Leitsatz (amtlich)
1. Für die Veranlagungszeiträume vor 1975 wird daran festgehalten, daß der in einem Doppelbesteuerungsabkommen vereinbarte Progressionsvorbehalt – gleich, wie er formuliert ist – unmittelbar Innerstaatliches Recht geworden ist.
2. Sind auf Grund eines Progressionsvorbehalts bei der Errechnung des für die inländischen Einkünfte maßgeblichen Steuersatzes die ausländischen Einkünfte in das Gesamteinkommen einzubeziehen, so werden diese Einkünfte nach den Vorschriften des innerstaatlichen Rechts und nicht nach dem Recht des anderen Vertragstaates ermittelt.
Normenkette
DBA FRA 1959 Art. 2 Abs. 2, Art. 20 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der seinen Wohnsitz im Inland hat, bezog im streitigen Veranlagungszeitraum 1966 neben inländischen Einkünften auch Gehalt für eine unselbständige Tätigkeit in Frankreich, das – umgerechnet – … DM betrug und das er in Frankreich versteuerte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA –) veranlagte den Kläger nur mit seinen inländischen Einkünften, machte aber bei der Besteuerung von dem Progressionsvorbehalt nach Art. 20 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern – DBA-Frankreich – vom 21. Juli 1959 (BGBl II 1961, 398, BStBl I 1961, 343) Gebrauch. Zur Errechnung des anzuwendenden Steuersatzes setzte das FA das vom Kläger in Frankreich bezogene Bruttogehalt seinen inländischen Einkünften hinzu. Werbungskosten berücksichtigte es bei den französischen Einkünften nicht, weil der Kläger solche nicht gellend gemacht habe. Er setzte auch keinen Weihnachtsfreibetrag, Arbeitnehmerfreibetrag und keinen Werbungskostenpauschbetrag an, weil es diese Beträge schon bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit im Inland berücksichtigt hatte.
Der Kläger wandte sich hiergegen mit der Begründung, bei der Errechnung des Steuersatzes hätten die in Frankreich bezogenen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach französischem Steuerrecht ermittelt werden müssen, insbesondere hätten die nach französischem Recht zulässigen Pauschalabzüge bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt werden müssen.
Der Einspruch des Klägers hatte insoweit keinen Erfolg. Die Klage wurde abgewiesen. Das Finanzgericht (FG) führte aus, der Progressionsvorbehalt, wie er in Art. 20 Abs. 1 DBA-Frankreich formuliert sei, sei unmittelbar anzuwendendes inländisches Steuerrecht. Das FA habe bei Anwendung des Progressionsvorbehalts das Gesamteinkommen des Klägers, also einschließlich seiner Einkünfte aus Frankreich, nach deutschem Steuerrecht ermitteln müssen. Für das Begehren des Klägers, diese Einkünfte nach französischem Steuerrecht zu ermitteln, lasse sich aus dem DBA-Frankreich nichts herleiten.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der vom FG zugelassenen Revision, mit der Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.
Der Kläger führt aus: Das FG sei unzutreffend davon ausgegangen, daß die im DBA-Frankreich getroffene Regelung über den Progressionsvorbehalt innerstaatliches Recht sei. Art. 20 Abs. 1 dieses Abkommens enthalte lediglich eine Ermächtigung zum Erlaß entsprechender Vorschriften. Das habe auch der Gesetzgeber erkannt und später in § 32 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1975 Vorschriften über die Anwendung des Progressionsvorbehalts erlassen. Es sei daher davon auszugehen, daß entsprechend § 3 Nr. 41 EStG diejenigen Einkünfte, die auf Grund des DBA-Frankreich dem französischen Staat zur Besteuerung überlassen worden seien, von der deutschen Steuer befreit seien und damit nicht auf dem Umweg über den Progressionsvorbehalt wieder zur Besteuerung herangezogen werden dürften.
Selbst wenn man unterstelle, daß das DBA-Frankreich eine ausreichende Rechtsgrundlage für die unmittelbare Anwendung des Progressionsvorbehalts enthalte, fehle es an einer Regelung, in welcher Höhe die für die Errechnung des Steuersatzes heranzuziehenden ausländischen Einkünfte anzusetzen seien. Die Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit ergäben sich aus dem Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten. Bei der Berechnung des Steuersatzes auf Grund des Progressionsvorbehalts dürften allenfalls die französischen Einkünfte berücksichtigt werden, die nach Abzug der in Frankreich zugelassenen Werbungskostenpauschale verblieben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Das FA hat bei der Veranlagung des Klägers zu Recht den Progressionsvorbehalt des Art. 20 Abs. 1 DBA-Frankreich angewendet.
