Verfahrensgang
OLG Naumburg (Urteil vom 18.06.2014; Aktenzeichen 5 U 58/14) |
LG Magdeburg (Entscheidung vom 04.02.2014; Aktenzeichen 9 O 1908/11) |
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 18. Juni 2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 30.646,84 EUR.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Der Kläger nimmt die beklagte Bank wegen Beratungspflichtverletzungen auf Rückabwicklung einer Beteiligung an einer Fondsgesellschaft in Anspruch.
Rz. 2
Auf Empfehlung eines Mitarbeiters der Beklagten beteiligte sich der Kläger am 14. Dezember 2000 mit einem Betrag von 60.000 DM zuzüglich eines Agio von 3.000 DM an dem geschlossenen Immobilienfonds H. GmbH & Co. KG. Nach dem Fondsprospekt hatte die Beteiligungsgesellschaft einen Vertrag über die Einwerbung des Eigenkapitals mit der H. C. GmbH geschlossen, die für Vertriebs- und Werbemaßnahmen eine Vergütung von 10.664.100 DM erhalten sollte. Die H. C. GmbH war ausweislich des Prospekts berechtigt, leistungsfähige Dritte mit der Erbringung einzelner Leistungen zu beauftragen, insbesondere Vertriebsvereinbarungen mit Banken, Sparkassen, privaten Anlageberatern und anderen Gesellschaften abzuschließen.
Rz. 3
Die Beklagte erhielt für den Vertrieb der Anteile an den Kläger Provisionen in unbekannter Höhe. Zumindest die Höhe der Provisionen wurde dem Kläger im Beratungsgespräch nicht offengelegt.
Rz. 4
Der Kläger, der Ausschüttungen in Höhe von 1.564,55 EUR erhielt, verlangt unter Berufung auf mehrere Beratungsfehler Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte aus der Beteiligung Rückzahlung des eingesetzten Kapitals (32.211,39 EUR) abzüglich der erlangten Ausschüttungen sowie entgangene Anlagezinsen in Höhe von 14.173,01 EUR jeweils nebst Rechtshängigkeitszinsen. Außerdem begehrt er, den Annahmeverzug der Beklagten mit der Übertragung des Kommanditanteils festzustellen.
Rz. 5
Das Landgericht hat die Klage nach informatorischer Anhörung des Klägers sowie Vernehmung der Anlageberater (Zeugen R. und W.) abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht der Klage in Höhe von 30.646,84 EUR nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte aus der Beteiligung stattgegeben, den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt und die weitergehende Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es – soweit im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von Interesse – ausgeführt:
Rz. 6
Durch die Beratung im Dezember 2000 sei zwischen den Parteien ein Anlageberatungsvertrag zustande gekommen. Die Beklagte sei dem Kläger wegen schuldhafter Verletzung der aus dem Beratungsvertrag resultierenden Pflicht zur Aufklärung über die ihr zugeflossenen Rückvergütungen zum Schadensersatz verpflichtet. Für den Kläger streite die zur Beweislastumkehr führende widerlegliche Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens. Die Beklagte habe nicht hinreichend dargetan, dass der Kläger die Kommanditbeteiligung entgegen seinem Vortrag auch dann erworben hätte, wenn ihm die Höhe der Rückvergütungen offenbart worden wäre. Sie habe nicht dargelegt, dass der Kläger die von ihm erhoffte Steuerersparnis ausschließlich mit der ihm empfohlenen Kommanditbeteiligung oder mit anderen Kapitalanlagen mit vergleichbaren Rückvergütungen hätte erzielen können. Selbst für den Fall, dass der Kläger bei der Zeichnung einer weiteren Kommanditbeteiligung sieben Jahre später im Jahr 2007 über die konkrete Höhe der dortigen Rückvergütungen aufgeklärt worden sein sollte, genüge dies nicht, um von der fehlenden Ursächlichkeit der im Jahr 2000 unterbliebenen Aufklärung über die konkrete Höhe der Rückvergütungen für die hier in Rede stehende Anlageentscheidung auszugehen. Der Schadensersatzanspruch sei nicht verjährt. Es lasse sich nicht feststellen, dass die subjektiven Voraussetzungen des Verjährungsbeginns (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB) vor Ablauf des Jahres 2007 vorgelegen hätten, so dass die im Dezember 2011 eingereichte Klage die Verjährung rechtzeitig gehemmt habe.
