Verfahrensgang
LG Rostock (Urteil vom 29.06.2001) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 29. Juni 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Verunglimpfung des Staates und Beleidigung unter Einbeziehung mehrerer Freiheitsstrafen aus früheren Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.
Der Angeklagte rügt mit seiner Revision sowohl die Verletzung materiellen als auch formellen Rechts. Die Revision hat schon mit der Sachrüge Erfolg. Da die Verurteilung wegen Verunglimpfung des Staates (§ 90 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB) einer rechtlichen Nachprüfung nicht standhält, muß die Entscheidung insgesamt aufgehoben werden, obgleich die Annahme der übrigen, tateinheitlich verwirklichten Straftatbestände keine Rechtsfehler aufweist.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich der Angeklagte auf dem Bundesparteitag der NPD in Stavenhagen am 11. Januar 1998 in einer Rede zur Bundestagswahl u.a. wie folgt geäußert: „Wir brauchen einen Umsturz! Durch einen Wahlkampf schaffen wir das nie. … Wir müssen auf die Barrikaden, wir müssen auf die Straße gehen, und ich hab ja bewiesen, ich bin auch bereit, mich zusammenschlagen zu lassen, aber ohne Opfer und ohne Blut gibt's kein neues Deutschland!”… Bei dieser Redesequenz nahm der Angeklagte Bezug auf einen Vorfall während einer „Mahnwache” gegen die Wehrmachtsausstellung in Marburg, bei der er von vermummten Gegendemonstranten angegriffen und durch Knüppelschläge verletzt worden war. Er erklärte, diesen durch „linkes, vermummtes Gesindel” verübten „Mordanschlag” hätten Polizisten, die sich in unmittelbarer Nähe aufgehalten hätten, nicht verhindert. Dies müsse „dann ja eine Entscheidung von oben” gewesen sein.
Das Landgericht hat in der letztgenannten Äußerung den Vorwurf eines besonders verwerflichen Verhaltens gesehen, wonach die Bundesrepublik Deutschland ihrer Verpflichtung, das Leben ihrer Bürger gegen rechtswidrige Angriffe zu schützen, nicht nachkommt. Dadurch habe sie der Angeklagte beschimpft und böswillig verächtlich gemacht. Durch die Aufforderung zu einem „Umsturz”, einem „Regierungswechsel ohne Wahlen”, habe er zum Ausdruck gebracht, daß die staatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland beseitigt werden müsse und folglich der Achtung ihrer Bürger unwürdig sei; auch dadurch habe er diesen Staat böswillig verächtlich gemacht.
2. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe die Bundesrepublik Deutschland mit den festgestellten Äußerungen im Sinne des § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB beschimpft, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
(1) Äußerungen zur „Mahnwache”:
Insofern läßt allerdings die rechtliche Würdigung des Landgerichts keinen Fehler erkennen, soweit es bei der Auslegung des § 90 a Abs. 1 Satz 1 StGB und der Subsumtion des Geschehens unter diese Vorschrift in der Bezeichnung der Bundesrepublik Deutschland als Unrechtsstaat, der die Ermordung ihm unliebsamer Personen hinnimmt, eine tatbestandsmäßige Verunglimpfung sieht. Das gilt auch unter Berücksichtigung dessen, daß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet, mit der Folge, daß bei der Anwendung von Staatsschutzvorschriften besonders sorgfältig zu unterscheiden ist zwischen zulässiger – wenn auch verfehlter – Polemik und einer Beschimpfung oder böswilligen Verächtlichmachung (BVerfGE 93, 266, 293 ff.; BVerfG NJW 1999, 204, 205).
