Verfahrensgang

LG Leipzig (Entscheidung vom 21.03.2022; Aktenzeichen 1 T 48/22)

AG Leipzig (Entscheidung vom 20.10.2021; Aktenzeichen 536 XVII 67/21)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 4 wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 21. März 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei.

Eine Festsetzung des Beschwerdewerts (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Das Verfahren betrifft die Anordnung einer Betreuung.

Rz. 2

Die heute 79jährige Betroffene leidet nach den getroffenen Feststellungen an schwerer Demenz. Sie hat im Jahr 2017 ihren Söhnen, den Beteiligten zu 4 und 5, Vorsorgevollmachten erteilt. Der Beteiligte zu 5, der die Betroffene zeitweilig persönlich betreut und versorgt hat, ist inzwischen dazu und zur Ausübung der Vollmacht aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage.

Rz. 3

Wegen Zweifeln, ob die Ausübung der Vollmacht durch den Beteiligten zu 4 dem Wohl der Betroffenen gerecht wird, hat das Amtsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung der Betroffenen den Beteiligten zu 1 zum Betreuer bestellt mit dem Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung, Wohnungsangelegenheiten und Vertretung in Heimangelegenheiten sowie Widerruf der dem Beteiligten zu 4 erteilten Vollmacht in diesen Bereichen. Im die Betreuung anordnenden Beschluss hat es eine Verfahrenspflegerin (Beteiligte zu 2) bestellt.

Rz. 4

Das Landgericht hat ohne erneute Anhörung der Betroffenen die Beschwerde des Beteiligten zu 4 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich dessen Rechtsbeschwerde, mit welcher er die Aufhebung der Betreuung erstrebt.

II.

Rz. 5

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

Rz. 6

1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das Beschwerdegericht von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abgesehen hat.

Rz. 7

Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen gemäß § 278 Abs. 1 FamFG besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Senats voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Juni 2022 - XII ZB 200/21 - MDR 2022, 1110 Rn. 7 mwN).

Rz. 8

a) Das erstinstanzliche Verfahren war allerdings entgegen der von der Rechtsbeschwerde erhobenen Rüge nicht schon deshalb fehlerhaft, weil das Amtsgericht das von ihm eingeholte Sachverständigengutachten der Betroffenen nicht übermittelt hätte (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2021 - XII ZB 290/21 - FamRZ 2022, 136 Rn. 8 mwN). Denn nach dem Akteninhalt ist die Übersendung des Gutachtens vom zuständigen Richter veranlasst und von der Geschäftsstelle ausgeführt worden.

Rz. 9

b) Die erstinstanzliche Anhörung war jedoch - wie die Rechtsbeschwerde insoweit zutreffend rügt - verfahrensfehlerhaft, weil die Verfahrenspflegerin keine Möglichkeit hatte, an ihr teilzunehmen (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Mai 2020 - XII ZB 541/19 - FamRZ 2020, 1305 Rn. 14 f. mwN). Das Landgericht hätte die Betroffene daher nach § 68 Abs. 3 FamFG erneut anhören und der Verfahrenspflegerin die Gelegenheit geben müssen, an der Anhörung teilzunehmen.

Rz. 10

aa) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Betreuungssache gemäß § 276 Abs. 1 FamFG soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Er soll bei den besonders schwerwiegenden Eingriffen in das Grundrecht der Freiheit der Person nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und begleitet werden. Der Verfahrenspfleger ist daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Dies gebietet es zumindest dann, wenn das Betreuungsgericht bereits vor der Anhörung des Betroffenen die Erforderlichkeit einer Verfahrenspflegerbestellung erkennen kann, in Betreuungssachen regelmäßig, den Verfahrenspfleger schon vor der abschließenden Anhörung des Betroffenen zu bestellen. Außerdem steht dem Verfahrenspfleger ein eigenes Anhörungsrecht zu. Erfolgt die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des bestellten Verfahrenspflegers, ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG (Senatsbeschluss vom 12. Januar 2022 - XII ZB 442/21 - FamRZ 2022, 982 Rn. 14 mwN). Der rechtzeitig vom Termin unterrichtete Verfahrenspfleger kann sodann allerdings selbst entscheiden, ob er an dem Termin teilnimmt (Senatsbeschluss vom 14. September 2022 - XII ZB 554/21 - FamRZ 2022, 1873 Rn. 5 mwN).

Rz. 11

bb) Im vorliegenden Fall ist die Verfahrenspflegerbestellung erst im das erstinstanzliche Verfahren abschließenden Beschluss erfolgt. Die Verfahrenspflegerin konnte daher an der bereits erfolgten Anhörung der Betroffenen nicht teilnehmen. Die vom Amtsgericht im Abhilfeverfahren durchgeführte Anhörung konnte den Verfahrensfehler nicht heilen (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Juni 2022 - XII ZB 13/22 - FamRZ 2022, 1392 Rn. 11 mwN). Davon abgesehen hatte die Verfahrenspflegerin auch insoweit keine Möglichkeit der Teilnahme, weil sie von dieser Anhörung nicht unterrichtet worden ist.

Rz. 12

2. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen, weil weitere Tatsachenfeststellungen und insbesondere eine erneute Anhörung der Betroffenen erforderlich sind. In der Sache wird das Landgericht die seit dem 1. Januar 2023 geltende Rechtslage (§ 1820 Abs. 3 bis 5 BGB) und die von der Rechtsbeschwerde zum materiellen Recht erhobenen Rügen zu berücksichtigen haben.

Rz. 13

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Guhling     

Klinkhammer     

Nedden-Boeger

Botur     

Pernice     

 

Fundstellen

BtPrax 2023, 153

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