Leitsatz (amtlich)
Es ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn das FA, das einen zur Zahlung verpflichtenden Steuerbescheid erlassen hat, in der Möglichkeit, diesen im Ausland vollstrecken zu müssen, eine Gefährdung des Steueranspruches sieht und die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides von einer Sicherheitsleistung abhängig macht.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige), eine Kapitalgesellschaft mit Sitz im Ausland, unterhält im Inland weder Betriebstätten noch sonstige Niederlassungen und hat im Inland auch kein sonstiges Vermögen.
Aufgrund von Feststellungen, die bei einer Fahndungsprüfung getroffen wurden, zog das FA die Steuerpflichtige für die Jahre 1960 bis 1965 zur Umsatzsteuer heran, weil diese in ihrem Betrieb gebaute Anlagen zur Herstellung und Verpackung von ... an inländische Abnehmer versendet und bei diesen aufgestellt hatte. Über die gegen die Steuerfestsetzung nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hat die Vorinstanz noch nicht entschieden.
Auf Antrag der Steuerpflichtigen setzte das FA die Vollziehung der Steuerbescheide zunächst bis zum 1. Oktober 1966 und schließlich nochmals bis zum 1. Dezember 1966 ohne Sicherheitsleistung aus, teilte der Steuerpflichtigen jedoch gleichzeitig mit, daß eine weitere Aussetzung nur gegen Sicherheitsleistung möglich sei, und forderte die Steuerpflichtige zur Sicherheitsleistung auf. Daraufhin stellte die Steuerpflichtige erneut den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Steuerbescheide ohne Sicherheitsleistung und legte dem FA Auskünfte von zwei ausländischen Banken vor, in denen die Bonität der Steuerpflichtigen bescheinigt wird. Mit Bescheid vom 12. Dezember 1966 lehnte das FA die Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung ab.
Die Beschwerde blieb erfolglos. Auch mit der Klage hatte die Steuerpflichtige keinen Erfolg. Das FG führte folgendes aus:
Die Entscheidung des FA, die Vollziehung nur gegen Sicherheitsleistung auszusetzen, liege im Rahmen seiner Ermessensgrenzen. Es müsse grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß der Steueranspruch gefährdet sei, wenn der Steuerschuldner im Inland keine Vermögenswerte zur Verfügung habe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Steuerpflichtigen. Sie ist der Auffassung, die Vorentscheidung beruhe auf einem Rechtsirrtum, soweit das FG sich zur Begründung seiner Auffassung auf § 917 Abs. 2 ZPO berufen habe. Im übrigen verstoße die Vorentscheidung gegen die Art. 99 bis 101 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) sowie gegen Art. 21 und 23 des deutsch-französischen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA-Frankreich). Die Steuerpflichtige weist insbesondere darauf hin, daß nach ihrer Auffassung im vorliegenden Fall eine Gefährdung der Einziehung der Steuerschuld deswegen nicht gegeben sei, weil sich Art. 23 DBA-Frankreich entgegen der Meinung des FA auch auf die Umsatzsteuer beziehe und damit Amts- und Rechtshilfe des französischen Staates ebenfalls bei Einziehungsund Beitreibungsmaßnahmen gewährleistet sei.
Die Steuerpflichtige beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie der Beschwerdeentscheidung und der Verfügung des FA die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 1960 bis 1965 ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es teilt die im angefochtenen Urteil vertretene Auffassung.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unbegründet.
Zutreffend ist das FA davon ausgegangen, daß die Entscheidung, ob die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen ist (§ 69 Abs. 2 letzter Satz FGO), im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde liegt. Die Steuergerichte haben daher lediglich zu prüfen, ob eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensmißbrauch gegeben ist.
Mit Recht hat das FG dies verneint.
Die Anordnung einer Sicherheitsleistung bei Aussetzung der Vollziehung dient einem öffentlichen Interesse: Steuerausfälle nach einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Prozeßausgang sollen vermieden werden (Entscheidung des BFH V B 115, 116/69 vom 22. Dezember 1969, BFH 97, 240, BStBl II 1970, 127). Gemäß § 378 Abs. 1 Satz 1 AO ist das Vorliegen eines Arrestgrundes zu bejahen, wenn ohne den Arrest zu besorgen ist, daß die Erzwingung der Leistung vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Eine wesentliche Erschwerung der Vollziehung ist aber grundsätzlich anzunehmen, wenn ein späteres Leistungsgebot im Ausland zu vollstrecken wäre (BFH-Entscheidung IV 377/59 vom 6. Dezember 1962, HFR 1963, 220). Zutreffend hat das FG angenommen, daß es unter diesen Umständen nicht ermessensfehlerhaft ist, wenn das FA, das einen zur Zahlung verpflichtenden Steuerbescheid erlassen hat, in der Möglichkeit, ihn im Ausland vollstrecken zu müssen, eine Gefährdung des Steueranspruchs sieht und dementsprechend Sicherheitsleistung verlangt. Ist aber eine Gefährdung bereits aus den vorstehenden Erwägungen heraus zu bejahen, so kann es dahingestellt bleiben, ob etwa auch unter dem Gesichtspunkt des § 917 Abs. 2 ZPO eine Gefährdung der Einziehung der Steuerforderung angenommen werden kann.
Die Auffassung des FG widerspricht weder den Art. 99 bis 101 EWGV noch den Art. 21 und 23 DBA-Frankreich. Art. 99 bis 101 EWGV und Art. 21 DBA-Frankreich regeln andere Fragen und sind offensichtlich nicht einschlägig. Art. 23 DBA-Frankreich bezieht sich, worauf das FA zutreffend hinweist, nicht auf die Umsatzsteuer, sondern nur auf jene Steuern, auf die sich das Abkommen erstreckt. Dies ergibt sich aus dem Sachzusammenhang des Art. 22 mit Art. 23 des Abkommens sowie aus der Tatsache, daß Art. 26 Abs. 2 des Abkommens den Behörden die Möglichkeit gibt, die Maßnahmen der Amts- und Rechtshilfe, die in den Art. 22 und 23 vorgesehen sind, auszudehnen auf die Veranlagung und Erhebung von Steuern und Abgaben, die nicht unter Art. 1 fallen; dazu gehört auch die Umsatzsteuer. Dieser Regelung hätte es nicht bedurft, wenn die Umsatzsteuer, wie die Steuerpflichtige meint, unmittelbar von Art. 23 erfaßt würde. (Im Ergebnis ebenso Korn-Dietz, Doppelbesteuerung, Erläuterungen zu Art. 22 und 23.)
Fundstellen
BStBl II 1971, 1 |
BFHE 1971, 291 |