Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält an der im Urteil vom 17. Mai 1966 III 2/62 (BFHE 86, 374, BStBl III 1966, 500) vertretenen Auffassung fest, daß der Kapitalwert des Rechts auf Teilnahme an der erweiterten Honorarverteilung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen zum sonstigen Vermögen des Berechtigten nach § 110 Abs. 1 Nr. 4 BewG 1965 gehört und nicht nach § 111 Nr. 1 oder Nr. 4 BewG 1965 außer Ansatz bleiben kann.
Normenkette
BewG 1965 § 110 Abs. 1 Nr. 4, § 111 Nrn. 3-4
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Witwe eines praktischen Arztes. Sie nimmt seit 1967 an der erweiterten Honorarverteilung der Kassenrechtlichen Vereinigung Hessen (KVH), einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, teil. Die KVH sorgt aufgrund des § 8 des Gesetzes über die Kassenärztliche Vereinigung Hessen und die Kassenzahnärztliche Vereinigung Hessen vom 22. Dezember 1953 (Gesetz- und Verordnungsblatt Hessen 1953 S. 206) nach ihrer von der Abgeordnetenversammlung beschlossenen Satzung für eine wirtschaftliche Sicherung der invaliden und alten Kassenärzte und der Hinterbliebenen von Kassenärzten. Die Abgeordnetenversammlung hat Grundsätze der erweiterten Honorarverteilung aufgestellt. Nach §§ 1 und 2 dieser Grundsätze nehmen alle Mitglieder der KVH, soweit sie rechtskräftig zur Reichsversicherungsordnung (RVO)-Kassenpraxis zugelassen oder an einer RVO-Kassenpraxis beteiligt sind und ihre Kassenhonorare mit einer Bezirksstelle der KVH regelmäßig abrechnen, auch im Falle ihrer Berufsunfähigkeit und nach Verzicht auf die Kassenzulassung weiterhin an der Honorarverteilung teil, gegebenenfalls durch ihre Hinterbliebenen. Die Höhe des Anspruchs bestimmt sich nach § 3 Abs. 1 und 2 der Grundsätze nach einem feststehenden Vomhundertsatz des in seiner Höhe schwankenden jeweiligen Durchschnitts-RVO-Honorars. Der Vomhundertsatz wird nach Punktwerten ermittelt. Anspruchsberechtigt sind nach § 6 der Grundsätze neben dem Kassenarzt seine Witwe und seine Waisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) rechnete bei der Vermögensteuerveranlagung der Klägerin auf den 1. Januar 1969 den Kapitalwert der Leistungen, welche die Klägerin von der KVH erhielt, nach § 110 Abs. 1 Nr. 4 BewG ihrem sonstigen Vermögen zu. Der Einspruch, mit dem sich die Klägerin gegen den Ansatz des Kapitalwerts wandte, hatte keinen Erfolg. Auch die Klage wurde abgewiesen.
