Tenor
Gemäß § 136 GVG soll die Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen über folgende Frage herbeigeführt werden:
Ist zu ersetzendes Arbeitseinkommen nach der sog. modifizierten Nettolohntheorie zu errechnen oder sind die Bruttobezüge zu ersetzen, wobei im Wege der Vorteilsausgleichung Ersparnisse berücksichtigt werden können, die dadurch entstehen, daß die infolge des Verlustes der Arbeitsbezüge zu zahlenden Beträge (z.B. Sozialrenten) nicht der Steuer unterliegen?
Gründe
1.) Ein Beamter des klagenden Landes wurde aus Verschulden eines Bediensteten der beklagten Bundespost verletzt. Er war einige Monate dienstunfähig. Die Post ist verpflichtet, dem Lande das für diese Zeit weitergezahlte Gehalt des Beamten zu erstatten (§ 839 BGB; Art. 34 GG; Art. 96 BayBG = § 87 a BBG). Sie hat lediglich die Nettobezüge ersetzt, nicht dagegen die dem Beamten einbehaltene, vom Land aber an das Finanzamt gezahlte Lohn- und Kirchensteuer. Um diese Beträge geht der Streit.
Der III. Zivilsenat ist mit dem VI. Zivilsenat der Ansicht, daß der Beamte gegen den Schädiger einen auf den Dienstherrn übergehenden Anspruch auf Ersatz des Bruttogehalts hat (Urt. v. 30. Juni 1964 – VI ZR 81/63 = BGHZ 42, 76). Der III. Senat möchte aber von der Begründung des VI. Senats abweichen, an der dieser auf Antrage hin festgehalten hat.
2.) Der VI. Senat geht bei der Berechnung des zu ersetzenden Gehalts von der sog. modifizierten Nettolohntheorie aus. Nach ihr ist das bisherige Nettoeinkommen des Geschädigten zu erstatten zuzüglich der auf den Erstattungsbetrag entfallenden Steuern und Sozialabgaben; nach der Ansicht des VI. Senats ist der Berechnungsfaktor „Steuer und Abgaben” in seiner konkreten, nach dem Unfall sich ergebenden Größe einzusetzen und nicht in Hohe der vor dem Unfall entrichteten Abgaben, weil dies bei Nichtfortzahlung des Lohnes in der Regel auf die Annahme eines fiktiven Wertes zum Vorteil des Geschädigten hinausliefe. Für den Fall der Fortzahlung des Lohnes kommt auch der VI. Senat zur Erstattung der Bruttobezüge mit der Begründung, daß sich hier die Abgaben nicht änderten, die der Geschädigte zu zahlen habe.
Der VI. Senat führt in dem angeführten Urteil weiter aus:
„Entscheidend bleibt der Grundsatz der konkreten Schadenberechnung. Er verbietet es ebenso, den Erwerbsschaden in jeden Falle schlechthin dem Bruttoeinkommen gleichzusetzen wie ihn allein auf die ausgezahlten Nettobezüge zu beschränken. Im übrigen hat es schon das Reichsgericht als eine Zweckmäßigkeitsfrage bezeichnet, ob bei der Ermittlung des wahren Schadens vom Brutto- oder vom Nettoeinkommen ausgegangen wird (Urteil vom 8. Mai 1942 = DR 42, 1186). Auch der erkennende Senat hat gelegentlich ausgesprochen, es könne nicht generell gesagt werden, daß der vom Tatrichter gemäß § 287 ZPO zu ermittelnde Schaden stets das Nettoeinkommen als Ausgangspunkt verlange (Entscheidung vom 17. Mai 1957 – VI ZR 153/56 = VersR 57, 520). Vorliegend führen beide Wege zu dem schon erörterten Ergebnis. Ausgehend von den Bruttobezügen ist festzustellen, daß das Schadensereignis keine Minderung der Steuerpflicht bewirkt hat und sich somit kein positiver Faktor für die Schadensberechnung ergibt. Vom Nettogehalt her gesehen stellen die tatsächlich entrichteten Steuern diejenigen Aufwendungen dar, die zur Erreichung des Auszahlungsbetrages erforderlich sind und deshalb vom Schädiger erstattet werden müssen.”
3.) Der III. Senat stimmt mit dem VI. Senat darin überein, daß der Geschädigte nur den Ersatz des wirklichen Schadens beanspruchen kann, ist jedoch der Ansicht, daß der wirkliche Schaden in dem Entzug des Bruttolohnes besteht, also gleich dem Lohn ohne Berücksichtigung der einbehaltenen Lohn- und Kirchensteuer ist.
