Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch des FA auf Rückforderung von Wohnungsbau-Prämie verjährt in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 AO wie ein Steueranspruch in fünf Jahren. Der Verjährungsbeginn richtet sich nach § 145 Abs. 2 Nr. 5 AO.
Normenkette
AO i.d.F. des AOÄG 1965 § 144 Abs. 1; AO i.d.F. des AOÄG 1965 § 144 Abs. 2; AO i.d.F. des AOÄG 1965 § 145 Abs. 1; AO i.d.F. des AOÄG 1965 § 145 Abs. 2 S. 5; WoPG § 5 Abs. 1-2, 4
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) gewährte dem Kläger und Revisionsbeklagten für die Streitjahre 1965 und 1966 antragsgemäß Wohnungsbau-Prämie von je 400 DM (Bescheide vom 4. Juli 1966 und 8. Juni 1967). Der noch nicht 18jährige Sohn des Revisionsbeklagten erhielt ebenfalls Wohnungsbau-Prämie von je 400 DM. Weder der Revisionsbeklagte noch sein Sohn hatten in den Anträgen auf Wohnungsbau-Prämie in der dafür vorgesehenen Rubrik II auf den Sparvertrag des anderen Familienmitglieds hingewiesen. Bei einer Anfang 1969 durchgeführten Überprüfung der Wohnungsbau-Prämienkartei stellte das FA diesen Sachverhalt fest. Mit Bescheid vom 4. Februar 1969 forderte es daraufhin vom Revisionsbeklagten die diesem gewährten Wohnungsbau-Prämien im Gesamtbetrag von 800 DM zurück. Im Einspruchsverfahren ermäßigte das FA die Rückforderung auf die Beträge, die dem Revisionsbeklagten bei Aufteilung des Prämienhöchstbetrags auf ihn und seinen Sohn nicht gewährt worden wären.
Das FG gab der Klage mit seiner in den EFG 1970, 205 veröffentlichten Entscheidung u. a. mit der Begründung statt, daß die Rückforderungsansprüche des FA verjährt seien. Es handle sich bei dem Prämienrückforderungsanspruch um einen übrigen Anspruch im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 2 AO, der in einem Jahr verjähre. Die Verjährungsfrist beginne nach § 145 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Wohnungsbau-Prämie geleistet worden sei. Wie sich aus § 145 Abs. 2 Nr. 5 AO n. F. ergebe, könne es auf die Kenntnis des FA von den anspruchsbegründenden Tatsachen, worauf der BFH bisher abgestellt habe, nicht mehr ankommen.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt das FA unrichtige Auslegung der §§ 5 Abs. 4 WoPG, 144 Abs. 1 Satz 2 und 145 Abs. 1 AO. Es trägt vor: Selbst wenn die vom BFH entwickelten Grundsätze nicht mehr anwendbar wären, so seien die Rückforderungsansprüche doch nicht verjährt; denn die für hinterzogene Beträge geltende zehnjährige Verjährungsfrist sei entsprechend auf erschlichene Wohnungsbau-Prämie anzuwenden. Es gehe dabei nicht um die Anwendung des § 392 AO, sondern des § 144 Abs. 1 Satz 1 AO.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Revisionsbeklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Er macht geltend: Es sei zweifelhaft, ob überhaupt die Verjährungsvorschriften der §§ 143 ff. AO zur Anwendung kämen; denn in § 5 Abs. 4 WoPG werde von einer Verjährung nicht gesprochen. Verjährung, Festsetzung und Beitreibung würden in der AO jeweils in verschiedenen Abschnitten behandelt. Analog angewendet könnten aber auch nur die §§ 144 Abs. 1 letzter Satz und 145 Abs. 2 Nr. 5 AO werden. Danach wäre der Anspruch bereits verjährt. Der vorliegende Fall werde auch nicht von der einzigen Rückzahlungsvorschrift (§ 5 Abs. 2 WoPG) erfaßt.
Der BMWF, der dem Verfahren beigetreten ist, vertritt die Auffassung, daß es nicht gerechtfertigt sei, den Anspruch auf Rückzahlung von Wohnungsbau-Prämie zu den übrigen Ansprüchen im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 2 AO zu rechnen. Er sei der wichtigste nach dem WoPG in Frage kommende Zahlungsanspruch des FA und müsse daher den sich aus den Steuergesetzen ergebenden Hauptansprüchen, also den steuerlichen Ansprüchen, gleichgestellt werden. Dafür spreche auch, daß die Rückforderung von Wohnungsbau-Prämie in der Frage des Rechtsbehelfs wie die Rückforderung von Steuervergütungen behandelt werde. In entsprechender Anwendung des § 8 Abs. 1 Satz 3 WoPG sei als Rechtsbehelf der Einspruch zugelassen. Es erscheine deshalb in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 AO eine Verjährungsfrist von fünf Jahren folgerichtig. Diese Lösung führe auch zu der wünschenswerten Gleichstellung derjenigen Bausparer, die Wohnungsbau-Prämie in Anspruch nähmen, mit denen, die ihre Bausparbeiträge bei der Einkommensteuerveranlagung als Sonderausgaben geltend machten.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet.
