Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern
Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung der Abschnitte V bis VII des Siedlungserlasses des Reichsministers der Finanzen vom 11. Dezember 1940 (RStBl 1940 S. 1026).
Normenkette
RSiedlG § 29
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin (Bfin.) erwarb durch Tauschvertrag vom 30. Juli 1954 von einer Stadt für Siedlungszwecke 1.2610 ha Bauland. Als Gegenleistung veräußerte sie an die Stadt 2,6364 ha äcker und Wiesen, die ihr bis dahin gehörten, und leistete außerdem eine Zuzahlung von 7.000 DM.
Während das Finanzamt den Grundstückserwerb durch die Bfin. gemäß § 4 Abs. 1 Ziff. 1 a des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) von der Grunderwerbsteuer freistellte, erblickte es in dem Erwerb der äcker und Wiesen durch die Stadt keinen steuerbefreiten Vorgang. Demgemäß wurde die Bfin., die in dem bezeichneten Tauschvertrag die Entrichtung aller Steuern übernommen hatte, insoweit zur Grunderwerbsteuer herangezogen.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Die Berufung führte zu einer Erhöhung der Steuer.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) macht die Bfin. nach wie vor geltend, daß der in Betracht kommende Vorgang gemäß § 29 des Reichssiedlungsgesetzes (RSiedlG) vom 11. August 1919 (in der Fassung der Gesetze vom 7. Juni 1923 und 8. Juli 1926) in Verbindung mit Abschnitt V Abs. 2 des Siedlungserlasses des Reichsministers der Finanzen vom 11. Dezember 1940 (Reichssteuerblatt - RStBl - 1940 S. 1026) von der Steuer befreit sei. Die Grundstücke, die auf Grund des vorbezeichneten Tauschvertrages an die Stadt hingegeben wurden, seien - wie auch schon im Schreiben an das Finanzgericht vom 5. April 1955 ausgeführt wurde - von ihr, der Bfin., zusammen mit anderen Grundstücken durch Vertrag mit der Domänenverwaltung des Landes A vom 27. September 1950 zu Siedlungszwecken erworben worden. Auf Grund dieses Vertrages habe die Bfin. rund 56 ha für Siedlungszwecke erworben. 25 ha davon seien für zwei Vollbauern- und zwei Nebenerwerbsstellen, ein weiterer Teil sei als Anliegerland für schon bestehende Bauernstellen verwandt worden. Hinsichtlich des Restes sei die Siedlungsabsicht aufgegeben worden. Die Restgrundstücke seien nämlich nur noch als Anliegerland für bereits bestehende Bauernstellen verwendbar, während sie bei einem Eintausch gegen neues Siedlungsland ein neues Siedlungsverfahren möglich machten. Das von ihr, der Bfin., im Tausch gegen die Restgrundstücke von der Stadt erworbene neue Siedlungsland eigne sich zur Errichtung von zehn Nebenerwerbstellen; zu diesem Zweck werde es auch verwandt werden.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht.
I. - Allerdings kann das Vorbringen der Bfin., das Steuerfestsetzungsverfahren leide infolge etwaiger Nichtbeachtung des Abschnitts VII des Siedlungserlasses vom 11. Dezember 1940 an einem wesentlichen Mangel, nicht als begründet anerkannt werden. Dort ist zwar für Fälle, in denen das Finanzamt entgegen der Auffassung der Siedlungsbehörde die Steuervergünstigungen des Siedlungserlasses nicht für anwendbar hält, vor Erteilung des Steuerbescheides eine Vorprüfung vorgesehen, und zwar durch die Oberfinanzdirektion im Einverständnis mit der oberen Siedlungsbehörde, gegebenenfalls durch das zuständige Finanzministerium im Einvernehmen mit dem Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Wird aber eine solche Vorprüfung nicht durchgeführt, so können daraus im Rechtsmittelverfahren der Reichsabgabenordnung (AO) Einwendungen gegen die Steuerfestsetzung nicht hergeleitet werden. Die Steuergerichte sind nur an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland - GG -). Durch die Verwaltung getroffene Verfahrensregelungen - und etwas anderes liegt bei Abschnitt VII nicht vor - sind dagegen für die Steuergerichte nicht verbindlich. Die Vorschriften der AO über das Steuerfestsetzungs- bzw. das Rechtsmittelverfahren sind nicht verletzt.
