhegeldansprüche für die Zeit vom 8. Mai 1945 bis 30. April 1952 eine einmalige Entschädigung von 15.780 DM. Von diesem Betrag wurde an den Bf., der sich in dringender Not befand, im Jahre 1951 bereits 6.400 DM und der Rest von 9.380 DM im Jahre 1952 ausgezahlt.
Das Finanzamt behandelte den 1952 zugeflossenen Betrag von 9.380 DM (nach Abzug anerkannter Werbungskosten von 951 DM) bei der Veranlagung als außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und unterwarf sie einem ermäßigten Steuersatz von 17 v. H., was der Hälfte des Normalsatzes entsprach. Die übrigen laufenden unbestrittenen Einkünfte wurden mit dem tabellenmäßigen Steuersatz belegt. Das gesamte Einkommen wurde zum Notopfer und Solidaritätsopfer nach der allgemeinen Tabelle herangezogen.
Auf den Einspruch des Bf. mit dem er, wie schon im Veranlagungsverfahren, für die außerordentlichen Einkünfte die Anwendung eines Einkommensteuersatzes von 10 v. H., eines Notopfersatzes von 1 v. H. und Freistellung vom Solidaritätsopfer begehrte, kam es insofern noch zu einer Verböserung, als das Finanzamt einen Betrag von 1.260 DM als laufenden Bezug für die Zeit vom 1. Januar 1952 bis 30. April 1952 ansah und diesen nach der Tabelle besteuerte.
Die Berufung blieb ohne Erfolg. Die Vorinstanz führte aus: Der Umstand, daß der Bf. einen erheblichen Teil der Nachzahlung bereits 1951 erhalten habe, dürfte der Anwendung des § 34 EStG entgegenstehen. Jedenfalls sei gegen die Anwendung eines Einkommensteuersatzes von 17 v. H. nichts einzuwenden, da sich die Versteuerung eines Teils der Entschädigung im Vorjahre 1951 bereits tariflich günstiger ausgewirkt habe, als wenn die gesamte Entschädigung im Jahre 1952 zu versteuern gewesen wäre. Der Satz von 17 v. H. halte sich an die im Abschnitt 215 der Einkommensteuer-Richtlinien gegebene Anweisung. Zwar sei für Entschädigungen an die Opfer des Nationalsozialismus sowie für Entschädigungen an Angehörige des öffentlichen Dienstes in einer Verwaltungsverfügung ein Einkommensteuersatz von 10 v. H. und Notopfersatz von 1 v. H. sowie Freistellung vom Solidaritätsopfer aus Billigkeitsgründen zugelassen. Der Bf. gehöre jedoch nicht zu dem dort umrissenen Personenkreis.
Mit Recht habe das Finanzamt in der Einspruchsentscheidung auch den Teil der Nachzahlung, der anteilmäßig auf das laufende Jahr 1952 falle, aus den außerordentlichen Einkünften wieder ausgeschieden. Jedoch habe das Finanzamt diesen Betrag zu Unrecht mit 1.260 DM errechnet. Bei Aufteilung der Gesamtnachzahlung für 84 Monate von 15.780 DM abzüglich Werbungskosten von 600 DM und 951 DM = 14.229 DM ergebe sich für die vier Monate des Jahres 1952 nur ein Betrag von 678 DM. Nur dieser Betrag hätte aus den außerordentlichen Einkünften ausgegliedert werden können; um jedoch nicht zu verbösern, solle es dabei sein Bewenden behalten.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) wird, wie schon bisher, die Anwendung eines Einkommensteuersatzes von 10 v. H., eines Notopfersatzes von 1 v. H. sowie Freistellung vom Solidaritätsopfer entsprechend der für die Opfer des Nationalsozialismus getroffenen Regelung begehrt.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und Einspruchsentscheidung.
Die Vorinstanz sowohl wie das Finanzamt sind davon ausgegangen, daß die an den Bf. geflossenen Beträge eine Entschädigung im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG in Verbindung mit § 19 EStG darstellen. Das ist nicht zu beanstanden. Als solche Entschädigungen zählt sie nach § 34 Abs. 2 Ziff. 2 zu den außerordentlichen nach Abs. 1 a. a. O. begünstigten Einkünften.
Aus dem Zweckgedanken des § 34 EStG - Begünstigung einmaliger außerordentlicher Zuflüsse - ist zu schließen, daß in Fällen, in denen Beträge nicht in einem Kalenderjahr, sondern auf mehrere Jahre verteilt zufließen, ein Bedürfnis einer Tarifvergünstigung nach § 34 gewöhnlich nicht besteht. Im allgemeinen ist deshalb der § 34 nur bei solchen Zuflüssen anwendbar, die im Laufe eines Kalenderjahres eingehen, dagegen nicht in Fällen, in denen der Zufluß sich auf zwei oder mehrere Jahre verteilt.
