Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Urteil vom 27.04.2017) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 27. April 2017
im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte
aa) im Fall 1 und 2 der Urteilsgründe der mittelbaren Falschbeurkundung in Tateinheit mit Missbrauch von Ausweispapieren,
bb) im Fall 10 der Urteilsgründe des Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung und
cc) im Fall 11 der Urteilsgründe des Computerbetrugs in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten schuldig ist;
- in den die Fälle 1 und 2 der Urteilsgründe betreffenden Einzelstrafaussprüchen und im Gesamtstrafenausspruch mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Entscheidung und Verhandlung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen mittelbarer Falschbeurkundung in Tateinheit mit Missbrauch von Ausweispapieren in zwei Fällen, Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung in zehn Fällen, davon in acht Fällen in Tateinheit mit mittelbarer Falschbeurkundung, des Betrugs in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten sowie wegen Beihilfe zum Betrug und zur Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Rz. 2
1. Die Verfahrensrügen bleiben aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 11. Oktober 2017 genannten Gründen ohne Erfolg.
Rz. 3
2. Die Revision hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 4
a) In den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe hat das Landgericht – im Ausgangspunkt zutreffend – jeweils die Straftatbestände der mittelbaren Falschbeurkundung in Tateinheit mit Missbrauch von Ausweispapieren als erfüllt angesehen. Jedoch hält die Bewertung des Konkurrenzverhältnisses, wonach beide Handlungen in Tatmehrheit im Sinne von § 53 StGB zueinander stehen, rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 5
Nach den Feststellungen legte der Angeklagte den abgelaufenen, echten Personalausweis des M.-S. am 1. September 2015 beim Einwohnermeldeamt W. sowohl zur Beantragung eines vorläufigen bzw. neuen Ausweisdokuments (Fall 1 der Urteilsgründe) als auch zur Anmeldung einer Wohnadresse (Fall 2 der Urteilsgründe) vor. Da der zuständige Mitarbeiter die fehlende Identität des Angeklagten mit dem Ausweisinhaber nicht bemerkte, stellte er dem Angeklagten antragsgemäß erst einen vorläufigen und kurze Zeit später einen endgültigen Ausweis auf den Namen „M.-S.” mit dem vorgelegten Lichtbild des Angeklagten aus und erteilte diesem darüber hinaus eine Meldebescheinigung.
Rz. 6
Das Landgericht hat in den genannten Fällen nicht erkennbar bedacht, dass bei Vorlage desselben Dokuments jeweils am selben Tag bei derselben Behörde eine natürliche Handlungseinheit vorliegt und damit jeweils auch nur eine Tat im Rechtssinne in Betracht kommt.
Rz. 7
Der Senat schließt aus, dass ein neuer Tatrichter Feststellungen treffen könnte, die in den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe jeweils eine Verurteilung wegen einer materiell-rechtlich selbständigen Tat tragen könnten; insoweit gilt der Zweifelsgrundsatz (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2008 – 4 StR 623/07, NJW 2008, 1394, 1395). Er ändert deshalb den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst ab. § 265 StPO steht nicht entgegen; denn der Angeklagte hätte sich gegen den geänderten Tatvorwurf nicht wirksamer als geschehen verteidigen können.
Rz. 8
Die Änderung der Konkurrenzverhältnisse führt zum Wegfall der für die Fälle 1 und 2 der Urteilsgründe festgesetzten Einzelstrafen sowie des Gesamtstrafenausspruchs.
Rz. 9
b) Auch die Schuldsprüche zu den Fällen 10 und 11 der Urteilsgründe halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand und waren wie aus der Beschlussformel ersichtlich zu ändern.
Rz. 10
aa) Im Fall 10 der Urteilsgründe tragen die Feststellungen des Landgerichts den Schuldspruch wegen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung in Tateinheit mit mittelbarer Falschbeurkundung nicht, da die (neben anderen Dokumenten) zur Täuschung vorgelegte, wenige Tage zuvor für eine real nicht existierende Firma erwirkte Gewerbeanmeldung keinen öffentlichen Glauben genießt und daher von § 271 Abs. 2 StGB nicht erfasst wird.
Rz. 11
Gemäß § 15 Abs. 1 GewO handelt es sich bei der Gewerbeanmeldung um die Empfangsbescheinigung der Anzeige, mit der der Gewerbetreibende nach § 14 Abs. 1 S. 1 GewO den selbständigen Betrieb eines stehenden Gewerbes anzuzeigen hat. Vorrangiger Zweck der Anzeige ist es, der zuständigen Behörde Aufschluss über die Zahl und die Art der in ihrem Bezirk vorhandenen Gewerbebetriebe zu geben und eine wirksame Überwachung der Gewerbeausübung zu ermöglichen (BVerwG, Urteil vom 8. Juni 1971 – I C 40/70, BVerwGE 38, 160, 161; Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, 78. EL, § 14 Rn. 7 mwN). Die Bescheinigung gibt dem Gewerbetreibenden die Gewissheit, dass seine Anzeige bei der Behörde eingegangen ist; eine weitergehende Bedeutung kommt ihr nicht zu. Im Hinblick auf den Zweck der Anzeige sind Gewerberegister bzw. -kartei keine öffentlichen Register und genießen keinen öffentlichen Glauben (Marcks in Landmann/Rohmer, aaO, § 14 Rn. 59).