Lohn und Gehalt sind in ihrer Gesamtheit nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich Einkommen des Empfängers. Das gilt auch für die Beträge, die zur Tilgung von Steuerschulden abgezogen werden. Steuerschuldner der Lohnsteuer, d.h. der Einkommensteuer aus nichtselbständiger Arbeit, ist ungeachtet dessen, daß der Arbeitgeber für die Einbehaltung und Abführung der Steuer haftet, der Arbeitnehmer (§ 38 Abs. 1 und 3 EStG). Auf seine Steuerschuld ist die einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer anzurechnen, wenn eine spätere Veranlagung eine höhere Einkommensteuerschuld ergibt; er hat im umgekehrten Fall den Anspruch auf Erstattung des zuviel bezahlten Betrages (§§ 47 Abs. 1 Ziff. 2, Abs. 2 und 3, 46 UStG). Indem der Staat sich zur Befriedigung seines Steueranspruchs der Hilfe des Arbeitgebers bedient, um das steuerpflichtige Einkommen an der Quelle zu erfassen, tut er im Grund nichts anderes, als was jeder private Gläubiger mit staatlicher Hilfe, nämlich im Wege der Lohn- und Gehaltspfändung, ebenfalls tun kann. Der rechtstechnische Unterschied zwischen dem Vollstreckungs- und dem Steuerabzugsverfahren und die ungleich größere praktische Bedeutung des letzteren vermögen die Tatsache nicht zu beseitigen, daß in beiden Fällen Verbindlichkeiten des Lohn- oder Gehaltsempfängers gegenüber einem Dritten mit der gesetzlich erzwungenen Hilfe des Arbeitgebers (§§ 829 ff ZPO; § 38 EStG) erfüllt werden.
Daraus ergibt sich, daß auch der Teil des Bruttolohnes, der vom Arbeitgeber als Lohnsteuer abgeführt wird, aus dem Einkommen des Arbeitnehmers stammt, also ein Teil des durch die Arbeitsunfähigkeit entgangenen Arbeitseinkommens ist. Daran ändert der Umstand nichts, daß (wie hier der Dienstherr) der Arbeitgeber trotz des Unfalls an den Beamten das Gehalt weiterzahlt.
Mithin ist der Lohn ohne Abzug der Lohn- und Kirchensteuer vom Schädiger zu ersetzen.
Dieser Betrag unterliegt der Herabsetzung nur im Wege der Vorteilsausgleichung. Nur über die Vorteilsausgleichung kann dem Anliegen des VI. Senats Rechnung getragen werden, daß der Schadensersatzbetrag den Geschädigten nicht besser stellen darf, als er ohne den Unfall gestanden hätte. Denn das Verhältnis des Geschädigten zu seinen Gläubigern geht den Schädiger regelmäßig nichts an, gleichviel ob es sich um öffentlich- oder privatrechtliche Verbindlichkeiten handelt. Nur dann, wenn infolge des Verlustes des Arbeitseinkommens beim Geschädigten tatsächlich eine Ersparnis an Steuern oder Sozialabgaben eintritt und wenn hierin ein auszugleichender Vorteil liegt, ist dies zugunsten des Schädigers zu berücksichtigen. Die Vorteilsausgleichung ist rechtssystematisch gesehen Ausnahme, vom Ersatzverpflichteten geltend zu machende Einwendung. Fließen dem Geschädigten, wie im Falle der Fortzahlung von Lohn oder Gehalt, keine auszugleichenden Vorteile zu, dann ist entsprechend der Regel der Bruttoschaden zu ersetzen. Der Weg über den Nettoschaden wäre ein rechtssystematisch nicht begründeter und überflüssiger Umweg.
Allerdings werden infolge des Schadensereignisses nicht selten Ersparnisse an Steuern (oder Sozialabgaben) für den Geschädigten eintreten, so wenn er statt des steuerpflichtigen Lohnes steuerfreies Einkommen aus der Sozialversicherung bezieht (§ 3 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes – EStG –) (oder während der Arbeitsunfähigkeit keine Krankenkassenbeiträge zu zahlen hat). Treten derartige Vorteile ein, dann – und nur dann – ist eine Nettoberechnung vorzunehmen.