Rz. 7
Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 8
Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angefochtene Urteil, soweit es zu Lasten der Beklagten ergangen ist, deren Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2004 – XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 139 f., vom 20. Oktober 2015 – XI ZR 532/14, WM 2015, 2279 Rn. 9 und vom 15. März 2016 – XI ZR 208/15, juris Rn. 8).
Rz. 9
1. Rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffen ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass zwischen den Parteien stillschweigend ein Beratungsvertrag zustande gekommen ist, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet war, den Kläger über die von ihr vereinnahmten Rückvergütungen aufzuklären, und dass eine ordnungsgemäße Aufklärung des Klägers über diese Rückvergütungen weder mündlich noch durch eine Übergabe des Fondsprospekts erfolgt ist (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 15 ff. mwN). Auch hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde unangegriffen insoweit ein Verschulden der Beklagten bejaht (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 24 f. mwN).
Rz. 10
2. Ebenfalls rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für ihre Behauptung trägt, der Kläger hätte die Beteiligung auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütungen erworben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. Diese sogenannte „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens” gilt für alle Aufklärungs- und Beratungsfehler eines Anlageberaters, insbesondere auch dann, wenn Rückvergütungen pflichtwidrig nicht offengelegt wurden. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises, sondern um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegliche Vermutung (Senatsurteile vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 27 ff. und vom 15. März 2016 – XI ZR 122/14, WM 2016, 780 Rn. 17 mwN).
Rz. 11
3. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt jedoch zu Recht, dass das angegriffene Urteil den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, weil es einen erheblichen Beweisantritt der Beklagten zur Widerlegung der Kausalitätsvermutung unbeachtet gelassen hat.
Rz. 12
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 65, 293, 295 f.; 70, 288, 293; 83, 24, 35). Dazu gehört, erhebliche Beweisanträge zu berücksichtigen (BVerfGE 60, 247, 249; 65, 305, 307; 69, 141, 143 f.). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus. Im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfGE 79, 51, 61; 86, 133, 145 f.; 96, 205, 216 f.). Die Vorschrift gewährt allerdings keinen Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt (BVerfGE 51, 188, 191; 62, 249, 254; 96, 205, 216). Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. BVerfGE 60, 250, 252; 65, 305, 307; 69, 141, 144).
Rz. 13
b) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
Rz. 14
aa) Die Beklagte hat bereits in der Klageerwiderung (dort S. 45 f.) unter anderem vorgetragen, dass der Kläger aufgrund seiner hohen Einkommensteuerlast gerade diese steueroptimierte Beteiligung habe zeichnen wollen, so dass er sich auch bei Kenntnis der Höhe der an die Beklagten gezahlten Vertriebsprovisionen für die Beteiligung an dem streitgegenständlichen Fonds entschieden hätte. Dies hat sie unter Beweis gestellt durch die Vernehmung des Klägers als Partei. Diesen Beweisantritt hat die Beklagte in einem späteren Schriftsatz gegenüber dem Landgericht nochmals wiederholt (Schriftsatz vom 3. Dezember 2012, S. 18).