Rz. 12
bb) Im Fall 11 der Urteilsgründe tragen die Feststellungen des Landgerichts den Schuldspruch wegen Betrugs in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten nicht. Danach benutzte der Angeklagte zur Warenbestellung das vollautomatisierte Online-Bestellportal der Geschädigten und täuschte somit keinen Menschen. Durch die Eingabe der Daten hat er sich aber wegen Computerbetrugs gemäß § 263a Abs. 1 StGB in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten strafbar gemacht. Der Senat schließt aus, dass der Angeklagte, der diese Tat eingeräumt hat, sich in tatsächlicher Hinsicht anders verteidigt hätte und ändert daher den Schuldspruch selbst in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO ab.
Rz. 13
c) Im Übrigen ist das Rechtsmittel des Angeklagten unbegründet. Soweit das Landgericht hinsichtlich der Fälle 3, 4, 5 bis 9 der Urteilsgründe von sieben tatmehrheitlichen Fällen des Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung und mit mittelbarer Falschbeurkundung ausgegangen ist, begegnet diese konkurrenzrechtliche Bewertung keinen rechtlichen Bedenken.
Rz. 14
Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen fasste der Angeklagte im Februar 2014 gemeinsam mit anderen den Plan, auf der Basis verloren gegangener bzw. gestohlener Personalausweise „Alias-Personalien” zu erstellen, um mit dem Ziel der „Generierung von Geldern” unter den Namen der früheren Ausweisinhaber Konten mit Dispositionsrahmen zu eröffnen und Kreditanträge zu stellen. Entsprechend diesem Plan baute der Angeklagte auf der Grundlage der von ihm beschafften Personalausweise verschiedene „Alias-Personalien” auf. In den Fällen 3, 4, 5 bis 9 eröffnete der Angeklagte im Zeitraum zwischen 10. September 2015 und 2. Dezember 2015 jeweils unter Vorlage des ihm unter dem Alias-Namen „M.-S.” erteilten neuen Personalausweises (siehe oben Fall 1) und verschiedener gefälschter Gehaltsnachweise unterschiedlicher Firmen persönlich bzw. im Post-Ident-Verfahren bei verschiedenen Banken Konten mit Dispositionsrahmen bzw. beantragte Kredite. Wie von Anfang an geplant, zahlte er die bewilligten Kredite nicht zurück bzw. glich die ihm eingeräumten, in Anspruch genommenen Dispositionskredite nicht aus.
Rz. 15
aa) Nach der überwiegenden Meinung im Schrifttum, der sich der Senat anschließt, bestimmt sich das Verhältnis zwischen dem Bewirken einer falschen Beurkundung (§ 271 Abs. 1 StGB) und dem anschließenden Gebrauch (§ 271 Abs. 2 StGB) der falschen Beurkundung nach denselben Regeln, die für das Verhältnis zwischen dem Herstellen einer unechten Urkunde und dem späteren Gebrauch des Falsifikats im Rahmen der Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB gelten (vgl. etwa Zieschang in LK-StGB, 12. Aufl., § 271 Rn. 109, 111; Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 271 Rn. 37; Heger in Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 271 Rn. 12, jeweils mwN).
Rz. 16
bb) Im Rahmen der Urkundenfälschung entspricht es einhelliger Auffassung, dass der Täter, der eine unechte Urkunde herstellt, um sie zu einer bestimmten Täuschung zu gebrauchen, und sie nachfolgend entsprechend gebraucht, nur eine Straftat der Urkundenfälschung begeht. Maßgebend ist insofern der Täuschungsvorsatz, den der Täter bei der Herstellung der Urkunde hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1953 – 1 StR 318/53, BGHSt 5, 291, 293; Beschluss vom 21. Mai 2015 – 4 StR 164/15, Beck RS 2015, 12689; Beschluss vom 26. Oktober 2016 – 4 StR 354/16, NStZ-RR 2017, 26 f.; Erb in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 267 Rn. 217; Heine/Schuster in Schönke/Schröder, § 267 Rn. 79 ff.; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 267 Rn. 58, jeweils mwN). Ausgehend vom Abgrenzungskriterium der Tätervorstellung beim „ersten Akt” der Tatbestandsverwirklichung lassen sich vier verschiedene Konstellationen unterscheiden:
Rz. 17
(1) Hat der Täter eine oder mehrere unechte Urkunden zu einer ganz bestimmten, schon konkretisierten Täuschung hergestellt und sie entsprechend diesem Tatplan als Täuschungsmittel eingesetzt, liegt eine tatbestandliche Handlungseinheit und damit nur eine Urkundenfälschung vor (vgl. insoweit auch BGH, Beschlüsse vom 30. Oktober 2008 – 3 StR 156/08, BGHR StGB § 267 Abs. 1 Konkurrenzen 3; vom 21. Mai 2015 – 4 StR 164/15, BeckRS 2015, 12689; vom 16. Juni 2015 – 4 StR 279/15, BeckRS 2015, 13754; für den Sonderfall, dass zwischen dem Herstellen und Gebrauchen ein langer Zeitraum liegt, wird teilweise Tatmehrheit angenommen, vgl. KG, Beschluss vom 21. Dezember 2011 – (4) 1 Ss 456/11, StraFo 2012, 375; Heger in Lackner/Kühl, aaO, § 267 Rn. 27).