Allein in der Vorteilsausgleichung kann nach der Ansicht des III. Senats die rechtsdogmatische Grundlage für die Berücksichtigung des Wegfalls von Verbindlichkeiten des Geschädigten gefunden werden; ihre Anwendung gestattet es außerdem, die vom VI. Senat in BGHZ 42, 16 offen gelassene Frage zu beantworten, wenn eine Nettoberechnung erforderlich wird und diese zu schwierigen Tat- und Rechtsfragen führende Berechnungsart entsprechend den Erfordernissen der Praxis nach Möglichkeit einzuschränken.
4.) Dem kann nicht, wie der VI. Senat in seiner Äußerung vom 20. Oktober 1964 (S. 1 = SA 110) meint, entgegengehalten werden, daß man sich keinen Schaden durch Entzug des Lohnes vorstellen könnte, bei dem nicht automatisch auch die von diesem Lohne zu entrichtenden Steuern und Abgaben entfielen. Diese Erwägung würde nicht nur für das Einkommen aus unselbständiger Arbeit zutreffen, sondern auch für das aus selbständiger Arbeit (hiervon geht Geigel Haftpflichtprozeß, 12. Aufl. Kap. 39 Anm. 16 in der Tat aus), und hinsichtlich der Steuern für jedes Einkommen im Sinne des Einkommensteuergesetzes, z.B. für den entgangenen Gewinn, eines Kaufmanns; für einen derartigen Fall ist diese Überlegung aber schwerlich jemals angestellt worden. Ihr steht entgegen, daß nach § 24 Nr. 1 a EStG zu den steuerpflichtigen Einkünften auch Entschädigungen gehören, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt worden sind, daß also das Ersatzeinkommen in gleicher Weise zu versteuern ist wie das entgangene. Die Ausnahmemöglichkeit, daß ein Ersatzbetrag nicht steuerlich erfaßt wird, weil aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen (bei Beträgen unter 800 DM, § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG) eine Veranlagung nicht erfolgt, kann in diesem Zusammenhang, eben weil es sich um eine Ausnahme handelt, unberücksichtigt bleiben.
Im übrigen ist die Steuer aus dem Nettoeinkommen so zu berechnen, daß Nettoeinkommen und Steuer zusammen den Bruttobetrag ergeben. Nach § 2 Abs. 4 der Lohnsteuer-DVO hat der Arbeitgeber, wenn er die auf den Arbeitslohn entfallende Lohnsteuer selbst tragen will, „die Steuer aus dem Arbeitslohn zu berechnen, der nach Abzug der Lohnsteuer den ausgezahlten Nettobetrag ergibt”. Oder anders ausgedrückt: der Arbeitgeber hat zu dem Betrag, den er dem Arbeitnehmer als „steuerfreien” Lohn zugesagt hat, Steuern zu entrichten nicht nach diesem zugesagten Nettobetrag, sondern von einem Betrag, der um die von diesem Betrag zu zahlende Lohnsteuer vermindert, den vereinbarten „steuerfreien” Lohn ergibt. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Befreiung von der Steuerschuld wird also als steuerpflichtiges Einkommen behandelt mit der Folge, daß die Steuer aus dem Nettoeinkommen plus dem Steuerbetrag zu zahlen ist. Beträgt bei einem Bruttogehalt von 1.000 DM die Steuer 100 DM, so ist das für ein Nettoeinkommen von 900 DM nicht anders.
Für die veranlagte Einkommensteuer kann nichts anderes gelten; bei ihr nimmt der Steuerfiskus – mit Recht – ebensowenig hin, daß durch die Vereinbarung eines Nettoeinkommens der Steuerbetrag verkürzt wird, wie bei der Lohnsteuer. Die vom Geschädigten nach § 24 Ziff. 1 a EStG 1961 zu zahlende Einkommensteuer wäre daher auch aus dem vom VI. Zivilsenat zugebilligten Steuerbetrag zu zahlen. Auch wäre dieser so errechnete Steuerbetrag seinerseits wiederum zu versteuern.
Wird aber die nach § 24 Ziff. 1 a EStG zu zahlende Steuer richtig nicht nur vom Nettolohn, sondern auch von der zu vergütenden Steuer berechnet, so zeigt sich, daß der Umweg über den Nettolohn zu dem gleichen Ergebnis führt, wie der unmittelbare Weg vom Bruttolohn her, der aber allein dogmatisch begründet werden kann.