Die Klägerin beantragt mit der Revision, unter Aufhebung des Urteils des FG und der Einspruchsentscheidung dahin zu erkennen, daß bei der Berechnung des steuerpflichtigen Vermögens der Klägerin auf den 1. Januar 1969 ihre Bezüge aus der erweiterten Honorarverteilung der KVH außer Ansatz gelassen würden. Es werden unrichtige Auslegungen des § 111 Nr. 1 und 4 BewG und Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG, des Sozialstaatsprinzips und der Grundsätze der Sachgesetzlichkeit gerügt. Die Revison wird im wesentlichen wie folgt begründet: Es handele sich bei der KVH nicht um eine Pensionskasse. Es gehe deshalb nur um die Auslegung des Teils des § 111 Nr. 1 BewG, der dem Wort "sowie" folge. Eine entsprechende Vorschrift finde sich im § 39 Nr. 3 RBewG 1925. Der Wortlaut des § 111 Nr. 1 BewG weiche von dieser Vorschrift nur insofern ab, als es damals genügt habe, daß die Bezüge "mit Rücksicht auf ein früheres Arbeits- oder Dienstverhältnis" gewährt würden, während sie seit dem RBewG 1934 auf ein solches Verhältnis "zurückzuführen" sein müßten. Die Regelung in § 39 Nr. 3 RBewG 1925 habe der Sachgesetzlichkeit entsprochen. Es habe die geringere Steuerfähigkeit der Bezüge, die nicht aus fundiertem Vermögen stammten, berücksichtigt werden sollen. Auch die Änderung des Wortlauts sei sachgesetzlich begründet. Sie habe wohl präzisieren sollen, daß zwischen den Bezügen und dem Arbeits- oder Dienstverhältnis ein unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang bestehen müsse. Daraus könne man vielleicht ableiten, daß keine Bewertungsfreiheit bestehe, wenn die Bezüge von einer Stelle oder Person gezahlt würden, die außerhalb des Arbeits- oder Dienstverhältnisses ständen. Dabei müsse bedacht werden, daß der Kassenarzt nicht nur aufgrund eines Dienstvertrages mit seinen Patienten oder den für diese vertretungsberechtigten Personen tätig werde. Der Kassenarzt sei auch öffentlich-rechtlich zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung verpflichtet. Die Sicherstellung der Kassenärztlichen Versorgung sei Aufgabe der KVH. Die Kassenärzte erfüllten also die Aufgaben der KVH. Dafür erhielten sie - nicht vom Patienten und nicht von der Krankenkasse, sondern von der KVH - einen sich nach ihrer Leistung richtenden Anteil an der Gesamtvergütung, die von der Krankenkasse an die KVH zu entrichten sei. Das beseitige zwar nicht die Freiberuflichkeit des Kassenarztes. Er sei aber soziologisch dem Nichtselbständigen stärker angenähert als jeder andere Angehörige eines freien Berufs. Selbst wenn man - entgegen der Auffassung der Klägerin - annehmen wollte, daß § 111 Nr. 1 BewG nur Arbeitnehmerbezüge begünstige, verlange der Gleichheitssatz die Prüfung, ob es vertretbar sei, die Begünstigung auch dann zu versagen, wenn sich für die nachteilige Differenzierung im konkreten Fall kein sachlicher vertretbarer Gesichtspunkt anführen lasse. Diese Prüfung müsse dazu führen, daß es gegen den Gleichheitssatz verstoßen würde, wenn man § 111 Nr. 1 BewG auf den vorliegenden Fall nicht anwende. Das FG habe auch zu Unrecht die Anwendbarkeit des § 111 Nr. 4 BewG verneint. Die Auffassung des FG, daß die von der KVH in ihrer Funktion als Mitträger der sogenannten zweiten Staatsgewalt auf parlamentarischem Wege vorgenommene Rechtssetzung kein Gesetz im materiellen Sinne sei, sei nicht haltbar.