Bedenken begegnet aber, daß die Strafkammer die dem Angeklagten angelastete Äußerung, dies müsse „dann ja eine Entscheidung von oben” gewesen sein, ohne weiteres dahin auslegt, daß damit die Bundesrepublik Deutschland als Unrechtsstaat hingestellt werde, der die Ermordung ihm unliebsamer Personen hinnehme.
a) Schon nach einfach-rechtlichen, insbesondere aber auch nach verfassungsrechtlichen Anforderungen unter Berücksichtigung der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit ist eine den objektiven Sinngehalt der umstrittenen Äußerung erfassende Deutung unerläßlich. Im Fall ihrer Mehrdeutigkeit darf der Tatrichter nicht die zur Verurteilung führende Deutung zugrunde legen, ehe er andere Deutungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen hat (BVerfGE 93, 266, 295 ff.). Kriterien für die Auslegung sind der Wortlaut, der sprachliche Kontext der Äußerung sowie die für die Zuhörer erkennbaren Begleitumstände, unter denen die Äußerung fällt.
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Strafkammer hat nicht dargelegt, daß nur die von ihr vorgenommene Auslegung der Äußerung des Angeklagten in Betracht kommt, und hat sich insbesondere nicht mit anderen nach den Feststellungen möglichen Deutungen auseinandergesetzt.
aa) Zu vermissen ist zunächst eine Begründung dafür, daß der Vorwurf des Angeklagten als gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet verstanden werden (kann und) muß und diese als Unrechtsstaat erscheinen soll, der durch die Schutzlosstellung politisch Mißliebiger geprägt wird. Bei unvoreingenommener Auslegung der Äußerung unter Berücksichtigung des Erklärungszusammenhangs liegt nämlich auch eine Deutung dahin jedenfalls nicht fern, daß sich der Angeklagte lediglich gegen ein Fehlverhalten der Vorgesetzten (in der Polizeiführung, innerhalb der Verwaltung oder in der politischen Führungsebene) wenden wollte, die den Beamten vor Ort (so die Sicht des Angeklagten) den Befehl gegeben hatten, ihm bei der „Mahnwache” den Schutz vor Verletzungen durch Gegendemonstranten zu versagen. Da Schutzgut der Vorschrift des § 90 a Abs. 1 Satz 1 StGB das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland selbst, nicht aber das von einzelnen Staatsorganen, der Verwaltung oder einzelner Beamter ist (BGHR StGB § 90 a Beschimpfen 1 m.w.N.), war hierzu eine nähere Begründung unerläßlich. Ebensowenig hat die Strafkammer begründet, weshalb der Äußerung des Angeklagten ein generalisierender Vorwurf dahin, unliebsamen Personen werde in der Bundesrepublik Deutschland allgemein polizeilicher Schutz gegen tätliche Angriffe verweigert, zu entnehmen sei und nicht nur die Kritik, in dem ihn betreffenden Einzelfall bei der „Mahnwache” in Marburg sei so verfahren worden. Angesichts der Schilderung des Angeklagten, die sich allein auf einen ihn selbst betreffenden Vorfall ohne weitere Verletzte bezog, lag dies nicht auf der Hand.
bb) Darüber hinaus hätte sich die Strafkammer damit auseinandersetzen müssen, ob der Begriff „Mordanschlag” tatsächlich wörtlich i.S. eines versuchten Tötungsdelikts zu verstehen war. Der geschilderte Vorfall einerseits und die Umstände der Rede andererseits lassen andere Deutungen möglich erscheinen. Da der Angeklagte von Gegendemonstranten durch Knüppelschläge „lediglich” verletzt worden ist und konkrete Anhaltspunkte für einen Tötungsvorsatz der Angreifer weder ersichtlich noch vom Angeklagten geäußert worden sind, erscheint es durchaus möglich, wenn nicht sogar naheliegend, daß er mit dem Ausdruck „Mordanschlag” lediglich in vergröbernder und übertreibender Weise den Körperverletzungsangriff der Gegendemonstranten bezeichnen wollte. Zumindest hätte sich die Strafkammer mit dieser Möglichkeit auseinandersetzen müssen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß die dem Angeklagten angelastete Äußerung in einer Rede im Bundestagswahlkampf fiel. Bei solchem Anlaß ist die Verwendung plakativer, vereinfachender und polemischer Ausdrucksweisen als typisches Mittel zur Verdeutlichung des eigenen Standpunkts, zur Abgrenzung gegenüber dem politischen Gegner und vor allem zur Überzeugung der potentiellen Wähler durchaus nicht unüblich, was bei der Auslegung des Sinngehalts nicht außer Acht gelassen werden darf.
