Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob bei der Ermittelung zu ersetzenden Arbeitseinkommens von den Brutto- oder Nettobezügen des Geschädigten auszugehen ist.
Normenkette
BGB § 249
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 07.06.1962) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 7. Juni 1962 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Am 3. Juni 1961 wurde der Regierungsbaudirektor L., der als Beamter in den Diensten des Klägers steht, während seines Urlaubs durch einen unvorsichtig geführten Omnibus der Beklagten erheblich verletzt. Die Beklagte haftet für den unfallbedingten Schaden L. nach § 839 BGB, Art. 34 GG. Das ist außer Streit.
L. war infolge des Unfalls vom 5. Juni 1961 bis 3. September 1961 dienstunfähig. Seine Dienstbezüge betrugen in diesem Zeitraum 5.983,35 DM, Davon wurden ihm 5.013,84 DM ausbezahlt, den Restbetrag von 969,50 DM führte der Kläger als Lohn- und Kirchensteuer an das Finanzamt ab.
Die Beklagte hat dem Kläger die Nettobezüge ersetzt. Der Klüger verlangt von ihr auch Ersatz der abgeführten Steuerbeträge, da auch insoweit ein gemäß Art. 96 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG) ein auf den Kläger übergegangener Schadensersatzanspruch L. gegeben sei.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 969,50 DM nebst 4 % Zinsen seit 1. Oktober 1961 zu zahlen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dem Verletzten sei ein Schaden nur in Höhe der Nettobezüge entstanden, ein weitergehender Anspruch stehe daher auch dem Kläger nicht zu.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Mit ihrer Sprungrevision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger bittet, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Revision ist statthaft, obwohl die Revisionssumme nicht erreicht ist. Denn der Kläger macht einen auf ihn übergegangenen Anspruch aus § 839 BGB, Art. 34 GG geltend (§ 547 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a.F.). Rechtsmittel ist auch in gehöriger Form und Frist eingelegt. Das landgerichtliche Urteil ist am 6. Juli 1962 in abgekürzter Form zugestellt worden. Damit ist die Berufungsfrist (§ 516 ZPO) und nach allgemeiner Meinung auch die Frist für die Sprungrevision in Lauf gesetzt worden (Baumbach ZPO 28. Aufl. § 566 a Anm. 1 A). Die Revision ist rechtzeitig am 2. August 1962 eingelegt worden.
Bedenken gegen die Zulässigkeit der Revision ergeben sich allerdings aus folgendem: Ein Aktenvermerk des Justizobersekretärs W. sagt, die nach § 566 a Abs. 2 ZPO für die Zulässigkeit der Sprungrevision erforderliche Zustimmung des Prozeßbevollmächtigten des Klägers sei erst am 13. August 1962, also nach dem Ablauf der Rechtsmittelfrist, bei Gericht eingereicht worden. Wenn das zuträfe, wäre die Revision unzulässig, weil die Zustimmungserklärung des Gegners innerhalb der Rechtsmittelfrist bei Gericht eingehen muß (BGHZ 16, 192). Indessen hat der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Beklagten, Rechtsanwalt Dr. L., eidesstattlich versichert, er könne mit Sicherheit angeben, daß er selbst die Revisionsschrift – die unzweifelhaft am 2. August 1962 eingereicht wurde – zusammen mit zwei Beilagen, nämlich mit dem angefochtenen Urteil und der Zustimmungserklärung des Gegners, bei der Einlaufstelle der Justizbehörden in München eingereicht habe. Den Aktenvermerk W. erklärt er damit, daß er wahrscheinlich die Zustimmungserklärung versehentlich zusammen mit der Urteilsabschrift zurückerhalten und sie am 13. August 1962 vor einer Besprechung mit einem Richter des Bayerischen Obersten Landesgerichts wieder zu den Akten gegeben habe. Diese Darstellung ist mit den dienstlichen Erklärungen der beteiligten Beamten nicht unvereinbar; ihr kann daher gefolgt werden. Damit ist die Revision zulässig.