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Das FG hat die Anwendbarkeit des § 111 Nr. 1 BewG auf den Streitfall zu Recht verneint. Nach dieser Vorschrift gehören u. a. Ansprüche auf Renten und ähnliche Bezüge, die auf ein früheres Arbeits- oder Dienstverhältnis zurückzuführen sind, nicht zum sonstigen Vermögen. Die Vorschrift des § 111 Nr. 1 BewG stimmt inhaltlich mit der Vorschrift des § 68 Nr. 1 BewG a. F. überein. Der Senat hat sich schon mehrfach mit der Frage befaßt, was unter dem Begriff "Arbeits- oder Dienstverhältnis" im Sinne des § 68 Nr. 1 BewG a. F. zu verstehen ist. So hat er in dem Urteil vom 20. Juni 1969 III R 64/66 (BFHE 96, 120, BStBl II 1969, 544) unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung entschieden, daß diese Vorschrift nur auf Pensionen, Renten usw. anwendbar ist, die mit Rücksicht auf eine frühere unselbständige Tätigkeit als Arbeitnehmer gewährt werden. Er hat diese Auffassung noch einmal in dem Urteil vom 26. Oktober 1970 III R 103/68 (BFHE 101, 120, BStBl II 1971, 194) bestätigt. Der Senat hält auch für den Streitfall trotz der erneuten Einwendungen der Klägerin an dieser Auffassung fest. Er teilt nicht die Meinung der Klägerin, daß der Begriff "Arbeits- oder Dienstverhältnis" einen Bedeutungswandel gegenüber der Zeit erfahren habe, in der er erstmals im Reichsbewertungsgesetz verwendet worden ist. Der Senat hat bereits im Urteil III R 64/66 auf den entscheidenden Unterschied zwischen den entsprechenden Vorschriften des RBewG 1925 und des RBewG 1931 zu § 68 RBewG 1934 hingewiesen, der darin besteht, daß nach den alten Vorschriften nur der Kapitalwert solcher Rechte zum sonstigen Kapitalvermögen gehörte, die entweder vertragsmäßig als Gegenleistung für die Hingabe von Vermögenswerten oder aus letztwilligen Verfügungen oder Familienstiftungen oder Vermögen hausgesetzlicher Bestimmungen zustanden, während diese Beschränkung in § 68 RBewG 1934 weggefallen ist. Er teilt ferner nicht die Ansicht der Klägerin, daß man nicht davon ausgehen könne, der Begriff in § 68 RBewG 1934 sei vom Gesetzgeber in demselben Sinne verstanden worden, wie er auch in der LStDV vom 29. November 1934 (RStBl 1934, 1489) verwandt worden sei. Der Umstand, daß die LStDV etwa 1 1/2 Monate nach dem RBewG 1934 erlassen worden ist, ist dabei unbeachtlich. Denn alle in dieser Zeit ergangenen Steuergesetze bildeten einen geschlossenen Komplex. Das Datum, unter dem sie dann im einzelnen veröffentlicht wurden, spielt dabei keine Rolle. Auch der Hinweis auf das Urteil des RFH vom 8. Juni 1937 III A 93/37 (RStBl 1937, 931) und auf das in Abschn. 70 Abs. 1 der VStR 1969 zitierte Urteil des BFH vom 15. Dezember 1961 III 274/59 U (BFHE 74, 457, BStBl III 1962, 171) geht fehl. Denn in beiden Urteilen kommt klar zum Ausdruck, daß es für die Anwendung des § 68 Nr. 1 BewG a. F. Voraussetzung ist, daß die Bezüge auf ein früheres Arbeits- oder Dienstverhältnis "als Arbeitnehmer" zurückzuführen sind. Man kann auch entgegen der Auffassung der Klägerin aus dem Verhältnis zwischen dem Kassenarzt und der KVH nichts dafür entnehmen, daß die Rente auf ein "Arbeits- oder Dienstverhältnis" zurückzuführen ist. Die Verpflichtungen, die der Kassenarzt mit seiner Zulassung übernimmt, beruhen auf § 5 der Satzung der KVH. Aus diesen Satzungsbestimmungen läßt sich ein Arbeits- oder Dienstverhältnis nicht ableiten. Auch aus dem Umstand, daß die Ärzte neuerdings in die gesetzliche Altersversorgung aufgenommen werden können, läßt sich in dieser Richtung nichts entnehmen, zumal diese Möglichkeit an dem hier maßgebenden Stichtag noch nicht bestand. Die Auslegung des Begriffs Arbeits- oder Dienstverhältnis ist schließlich entgegen der Auffassung der Klägerin auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Mit dieser Begründung hat das BVerfG durch Beschluß vom 16. Dezember 1969 1 BvR 523/69 (HFR 1970, 129) die gegen das Urteil III R 64/66 eingelegte Verfassungsbeschwerde als offensichtlich unbegründet nicht zur Entscheidung angenommen.
