Verfahrensgang

LG Ingolstadt (Entscheidung vom 02.11.2022; Aktenzeichen 24 T 1431/22)

AG Pfaffenhofen a.d. Ilm (Entscheidung vom 22.07.2022; Aktenzeichen 2 XIV 17/22 B)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Ingolstadt vom 2. November 2022 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Pfaffenhofen a.d. Ilm vom 22. Juli 2022 den Betroffenen im Zeitraum vom 24. August bis 6. September 2022 in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Freistaat Bayern auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

 

Gründe

Rz. 1

I. Der Betroffene, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste 2015 nach Deutschland ein. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ab und drohte ihm die Abschiebung nach Pakistan an. Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht - nachdem es zuvor mit Beschluss vom 19. Juli 2022 zunächst die einstweilige Freiheitsentziehung für 6 Wochen angeordnet hatte - am 22. Juli 2022 Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 11. September 2022 angeordnet. In der zuvor erfolgten Anhörung hatte der Betroffene erklärt, er wolle einen neuen Antrag stellen gegen seine Abschiebung und habe bereits einen Antrag gestellt; er meine damit einen Asylfolgeantrag. Er wolle einen Anwalt haben, damit er gegen diesen Beschluss vorgehen könne. Am 24. August 2022 beantragte der damalige Verfahrensbevollmächtigte Haftaufhebung sowie die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft ab Eingang des Haftaufhebungsantrags. Nachdem der Betroffene am 6. September 2022 abgeschoben worden war, hat das Landgericht die noch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene sein Begehren weiter.

Rz. 2

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Rz. 3

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Haftanordnung des Amtsgerichts sei rechtmäßig. Es habe ein zulässiger Haftantrag vorgelegen. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot sei nicht gegeben. Die Beschwerde sei auch nicht deshalb erfolgreich, weil dem Betroffenen die Hinzuziehung eines Rechtsbeistands verweigert worden sei. Die Äußerung des Betroffenen möge sich insofern als mehrdeutig darstellen, als nicht ganz klar sei, gegen welchen Beschluss er mit anwaltlicher Hilfe vorgehen wolle. In Betracht komme sowohl die Ablehnung des Asylfolgeantrags als auch die gegenständliche Haftanordnung. In jedem Fall mache der Betroffene jedoch klar, im Nachgang zu der Entscheidung anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen zu wollen. Die Äußerung enthalte keine Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene eine Anhörung nur im Beisein eines Rechtsanwalts wünsche.

Rz. 4

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Amtsgericht den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt hat.

Rz. 5

a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rn. 8, vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7; vom 6. Oktober 2020 - XIII ZB 21/19, juris Rn. 14). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2018 - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5, vom 7. April 2020 - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9 f.; vom 15. Dezember 2020 - XIII ZB 28/20, juris Rn. 16). Erklärt der Betroffene im Verlauf der persönlichen Anhörung, einen Rechtsanwalt zu Rate ziehen zu wollen, so muss das Gericht - falls er keinen Bevollmächtigten benennt - ihm für die Suche eines zur Vertretung bereiten Rechtsanwalts Gelegenheit geben und darf die Haft im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG nur vorläufig anordnen, wobei die Abschiebung aus der nur vorläufig angeordneten Haft heraus gleichwohl erfolgen darf (BGH, Beschlüsse vom 25. April 2022 - XIII ZB 34/21, juris Rn. 7 f.; vom 25. Oktober 2022 - XIII ZB 18/20, juris Rn. 6, jew. mwN). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7; vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7).

Rz. 6

b) Dem hat die Verfahrensweise des Amtsgerichts nicht entsprochen. Es hat den Betroffenen ausweislich des Protokolls schon nicht über sein Recht, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen, belehrt. Nachdem der Betroffene erklärt hatte, "er wolle einen Anwalt haben", hätte das Amtsgericht aufklären müssen, ob der Betroffene einen Rechtsanwalt zu der Anhörung hinzuziehen wollte. Es durfte im Hinblick auf die unterbliebene Belehrung nicht auf einen Verzicht schließen, weil der Betroffene erklärt hatte, er wolle gegen "diesen Beschluss" vorgehen. Wenn der Betroffene einen Verzicht nicht erklären wollte, hätte das Amtsgericht ihm Gelegenheit geben müssen, sich anwaltlichen Beistand zu suchen. Hätte der Betroffene danach einen Rechtsanwalt benannt, hätte dieser zum Termin hinzugezogen werden müssen. Wäre dies nicht möglich gewesen, hätte das Amtsgericht - nachdem die Haft ohnehin bereits vorläufig (§ 427 FamFG) angeordnet war - einen neuen Anhörungstermin so bestimmen müssen, dass für die Suche eines zur Vertretung bereiten Rechtsanwalts ausreichend Gelegenheit bestand.

Rz. 7

c) Nachdem das Amtsgericht den Willen des Betroffenen nicht aufgeklärt hat und daher offengeblieben ist, ob der Betroffene einen Anwalt zu seiner Anhörung hinzuziehen wollte, ist zur wirksamen Sicherung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf ein faires Verfahren zu vermuten, dass ihm der Zugang zu einem Anwalt verwehrt wurde. Denn es ist nicht offensichtlich, dass der Betroffene, selbst wenn ihm das Amtsgericht bei der Anhörung hierzu Gelegenheit gegeben hätte, nicht in der Lage gewesen wäre, einen Anwalt zu finden, der bereit gewesen wäre, an einer Anhörung teilzunehmen.

Rz. 8

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

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Fundstellen

Dokument-Index HI16187458

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