Normenkette
EGV 593/2008 Art. 7 Abs. 4 Buchst. b; EGBGB Art. 46d Abs. 2; AuslPflVG § 1 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Gießen (Entscheidung vom 05.08.2020; Aktenzeichen 1 S 190/19) |
AG Gießen (Entscheidung vom 09.10.2019; Aktenzeichen 42 C 150/19) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Gießen - 1. Zivilkammer - vom 5. August 2020 gemäß § 552a Satz 1 ZPO auf Kosten der Beklagten zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen
eines Monats
Stellung zu nehmen.
Streitwert: 1.330,65 €
Gründe
Rz. 1
I. Die Parteien, zwei Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer, streiten um Regressansprüche der Klägerin, nachdem diese einen Verkehrsunfallschaden durch Zahlung an die Geschädigte reguliert hat.
Rz. 2
Am 22. Januar 2015 beschädigte ein Gespann, bestehend aus einer in Deutschland zugelassenen, bei der Klägerin haftpflichtversicherten Zugmaschine und einem bei der Beklagten, einem dänischen Versicherer, haftpflichtversicherten Sattelauflieger, beim Rangieren auf einem in Deutschland gelegenen Tankstellengelände eine Werbetafel. Die Klägerin regulierte den Schaden von 2.661,30 € vollständig. Sie verlangt von der Beklagten hälftigen Ersatz nach den Regeln über die Mehrfachversicherung (§ 78 VVG). Der dänische Versicherungsvertrag für den Sattelauflieger sieht lediglich eine subsidiäre Eintrittspflicht des Versicherers für den Fall vor, dass die Zugmaschine nicht auffindbar oder nachgewiesen ist, dass der Geschädigte den Versicherer der Zugmaschine erfolglos in Anspruch genommen hat.
Rz. 3
Die Beklagte meint, eine Doppelversicherung liege nicht vor, da ihre in dem dänischen Versicherungsvertrag vereinbarte nur subsidiäre Eintrittspflicht nach dänischem Recht zulässig sei. Der deutsche Gesetzgeber und die deutsche Justiz hätten kein Recht, in ausländische Versicherungsverträge einzugreifen.
Rz. 4
Das Amtsgericht hat der auf Zahlung von 1.330,65 € nebst Zinsen gerichteten Klage stattgegeben, das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.
Rz. 5
II. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, bei Unfällen eines Fahrzeuggespanns hätten die beiden Versicherer den Schaden im Innenverhältnis je zur Hälfte zu tragen. Demgemäß könne hier der vorleistende Versicherer nach § 78 Abs. 2 VVG hälftigen Regress verlangen. Des Weiteren könne nach den Grundsätzen des Senatsurteils vom 4. Juli 2018 (IV ZR 121/17, NJW 2018, 2958) dieser Innenausgleich nach deutschem Recht nicht durch eine Subsidiaritätsvereinbarung des einen Haftpflichtversicherers mit seinem Versicherungsnehmer ausgeschlossen werden. Der Versicherungspflicht nach deutschem Recht komme bei einem Unfall in Deutschland Vorrang zu.
Rz. 6
Art. 7 Abs. 4 Buchst. a) der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ("Rom I"; ABl. EU Nr. L 177 S. 6, nachfolgend Rom I-VO) räume dem Recht des Staates Vorrang ein, welcher eine Versicherungspflicht vorschreibe, soweit es um die Frage gehe, ob der Versicherungsvertrag der Versicherungspflicht genüge.
Rz. 7
Das Berufungsgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts mit der Begründung zugelassen, eine höchstrichterliche Klärung der Frage, ob in Fällen wie dem Streitfall für die Frage des Innenausgleichs deutsches Recht anzuwenden sei, stehe noch aus.
Rz. 8
III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht mehr vor, und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
Rz. 9
1. Die Zulassung der Revision ist weder wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch zur Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 ZPO) und auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO) erforderlich. Insbesondere der vom Berufungsgericht angeführte Zulassungsgrund ist nicht mehr gegeben, nachdem der Senat mit seinem nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Urteil vom 3. März 2021 (IV ZR 312/19, juris) die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage für Unfälle geklärt hat, die sich vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Haftung bei Unfällen mit Anhängern und Gespannen im Straßenverkehr vom 10. Juli 2020 ereigneten. Steht danach für den Streitfall die Anwendbarkeit deutschen Rechts auf den Innenausgleich fest, sind im Übrigen auch die Auswirkungen einer Subsidiaritätsklausel auf diesen Innenausgleich der Versicherer durch das Senatsurteil vom 4. Juli 2018 (IV ZR 121/17, NJW 2018, 2958) hinreichend geklärt.
Rz. 10
2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hält das Berufungsgericht die Beklagte für verpflichtet, der Klägerin hälftigen Regress zu leisten.
Rz. 11
a) Der von der Klägerin erhobene Ausgleichsanspruch unterliegt dem Recht der Bundesrepublik Deutschland.