Rz. 15
Einem Gehörsverstoß steht – anders als die Beschwerdeerwiderung meint – nicht entgegen, dass die Beklagte ihren Antrag auf Parteivernehmung des Klägers in der Berufungserwiderung nicht nochmals ausdrücklich aufgegriffen, sondern lediglich global darauf Bezug genommen hat, in erster Instanz „ein Bündel von Tatsachen und Indizien” vorgetragen zu haben, „die zur Widerlegung der Vermutung der haftungsbegründenden Kausalität einer etwaigen Pflichtverletzung insbesondere im Hinblick auf die Offenlegung von Rückvergütungen” geeignet sind, und „über die, sofern das Gericht dem Landgericht nicht folgen […] sollte, zwingend erneut Beweis zu erheben wäre.” Dem Berufungsbeklagten obliegt es gemäß § 521 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 277 ZPO nur, seine Verteidigungsmittel insoweit vorzubringen, als es nach der Prozesslage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspricht. Danach darf er sein Ziel in erster Linie darin sehen, die zu seinen Gunsten ergangene Entscheidung zu verteidigen und neue Angriffsmittel des Berufungsklägers abzuwehren (BGH, Urteil vom 13. März 1981 – I ZR 65/79, NJW 1982, 581, 582; BVerfG, NJW 2000, 131). Die Nichtberücksichtigung eines nur in erster Instanz erfolgten Beweisantritts verletzt dann Art. 103 Abs. 1 GG, wenn das Erstgericht das Angriffsmittel für unerheblich gehalten hat, das unter Beweis gestellte Vorbringen nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichts jedoch erheblich wird (BVerfGE 70, 288, 295; BVerfG, NJW-RR 1993, 636, 637; BGH, Beschluss vom 11. März 2010 – V ZR 165/09, juris Rn.11). So verhält es sich hier. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil es die Kausalitätsvermutung bereits aufgrund der von der Beklagten vorgebrachten und nach Vernehmung der Zeugen R. und W. als erwiesen erachteten Hilfstatsachen (Indizien) als widerlegt und die Klageforderung zudem als verjährt erachtet hat.
Rz. 16
bb) Das Beweisangebot der Beklagten auf Parteivernehmung des Klägers ist erheblich. Die Beklagte hat eine für die Entscheidung wesentliche Tatsache – Fehlen der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden – unmittelbar selbst zum Gegenstand des Beweisantrags gemacht. Stellte sich der Sachvortrag in der Beweisaufnahme als richtig heraus, stünde die fehlende Kausalität der Pflichtverletzung fest. Weitere Einzelheiten oder Erläuterungen sind zur Substantiierung des Beweisantrags auf Vernehmung des Gegners als Partei grundsätzlich nicht erforderlich (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 39; Senatsbeschluss vom 24. Juni 2014 – XI ZR 219/13, juris Rn. 12).
Rz. 17
cc) Ein unbeachtlicher, auf Ausforschung zielender Beweisermittlungsantrag, der auf der willkürlichen Behauptung einer bestimmten Motivationslage „aufs Geratewohl” oder „ins Blaue hinein” gründete, ist nicht gegeben. Die Beklagte hat mit dem Verweis auf die Motivation des Klägers zur Steuerersparnis und dem Hinweis auf sein nachfolgendes Anlageverhalten Anhaltspunkte vorgetragen, die dafür sprechen, dass der Kläger auch in Kenntnis der Rückvergütung die Beteiligung gezeichnet hätte. Angesichts dessen kann eine Behauptung ins Blaue hinein nicht angenommen werden, zumal die Parteivernehmung nach § 445 Abs. 1 ZPO nicht die Wahrscheinlichkeit der unter Beweis gestellten Tatsache voraussetzt (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 39; Senatsbeschluss vom 24. Juni 2014 – XI ZR 219/13, juris Rn. 13 mwN).
Rz. 18
dd) Von der Vernehmung des Klägers als Partei konnte das Berufungsgericht nicht deshalb absehen, weil er vom Landgericht informatorisch angehört worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2011 – V ZR 220/10, juris Rn. 13; Senatsbeschluss vom 24. Juni 2014 – XI ZR 219/13, juris Rn. 18). Anders als die Beschwerdeerwiderung meint, hätte die Beklagte in erster Instanz auch nicht gemäß § 295 ZPO rügen müssen, dass der Kläger „nur” informatorisch angehört worden ist. Dem Landgericht ist kein Verfahrensfehler unterlaufen. Es hat den zu erbringenden Gegenbeweis bereits nach Würdigung der Indiztatsachen auf Grundlage der informatorischen Anhörung des Klägers und Vernehmung der Zeugen als geführt erachtet.
Rz. 19
ee) Schließlich stand der Grundsatz der Subsidiarität der Parteivernehmung nach § 445 Abs. 1 ZPO der Beweiserhebung nicht entgegen. Für die unmittelbare Beweisführung zu der Behauptung, die Höhe der Rückvergütungen sei für die Anlageentscheidung des Klägers ohne Bedeutung gewesen, steht der Beklagten kein anderes Beweismittel zur Verfügung.
