Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht, Abgabenordnung Steuerliche Förderungsgesetze
Leitsatz (amtlich)
Ein Verstoß gegen die Grundsätze des billigen Ermessens liegt vor, wenn die von einem Abgabenpflichtigen wegen erheblichen Vermögensrückganges (Vermögensverfall) beantragte Stundung (Teilstundung) der Vorauszahlungen auf die Vermögensabgabe mit der Begründung abgelehnt wird, eine Stundung sei, sofern nicht Zahlungsunfähigkeit vorliege, grundsätzlich so lange nicht möglich, als nicht bekannt sei, in welcher Weise gemäß § 203 Abs. 5 LAG die Anwendung des § 131 AO geregelt werde.
In besonderen Fällen kann auch eine Stundung von auf die Vermögensabgabe anzurechnenden Soforthilfeabgabebeträgen im Hinblick auf einen erheblichen Vermögensrückgang (Vermögensverfall) in Betracht kommen, ohne daß Zahlungsunfähigkeit vorzuliegen braucht.
Normenkette
AO § 127 Abs. 1; LAG § 203 Abs. 5; StDVO-SHG § 59 Abs. 1; 3-AbgabenDV-LA 4/3
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) begehrt im Hinblick auf die Einbuße von mehr als der Hälfte seines Stichtagsvermögens (21. Juni 1948) Stundung eines Teiles (40 v. H.) der Soforthilfeabgabe und der Vorauszahlungen auf die Vermögensabgabe. Sein Vermögen habe am Währungsstichtag rund 2,5 Mill. DM (Beteiligung an einer OHG im Wert von etwa 2,1 Mill. DM und Anteil an einer KG im Wert von etwa 400.000 DM) betragen. Die Vermögenseinbuße rühre aus dem Konkurs der OHG im Frühjahr 1950 her. Sein derzeitiges Vermögen betrage rund 1,1 Mill. DM (aus dem Konkurs verbliebene Werte mit etwa 700.000 DM - Beteiligung an einer GmbH - und Beteiligung an der KG mit etwa 400.000 DM).
Das Finanzamt hat sich zunächst mit Teilzahlungen auf die Soforthilfeabgabe begnügt, hat dann aber am 19. August 1952 wegen der noch geschuldeten Soforthilfeabgabe eine Pfändungsverfügung erlassen und am 24. September 1952 (unter gleichzeitiger Aufhebung der ersten Pfändung) eine Pfändung des Anteils des Bf. an der KG vorgenommen. Einen unter dem 27. August 1952 wegen der rückständigen Soforthilfeabgabe gestellten Stundungsantrag - in dem der Bf. davon ausging, für die Rückstände sei schon bisher Stundung bzw. Teilstundung gewährt worden - lehnte das Finanzamt mit Schreiben vom 24. September 1952 ab, wobei es darauf hinwies, daß eine Stundung bzw. Aussetzung hinsichtlich dieser Beträge nie bewilligt worden sei.
Die gegen die Ablehnung der Stundung erhobene Beschwerde sowie die Berufung gegen die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht weist zunächst darauf hin, daß es sich um eine Ermessensentscheidung handle und das Gericht nur prüfen könne, ob die Ablehnung der Stundung eine Ermessensüberschreitung darstelle. Eine solche liege jedenfalls in der Richtung nicht vor, daß die Einziehung etwa deshalb unbillig gewesen sei, weil der Bf. an den Fälligkeitstagen nicht die Mittel zur Zahlung gehabt hätte. Auch der Bf. sehe eine erhebliche Härte in der Hauptsache darin, daß er bei Ablehnung der Stundung jetzt Leistungen zu erbringen habe, die nach der gemäß § 203 Abs. 5 des Lastenausgleichsgesetzes (LAG) in Aussicht genommenen Verwaltungsanordnung zu § 131 der Reichsabgabenordnung (AO) wegen des nachträglichen Vermögensverfalls wieder erlassen werden müßten. Eine künftige Erlaßregelung könne aber nur dann zur Stundung von Steuern führen, wenn sich im Zeitpunkt der Entscheidung über den Stundungsantrag wenigstens einigermaßen klar erkennen lasse, daß tatsächlich ein Erlaß derjenigen Beträge vorgesehen sei, für die Stundung begehrt werde. Das sei aber hier nicht der Fall, da im Augenblick noch völlig ungewiß sei, in welcher Weise die vorgesehene Verwaltungsanordnung die Erlaßfrage bei nachträglichen Vermögenseinbußen regeln werde.