II. - Zur Versicherung des Kulturamts hat das Finanzgericht tatsächlich festgestellt, daß darin nur von "einem" Siedlungsverfahren (nämlich dem der Bfin.) die Rede sei. Der Senat ist an die tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts gebunden (§§ 288, 296 Abs. 1 AO), es sei denn, was jedoch im Streitfall nicht zutrifft, daß ein Rechtsirrtum oder ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten vorliegt. Selbst wenn die Versicherung des Kulturamts sich auch auf den in Betracht kommenden Erwerb erstreckt hätte, wäre sie, wie auch das Finanzamt mit Recht ausführt, für die steuerrechtliche Beurteilung nicht verbindlich. Eine Versicherung nach § 29 Abs. 2 RSiedlG bindet die Finanzverwaltungsbehörden nur in tatsächlicher, nicht aber in rechtlicher Hinsicht. Es muß angenommen werden, daß der Gesetzgeber die steuerrechtliche Würdigung von Tatbeständen nicht Behörden überlassen wollte, denen eine besondere Erfahrung auf steuerrechtlichem Gebiet fehlt, sondern den Stellen, die er selbst für diesen Zweck geschaffen hat und die die für die Erfüllung dieses Zwecks erforderlichen Vorkenntnisse besitzen. Für diese Absicht des Gesetzgebers spricht auch, daß die Vorschrift sich des Ausdrucks "versichern", "Versicherung" bedient. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch können nur Tatsachen "versichert" werden. Rechtsmeinungen werden nicht versichert. Bemerkt sei außerdem, daß auch die Ergänzung des § 29 Abs. 2 RSiedlG durch einen zweiten Satz "Die Versicherung unterliegt nicht der Nachprüfung durch die Finanzbehörden" (Art. II Nr. 6 des vorerwähnten Gesetzes vom 7. Juni 1923) daran nichts geändert hat. Durch den hinzugefügten Satz wird lediglich zum Ausdruck gebracht, daß die "Versicherungen" des Siedlungsunternehmens - das heißt seine tatsächlichen Angaben - von den Finanzbehörden ohne jede Nachprüfung als richtig unterstellt werden müssen. In diesem Sinn ist sowohl vom Reichsfinanzhof als auch vom Senat ständig entschieden worden. Siehe unter anderem das Urteil des Senats II 201/51 S vom 2. November 1951 (Bundessteuerblatt - BStBl - 1951 III S. 234, Slg. Bd. 55 S. 578). An dieser Auffassung wird festgehalten.
III. - In sachlicher Hinsicht bedarf die Angelegenheit weiterer Prüfung.
Dem Finanzgericht ist darin zuzustimmen, daß ein Tauschvertrag zwei Grundstücksumsätze enthält, daß jeder Grundstücksumsatz einen Erwerbsvorgang für sich darstellt und daß jeder Erwerbsvorgang hinsichtlich der etwa anzuwendenden Befreiungsvorschriften für sich zu beurteilen ist. Aus dem Umstand, daß der Grundstückserwerb durch die Bfin. von der Steuer freigestellt wurde, kann deshalb nicht ohne weiteres gefolgert werden, daß auch der Grundstückserwerb durch die Stadt steuerfrei sein muß. Erforderlich ist vielmehr, daß dieser Erwerb seinerseits von der Steuer ausgenommen ist.
Die Bfin. bezieht sich dafür, daß auch der in Betracht kommende Erwerb steuerbefreit ist, auf den vorerwähnten Siedlungserlaß vom 11. Dezember 1940. Dieser Erlaß befaßt sich in den Abschnitten I bis VII mit der Anwendbarkeit der Steuerbefreiungsvorschrift des § 29 RSiedlG vom 11. August 1919 (in der Fassung der vorbezeichneten Gesetze) bei bäuerlichen Siedlungen. In Betracht kommt für den Streitfall der Abschnitt V des Erlasses. Im Abs. 1 dieses Abschnitts ist ausgeführt, daß die Befreiungsvorschrift des § 29 RSiedlG nicht gilt, soweit Siedlungsunternehmen Grundstücksflächen und andere Wirtschaftsgüter nicht an Siedler oder aus Siedlern gebildete Gemeinschaften, sondern an dritte Personen veräußern. Anschließend werden als steuerpflichtig bezeichnet:
die Veräußerung eines zunächst für Siedlungszwecke erworbenen Geländes, bei dem die Siedlungsabsicht aufgegeben wurde. Hätte also die Bfin. das in Betracht kommende Gelände zunächst für Siedlungszwecke erworben, dann aber die Siedlungsabsicht aufgegeben, so käme die Steuerbefreiung nicht in Betracht, wenn das Grundstück an beliebige Dritte verkauft würde;
die Veräußerung der bei der Durchführung eines Siedlungsverfahrens übrigbleibenden, zur Siedlung nicht geeigneten Grundstücke und sonstigen Wirtschaftsgüter (z. B. Waldflächen, Schlösser, Steinbrüche, Brennereien) durch das Siedlungsunternehmen an dritte Personen. In diesem Fall ist die Steuerpflicht gegeben, ohne daß es darauf ankommt, ob die Siedlungsabsicht aufgegeben wurde oder nicht. Handelt es sich also bei den von der Bfin. in Tausch gegebenen Grundstücken um solche, die bei Durchführung eines Siedlungsverfahrens übriggeblieben und zur Siedlung nicht mehr geeignet waren, so käme die Steuerbefreiung nicht in Betracht, wenn das Grundstück an beliebige Dritte verkauft würde.