Wohnungsbau-Prämien sind nach § 5 WoPG zurückzufordern, wenn das FA nachträglich erfährt, daß die Voraussetzungen für die Prämiengewährung nicht vorgelegen haben, es sei denn, daß die Grundsätze von Treu und Glauben oder die gesetzlichen Verjährungsfristen das Rückforderungsrecht beschränken (so ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt Urteil VI R 161/67 vom 6. April 1971, BFH 102, 343, BStBl II 1971, 610, und das Urteil VI R 10/69 vom 17. März 1972, BFH 105, 434, BStBl II 1972, 601). Das FA mußte die Wohnungsbau-Prämien vom Revisionsbeklagten zurückfordern, nachdem es erfahren hatte, daß sie ihm wegen Überschreitung der Höchstbetragsgrenze durch die Höchstbetragsgemeinschaft, die der Revisionsbeklagte mit seiner Ehefrau und seinen Kindern unter 18 Jahren bildete (§ 3 Abs. 2 WoPG), zu Unrecht gewährt worden waren.
Die Prämienrückforderungsansprüche des FA sind nicht verjährt. Das WoPG ist - wie das BVerfG (Entscheidung 1 BvL 12/62 vom 12. Februar 1964, BStBl I 1964, 46) und mehrfach der BFH ausgesprochen haben - zwar kein Steuergesetz. Nach § 5 Abs. 4 WoPG finden jedoch die Vorschriften der AO und ihrer Nebengesetze "auf die Festsetzung und Beitreibung der zurückzuzahlenden Prämien" Anwendung. Diese Bestimmung verweist nicht etwa nur auf Vorschriften der AO, die dort in Abschnitten, welche die Überschrift "Festsetzung" oder "Beitreibung" tragen, enthalten sind; sie verweist vielmehr allgemein auf alle Vorschriften der AO, die für die Festsetzung und Beitreibung der zurückzuzahlenden Prämien eine Rolle spielen. Hierzu gehören auch die Verjährungsvorschriften (§§ 143 bis 149 AO); denn die Festsetzung eines durch Verjährung erloschenen Anspruchs ginge ins Leere.
Der Anspruch auf Rückforderung von Wohnungsbau-Prämie steht einem Anspruch auf Rückzahlung einer Vergütung gleich. Er verjährt wie ein Steueranspruch in fünf Jahren (§ 144 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 AO). Nach der bisherigen Rechtsprechung (vgl. Urteile des Senats VI 1/62 U vom 31. Januar 1964, BFH 79, 71, BStBl III 1964, 258; VI 220/63 U vom 13. Mai 1964, BFH 79, 661, BStBl III 1964, 473) verjährte der Rückforderunsanspruch in einem Jahr. Die Verjährungsvorschriften der AO a. F. enthielten keine Sondervorschrift über die Verjährung von Ansprüchen auf Rückzahlung von Vergütungen, die auf den Prämienrückforderungsanspruch hätte entsprechend angewendet werden können. Es lag daher nahe, den Prämienrückforderungsanspruch ebenso zu behandeln wie den ihm vergleichbaren Anspruch auf Rückforderung von Umsatzsteuervergütungen. Er wurde entsprechend der dazu ergangenen Rechtsprechung zu den übrigen Ansprüchen (§ 144 Satz 2 AO a. F.) gerechnet. Seit Einführung des § 144 Abs. 2 AO durch Art. 1 Nr. 2 AOÄG 1965 (Bundesgesetzblatt I S. 1356), der die Verjährung von Ansprüchen auf Erstattungen und Vergütungen gesetzlich besonders regelt, ist diese Zuordnung nicht mehr gerechtfertigt. Nach dieser Vorschrift stehen die Ansprüche auf Erstattungen und Vergütungen einem Abgabenanspruch gleich. Der Prämienrückforderungsanspruch kann, nachdem das Gesetz in dem genannten Sinne geändert worden ist, nicht mehr den übrigen Ansprüchen zugeordnet werden. Darunter sind solche Ansprüche zu verstehen, die sich aus den Steuergesetzen ergeben, aber keine Steueransprüche sind (vgl. BFH-Urteil III 49/65 U vom 30. Juli 1965, BFH 83, 345, BStBl III 1965, 624). Es handelt sich dabei um Ansprüche von untergeordneter Bedeutung, z. B. auf Verspätungszuschläge, Säumniszuschläge, Erzwingungsgelder, Sicherungsgelder. Demgegenüber ist der Prämienrückforderungsanspruch der Hauptanspruch des FA nach dem WoPG. Ihm entspricht am ehesten der Hauptanspruch nach den Steuergesetzen, der Steueranspruch.
Die Verjährungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Wohnungsbau-Prämien geleistet worden sind (§§ 144 Abs. 2 in Verbindung mit 145 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 5 AO). Die bisherige Rechtsprechung, wonach es auf die Kenntnis des FA von den anspruchsbegründenden Tatsachen ankam, kann im Hinblick auf die neue ausdrückliche Regelung des Verjährungsbeginns von Ansprüchen auf Rückzahlung von Vergütungen in § 145 Abs. 2 Nr. 5 AO nicht mehr aufrechterhalten werden. Eine solche Vorschrift bestand bisher nicht. Grundlage für die früheren Entscheidungen war lediglich § 145 Abs. 1 AO a. F., wonach der Verjährungsbeginn von der Entstehung des Anspruchs abhing.
Das FA hat die zu Unrecht gewährten Prämien innerhalb der fünfjährigen Verjährungsfrist rechtzeitig zurückgefordert. Zu den Fragen, ob der Revisionsbeklagte die Prämien erschlichen hat und ob für erschlichene Prämien eine zehnjährige Verjährungsfrist gilt, braucht der Senat keine Stellung zu nehmen, da sie nicht entscheidungserheblich sind.
Fundstellen
Haufe-Index 413236 |
BStBl II 1972, 812 |
BFHE 1972, 177 |