Entscheidungsstichwort (Thema)

Fachanwalt. Strafrecht. Praxisnachweis. Nebenklagevertreter

 

Leitsatz (amtlich)

Der Rechtsanwalt kann den Erwerb der für die Führung der Bezeichnung "Fachanwalt für Strafrecht" erforderlichen besonderen praktischen Erfahrungen auch dann nachweisen, wenn er an der regelmäßig vorausgesetzten Anzahl von Hauptverhandlungen überwiegend nicht als Strafverteidiger, sondern als Vertreter der Nebenklage teilgenommen hat.

 

Normenkette

BRAO § 43c; FAO § 5 S. 1 Buchst. f., S. 2

 

Verfahrensgang

AGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 03.11.2003; Aktenzeichen AGH 24/03 (II))

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des 2. Senats des AGH Baden-Württemberg v. 3.11.2003 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und dem Antragsteller die ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 12.500 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller ist seit dem Jahr 1997 zur Rechtsanwaltschaft sowie beim AG Sch. und bei den LG M. und H., seit dem Jahr 2002 auch beim OLG K. zugelassen.

Unter dem 30.10.2002 hat der Antragsteller beantragt, ihm die Führung der Bezeichnung "Fachanwalt für Strafrecht" zu gestatten. Zum Nachweis der besonderen praktischen Erfahrungen hat er u.a. eine Fallliste beigefügt, die 101 Vorgänge - davon 67 als Verteidiger - aus den letzten drei Jahren vor Antragstellung auswies, sowie eine Aufstellung über wahrgenommene Hauptverhandlungen mit 43 Hauptverhandlungstagen. Davon entfielen zwei Tage auf eine Tätigkeit als Verteidiger und 41 Tage auf eine solche als Nebenklägervertreter.

Mit Bescheid v. 7.5.2003 hat die Antragsgegnerin den Antrag abgelehnt. Da der Antragsteller in den Hauptverhandlungen "fast ausschließlich auf Seiten der Anklage tätig" gewesen sei, fehle es an dem Nachweis besonderer praktischer Erfahrungen als Strafverteidiger. Darüber müsse ein Fachanwalt für Strafrecht verfügen.

Durch Beschluss v. 3.11.2003 hat der AGH den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller die Führung der Bezeichnung "Fachanwalt für Strafrecht" zu gestatten. Dagegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer vom AGH zugelassenen sofortigen Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 223 Abs. 3 S. 1, Abs. 4, § 42 Abs. 4 S. 1 BRAO), hat jedoch keinen Erfolg.

1. Nach § 5 S. 1 Buchst. f FAO setzt der Erwerb besonderer praktischer Erfahrungen auf dem Gebiet des Strafrechts u.a. voraus, dass der Antragsteller als Rechtsanwalt an mindestens 40 Hauptverhandlungstagen vor dem Schöffengericht oder einem übergeordneten Gericht teilgenommen hat.

2. Bei wortlautgetreuer Auslegung dieser Vorschrift erfüllt der Antragsteller - wie die Antragsgegnerin nicht verkennt - diese Voraussetzung. Die Vorschrift verlangt nicht, dass der Antragsteller "als Strafverteidiger" an den Hauptverhandlungen teilgenommen hat, sondern lässt eine Teilnahme "als Rechtsanwalt" genügen (vgl. dazu auch Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung, 2. Aufl., § 5 FAO Rz. 56, 65). Der anwaltliche Vertreter der Nebenklage nimmt, wie der AGH zutreffend ausgeführt hat, im Rahmen der Hauptverhandlung eine eigene, mit weit reichenden Rechten ausgestattete und von der Staatsanwaltschaft unabhängige Stellung im Strafverfahren ein. Die Vertretung der Nebenklage ist eine der möglichen Beteiligungen eines im Bereich des Strafrechts spezialisierten Rechtsanwalts in der strafrechtlichen Hauptverhandlung.

3. Aus anderen Vorschriften der Fachanwaltsordnung ergibt sich nichts Gegenteiliges. Sie spricht vom "Fachanwalt für Strafrecht", nicht etwa vom "Fachanwalt für Strafverteidigung", und stellt damit - entsprechend der Regelung für andere Fachbereiche - auf den Gesamtbereich des Strafrechts ab und nicht lediglich auf einen tätigkeitsbezogenen Ausschnitt. Soweit die Fachanwaltsordnung in den § 2 und § 5 die Anforderungen an die besonderen Erfahrungen des Rechtsanwalts konkretisiert, ist stets nur vom "Fachgebiet" als solchem die Rede.