Nach Abschnitt V Abs. 2 des Siedlungserlasses wird die Grunderwerbsteuer jedoch in den Fällen zu 1. und 2. nicht erhoben, wenn das Gelände oder die Grundstücksteile von dem Siedlungsunternehmen nicht verkauft, sondern im Tausch gegen neues Siedlungsland hingegeben werden. Diese Sonderregelung nimmt die Bfin., wie bereits ausgeführt wurde, für sich in Anspruch. Die insoweit von der Bfin. vorgebrachten Behauptungen sind durch das Finanzgericht nicht geprüft worden, weil es der Auffassung war, daß eine Steuerbefreiung durch die Regelung im Abschnitt VI des Siedlungserlasses ausgeschlossen sei. Diese Auffassung ist jedoch nicht zutreffend. Abschnitt VI des Siedlungserlasses befaßt sich vielmehr mit Vorgängen, die im Streitfall nicht gegeben sind, nämlich:
in der Ziff. 1 mit dem Erwerb von Land, das für Siedlungsland in Tausch gegeben werden soll, durch das Siedlungsunternehmen. Dieser Fall wäre gegeben, wenn die Bfin. beliebig Grundstücke aufkauft (z. B. von einer Zwischenperson X), die nicht unmittelbar zu Siedlungszwecken dienen sollen, sondern nur erworben werden, um als Gelände zum Eintausch von Siedlungsland verwendet zu werden. Im Streitfall wurde jedoch - das Vorbringen der Bfin. als richtig unterstellt - das jetzt im Tauschwege hingegebene Siedlungsland durch Vertrag vom 27. September 1950 unmittelbar für Siedlungszwecke erworben;
in der Ziff. 2 mit der Hingabe des Tauschlandes durch das Siedlungsunternehmen im Austausch gegen Siedlungsland. Dieser Fall wäre gegeben, wenn die Bfin. das von X erworbene Tauschland (siehe zu a) im Austausch gegen Siedlungsland an eine weitere Zwischenperson (Y) weiterveräußert hätte. In diesem Fall wäre der Erwerb des Siedlungslandes durch die Bfin. steuerfrei; dagegen wäre der Erwerb des Tauschlandes durch Y nicht auf Grund des Siedlungserlasses von der Steuer ausgenommen. Im Streitfall wurde dagegen das in Betracht kommende Gelände - das Vorbringen der Bfin. als richtig unterstellt - seitens der Bfin. unmittelbar für Siedlungszwecke, nicht aber als Tauschland erworben.
Es bedarf der Nachprüfung, ob die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach Abschnitt V Abs. 2 des Siedlungserlasses die Steuer nicht zu erheben ist. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so wäre der in Betracht kommende Vorgang von der Steuer freizustellen.
Darüber, daß der Siedlungserlaß vom 11. Dezember 1940, soweit die darin ausgesprochenen Steuerbefreiungen über den Rahmen der im § 29 RSiedlG zugelassenen Steuerbefreiungen hinausgehen, als ein die Steuergerichte bindender Milderungserlaß anzusehen ist, siehe das bereits erwähnte Urteil II 201/51 S vom 2. November 1951. Der Senat hält an der darin vertretenen Auffassung fest.
Nach alledem war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die nicht spruchreife Sache zur erneuten Prüfung und nochmaligen Entscheidung an das Finanzgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 409261 |
BStBl III 1959, 100 |
BFHE 1959, 255 |
BFHE 68, 255 |