Rz. 12
aa) Die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ("Rom II", ABl. EU Nr. L 199 S. 40, nachfolgend Rom II-VO) und die Rom I-VO (vgl. oben) sind auch im Streitfall von den deutschen Gerichten anzuwenden, obwohl Dänemark gemäß Art. 1 Abs. 4 Rom II-VO grundsätzlich nicht Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung ist (vgl. insoweit zur Anwendung der Rom II-VO: Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 14. Januar 2021 - 4 U 14/20, juris Rn. 54; BeckOK-BGB/Spickhoff, VO (EG) 864/2007 Art. 1 Rn. 20 [Stand: 1. November 2020]; Stürner in Erman, BGB 16. Aufl. Art. 1 Rom II-VO Rn. 14; zur Anwendung der Rom I-VO: vgl. Staudinger/Magnus, BGB (2016) Einleitung zur Rom I-VO Rn. 49, 51 sowie Art. 1 Rom I-VO Rn. 40 f.).
Rz. 13
bb) Sowohl auf die Schadensersatzpflicht des bei der Klägerin versicherten Halters der Zugmaschine als auch auf die Schadensersatzpflicht des bei der Beklagten versicherten Halters des Anhängers ist gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO deutsches Recht anzuwenden, da der Unfallschaden in Deutschland eingetreten ist. Dass nach deutschem Recht sowohl der Halter der Zugmaschine als auch der Halter des Anhängers gegenüber der Geschädigten schadensersatzpflichtig ist, steht auch nicht im Streit.
Rz. 14
cc) Der mit der Klage verfolgte Ausgleichsanspruch nach Regulierung des Unfallschadens ist ebenfalls nach deutschem Recht zu beurteilen, unabhängig davon, ob der Innenausgleich der beteiligten Versicherer der Regelung des Art. 19 Rom II-VO unterfällt (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Januar 2016, ERGO Insurance und Gjensidige Baltic, C-359/14, C-475/14, EU:C:2016:40 = VersR 2016, 797 Rn. 56 ff.; vgl. weiter Senatsurteile vom 3. März 2021 aaO Rn. 25 ff.; vom 18. März 2020 - IV ZR 62/19, r+s 2020, 333 Rn. 12 ff. m.w.N.) oder sich das auf den Innenausgleich anzuwendende Vertragsrecht allein nach Art. 7 Rom I-VO bestimmt (vgl. insoweit bereits Senatsurteil vom 3. März 2021 aaO Rn. 30).
Rz. 15
Denn jedenfalls unterliegt nach dem auf der Grundlage des Art. 7 Abs. 4 Buchst. b Rom I-VO erlassenen (vgl. Senatsurteil vom 3. März 2021 aaO Rn. 32 m.w.N.) Art. 46d Abs. 2 EGBGB (vormals Art. 46c Abs. 2 EGBGB) ein über eine Pflichtversicherung abgeschlossener Vertrag deutschem Recht, wenn die gesetzliche Verpflichtung zu seinem Abschluss auf deutschem Recht beruht (vgl. zum Ganzen bereits Senatsurteil vom 3. März 2021 aaO Rn. 32). Gemäß § 1 Abs. 1 AuslPflVG dürfen ausländische Kraftfahrzeuganhänger in Deutschland auf öffentlichen Straßen und Plätzen nur gebraucht werden, wenn der Halter für sich, den Eigentümer und den Fahrer eine Haftpflichtversicherung nimmt. Nach der aufgrund von § 4 PflVG erlassenen Kraftfahrzeug-Pflichtversicherungsverordnung (KfzPflVV) muss die Versicherung Schadensersatzansprüche umfassen, die aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts gegen den Versicherungsnehmer und mitversicherte Personen erhoben werden (§ 2 Abs. 1 KfzPflVV). Als mitversicherte Person bestimmt § 2 Abs. 2 Nr. 3 KfzPflVV auch den Fahrer, wobei die Vorschrift nicht zwischen motorisierten Fahrzeugen und Anhängern unterscheidet (vgl. Senatsurteil vom 3. März 2021 aaO Rn. 33 m.w.N.). Das gilt gemäß § 4 AuslPflVG entsprechend auch für ausländische Fahrzeuge und Anhänger. Der Versicherungsvertrag muss den für die Versicherung von Kraftfahrzeugen und Anhängern mit regelmäßigem Standort im Inland geltenden gesetzlichen Bestimmungen über Inhalt und Umfang des Versicherungsschutzes sowie über die Mindestversicherungssummen entsprechen (Senatsurteil vom 3. März 2021 aaO m.w.N.).
Rz. 16
b) Nach allem steht der Klägerin nach § 78 VVG ein hälftiger Innenausgleich gegen die Beklagte zu (vgl. dazu die Senatsurteile vom 3. März 2021 aaO Rn. 37; vom 27. Oktober 2010 - IV ZR 279/08, BGHZ 187, 211 Rn. 8 ff.). Das Revisionsvorbringen gibt zu einer Änderung dieser Senatsrechtsprechung keinen Anlass.
Rz. 17
c) Dieser Innenausgleich kann - wie der Senat ebenfalls bereits geklärt hat - nicht durch eine Subsidiaritätsvereinbarung eines der beiden Versicherungsunternehmen - hier der Beklagten - mit dem jeweiligen Versicherungsnehmer ausgeschlossen werden (vgl. Senatsurteil vom 4. Juli 2018 - IV ZR 121/17, NJW 2018, 2958 Rn. 14 ff.).
Mayen |
|
Felsch |
|
Prof. Dr. Karczewski |
|
Dr. Brockmöller |
|
Dr. Götz |
|
Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Zurücknahme der Revision erledigt worden.
Fundstellen
Haufe-Index 14988580 |
VuR 2022, 80 |
r+s 2021, 684 |