Die Regelungen des Steuerrechts sprechen also gerade dafür, bei der Schadensberechnung von den Bruttobezügen auszugehen. Daran können die aufgezeigten Möglichkeiten, daß im Einzelfall Steuerersparnisse für den Geschädigten eintreten können, nichts ändern.
Im übrigen ist hierzu noch folgendes zu bemerken: Möglicherweise würden Schadensersatzbeträge für entgangenen Verdienst nicht versteuert, wenn sie 800 DM im Jahre nicht übersteigen, weil, wie bereits erwähnt, nach § 46 Abs. 2 Ziff. 1 EStG eine Veranlagung entfallen könnte. (Im vorliegenden Falle betrug das Einkommen des verletzten Beamten über 24.000 DM jährlich und hätte das Ersatzeinkommen über 800 DM betragen, so daß dieses auf jeden Fall versteuert worden wäre). Soweit hier dem Geschädigten hypothetisch ein Steuervorteil zufließen könnte, besteht keinerlei Anlaß, diesen dem Schädiger zugute kommen zu lassen, der ihn von allen Beteiligten am wenigsten verdient. Wenn der Staat bei Lohn- und Gehaltsempfängern darauf verzichtet, unter 800 DM liegendes Nebeneinkommen zur Steuer heranzuziehen, so offenbar deshalb, weil es sich nicht lohnt. Der Schädiger kann sich unter diesen Umständen nicht darauf berufen, daß ohne die Weiterzahlung des Gehalts, also bei Schadensersatzzahlungen, der Verletzte aus steuertechnischen Gründen etwas weniger Steuer zu zahlen hätte. Zu verweisen wäre in diesen Zusammenhang auf BGHZ 9, 179, 186 f (Fall der Tötung eines Invalidenrentners), wo gesagt ist (S. 190): „Eine Entscheidung der Rechtsfrage zugunsten des Schädigers würde auch dem sich aus rechtsethischen Erwägungen ergebenden Grundsatze nicht Rechnung tragen, daß es den Schädiger keineswegs entlasten darf, wenn der von ihm angerichtete Schaden durch Leistungen der öffentlich-rechtlichen Versicherung ausgeglichen ist; denn diese Leistungen sind durch Arbeit und Beiträge verdient und in weiten Zweigen der Sozialversicherung nur mit erheblichen Zuschüssen des Staates, d.h. der Allgemeinheit, möglich.” Es liegt auf der Hand, daß es ebensowenig angebracht ist, den Schädiger zu Lasten des Staates selbst zu begünstigen. Weiter ist auf folgendes hinzuweisen: Der VI. Senat hat in seiner Rechtsprechung zu §§ 1542, 1524 RVO die pauschale Berechnung der Ersatzforderungen der Sozialversicherungsträger zu Lasten des Schädigers für zulässig erachtet, soweit nicht der Versicherungsträger wesentlich mehr verlangt als den Betrag, der an Krankenpflegekosten ohne sein Eingreifen entstanden wäre (BGHZ 12, 154). Wenn in jenen Fällen die Pauschalierung auch auf eine besondere Gesetzesvorschrift (§ 1524 RVO) gestützt ist, so können doch auch in den hier zu behandelnden rechtsähnlichen Fällen geringfügige Unterschiede außer Betracht bleiben, die sich zwischen Lohn- und Einkommensteuer etwa im Einzelfalle ergeben können. Es wäre im übrigen wenig befriedigend und alles andere als zweckmäßig, im Rahmen der Schadensberechnung zugunsten der Schädiger – hypothetische – Steuerbeträge zu errechnen, die der Staat als Steuergläubiger nicht geltend machen würde, um seine Fachbehörden nicht unnötig zu belasten.