In der Rechtsbeschwerde (Rb.) wird zunächst ausgeführt, eine erhebliche Härte im Sinne des § 127 Abs. 1 AO könne auch - unbeschadet der Zahlungsfähigkeit - in der Sache selbst liegen. Wenn auch nur die Möglichkeit bestehe, daß sich die bevorstehende Verwaltungsanordnung auch (und vielleicht sogar in erster Linie) mit den Auswirkungen eines nachträglichen Vermögensverfalls befassen werde, bedeute es nach der Auffassung billig und gerecht denkender Bürger eine erheblich, wenn nicht sogar unerträgliche Härte, die beantragte einstweilige Teilstundung in vollem Umfang abzulehnen und auf der termingemäßen Fälligkeit der unverminderten Abgabenraten zu bestehen. Im übrigen sei mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß die in § 203 Abs. 5 LAG angekündigte Verwaltungsanordnung sich mit den Auswirkungen eines wesentlichen Vermögensverfalls auf die künftigen Abgabeverpflichtungen befassen werde. Diese Auffassung werde durch die Auslassungen in dem Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 28. Mai 1953 - LA 2906 - 27/53 (Rundschau für den Lastenausgleich 1953 S. 294) zu § 203 LAG gestützt, wonach bei Vermögensverlusten zwischen 50 und 100 v. H. des Stichtagsvermögens Stundung in Betracht kommen und bei geringen Einkünften und schwer verwertbarem Vermögen in der Regel nicht versagt werden könne.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
Zunächst sei darauf hingewiesen, daß auch der Bundesfinanzhof nur nachprüfen kann, ob die Vorentscheidungen eine Verletzung des billigen Ermessens enthalten. Dem Bf. ist zuzugeben - und auch das Finanzgericht hat das nicht verkannt -, daß eine erhebliche Härte im Sinne einer Stundungsvoraussetzung auch in anderen Umständen als in der mangelnden Zahlungsfähigkeit liegen kann. Dagegen kann in der Beurteilung der Auswirkung des § 203 Abs. 5 AO auf Stundungsanträge weder dem Bf. noch dem Finanzgericht gefolgt werden. Der Bf. geht zu weit, wenn er allein schon aus der Möglichkeit einer Befassung der bevorstehenden Verwaltungsanordnung mit den Fällen erheblichen Vermögensrückganges schlechthin einen Ermessensmißbrauch daraus herleiten will, daß dem Rückgang nicht durch Stundung Rechnung getragen wird (vgl. dazu auch die zur Frage, wann eine Aussetzung der Vollziehung nach § 251 AO verlangt werden kann, ergangene Entscheidung des Bundesfinanzhofs II 37/53 U vom 10. Februar 1954, Bundessteuerblatt 1954 S. 116). So weit geht auch der in Bezug genommene Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 28. Mai 1953 nicht, indem er hinsichtlich der Stundung wegen Vermögensverfalls auf die Verhältnisse des Einzelfalls abgestellt und die Höhe des Einkommens und etwaigen nichtabgabepflichtigen Vermögens berücksichtigt wissen will. Umgekehrt läßt das Finanzgericht - und ebenso die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion - die in § 203 Abs. 5 LAG begründete Notwendigkeit außer Acht, wenigstens zu prüfen, ob im Hinblick auf einen nach dieser Bestimmung möglichen - und nach dem Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 28. Mai 1953 wahrscheinlichen - Billigkeitserlaß bei erheblichem Vermögensrückgang eine Stundung angemessen erscheint. Es muß daher als nicht mehr dem billigen Ermessen entsprechend - und damit als Ermessensüberschreitung - angesehen werden, wenn das Finanzgericht meint, die Ungewißheit über die künftige Erlaßregelung verbiete eine Stundung, oder wenn die Oberfinanzdirektion sich dahin ausspricht, eine Stundung mit Rücksicht auf eine etwaige künftige Regelung könne grundsätzlich nicht in Frage kommen.