II.
In der Sache bleibt die Revision der Beklagten ohne Erfolg. Nach Art. 96 BayBG, der dem § 87 a BBG wörtlich entspricht, gehen die gesetzlichen Schadensersatzansprüche eines körperlich verletzten Beamten insoweit auf den Dienstherrn über, als dieser während einer auf der Körperverletzung beruhenden Dienstunfähigkeit zur Gewährung von Dienstbezügen verpflichtet ist. Das Landgericht hat unter Bezugnahme auf jene Bestimmungen den Anspruch des Klägers auf Ersatz der Beträge zugesprochen, die der Kläger vom Gehalt des vorletzten Beamten einbehalten und an die Steuerbehörde abgeführt hat, um die Lohn- und Kirchensteuer des Beamten zu tilgen. Auch der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in seinem Urteil vom 30. Juni 1964 – VI ZR 81/63 = BGHZ 42, 76 – ausgesprochen, daß der verletzte und dadurch vorübergehend dienstunfähige Beamte gegen den verantwortlichen Schädiger einen auf den Dienstherrn übergehenden Anspruch auf Ersatz des Bruttogehaltes hat. Dieser Rechtsprechung ist jedenfalls im Ergebnis beizutreten.
Nach der im Vorlagebeschluß vom 8. März 1965 (vgl. NJW 1965, 992) näher begründeten Ansicht des III. Zivilsenats wird dieses Ergebnis bereits dadurch gerechtfertigt, daß der wirkliche Schaden des Geschädigten in dem Entzug des Bruttolohnes besteht, also gleich dem Lohn ohne Berücksichtigung der einbehaltenen Lohn- und Kirchensteuern ist, weil die eingehaltenen Steuerbeträge Teile des Gehaltes sind, mit deren Zahlung – mindestens auch – eine Steuerschuld des Geschädigten getilgt wird. Steht aber dem Geschädigten der Anspruch auf den Bruttolohn ohne Berücksichtigung der Steuern zu, so ergibt sich, daß der Dienstherr, wenn er nicht nur den Nettolohn (an den Geschädigten persönlich), sondern auch die Steuern (für den Geschädigten aus dessen Lohn an die Steuerbehörde) gezahlt hat, den Geschädigten also hinsichtlich des gesamten Lohnes, mithin nicht nur hinsichtlich des Nettolohnes, sondern auch hinsichtlich des Bruttolohnes befriedigt hat, so daß in unmittelbarer Anwendung der genannten Bestimmungen der Beamtengesetze Ansprüche in Höhe des Bruttolohnes auf den Dienstherrn übergegangen sind.
Der VI. Zivilsenat vertritt demgegenüber die sog. „modifizierte Nettolohnmethode”, wonach als Schadensersatz dem Geschädigten der Nettolohn und die für diesen Schadensbetrag zu zahlenden, jeweils für den Einzelfall zu ermittelnden Steuern zustehen. Er hat jedoch diese „modifizierte Nettolohnmethode” weiter „modifiziert” für Fälle, in denen trotz Arbeitsunfähigkeit dem Geschädigten |Iom oder Gehalt vom Arbeitgeber oder Dienstherrn freiwillig oder kraft Vereinbarung oder kraft Gesetzes weitergezahlt wird und deshalb die Schadensersatzansprüche des Geschädigten an den Arbeitgeber abgetreten werden oder auf ihn oder den Dienstherrn kraft Gesetzes übergehen (BGHZ 42, 76, 80 und das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil vom 27. April 1965 VI ZR 124/64). Der VI. Zivilsenat geht davon aus, in derartigen Fällen unterbleibe aus den in BGHZ 7, 30 und 21, 112 dargelegten Gründen die Anrechnung der Leistungen des Dienstherrn auf die Schadensersatzforderung des Verletzten mit der Wirkung, daß die Schadensersatzforderung