b) Das Landgericht hat ferner nicht geprüft, ob die Äußerungen des Angeklagten als Meinungen oder Tatsachenbehauptungen unter den Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen. Die Strafvorschrift des § 90 a StGB ist zwar ein allgemeines Gesetz i.S. von Art. 5 Abs. 2 GG, das dem Grundrecht der Meinungsfreiheit Schranken setzt (vgl. BVerfGE 47, 198, 232). Das hat aber nicht zur Folge, daß das Grundrecht im Anwendungsbereich der Strafvorschrift bedeutungslos wäre. Bei Äußerungen, die vom Schutz der Meinungsfreiheit umfaßt werden, ist vielmehr stets dem eingeschränkten Grundrecht Rechnung zu tragen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt.
Für die Anwendung des Art. 5 GG ist die Einordnung der Äußerungen von maßgeblicher Bedeutung. Meinungen fallen stets in den Schutzbereich dieses Grundrechts, ohne daß es dabei auf Begründetheit oder Richtigkeit ankäme (vgl. BVerfG NJW 1999, 204, 205); sie verlieren diesen Schutz auch nicht, wenn sie scharf und überzogen sind (vgl. BVerfGE 61, 1, 7/8/9). Dagegen werden reine Tatsachenbehauptungen, die bewußt oder erwiesen unwahr sind, nicht geschützt. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bereits dann eröffnet ist, wenn eine tatsachenhaltige Äußerung durch Elemente der Stellungnahme des Meinens oder Dafürhaltens geprägt ist und die Tatsachenbehauptungen der Bildung einer Meinung oder der Stützung von Werturteilen dienen. Der Wortlaut der Äußerungen des Angeklagten und die Umstände, unter denen sie gefallen sind, sprechen dafür, daß es sich um eine persönliche, als Schlußfolgerung dargestellte Meinung handelt.
c) Das angefochtene Urteil leidet weiter darunter, daß unklar bleibt, von welchem Sachverhalt das Landgericht bezüglich des in der Äußerung angesprochenen Geschehens bei der „Mahnwache” ausgeht.
Die Strafkammer hat sich darauf beschränkt festzustellen, daß sich der Angeklagte mit seinen Äußerungen auf Vorkommnisse bei seiner Teilnahme an einer „Mahnwache” gegen die Wehrmachtsausstellung in Marburg bezogen hatte, bei der er von vermummten Gegendemonstranten angegriffen und durch Knüppelschläge verletzt worden war (UA S. 13). Die näheren Umstände dieser Ereignisse hat sie nicht dargelegt. Insbesondere hat sie das Verhalten der Polizeikräfte nur durch die Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten angesprochen, nicht aber deutlich gemacht, ob sie ihr folgt oder sie für widerlegt ansieht. Da die Vorwürfe des Angeklagten in ihrem sachlichen Kern dahin gehen, daß die anwesenden Beamten einschreiten und die Verletzungen hätten verhindern können, dies aber bewußt unterlassen hätten, kam den Einzelheiten des Geschehens unter Umständen erhebliche Bedeutung für die Fragen zu, was der Angeklagte mit seiner Äußerung sagen wollte und ob er sich, wie geschehen, äußern durfte. Zu klären wäre insbesondere gewesen, wie intensiv und massiv der Angriff der Gegendemonstranten war, ob und wie sie ihn gegebenenfalls verletzt haben, wie sich die Polizeibeamten im einzelnen verhalten und wie sie gegenüber dem Angeklagten gegebenenfalls das Nichteinschreiten und die Versagung von Schutz gerechtfertigt haben.