Für den Fall des Freibetrages für Körperbehinderte (§ 33 a Abs. 6 EStG) hat der VI. Senat bereits entschieden, daß der sich ergebende Steuervorteil nicht dem Schädiger zugute kommt (Urt. v. 30. Mai 1958 VI ZR 90/57 = VRS 15, 243). Er hat mit seiner Begründung, es entspreche einem in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs immer wieder hervorgehobenen allgemeinen Rechtsgedanken, daß der Schädiger nicht deshalb entlastet werden dürfe, weil von anderer Seite für die Sicherung der Bedürfnisse des Betroffenen vorgesorgt ist, einen Gedankengang entwickelt, der einmal den bei der Vorteilsausgleichung anzustellenden Erwägungen entspricht, zum anderen auch für die Fälle des § 3 Nr. 1 EStG zutrifft; denn die dort vorgesehene Steuerfreiheit der Leistungen aus einer Krankenversicherung und aus der gesetzlichen Unfallversicherung bedeutet einen Steuerverzicht des Staates aus sozialen Gründen. Der VI. Senat hat in seinem Urteil vom 12. Juli 1957 VI ZR 190/56 = LM Nr. 5 zu § 249 (Ga) BGB für diese Fälle zwar die Anrechenbarkeit des Steuervorteils bejaht. Indessen erscheint hier aus den angeführten Gründen eine andere Rechtsansicht nicht undenkbar. Entfiele in diesen Fällen eine Vorteilsausgleichung, so würde sich der Kreis der Fälle nicht unerheblich einengen, in denen auf die Nettoberechnung zurückgegriffen werden muß.
(Wenn infolge des Schadensereignisses Sozialabgaben entfallen, die der Geschädigte bisher bezahlt hatte (kommen im vorliegenden Fall nicht in Betracht), dann bleibt eben falle noch zu prüfen, ob darin ein auszugleichender Vorteil liegt. Denn die Beiträge des Geschädigten können die Anwartschaft auf die Versicherungsleistungen begründen, erhalten oder verbessern. Diese Prüfung hat die Praxis bislang, soviel ersichtlich, auch ständig vorgenommen; sie ist also hier in Wirklichkeit entsprechend dem Prinzip der Vorteilsausgleichung verfahren).
Nach alledem kann aus dem Umstand, daß gewisse – wie zuzugeben ist umfangreiche – Fallgruppen eine Nettoberechnung erforderlich machen, weder hergeleitet werden, diese Berechnungsart sei stets die gebotene, wie dies der VI. Senat in früheren Entscheidungen, z.B. in den Urteilen vom 12. Juli 1957 und vom 30. Mai 1958 – bereits zitiert –, getan hat, noch daß Brutto- und Nettoberechnung wahlweise nebeneinander zur Vorfügung standen, wie dies in Urteil BGHZ 42, 76 angenommen zu werden scheint.
5.) Gegen die hier vertretene Auffassung ist auch nichts mit der Begründung herzuleiten, es sei unzulässig, den Schaden einer Fiktion, das Ausbleiben eines Vorteils aber der Realität zu entnehmen, das Problem liege nicht darin, ob entzogene Einkünfte grundsätzlich brutto oder netto zu ersetzen sind, die zu beantwortende Kernfrage sei vielmehr die, ob der normative Schaden (des unmittelbar Verletzten) als Fiktion aufzufassen ist, d.h. ob man zu ihn gelangt, indem man sich die Tatsache der Lohnfortzahlung kurzerhand „wegdenkt” (Äußerung des VI. Senats vom 20. Oktober 1964 S. 4 = SA S. 111). Der Schädiger kann sich auf die Leistung des Dienstherrn nicht berufen. Der Ersatzanspruch des Geschädigten wird daher durch diese Leistungen nicht berührt und geht notwendig auf das, was der Geschädigte ohne das Schadensereignis erhalten hätte. Das aber ist nach dem oben Ausgeführten das Bruttoeinkommen.
Auf die Frage, ob eine Fiktion vorliegt, kommt es unter diesen Umständen nicht an. Wenn das der Fall ist, wird nicht fingiert, daß ein Schaden eingetreten sei, sondern lediglich, daß dieser die Person des Arbeitnehmers betroffen habe. Die Fiktion hat lediglich den Zweck und die Wirkung, den Dienstherrn oder Arbeitgeber, der aus letzten Endes fürsorgerischen Gründen wirtschaftlich gesehen den Schaden deckt, nicht entgegen allem Rechtsempfinden schlechter zu stellen, als etwa einen von mehreren auf Grund unerlaubter Handlung haftenden Gesamtschuldnern, der im Innenverhältnis von einem anderen vollen Ausgleich verlangen kann, wie z.B. in den Fällen der §§ 840 Abs. 2 und 3, 841 BGB. Der Schaden bleibt der Verdienstausfall des Arbeitnehmers, also der Bruttobetrag.
6.) Gegen die hier vertretene Auffassung kann ferner nichts daraus hergeleitet werden, daß es sich bei den Ersparnissen an Steuern (und Sozialabgaben) um bloße Rechnungsposten handele (so Urteil vom 17. Mai 1957 – VI ZR 153/56 = VersR 1957, 520; Äußerung vom 20. Oktober 1964 S. 4 = SA 113). Auch die Vorteilsausgleichung ist nichts weiter als ein Fall der Schadensberechnung (KGS 146, 278).