Rz. 18
(2) Entschließt sich der Täter im gerade genannten Fall später, die Urkunde zu einer weiteren Täuschung zu gebrauchen, liegen zwei tatmehrheitliche Urkundenfälschungen vor (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Dezember 1989 – 1 StR 629/89, BeckRS 1989, 31099817).
Rz. 19
(3) Gleiches gilt, wenn der Täter eine unechte Urkunde zu einem bestimmten Täuschungszweck herstellt, die Urkunde später aber zu einem anderen Täuschungszweck gebraucht (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1953 – 1 StR 318/53, BGHSt 5, 291, 293; Urteil vom 13. November 1997 – 1 StR 323/97, NStZ-RR 1998, 269, 270).
Rz. 20
(4) Besitzt der Täter zum Zeitpunkt der Herstellung der Urkunde noch keine bestimmten Vorstellungen über den späteren Gebrauch, sondern plant die spätere Verwendung nur in allgemeinen Umrissen, liegt beim späteren Einsatz der Urkunde ebenfalls Tatmehrheit vor (BGH, Urteil vom 23. Januar 1962 – 1 StR 455/61, BGHSt 17, 97, 99; Zieschang in LK-StGB, aaO, § 267 Rn. 287 f. mwN; Erb in MüKo-StGB, aaO, § 267 Rn. 218; Wittig in SSW-StGB, 3. Aufl., § 267 Rn. 91).
Rz. 21
cc) Überträgt man diese Maßgaben auf den hier vorliegenden Fall einer durch Ausstellung eines neuen Personalausweises und dessen Nutzung verwirklichten mittelbaren Falschbeurkundung, ist gegen die konkurrenzrechtliche Bewertung des Landgerichts nichts zu erinnern.
Rz. 22
Nach den Feststellungen wurde die Nutzung von „Alias-Personalien” bereits vom Angeklagten und dessen Komplizen, die ebenfalls von den Taten profitieren sollten, im Februar 2014 geplant. Die Umsetzung des Plans mit dem Alias „M.-S.” begann, nachdem diese real existierende Person ihren Ausweis im Mai 2015 verloren hatte, am 1. September 2015 mit dem Antrag auf Neuausstellung. Dass die jeweiligen, zwischen 10. September und 2. Dezember 2015 vorgenommenen Gebrauchshandlungen bereits im Zeitpunkt des Bewirkens der Falschbeurkundung am 1. September 2010 vom konkreten Gesamtvorsatz erfasst waren, ist weder festgestellt noch folgt dies aus dem durch zahlreiche unregelmäßige Bargeldabhebungen gekennzeichneten Tatgeschehen, den zeitlichen Abläufen oder dem ins Auge gefassten Verwendungszweck des Ausweises, der ganz allgemein zur „Generierung von Geldern” eingesetzt werden sollte.
Rz. 23
Auch eine Verklammerung der verschiedenen Täuschungshandlungen zu einer rechtlichen Einheit scheidet – ungeachtet des Umstands, dass zwischen den besonders schweren Fällen des Betrugs und der Urkundenfälschung und der mittelbaren Falschbeurkundung nach § 271 StGB keine annähernde Wertgleichheit vorliegt (vgl. dazu Rissing-van Saan in LK-StGB, 12. Aufl., § 52 Rn. 28 ff.) – schon deshalb aus, weil es an einer tatbestandlichen Handlungseinheit der mittelbaren Falschbeurkundung mangelt.
Unterschriften
Schäfer, RiBGH Prof. Dr. Krehl ist erkrankt und deshalb gehindert zu unterschreiben. Schäfer, Wimmer, Grube, Schmidt
Fundstellen
Haufe-Index 12411054 |
wistra 2019, 143 |
NStZ-RR 2019, 7 |
StV 2019, 391 |