Vor diesem Hintergrund würden möglicherweise auch die Beweisanträge zu würdigen sein, deren Zurückweisung als rechtsfehlerhaft der Angeklagte mit einer Verfahrensrüge beanstandet. Mit ihnen wurde unter Beweis gestellt, daß sich bei der „Mahnwache” mindestens 400 Polizeibeamte in der Nähe aufgehalten hätten, daß zwei von ihnen sich unmittelbar vor dem Angriff mit dem Angeklagten unterhalten, sich dann aber zurückgezogen hätten, und daß ihm die Beamten eines zehn Meter entfernt stehenden Einsatzfahrzeugs danach erklärt hätten: „Nicht zuständig! Geht uns nichts an! Haben Befehl, nicht einzugreifen!”
Es spricht viel dafür, daß die Ablehnung dieser Beweisanträge wegen Bedeutungslosigkeit rechtfehlerhaft war. Der Senat braucht diese Frage jedoch nicht abschließend zu entscheiden, da bereits die Sachrüge zur umfassenden Aufhebung des Urteils führt. Die von der Strafkammer angeführte Begründung, die unter Beweis gestellten Behauptungen würden nicht die Annahme rechtfertigen, der Staat schütze den Angeklagten nicht gegen Mordanschläge, weist darauf hin, daß sie bereits bei der Beweisaufnahme von der dem Angeklagten ungünstigsten Auslegung seiner Äußerungen ausgegangen ist. Damit hat sie ihren Blickwinkel von vornherein darauf verengt, daß der Angeklagte der Bundesrepublik Deutschland die Duldung von Mordanschlägen und nicht etwa nur eine Weisung der Polizeiführung zum Nichteinschreiten gegen tätliche Angriffe von Gegendemonstranten bei diesem Vorkommnis vorwerfen wollte. Dies läßt besorgen, daß das Landgericht im Hinblick hierauf die Feststellung der näheren Umstände unterlassen hat, die erst Grundlage für eine sachgerechte und vollständige Auslegung und Rechtsanwendung hätten sein können.
(2) Aufforderung zum „Umsturz”:
Die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe durch die Aufforderung zum „Umsturz”, zu einem „Regierungswechsel ohne Wahlen”, die Bundesrepublik Deutschland i.S. des § 90 a Abs. 1 Satz 1 StGB böswillig verächtlich gemacht, begegnet rechtlichen Bedenken. Die Strafvorschrift des § 90 a StGB verbietet es Mitgliedern oder Anhängern von politischen Parteien nicht, scharfe Kritik am Staat zu üben und die Ziele und Programme ihrer Partei zu propagieren, mögen sie auch noch so verfassungsfeindlich sein. Die Grenze zur Strafbarkeit ist erst überschritten, wenn die Kritik beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verunglimpft (BVerfGE 47, 198, 231 f.). In der bloßen Aufforderung zum „Umsturz” durch gewaltfreie Beseitigung der bisherigen staatlichen Ordnung und Ersetzung durch ein anderes politisches System allein liegt noch keine böswillige Verächtlichmachung. Die strafrechtliche Erfassung einer solchen Äußerung würde das nach Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Recht der freien Gedankenäußerung unzulässig beschränken (BVerfGE 47, 198, 233).
Daß der Angeklagte zu einem Umsturz mit Mitteln der Gewalt oder der Drohung mit Gewalt (vgl. § 81 Abs. 1 StGB) aufgerufen hätte, hat die Strafkammer nicht festgestellt.
Unterschriften
Tolksdorf, Rissing-van Saan, Winkler, von Lienen, Becker
Fundstellen
Haufe-Index 2559853 |
NJW 2003, 685 |
NStZ 2002, 592 |
NJ 2002, 437 |
NJ 2003, 336 |