Verfahrensgang
LG Darmstadt (Entscheidung vom 09.02.2023; Aktenzeichen 5 T 48/23) |
AG Darmstadt (Entscheidung vom 13.12.2022; Aktenzeichen 273 XIV 628/22) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Darmstadt vom 13. Dezember 2022 und der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 9. Februar 2023 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Land Hessen auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe
Rz. 1
I. Der Betroffene, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste 2015 nach Deutschland ein. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ab und drohte ihm die Abschiebung nach Pakistan an. Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos. Der Betroffene reiste nachfolgend nicht aus, sondern war ab Februar 2020 unbekannten Aufenthalts. Am 9. Dezember 2022 wurde er in F festgenommen. Das Amtsgericht F ordnete mit Beschluss vom 10. Dezember 2022, einem Samstag, die vorläufige Freiheitsentziehung bis zum 16. Dezember 2022 an, woraufhin der Betroffene in die Abschiebehafteinrichtung D verbracht wurde.
Rz. 2
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das nunmehr zuständige Amtsgericht D am 13. Dezember 2022 Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 19. Februar 2023 angeordnet. Nachdem der vom Amtsgericht mit um 10:57 Uhr abgesandtem Telefax zu der um 13:30 Uhr beginnenden Anhörung geladene Verfahrensbevollmächtigte nicht erschienen war, hatte der Betroffene erklärt, er habe einen anderen Anwalt, nämlich Rechtsanwalt W. Den Vornamen, die Telefonnummer und die Adresse des Rechtsanwalts kenne er nicht. Nach Belehrung, wonach er an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken habe, machte er Angaben zur Sache.
Rz. 3
Die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Nach der Abschiebung des Betroffenen am 15. Februar 2023 verfolgt er mit der Rechtsbeschwerde sein Begehren weiter. Er beantragt, die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts aufzuheben und festzustellen, dass ihn die angefochtenen Beschlüsse und der Vollzug der Sicherungshaft in der Zeit vom 12. Dezember 2022 bis 15. Februar 2023 in seinen Rechten verletzt haben.
Rz. 4
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat ganz überwiegend Erfolg.
Rz. 5
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, ohne Erfolg rüge die Beschwerde, das Gericht hätte dem Betroffenen eine Anhörung im Beisein seines Anwalts ermöglichen müssen. Dies verkenne, dass der Betroffene im Zeitpunkt der Anhörung nicht anwaltlich vertreten gewesen sei. Der aus der Ausländerakte ersichtliche frühere Verfahrensbevollmächtigte - Rechtsanwalt O - sei vom Anhörungstermin vorab in Kenntnis gesetzt worden, aber nicht erschienen. Im Termin habe der Betroffene erklärt, er werde nicht mehr von Rechtsanwalt O, sondern nunmehr von Rechtsanwalt W vertreten. Auch letzteres sei jedoch unzutreffend gewesen. Zwar habe zu einem früheren Zeitpunkt ein Mandat zu einem Rechtsanwalt aus F bestanden, der einen ähnlich klingenden Namen trage, dieses Mandat sei aber seit 2018 beendet gewesen, wie der Anwalt nachfolgend mitgeteilt habe. Es habe somit keinen Verfahrensbevollmächtigten gegeben, den das Amtsgericht hätte benachrichtigen können. Darüber hinaus habe der Betroffene im Anhörungstermin weder Vornamen noch Anschrift oder Telefonnummer des vermeintlich Bevollmächtigten nennen können. In F gebe es 27 namensgleiche Anwälte. Eine Verpflichtung des Amtsgerichts, mit allen Kontakt aufzunehmen, habe nicht bestanden, zumal die Suche ergebnislos geblieben wäre, nachdem der angegebene Nachname einen Schreibfehler aufgewiesen und ein Mandatsverhältnis nicht bestanden habe. Das Amtsgericht hätte den Termin daher auch nach Durchführung einer Suche ohne Anwalt fortsetzen müssen.
Rz. 6
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Amtsgericht den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt hat.
Rz. 7
a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rn. 8, vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7; vom 6. Oktober 2020 - XIII ZB 21/19, juris Rn. 14). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2018 - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5, vom 7. April 2020 - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9 f.; vom 15. Dezember 2020 - XIII ZB 28/20, juris Rn. 16). Erklärt der Betroffene im Verlauf der persönlichen Anhörung, einen Rechtsanwalt zu Rate ziehen zu wollen, so muss das Gericht - falls er keinen Bevollmächtigten benennt - ihm für die Suche eines zur Vertretung bereiten Rechtsanwalts Gelegenheit geben und darf die Haft im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG nur vorläufig anordnen, wobei die Abschiebung aus der nur vorläufig angeordneten Haft heraus gleichwohl erfolgen darf (BGH, Beschlüsse vom 25. April 2022 - XIII ZB 34/21, juris Rn. 7 f.; vom 25. Oktober 2022 - XIII ZB 18/20, juris Rn. 6, jew. mwN). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7; vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7).
Rz. 8
b) Diesen Maßgaben hat die Verfahrensweise des Amtsgerichts D nicht entsprochen.