Diesen Grundsatz wird man aber nicht überspannen dürfen. Dies um so weniger, als diese Regel, die bei den bescheidenen Tarifsätzen der Vorkriegszeit noch tragbar sein konnte, bei den hohen Steuersätzen der Nachkriegszeit zu schwerer Unbilligkeit führen würde. Der Bundesfinanzhof hat bereits in einer Entscheidung IV 167/50 vom 1. Dezember 1950 (erwähnt bei Blümich-Falk 7. Auflage S. 1122) bestätigt, daß auch die Zahlung einer Entschädigung auf zwei Jahre verteilt unter § 34 fällt, wenn die Entschädigung als einmalige gedacht ist.
Im gegebenen Falle ist die Entschädigung als einmalige beabsichtigt gewesen. Daß es zu einer Vorauszahlung schon im Jahre 1951 gekommen ist, war auf das Drängen des Bf. zurückzuführen, der - wie er unwidersprochen behauptet - bar aller Existenzmittel dringend auf den alsbaldigen Bezug von Gebührnissen angewiesen war.
Die Anwendung der Steuervergünstigung des § 34 Abs. 1 EStG wird man deshalb dem Bf. nicht versagen können. Die Einkommensteuer war somit gemäß § 34 Abs. 1 mit einem zwischen 10 und 40 v. H. gelegenen Satz festzusetzen. Welcher ermäßigte Steuersatz innerhalb dieses gesetzlichen Rahmens anzuwenden war, lag im Ermessen des Finanzamts und dieses hat sich dabei an den im Abschnitt 215 der Einkommensteuer-Richtlinien aufgestellten Regelsatz der Hälfte des durchschnittlichen Steuersatzes gehalten, so daß es zur Festsetzung eines Satzes von 17 v. H. gekommen ist.
Dabei hat das Finanzamt - wie die Vorinstanz mit Recht feststellt - insofern einen Fehler gemacht, als es einen Betrag von 1.260 DM aus den außerordentlichen Einkünften als laufenden Bezug ausgegliedert hat, statt 4/84 der Gesamtentschädigung = 678 DM auszuscheiden. Diesen Fehler hat das Verwaltungsgericht jedoch nicht berichtigt, vielmehr davon Abstand genommen, um nicht zu verbösern. Die Berichtigung dieses Fehlers hätte jedoch nicht zu einer Verböserung, sondern im Gegenteil zu einer Begünstigung des Bf. geführt.
Schon wegen dieser Fehler in der angegriffenen Entscheidung und in der Einspruchsentscheidung müssen diese aufgehoben werden und die Sache ist an das Finanzamt zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.
Dabei wird das Finanzamt zu beachten haben: Der in den Einkommensteuer-Richtlinien Abschnitt 215 Abs. 2 vorgesehene Steuersatz von 50 v. H. des normalen Tabellensatzes ist der - wie deutlich hervorgehoben ist - in der Regel anzuwendende Satz. Der Bf. weist darauf hin, daß durch Verwaltungsverfügung vom 17. März 1953 (Steuer- und Zollblatt Berlin 1953 S. 256) angeordnet ist, bei den Opfern des Nationalsozialismus sowohl wie bei Angehörigen des öffentlichen Dienstes in Fällen der Wiedergutmachung den wesentlich günstigeren Steuersatz von 10 v. H. für die Einkommensteuer und 1 v. H. für das Notopfer Berlin anzuwenden und vom Solidaritätsopfer ganz Abstand zu nehmen. Gleichartige Regelungen sind auch in den anderen Ländern der Bundesrepublik getroffen und auch auf Kriegsgefangene und Internierte angewandt (vgl. zum Beispiel den Erlaß des Finanzministers für Nordrhein-Westfalen vom 27. Mai 1953, Ministerialblatt für Nordrhein-Westfalen 1953, S. 865). Es ist nicht zu leugnen, daß die Lage des Bf. sich von der des in der Rundverfügung vom 17. März 1953 angesprochenen Personenkreises kaum unterscheidet. Der Bf. ist durch Willkürhandlung der sowjetischen Besatzungsmacht fünf Jahre lang in Konzentrationslagern zurückgehalten worden. Für diese Zeit sind ihm seine ihm zustehenden Pensionsgebührnisse vorenthalten worden, während inzwischen seine Angehörigen, wie er unbestritten vorträgt, ihren Unterhalt durch Verschleuderung von Vermögenswerten haben bestreiten müssen. Endlich ist der dem Bf. von der Nachfolge-Gesellschaft ausgekehrte Entschädigungsbetrag von insgesamt brutto 15.780 DM nur ein Bruchteil der dem Bf. in der Zeit vom Mai 1945 bis 1952 verloren gegangenen Pensionsbeträge. Alle diese Umstände lassen es nicht unbillig erscheinen, von dem Ermessen, das dem Finanzamt bei der Festsetzung des anzuwendenden Steuersatzes nach § 34 EStG zusteht, derart Gebrauch zu machen, daß der Bf. dem in der Rundverfügung vom 17. März 1953 erwähnten Personenkreis gleichgestellt wird.
Fundstellen
Haufe-Index 408686 |
BStBl III 1957, 104 |
BFHE 1957, 271 |
BFHE 64, 271 |
StRK, EStG:34/1 R 6 |
NJW 1957, 767 |