unverändert fortbestehe (BGHZ 42, 76, 82). Der Schaden sei dann aber nur als das verstellbar, was der Verletzte in seinem konkreten Arbeitsverhältnis durch die Verwertung seiner Arbeitskraft laufend erworben hat und nunmehr trotz ihres zeitweiligen Ausfalls tatsächlich nicht verliert (S. 6–7 des Urteils vom 27. April 1965 VI ZK 124/64). Der Schaden im Rechtssinne setze sich deshalb zusammen aus dem ausgezahlten Teil der Bezüge und den Steuern, die entrichtet werden müssen, damit das Nettogehalt übrig bleibe, und da bei der Lohn oder Gehaltsfortzahlung keinerlei Änderungen durch das Schadensereignis einträten, sei der demnach zu ersetzende Gesamtbetrag identisch mit dem Bruttogehalt (BGHZ 42, 76, 82). Noch schärfer hat der VI. Zivilsenat das in seinem Urteil vom 27. April 1965 VI ZR 124/64 auf Seite 8/9 in Bezug auf den Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungsbeiträgen betont: Diese Arbeitgeberanteile seien eine zum Bruttolohn hinzutretende Leistung des Arbeitgebers für den Arbeitnehmer und damit ein Vorteil aus der geleisteten Arbeit; der Fortfall dieser Arbeitgeberbeiträge im Falle der Arbeitsunfähigkeit des Geschädigten sei deshalb eigener Schaden des Verletzten; der Schädiger sei auch insoweit dem Geschädigten ersatzpflichtig, so daß auch Ansprüche in Höhe der Arbeitgeberanteile an den Sozialabgaben auf den Arbeitgeber im Falle der Lohnfortzahlung übergehen könnten.
Damit vertritt der VI. Zivilsenat für Fälle der Fortzahlung des Lohnes und des Gehalts unter weiterer Umgestaltung, wenn nicht sogar unter Aufgabe der von ihm sonst vertretenen modifizierten Nettolohnmethode die Ansicht, daß der gesamte Bruttolohn, sogar zuzüglich der Arbeitgeberanteile an den Sozialbeiträgen, der dem Geschädigten entstandene Schaden ist. Für die Fälle der Fortzahlung von Lohn und Gehalt geht demnach auch der VI. Zivilsenat gerade so wie der III. Zivilsenat dieser allerdings nicht nur für solche Fälle, sondern grundsätzlich – von der Auffassung aus, daß der dem Geschädigten entstandene Schaden nicht nach der modifizierten Nettolohnmethode, sondern nach dem Bruttolohn zu bemessen ist. Mit Rücksicht auf diese neueste Rechtsprechung des VI. Zivilsenats hat der III. Zivilsenat seinen Vorlagebeschluß nochmals überprüft. Da der vorliegende Fall nur Schadensersatzansprüche bei Fortzahlung des Gehalts betrifft und da insoweit beide Senate und jedenfalls in solchen Fällen auch der VI. Senat nach seiner neuesten Rechtsprechung, den Schaden schlecht hin nach dem Bruttolohn bemessen, sieht der III. Zivilsenat nunmehr in Übereinstimmung mit dem Vorsitzenden des Großen Senats für Zivilsachen unter Änderung seines Vorlagsbeschlusses vom 8. März 1965 davon ab, dem Großen Senat die Frage vorzulegen, ob bei der Ermittlung des zu ersetzenden Arbeitseinkommens grundsätzlich von den Brutto- oder den Nettobezügen auszugehen ist. Er weist vielmehr in abschließender Entscheidung die Revision unter Überbürdung der Kosten auf die Beklagte (§ 97 ZPO) zurück.
Unterschriften
Dr. Pagendarm, Dr. Beyer, Dr. Hußla, Keßler, Dr. Reinhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1502432 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1965, 812 |