Rz. 20
c) Das Berufungsurteil beruht auf der Gehörsverletzung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (vgl. BVerfGE 60, 247, 250; 65, 305, 308; 89, 381, 392 f.). Dies ist der Fall, weil die Beklagte den Nachweis fehlender Kausalität der vom Berufungsgericht festgestellten Aufklärungspflichtverletzung mit dem von ihr angebotenen Beweismittel möglicherweise geführt hätte.
Rz. 21
4. Unabhängig davon sind dem Berufungsgericht auch im Rahmen der Würdigung der von der Beklagten zur Widerlegung der Kausalitätsvermutung vorgetragenen Indizien weitere Gehörsverstöße unterlaufen. Dies rügt die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten mit Recht.
Rz. 22
a) Der Kläger investierte über die Beklagte in der Zeit von 1993 bis 2008 in insgesamt 14 geschlossene Fonds. Die Beklagte hat zur Widerlegung der Kausalitätsvermutung unter anderem vorgetragen, der Kläger habe, nachdem er vom Berater W. im Jahr 2009 davon erfahren gehabt habe, dass die Beklagte bei sämtlichen Beteiligungen Rückvergütungen erlangt habe, nur bei den drei Fondsbeteiligungen eine Rückabwicklung verlangt, die sich wirtschaftlich nicht wie prognostiziert entwickelt hätten (Schriftsätze vom 3. Dezember 2012, Seite 16 f. und vom 20. Januar 2014, Seite 5 ff.). Dies liefert ein vom Tatgericht zu würdigendes Indiz für die Behauptung der Beklagten, der Kläger hätte auch bei korrekter Aufklärung die vorliegende Fondsbeteiligung gezeichnet (vgl. Senatsurteile vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 50 und vom 15. Juli 2014 – XI ZR 418/13, WM 2014, 1670 Rn. 29). Das Berufungsgericht ist darauf in den Entscheidungsgründen nicht eingegangen.
Rz. 23
Zwar verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht nicht dazu, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Vielmehr müssen besondere Umstände im Einzelfall deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfGE 86, 133, 145; 88, 366, 375 f. mwN). Solche Umstände sind hier aber gegeben. Das Berufungsgericht ist im Rahmen seiner tatrichterlichen Würdigung auf alle anderen Indiztatsachen eingegangen, hat dieses zentrale Argument der Beklagten jedoch unbeantwortet gelassen, obwohl es in anderem Zusammenhang ausdrücklich zugrunde gelegt hat, dass der Kläger im Jahr 2009 Kenntnis von Rückvergütungen bei den bereits bestehenden Beteiligungen erlangt hat. Dies lässt sich nur damit erklären, dass es dieses Vorbringen übersehen hat. Dass es dem nachfolgenden Anlageverhalten unter anderem auch wegen des zeitlichen Abstands von sieben Jahren keine Bedeutung beigemessen hat, lässt – entgegen der Ansicht der Beschwerdeerwiderung – nicht den Schluss zu, es habe damit auch den Gesichtspunkt der selektiven Rückabwicklung verlustbringender Fonds abhandeln wollen.
Rz. 24
Das Berufungsurteil beruht auch auf dieser Gehörsverletzung, weil nicht auszuschließen ist, dass sich das Berufungsgericht bei Berücksichtigung dieses Umstands – zumindest in der Gesamtwürdigung mit anderen Indiztatsachen – von der fehlenden Ursächlichkeit der festgestellten Aufklärungspflichtverletzung hätte überzeugen lassen.
Rz. 25
b) Des Weiteren hat das Berufungsgericht den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt, weil es nicht vorab darauf hingewiesen hat, ihrem Vortrag zur erstrebten Steuerersparnis als Indiztatsache keine Aussagekraft beimessen zu wollen, weil sie nicht zusätzlich dargetan habe, dass die erhoffte Steuerersparnis ausschließlich mit der dem Kläger empfohlenen Kommanditbeteiligung oder mit anderen Kapitalanlagen mit vergleichbaren Rückvergütungen hätte erzielt werden können (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 53).