2. Das FG hat auch zu Recht die Anwendbarkeit des § 111 Nr. 4 BewG verneint. Nach dieser Vorschrift gehören nicht zum sonstigen Vermögen Ansprüche auf gesetzliche Versorgungsbezüge ohne Rücksicht darauf, ob diese laufend oder in Form von Kapitalabfindungen gewährt werden. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß unter diese Vorschrift nur solche Ansprüche fallen, die sich unmittelbar aus dem Gesetz oder aus einer aufgrund eines Gesetzes ergangenen Rechtsverordnung ergeben. Er hat mit dieser Begründung im Urteil vom 17. Mai 1966 III 2/62 (BFHE 86, 374, BStBl III 1966, 500) die Anwendbarkeit der Vorschrift auf das Recht zur Teilnahme an der erweiterten Honorarverteilung der KVH verneint, weil dieser Anspruch sich nicht auf das Gesetz über die KVH, sondern auf die Satzung der KVH gründe. Er hat weiter in dem Urteil vom 20. Oktober 1967 III 158/63 (BFHE 90, 511, BStBl II 1968, 171) unter Hinweis auf das Urteil III 2/62 die Anwendbarkeit der Vorschrift auf Witwen- und Waisenrenten aus der Ärzteversicherung abgelehnt. Der Senat hält auch im Streitfall trotz der Einwendungen der Klägerin an dieser Auffassung fest. Er teilt nicht die Meinung der Klägerin, daß § 8 des Gesetzes vom 22. Dezember 1953 die Altersversorgung "anordne". § 8 dieses Gesetzes gewährt, wie schon im Urteil III 2/62 hervorgehoben worden ist, den invaliden und kranken Kassenärzten keinen Anspruch auf Teilnahme an der Honorarverteilung. Er verpflichtet nur die KVH, anspruchsbegründende Satzungsbestimmungen zu erlassen. Die insoweit aufgrund des § 8 des Gesetzes von der Abgeordnetenversammlung der KVH beschlossene Satzung ist zwar objektives Recht (vgl. BVerfGE 10, 20 [50]). Sie ist auch ein Gesetz im Sinne des § 2 AO. Der Senat ist jedoch der Meinung, daß sich der Ausdruck "gesetzliche Versorgungsbezüge" in § 111 Nr. 4 BewG nur auf formelle Gesetze im technischen Sinne bezieht. Das geht eindeutig aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift hervor. Die Vorschrift war in ihrem jetzigen Wortlaut schon in § 68 Nr. 4 RBewG 1934 enthalten. Die diesem § 68 Nr. 4 RBewG 1934 unmittelbar vorhergehende entsprechende Vorschrift des § 59 Nr. 4 RBewG 1931 zählte alle Versorgungsgesetze einzeln auf, bei denen die Ansprüche auf Renten nicht zum sonstigen Vermögen gehören sollten. In der amtlichen Begründung zum RBewG 1934 (RStBl 1935, 161 ff.) wird dazu ausgeführt, daß die allgemein gehaltene Fassung des § 68 Nr. 4 RBewG 1934 "gesetzliche Versorgungsbezüge" die Aufzählung der einzelnen Versorgungsgesetze entbehrlich mache. Daraus ergibt sich, daß sich an dem Anwendungsbereich der Vorschrift nichts ändern sollte. Wenn der Senat unter die Vorschrift auch solche Versorgungsbezüge einbezogen hat, die in einer Rechtsverordnung eingeräumt waren, so nur deshalb, weil diese Rechtsverordnungen auf einer Ermächtigung in einem formellen Gesetz beruhten und diese Ermächtigung den Anforderungen des Art. 80 GG genügten. An dieser Voraussetzung fehlt es hier, weil die Ermächtigung zum Erlaß einer Satzung nicht den Anforderungen des Art. 80 GG zu genügen braucht und im vorliegenden Fall auch nicht genügt. Der Senat ist schließlich der Auffassung, daß auch die Einfügung des § 111 Nr. 3 BewG keine erweiternde Auslegung des § 111 Nr. 4 BewG in dem von der Klägerin erstrebten Sinne zuläßt.
Fundstellen
Haufe-Index 70524 |
BStBl II 1973, 696 |
BFHE 1973, 542 |