In der Fachanwaltsordnung wird zwischen den verschiedenen Formen anwaltlicher Beteiligung in der Hauptverhandlung nicht differenziert. Zwar sind nach § 13 Nr. 1 FAO für das Fachgebiet Strafrecht besondere Kenntnisse nachzuweisen u.a. in dem Bereich "Methodik und Recht der Strafverteidigung". Diese Vorschrift ist jedoch nicht auf die praktischen Erfahrungen gemünzt, sondern auf die daneben nachzuweisenden theoretischen Kenntnisse.

4. Es mag zwar zutreffen, dass - worauf die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdebegründung hinweist - die Satzungsversammlung bei der Schaffung der Bezeichnung "Fachanwalt für Strafrecht" das Berufsbild des qualifizierten Strafverteidigers vor Augen hatte (vgl. Protokoll der 4. Sitzung der Satzungsversammlung v. 13. bis 15.6.1996, S. 18; vgl. ferner zu der vorausgegangenen Diskussion Barton, AnwBl. 1989, 472; Rückel, BRAK-Mitt. 1990, 64 [66 f.]). Dass eine andere anwaltliche Beteiligung in der Hauptverhandlung nicht oder nicht in demselben Maße zum Erwerb der den Fachanwalt für Strafrecht qualifizierenden praktischen Erfahrungen soll beitragen können, lässt sich den Aufzeichnungen der Satzungsversammlung jedoch nicht entnehmen.

5. Etwas Derartiges folgt auch nicht aus Sinn und Zweck der Regelung. Mit dem "Fachanwalt für Strafrecht" (nicht: "für Strafverteidigung") soll dem rechtsuchenden Publikum ein besonders qualifiziert ausgebildeter Anwalt auf dem Gebiet des Strafrechts (Rückel, BRAK-Mitt. 1990, 64 [66 f.]), ein "Spezialist auf dem Fachgebiet" (Henssler/Prütting/Stobbe, BRAO, 2. Aufl., § 2 FAO Rz. 15) zur Verfügung stehen.

Diese Qualifikation kann auch ein Antragsteller aufweisen, dessen Beteiligung in den Hauptverhandlungen hauptsächlich in der Vertretung der Nebenklage bestanden hat. Wie bereits der AGH dargelegt hat und auch die Antragsgegnerin nicht bezweifelt, haben der Vertreter der Nebenklage und der Verteidiger zwar konträre, jedoch gleichwertige Aufgaben. Auch der Nebenklagevertreter benötigt, um seine Aufgabe ordnungsgemäß zu erfüllen, umfassende Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet des Strafrechts. Als "Opferanwalt" hat er seine Mandanten in einer außergewöhnlichen Belastungs- und Konfliktsituation zu beraten und zu vertreten. Dies erfordert besonderes Einfühlungsvermögen, wie es - wenngleich mit anderer Zielrichtung - in vergleichbarer Weise auch ein Strafverteidiger aufbringen muss.

6. Nach § 5 S. 2 FAO können bei der Gewichtung nicht nur der Fallzahlen, sondern auch der Teilnahmen an Hauptverhandlungen zwar Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit einzelner Fälle Berücksichtigung finden. Diese Vorschrift bietet aber keine Handhabe, eine bestimmte Art der Teilnahme allgemein --losgelöst vom einzelnen Fall --anders zu gewichten (BayAGH, Beschl. v. 21.1.2000 - BayAGH I - 16/99, n.v.).

7. Soweit im Rahmen des Berliner Erfahrungsaustauschs 2001 von Vertretern aller Fachausschüsse der Rechtsanwaltskammern unverbindlich empfohlen worden ist, Nebenklagevertretungen - verglichen mit Strafverteidigungen - sowohl bei den Fallzahlen als auch den Hauptverhandlungen nur mit 25 % bis 50 % zu gewichten (BRAK-Mitt. 2002, 26 [28] - Ziff. II.9.1), ist dem aus den vorgenannten Gründen nicht zu folgen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1283919

BB 2005, 69

NJW 2005, 214

BGHR 2005, 408

MDR 2005, 420

NJW-Spezial 2005, 143

BRAK-Mitt. 2005, 85

KammerForum 2005, 52

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