Rz. 26
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf eine in erster Instanz siegreiche Partei darauf vertrauen, vom Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis nach § 139 ZPO zu erhalten, wenn es der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will, insbesondere aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält (BGH, Urteil vom 19. August 2010 – VII ZR 113/09, NJW 2010, 3089 Rn. 18; BGH, Beschlüsse vom 10. März 2011 – VII ZR 40/10, NJW-RR 2011, 742 Rn. 6 ff. und vom 10. Juli 2012 – II ZR 212/10, WM 2012, 1771 Rn. 6 mwN). Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör (BVerfGE 84, 188, 189 f.). Rechtliche Hinweise müssen danach den Parteien in ihrer konkreten Situation so erteilt werden, dass es diesen auch tatsächlich möglich ist, vor einer Entscheidung zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können, sie also nicht gehindert werden, rechtzeitig ihren Sachvortrag zu ergänzen (BVerfGE 84, 188, 189; 86, 133, 144).
Rz. 27
Ein rechtlicher Hinweis ist hingegen regelmäßig nicht geboten, wenn eine Partei in erster Instanz obsiegt hat, die dem ihr günstigen Urteil zugrundeliegende Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts als zentraler Streitpunkt zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt wird und das Berufungsgericht sich sodann der Auffassung des Berufungsklägers anschließt. In diesem Fall muss die in erster Instanz erfolgreiche Partei von vornherein damit rechnen, dass das Berufungsgericht anderer Auffassung ist; seine dementsprechende Entscheidung kann im Grundsatz nicht überraschend sein. Das Berufungsgericht hat regelmäßig keinen Anlass zu der Annahme, trotz der in der Berufung zentral geführten Auseinandersetzung über den Streitpunkt bestehe noch Aufklärungsbedarf und müsse der Partei Gelegenheit zu weiterem Vortrag und Beweisantritt gegeben werden (BGH, Urteil vom 19. August 2010 – VII ZR 113/09, NJW 2010, 3089 Rn. 18; BGH, Beschluss vom 10. Juli 2012 – II ZR 212/10, WM 2012, 1771 Rn. 7).
Rz. 28
bb) Nach diesen Grundsätzen stellt es eine gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßende Überraschungsentscheidung dar, dass das Berufungsgericht ohne vorherigen Hinweis den Vortrag der Beklagten zur erstrebten Steuerersparnis als nicht ausreichend angesehen hat, um eine Indiztatsache schlüssig darzulegen.
Rz. 29
Das Landgericht hatte dies anders bewertet, zum Motiv der Steuerersparnis Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen R. und in den Entscheidungsgründen maßgeblich auf diesen Umstand abgestellt. Der Kläger hat den (unzureichenden) Vortrag der Beklagten zu diesem Indiz auch nicht zu einem dahingehenden Berufungsangriff genutzt. In der Berufungsbegründung hat der Kläger zwar auch geltend gemacht, allein mit der Behauptung, er hätte den Fonds auch in Kenntnis der Rückvergütungen gezeichnet, weil es ihm auf die Erzielung von Steuervorteilen angekommen sei, lasse sich die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens „nach der ständigen Rechtsprechung” nicht widerlegen. Den für diese Auffassung in Bezug genommenen Urteilen (BGH, Urteile vom 22. März 2010 – II ZR 193/08, juris, vom 31. Mai 2010 – II ZR 30/09, WM 2010, 1310 und vom 17. Mai 2011 – II ZR 202/09, AG 2011, 554; OLG Hamm, Urteil vom 2. April 2009 – 27 U 105/07, juris) lässt sich aber nichts dafür entnehmen, dass es für die Indizwirkung auf weiteren Vortrag, die erstrebte Steuerersparnis sei nur bei Kapitalanlagen mit vergleichbaren Rückvergütungen zu erzielen gewesen, ankommen könnte. Die Urteile haben sich allein damit befasst, ob bei einer werthaltigen Anlage, wie einem Immobilienfonds, angenommen werden kann, eine pflichtgemäße Aufklärung über wichtige, für die Werthaltigkeit der Anlage abträgliche Umstände hätte beim Anleger allein schon deshalb nur einen – die Kausalitätsvermutung ausschließenden – „Entscheidungskonflikt” begründet, weil mit erheblichen Steuervorteilen geworben worden sei. Damit hat die vom Berufungsgericht entschiedene Fallkonstellation nichts zu tun. Zum einen hat das Berufungsgericht keine Aufklärungspflichtverletzung über Umstände, die der Werthaltigkeit der Anlage abträglich sind, festgestellt. Zum anderen ist das Fehlen eines Entscheidungskonflikts als Voraussetzung der Kausalitätsvermutung bereits annährend zwei Jahre vor Abfassen der Berufungsbegründung mit Senatsurteil vom 8. Mai 2012 für alle Kapitalanlagefälle aufgegeben worden (XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 33). Die von der Berufungsbegründung angeführte Rechtsprechung war daher überholt.