[In diesem Zusammenhange ist noch auf folgende Frage hinzuweisen, in der eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem VI. und dem III. Senat zu bestehen scheint; im vorliegenden Falle spielt sie nicht unmittelbar eine Rolle, sondern, nur insofern, als die Ansicht des III. Senats die Anwendung der Nettoberechnung einzuschränken geeignet ist: Für das Bestehen eines auszugleichenden Vorteils träge der Ersatzverpflichtete die Beweislast, soweit nicht etwa § 287 ZPO eingreift (BGB RGRK 11. Aufl. Anm. 76 vor §§ 249–255). Es liegt daher nahe anzunehmen, dieser Beweis sei vom Schädiger mindestens insoweit nach § 286 ZPO zu führen, als die Frage in Betracht kommt, ob überhaupt ein Vorteil entstanden ist. Aber auch bei Anwendung des § 287 ZPO ist der Tatrichter nicht der Notwendigkeit enthoben, die schätzungsbegründenden Tatsachen soweit als möglich festzustellen, weil die Schätzung der Wirklichkeit möglichst nahe kommen soll. Die Anwendung des § 287 ZPO schließt also nicht aus, daß die Feststellung der Tatsachen, die die Grundlage für die Ausübung des dem Tatrichter zustehenden Ermessens geben sollen, unter Anwendung des § 286 ZPO zu erfolgen hat (Urt. v. 3. Dezember 1964 – III ZR 141/64). Diese Erwägungen werden regelmäßig für die Frage zutreffen, ob ein anzurechnender Vorteil eingetreten ist.]
7.) Der Umweg über den Nettolohn, für den der III. Zivilsenat eine dogmatische Rechtfertigung nicht zu finden glaubt, führt aber auch zu Verfahrensschwierigkeiten, die sich bei Ausgang vom Bruttolohn nicht ergeben: Der Lohnsteuerabzug ist nämlich nur ein vorläufiges Verfahren. Durch Lohnsteuerausgleich oder Veranlagung (§§ 42, 46 EStG) kann die Steuer anderweit festgesetzt werden, Diese Möglichkeiten gewinnen eine immer größere praktische Bedeutung. Der Steuerausgleich ist teils vom Arbeitgeber, teils vom Finanzamt durchzuführen (DVO über den Lohnsteuer-Jahresausgleich vom 20. Dezember 1961 – BGBl I 2016). Die Ausgleichsverfahren vor den Finanzämtern mehren sich notwendig (nach einer Pressemitteilung der Badischen Neuesten Nachrichten vom 20. Januar 1964 bei einen Karlsruher Finanzamt von 14.000 im Jahre 1954 auf etwa 50.000 im Jahre 1964), je fühlbarer bei steigendem Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit die steuerliche Belastung wird und je mehr Möglichkeiten es gibt, Steuerermäßigungen herbeizuführen, durch die steuerliche Vergünstigungen nachträglich in Anspruch genommen werden können. Ebenso wird die Zahl der Festbesoldeten, die zur Einkommensteuer veranlagt werden, mit den steigenden Einkommens zahlen notwendig größer, weil eine Veranlagung auch dann vorgenommen wird, wenn das Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit den Betrag von 24.000 DM übersteigt (§ 46 Abs. 1 EStG).