Soweit es sich im Streitfall um die Stundung von Soforthilfeabgabe handelt - nach der Berufung soll sich der Stundungsantrag auch auf die bis zum 31. Dezember 1953 fällig werdenden Vorauszahlungen auf die Vermögensabgabe beziehen, die übrigens nach der Verfügung des Finanzamts vom 14. November 1952, soweit sie 1952 betreffen, bereits bis auf weiteres zinslos gestundet sind -, könnte dem Stundungsbegehren entgegengehalten werden, die nach § 203 Abs. 5 AO in Aussicht genommene Erlaßregelung beziehe sich nur auf die Lastenausgleichsabgaben (hier: Vermögensabgabe). Auch sei eine Stundung rückständiger Soforthilfeabgabe im Hinblick auf Vermögensverluste und einen etwa deshalb zu erwartenden Erlaß der Vermögensabgabe praktisch wirkungslos, da keine der besonderen Stundungen des § 2 der Dritten Durchführungsverordnung über Ausgleichsabgaben nach dem Lastenausgleichsgesetz (3. AbgabenDV-LA) in Betracht komme, der gestundete Betrag also auf die Vermögensabgabe anzurechnen und daher auf jeden Fall nachzuerheben sei. Nach der Auffassung des Senats stehen diese Erwägungen einer Stundung rückständiger Soforthilfeabgabe im Zusammenhang mit erheblichen Vermögensverlusten nicht unbedingt entgegen. Zwar sind nach § 1 3. AbgabenDV-LA auch gestundete Soforthilfeabgabebeträge auf die Abgabeschuld zur Vermögensabgabe anzurechnen und daher nach § 4 Abs. 1 a. a. O. nachzuerheben. Als Folge der Anrechnung könnte jedoch der Fall eintreten, daß die noch zur Vermögensabgabe zu entrichtenden Vierteljahresbeträge so gering sind, daß ein an sich nach § 203 Abs. 5 LAG in Verbindung mit § 131 AO zu gewährender Erlaß, sofern man ihn auf die verbleibenden Vierteljahrsbeträge beschränkt, den Umständen des Einzelfalles nicht hinreichend gerecht würde. In diesem besonderen Fall, der nur ganz ausnahmsweise eintreten dürfte, wird man trotz der im allgemeinen wegen der Vorläufigkeit der Soforthilfeabgabe nicht zu beanstandenden Bestimmungen des § 59 Abs. 1 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ersten Teil des Soforthilfegesetzes und des § 4 Abs. 3 letzter Satz 3. AbgabenDV-LA - nur Stundung und kein Erlaß der Soforthilfeabgabe - zur gegebenen Zeit auch die Soforthilfeabgabe zu einem entsprechenden Betrag zu erlassen haben. Das könnte an sich mit der Folge einer entsprechenden Erstattung auch dann geschehen, wenn die Soforthilfeabgabe vollständig entrichtet ist. Soweit jedoch mit einem solchen späteren Erlaß der Soforthilfeabgabe nach den Umständen des Falles schon jetzt ernstlich zu rechnen ist, wird zur Vermeidung einer Zahlung, die später wieder zu erstatten ist, zunächst einmal eine Stundung vorzunehmen sein.
Hiernach mußten die Vorentscheidung und die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion vom 17. Januar 1953 wegen möglicher Ermessensüberschreitung aufgehoben werden. Es erscheint zweckmäßig, die nicht spruchreife Sache an das Finanzamt zurückzuverweisen. Für die weitere Behandlung sei ausdrücklich bemerkt, daß die Ausführungen des Senats darüber, welche Umstände im Hinblick auf das Stundungsbegehren des Bf. zu beachten sind, noch keine Entscheidung der Frage enthalten, ob und in welchem Umfang die beantragte Stundung oder eine entsprechende Erleichterung (Aussetzung der Vollziehung, Vollstreckungsaufschub) tatsächlich zu bewilligen sein wird. Weiter wird zu beachten sein, daß die durch Verfügung des Finanzamts (Vollstreckungsstelle) vom 28. August 1953 angeordnete und dem Bf. mitgeteilte Aussetzung der Beitreibung (unter Aufrechterhaltung der Pfändung) bis zum Ergehen der Ausführungsbestimmungen zu § 203 Abs. 5 LAG einer Stundung gegen Sicherheitsleistung gleichkommt (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs vom 25. April 1934, Reichssteuerblatt 1934 S. 609) und, soweit sie reicht, den mit dem Stundungsbegehren verfolgten Belangen des Bf. ausreichend Rechnung trägt. Soweit der Bf. in der Rb. die vom Finanzamt in den Pfändungsverfügungen in Rechnung gestellten Säumniszuschläge erwähnt und um eine Weisung an das Finanzamt des Inhalts bittet, daß Säumnisfolgen infolge ungesetzlich verweigerter Stundungsgewährung in Wegfall zu stellen seien, ist in erster Linie zu bemerken, daß die Berechtigung der fraglichen Zuschläge nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist. Im übrigen liegt es auf der Hand, daß das Finanzamt je nach seiner Entscheidung über die Stundungsanträge auch zur Frage der Säumniszuschläge Stellung zu nehmen haben wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 318 Abs. 2 AO.
Fundstellen
Haufe-Index 407928 |
BStBl III 1954, 205 |
BFHE 1954, 770 |
BFHE 58, 770 |