Rz. 30
cc) Auch dieser Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich. Nach dem Vortrag der Nichtzulassungsbeschwerde hätte die Beklagte auf einen entsprechenden Hinweis beweisbewehrt vorgetragen, dass die beabsichtigte Steuerersparnis nur mit Fondsbeteiligungen zu erzielen gewesen wäre, bei denen ebenfalls Rückvergütungen in zumindest vergleichbarer Höhe angefallen wären. Möglicherweise hätte das Berufungsgericht auf Grundlage eines solchen Vorbringens zur Widerlegung der Kausalitätsvermutung anders entschieden.
III.
Rz. 31
Das angefochtene Urteil ist daher gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei hat der Senat von der gerade auch im Anwendungsbereich des § 544 Abs. 7 ZPO bestehenden Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht (Senatsbeschluss vom 20. Oktober 2015 – XI ZR 532/14, WM 2015, 2279 Rn. 9 mwN).
Rz. 32
Das Berufungsgericht wird den Kläger als Partei (§ 445 Abs. 1 ZPO) zu der Behauptung der Beklagten zu vernehmen haben, die Rückvergütungen seien für seine Anlageentscheidung ohne Bedeutung gewesen. Die Aussage wird es zusammen mit den von der Beklagten benannten und – zum Teil – vom Landgericht festgestellten Indiztatsachen, soweit es diese seiner Entscheidung gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zugrunde legen will, zu würdigen haben. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass mehrere Hilfstatsachen, die für sich allein betrachtet keinen sicheren Rückschluss auf die Haupttatsache zulassen, vom Tatrichter auch darauf zu prüfen sind, ob sie in einer Gesamtschau geeignet sind, ihn von der beweisbedürftigen Behauptung zu überzeugen (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 45).
Rz. 33
Soweit das Berufungsgericht den auf eine Aufklärungspflichtverletzung über Rückvergütungen gestützten Anspruch als nicht verjährt erachtet hat, weist die tatrichterliche Würdigung allerdings entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde keine durchgreifenden Rechts- oder Verfahrensfehler auf. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass der Kläger vor Ablauf des Jahres 2007 positive Kenntnis von Rückvergütungen bei der hier in Rede stehenden Fondsbeteiligung hatte oder diese Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruhte (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Insbesondere ist es zutreffend davon ausgegangen, dass die vom Landgericht aufgrund der Aussage des Zeugen R. getroffene Feststellung, dieser sei „die Kosten für die Vermittlung” in der Gesamtkostenaufstellung mit dem Kläger durchgegangen, keine Aufklärung darüber beinhaltet, die Beklagte vereinnahme Provisionen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 9. März 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 27 und vom 20. November 2012 – XI ZR 205/10, juris Rn. 21; Senatsurteil vom 4. Februar 2014 – XI ZR 398/12, BKR 2014, 200 Rn. 19). Die gegenteilige Einschätzung des Landgerichts, dies hätte dem Kläger auf Grundlage dieser Erörterungen „klar sein müssen”, traf nicht zu.
Unterschriften
Ellenberger, Maihold, Matthias, Derstadt, Dauber,
Fundstellen
Haufe-Index 10417006 |
BKR 2017, 164 |