Die endgültige Steuerschuld wird nach den geltenden Vorschriften von einer ganzen Anzahl von Umständen beeinflußt, die zu einem erheblichen Teil vom Willen des Steuerpflichtigen selbst abhängen. Nicht nur Veränderungen in der Familie, wie die Schließung und die Auflösung der Ehe, die Geburt und der Tod von Kindern, die Erreichung bestimmter Altersstufen, wie des 18. oder, wenn sie auf Kosten des Steuerpflichtigen weitergehend ausgebildet werden, des 27. Lebensjahres bei Kindern, des 50. und 70. beim Einkommensteuerpflichtigen (§ 32 EStG), sonstige schicksalsbedingte Ereignisse wie außergewöhnliche Belastung insbesondere durch Krankheit (§ 33, 33 a EStG), sind von Einfluß, sondern der Steuerpflichtige kann durch eine Reihe von Maßnahmen erreichen, daß sich die Steuer ermäßigt oder unter Umständen ganz entfällt. So kann er an Werbungskosten und Sonderausgaben mehr aufwenden, als die in §§ 9 a Ziff. 1, 10 c Ziff, 1 EStG vorgesehenen Pauschalbeträge, z.B. durch Fahrten mit eigenem Kraftfahrzeug zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, durch Beiträge zu Kranken-, Unfall-, Haftpflicht- und Lebensversicherungen sowie Witwen-, Waisen- und Sterbekassen, Einzahlungen an Bausparkassen, Spenden für steuerbegünstigte Zwecke (§§ 9, 10, 10 b EStG). Er kann als Verheirateter die getrennte oder die gemeinsame Veranlagung der Ehegatten herbeiführen (§ 26 EStG) und dadurch, wenn die Ehefrau z.B. kein Einkommen oder Verluste aus gewissen Einkommensarten hat (§ 2 Abs. 2 EStG), eine wesentliche Ermäßigung, unter Umständen den Fortfall seiner Steuerschuld erreichen. Ein Lohnsteuerpflichtiger kann die Berücksichtigung steuermindernder Umstände, insbesondere erhöhter Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnlicher Belastungen schon für das laufende Steuerjahr dadurch erreichen, daß er die Eintragung eines steuerfreien, d.h. vor Anwendung der Lohnsteuertabelle vom Einkommen abzusetzenden Betrages auf der Steuerkarte bewirkt. Es steht ihm aber frei, diese Umstände auch erst hinterher im Veranlagungsverfahren oder aber, falls er nicht veranlagt wird, im Wege des Lohnsteuerausgleichs geltend zu machen.
Danach kann auch beim Lohnsteuerpflichtigen die Steuer nicht mehr rasch und zuverlässig festgestellt werden; die von Geigel (Haftpflichtprozeß 12. Aufl, Kap. 39 Abs. 16) vertretene Ansicht, die Feststellung der Nettoeinkünfte von Gehaltsempfängern sei einfach und könne durch Einholung einer Auskunft des Arbeitgebers vorgenommen worden, ist überholt. Zwar ist es unschwerlich möglich, eine Auskunft über die eingehaltenen Steuerbeträge einzuholen; das Entscheidende aber, nämlich ob der vorgenommen Abzug der wirklichen Steuerschuld entspricht, läßt sich der Auskunft nicht entnehmen. Das kann vielmehr erst festgestellt werden, wenn entweder der Steuerausgleich vorgenommen oder die Veranlagung durchgeführt ist, oder wenn feststeht, daß keines dieser beiden Verfahren durchgeführt wird. Lassen sich aber die Nettobezüge, die ein verletzte Lohn- oder Gehaltsempfänger für die Zeit seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit oder bei Weiterzahlung der Bezüge an seiner Stelle der Arbeitgeber oder Dienstherr kraft gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Forderungsübergangs zu fordern hat, erst nachträglich feststellen, so führt die Nettolohntheorie, auch in ihrer modifizierten Form, zu einer Verzögerung und Erschwerung der Abwicklung des Schadensfalles. Der Geschädigte wird genötigt, über seine steuerlichen Verhältnisse, die den Schädiger nichts angehen, gleichwohl Auskunft zu geben, und dies für jedes Jahr, auf das sich die Arbeitsunfähigkeit, wenn auch nur für kurze Zeit, erstreckt; denn der endgültige Steuerbetrag kann in jedem Jahre anders sein und ist dies häufig. Da es auf das Steuerjahr ankommt, kann sich z.B. eine 15-monatige Arbeitsunfähigkeit auf drei Steuerjahre verteilen Daß derartige, möglicherweise auf Jahre ausgedehnte Erörterungen über die steuerlichen Verhältnisse des Geschädigten unerwünscht sind, gleichgültig, ob sie sich bei den Verhandlungen der Beteiligten oder im gerichtlichen Verfahren abspielen, bedarf keiner näheren Darlegung. Zusätzliche Schwierigkeiten können sich ergeben, wenn der Ersatzbetrag nach § 34 Abs. 1 i.V.m. mit Abs. 2 EStG zu besonderen Sätzen zu versteuern oder nach Abs. 3 dieser Bestimmung steuerlich auf mehrere Jahre zu verteilen wäre.