Nach dieser Vorschrift beschränkt das Abkommen nicht das Recht eines Vertragstaates, in dem eine Person ansässig ist, die Steuern von den ihm zur Besteuerung überlassenen Einkünften nach dem Satze zu erheben, der dem Gesamteinkommen dieser Person entspricht. Der Senat hat mehrfach entschieden, daß eine derartige Formulierung des Progressionsvorbehalts in einem Doppelbesteuerungsabkommen mehr als nur die Ermächtigung für die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) bedeute, eine gesetzliche Bestimmung zu schaffen, nach der die von der deutschen Steuer befreiten Einkünfte bei der Ermittlung des Steuersalzes für das verbleibende Einkommen wieder hinzuzurechnen seien (BFH-Urteile vom 4. August 1976 I R 152, 153/74, BFHE 119, 470, BStBl II 1976, 662; vom 9. November 1966 I 29/65, BFHE 87, 273, BStBl III 1967, 88, weiterhin die Zusammenstellung der Rechtsprechung des BFH bei Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., § 32 a EStG, Anm. 12a). Nach dieser Rechtsprechung kommt es nicht darauf an, wie der Progressionsvorbehalt in einem Doppelbesteuerungsabkommen formuliert worden ist, ob insbesondere dessen Anwendung direkt vorgeschrieben oder nur die Berechtigung hierzu gegeben oder nicht eingeschränkt worden ist. Das wird aus dem Zweck der Doppelbesteuerungsabkommen hergeleitet. Sie sollen die Einkünfte, die ein Inländer in dem anderen Vertragstaat bezieht und dort versteuert von der inländischen Besteuerung freistellen. Im Progressionbehalt wird zum Ausdruck gebracht, daß die weitere Rechtsfolge, nämlich die Besteuerung der inländischen Einkünfte nach dem Steuersatz, wie er dem gesamten Einkommen – ohne Ausscheidung der ausländischen Einkünfte – entspricht, nicht beseitigt werden soll. Der Progressionsvorbehalt – hier der des Art. 20 Abs. 1 DBA-Frankreich – ermächtigt somit nicht zu einer derartigen Regelung durch innerdeutsches Gesetz, ferner begründet er kein bloßes Verwaltungsermessen, sondern stellt eine unmittelbar anzuwendende Regelung selbst dar. Durch das Zustimmungsgesetz vom 14. April 1961 (BGBl II, 397, BStBl I 1961, 342) ist das DBA-Frankreich vom 21. Juli 1959 einschließlich des vereinbarten Progressionsvorbehalts unmittelbar innerstaatliches Recht geworden (vgl. die zu dem Zusatzprotokoll vom 9. September 1957 zum Deutsch-Schweizerischen Doppelbesteuerungsabkommen – BGBl II, 183, BStBl I 1959, 151 – ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 10. März 1971 2 BvL 3/68, BVerfGE 30, 272, BStBl II 1973, 431).
Daraus folgt über auch weiterhin, daß es bei der Veranlagung des Klägers für 1966 ohne Belang war, daß die damals maßgebliche Fassung des Einkommensteuergesetzes keine Bestimmung über die Anwendung des Progressionsvorbehalts enthielt. Die spätere Aufnahme einer derartigen Bestimmung in das Einkommensteuergesetz – des § 32 b EStG durch das Einkommensteuerreformgesetz vom 5. August 1974 (BGBl I 1769, BStBl I 1974, 530) – dient – soweit in Doppelbesteuerungsabkommen ein Progressionsvorbehalt vereinbart worden ist – lediglich der Bestätigung einer bisherigen Praxis und der Rechtssicherheit (vgl. die Begründung des Finanzausschusses, Bundestags-Drucksache 7/2180 S. 20 zu Nr. 42).
2. FA und FG sind zutreffend davon ausgegangen, daß zur Errechnung des auf die inländischen Einkünfte des Klägers anzuwendenden Steuersatzes sein Gesamteinkommen nach innerstaatlichem Steuerrecht zu ermitteln ist.
Der in Art. 20 Abs. 1 DBA-Frankreich verwendete Begriff des Gesamteinkommens ist im Abkommen nicht definiert. Er kann, wie sich aus der genannten Bestimmung ergibt, nur das Einkommen bedeuten, das sich nach Hinzurechnung der von der innerstaatlichen Besteuerung ausgenommen ausländischen Einkünfte – hier der in Frankreich bezogenen Einkünfte des Klägers – ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 11. Oktober 1967 I R 86/67, BFHE 90, 74, BStBl III 1967, 729) Mangels einer näheren Umschreibung im Abkommen ist der Begriff des Gesamteinkommens nach Art. 2 Abs. 2 DBA-Frankreich nach innerstaatlichem Recht auszulegen. Damit ist für die Errechnung des auf die inländischen Einkünfte des Klägers anzuwendenden Steuersatzes ein Gesamteinkommen zugrunde zu legen, das nach den innerstaatlichen Besteuerungsvorschriften, hier nach dem für den Veranlagungszeitraum 1966 geltenden Einkommensteuergesetz 1965, ermittelt worden ist. Das Gesamteinkommen einer im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen Person setzt sich entsprechend der in § 2 Abs. 2 Satz 1 EStG 1965 gegebenen Definition des Einkommens aus den in Abs. 3 dieser Vorschrift näher bestimmten Einkunftsarten zusammen. Müssen nach dem im Abkommen vereinbarten Progressionsvorbehalt die ausländischen Einkünfte zur Ermittlung des auf die innerstaatlichen Einkünfte anzuwendenden Steuersatzes dem inländischen Einkommen hinzugesetzt werden, ist es dem Abkommen immanent, daß diese ausländischen Einkünfte nach inländischem Steuerrecht, hier also nach deutschen Einkommensteuergesetz, ermittelt werden. Einer Ermittlung dieser Einkünfte nach ausländischem Steuerrecht mit seinem vom deutschen Steuerrecht abweichenden Ermittlungs- und Berechnungsmethoden hätte zur Folge, daß sich letztlich ein – von den nach deutschen Steuervorschriften errechneter – abweichender Steuersatz ergäbe. Es ist nicht Sinn und Zweck des Progressionsvorbehalts eines Doppelbesteuerungsabkommens, einem der vertragschließenden Staaten bei der Ausübung seiner Steuerberechtigung zur Anwendung von Steuersätzen zu zwingen, die nicht seinem Steuerrecht entsprechen.
Fundstellen
Haufe-Index 510410 |
BFHE 1979, 248 |