Rz. 9
aa) Das Beschwerdegericht übergeht vollständig, dass der Betroffene ausweislich des Beschlusses des Amtsgerichts F vom 10. Dezember 2022 bereits bei seiner ersten Anhörung an diesem Tag erklärt hatte, einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung beauftragen zu wollen. Der Verfahrensbevollmächtigte habe durch das Gericht telefonisch nicht erreicht und von dem Anhörungstermin in Kenntnis gesetzt werden können; ob Telefaxeingänge ihn an den Wochenenden erreichten, sei nicht bekannt. Nach dem Beschluss des Amtsgerichts F hatte der Betroffene auf eine Teilnahme seines Verfahrensbevollmächtigten an der Anhörung nicht verzichtet. Im Hinblick darauf und auch weil die beteiligte Behörde den Haftantrag ergänzen wollte, wurde zunächst lediglich eine einstweilige Freiheitsentziehung bis zum 16. Dezember 2022 angeordnet.
Rz. 10
bb) Vor diesem Hintergrund war die Verfahrensweise des Amtsgerichts D fehlerhaft.
Rz. 11
(1) Es ist zwar zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass der Betroffene von Rechtsanwalt O vertreten werden könnte und hat dessen Unterrichtung zu Recht für erforderlich erachtet. Indem es Rechtsanwalt O mit dem um 10:57 Uhr übermittelten Telefax zu dem Anhörungstermin um 13:30 Uhr am selben Tag geladen hat, hat es ihm jedoch keine realistische Möglichkeit eingeräumt, an dem Termin teilzunehmen oder eine Terminverlegung zu beantragen. Eine Reaktion des Anwalts auf das Telefax binnen lediglich zweieinhalb Stunden war nicht ohne Weiteres zu erwarten. Das Amtsgericht musste vielmehr die naheliegende Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich der Rechtsanwalt während der üblichen Dienststunden zur Wahrnehmung von Terminen bei Gerichten aufhalten konnte, und zwar auch außerhalb seines Kanzleisitzes. Zwar ist ein Rechtsanwalt gehalten, eilige Eingänge nach Möglichkeit, etwa über Mittag und/oder vor Dienstschluss seiner Mitarbeiter, in seiner Kanzlei abzufragen, oder dafür Sorge zu tragen, dass er in geeigneter Weise von seiner Kanzlei über eilige Eingänge unterrichtet wird. Wird eine angemessene Reaktionszeit für die Prüfung berücksichtigt, ob ein Verlegungsantrag gestellt werden soll und welche Möglichkeiten dafür gegebenenfalls im Hinblick auf eine Eilbedürftigkeit der Sache oder den Terminkalender des Anwalts bestehen, war eine Unterrichtung zweieinhalb Stunden vor dem Termin unzureichend (st. Rspr., BGH, Beschlüsse vom 10. November 2020 - XIII ZB 129/19, juris Rn. 9; vom 18. Mai 2021 - XIII ZB 46/19, juris Rn. 9; vom 22. März 2022 - XIII ZB 11/20, juris Rn. 7; vom 25. April 2022 - XIII ZB 50/21, NVwZ-RR 2022, 885 Rn. 8).
Rz. 12
(2) Hatte Rechtsanwalt O demnach keine ausreichende Möglichkeit, seine Verhinderung anzuzeigen und einen Verlegungsantrag zu stellen, durfte das Beschwerdegericht aus dem Fehlen entsprechender Erklärungen gegenüber dem Amtsgericht nicht auf eine verfahrensfehlerfreie Anhörung schließen. Es durfte dem Protokoll auch nicht entnehmen, dass der Betroffene erklärt habe, er werde von Rechtsanwalt O nicht mehr vertreten. Der Angabe des Betroffenen, er habe einen anderen Rechtsanwalt, ist vor dem Hintergrund der Anhörung vom 10. Dezember 2022 und des Umstands, dass ihm zuvor mitgeteilt worden war, Rechtsanwalt O sei nicht erschienen, lediglich zu entnehmen, dass der Betroffene auf der Anwesenheit eines Rechtsanwalts weiterhin bestehen wollte.
Rz. 13
(3) Das Amtsgericht D hätte vielmehr entweder von vornherein einen Anhörungstermin auf den 16. Dezember 2022 anberaumen, Rechtsanwalt O mit ausreichender Frist laden und gleichzeitig dem Betroffenen mitteilen können, dass er bis zum Termin Gelegenheit habe, gegebenenfalls einen anderen Verfahrensbevollmächtigten zu beauftragen. Hielt es dagegen am Anhörungstermin am 13. Dezember 2022 fest, hätte es die Haft nicht endgültig, sondern lediglich im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig (§ 427 FamFG) anordnen dürfen, um einen weiteren Anhörungstermin im Beistand eines Verfahrensbevollmächtigten zu ermöglichen.
Rz. 14
c) Nach alledem ist zur wirksamen Sicherung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf ein faires Verfahren zu vermuten, dass dem Betroffenen der Zugang zu einem Anwalt verwehrt wurde. Denn es ist nicht offensichtlich, dass der Betroffene, wenn ihm das Amtsgericht hierzu in ausreichender Weise Gelegenheit gegeben hätte, nicht in der Lage gewesen wäre, einen Anwalt zu finden, der bereit gewesen wäre, an einer Anhörung teilzunehmen.
Rz. 15
3. Soweit die Rechtsbeschwerde beantragt festzustellen, dass der Betroffene auch durch den Vollzug der Sicherungshaft am 12. Dezember 2022 in seinen Rechten verletzt worden ist, war die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen. Die Haft an diesem Tag wurde aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts F vom 10. Dezember 2022 vollzogen. Dieser Beschluss ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Rz. 16
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG. Der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe - dem ohnehin entgegensteht, dass der Antragsteller die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht dargetan hat, weil eine aktuelle Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht vorgelegt worden ist - erledigt sich hiermit (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2020 - XIII ZB 24/19, juris Rn. 16).
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