Zusammenfassend ist zu sagen: Die Nettolohntheorie, auch die modifizierte, führt – abgesehen davon, daß der III. Senat für diese Theorie eine dogmatische Rechtfertigung nicht glaubt finden zu können – in der Praxis zu großen Verfahrensschwierigkeiten. Hierüber sind sich alle neueren Stimmen, die sich mit dieser Frage befassen, einig – als einzigem Punkte. Angeführt sei hier lediglich als besonders bezeichnend Schulz, der in BB 1961, 1050 vorschlägt, die Schädiger und ihre Haftpflichtversicherung sollten im Hinblick auf die Berechnungsschwierigkeiten die Bruttolohnforderungen ersetzen (d.h. nicht einmal den Wegfall von Sozialabgaben geltend machen).
8.) Die Nettolohntheorie wird, zumindest für den Fall der Fortzahlung von Lohn oder Gehalt, nicht nur, wie im Urteil VI ZR 190/56 vom 12. Juli 1957 S. 7 bereite berücksichtigt ist, von Lukas JW 1930, 1992, 2658 und OLG Neustadt in NJW 1953, 1433 abgelehnt, sondern auch im seither veröffentlichten Schrifttum (Peßler NJW 1959, 1207; Schulz MDR 1960, 629; von Gerkan, Der Betrieb, 1961, 800; Weiß-Kranz BayBG Art. 96 Anm. 20; nachzutragen wäre noch aus früherer Zeit Lange BB 1954, 34; Möhring, Versicherungswirtschaft 1956, 525; Pentz DVBl 1958, 560, 561). An neuem Schrifttum, das die Netto lohntheorie teils vertritt, teils hinnimmt, sind anderer seits zu nennen insbesondere Walser VersR 1961, 106; Busse VersR 1963, 614; Jülich, Recht im Amt 1963, 295; Sieg VersR 1964, 8; ferner Rahmfeld, Recht im Amt 1962, 132, 341; Maue, Recht im Amt 1962, 325. Das Kammergericht und das Oberlandesgericht Stuttgart haben neuerdings unter Berufung auf § 24 Abs. 1 a EStG die Bruttobezüge als erstattungsfähig angesehen (NJW 1963, 1065; Recht im Amt 1963, 378), wenigstens soweit die Steuern in Betracht können. Ausführlich hat sich neuerdings Wussow zu den einschlägigen Fragen geäußert (Informationen 1964, 141).
Zu bemerken ist noch, daß in der grundlegenden Entscheidung des Reichsgerichts (DR 1942, 1186 Nr. 5) auf den tatsächlichen Wegfall von Belastungen abgestellt und keineswegs allgemein gesagt ist, es sei stets von den Nettobezügen auszugehen. Zu den vom VI. Senat in seinen Urteilen vom 30. Mai 1958 VI ZR 90/57 und BGHZ 42, 76 angeführten Urteilen ist zu bemerken, daß sie zum Teil andere Sachverhalte betroffen, insbesondere Fälle des § 844 LGB, bei denen die Berücksichtigung der (aller) Verbindlichkeiten des Unterhaltsverpflichteten auf besonderer gesetzlicher Vorschrift (§ 1603 BGB) beruht.
9.) Die Ansicht des III. Senats geht also dahin: Beim Ersatz von Arbeitseinkommen ist grundsätzlich gleichviel, ob das Arbeitsentgelt vom Arbeitgeber weiter gewährt wird oder nicht, ebenso vom Bruttoausfall auszugehen, wie beim Ersatze anderer Schäden. Nur wenn dem Verletzten durch den Wegfall von Steuern (oder Sozialabgaben) Vorteile zufließen, kann dies im Wege der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen sein. Werden Lohn oder Gehalt weitergezahlt, dann ist mit steuerlichen Vorteilen des Geschädigten regelmäßig nicht zu rechnen. Für eine Vorteilsausgleichung ist dann kein Raum. Die Ansicht des III. Senats ergibt eine klare rechtsdogmatische Linie. Sie gibt entsprechend den Bedürfnissen der Praxis die Möglichkeit, die Zahl der Fälle zu verringern, in denen eine Nettoberechnung vorzunehmen ist; das wird z.B. in der Hegel für entgangenes Einkommen aus selbständiger Arbeit zutreffen. Nach der Ansicht des III. Senats sprechen für seine Auffassung daher sowohl dogmatische als praktische Gründe.
Unterschriften
Dr. Pagendarm, BR Dr. Beyer ist erkrankt und an der Leistung der Unterschrift verhindert. Dr. Pagendarm, Dr. Hußla, Kessler, Dr. Reinhardt
Fundstellen