Leitsatz (amtlich)
Einem beruflichen Betreuer, dem der Aufgabenbereich der Wohnungsangelegenheiten übertragen wurde, steht für den Zeitraum zwischen dem dauerhaften Umzug des nicht mittellosen Betroffenen aus dessen bisheriger, nicht vom Ehegatten des Betroffenen genutzter Mietwohnung in ein Pflegeheim und der Beendigung dieses Mietverhältnisses die gesonderte Pauschale nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG zu.
Normenkette
VBVG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Beschluss vom 24.11.2023; Aktenzeichen 4 T 183/23) |
AG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 26.10.2023; Aktenzeichen 141 XVII 1408/22) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Freiburg vom 24. November 2023 aufgehoben.
Auf die Beschwerde des weiteren Beteiligten wird der Beschluss des Amtsgerichts Freiburg vom 26. Oktober 2023 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Für den weiteren Beteiligten wird für seine Tätigkeit in der Zeit vom 21. Dezember 2022 bis zum 25. Mai 2023 eine weitere Vergütung aus dem Vermögen der Betroffenen in Höhe von 180 € festgesetzt.
Die Rechtsmittelverfahren sind gerichtskostenfrei. Die außergerichtlichen Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt die Staatskasse.
Wert: 180 €
Gründe
I.
Rz. 1
Der Beteiligte begehrt als beruflicher Betreuer der Betroffenen die Festsetzung einer gesonderten Vergütungspauschale nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG.
Rz. 2
Der Beteiligte wurde mit Beschluss vom 25. November 2022 zum beruflichen Betreuer der nicht mittellosen Betroffenen bestellt. Ihm wurde ein umfassender Aufgabenkreis übertragen, der unter anderem den Aufgabenbereich der Wohnungsangelegenheiten umfasst. Die Betroffene, die zunächst allein in ihrer Mietwohnung lebte, zog am 21. Dezember 2022 dauerhaft in ein Pflegeheim um. Mit Schreiben vom 7. Februar 2023 kündigte sie die Mietwohnung zum 31. Mai 2023.
Rz. 3
Der Beteiligte hat beim Amtsgericht beantragt, für die Verwaltung nicht selbst genutzten Wohnraums der nicht mittellosen Betroffenen in dem Zeitraum vom 21. Dezember 2022 bis zum 25. Mai 2023 eine gesonderte monatliche Vergütungspauschale von jeweils 30 €, insgesamt 180 €, festzusetzen.
Rz. 4
Das Amtsgericht hat den Festsetzungsantrag abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten hatte keinen Erfolg. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt er weiterhin die Festsetzung der beantragten Vergütung.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und unter Abänderung des amtsgerichtlichen Beschlusses zur Festsetzung der beantragten Vergütung.
Rz. 6
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner in juris veröffentlichten Entscheidung Folgendes ausgeführt:
Rz. 7
Wenn einem Betreuer der Aufgabenkreis der Wohnungsangelegenheiten zugewiesen sei, rechtfertige die notwendige Tätigkeit bei Abwicklung und Auflösung des Wohnraums, den der Betroffenen zuletzt zur Miete bewohnt habe, grundsätzlich nicht die Festsetzung der gesonderten Vergütungspauschale nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG.
Rz. 8
Unzutreffend sei die Auffassung, dass es mit Sinn und Zweck der Regelung in Einklang stehe, wenn eine zusätzliche Pauschale bei vermögenden Betroffenen für die Auflösung der Mietwohnung nach Umzug in ein Pflegeheim bezahlt werde. Ein Zusammenhang der Vermögenslage der Betroffenen mit der Abwicklung der bisherigen Wohnung nach ihrem Umzug in ein Heim sei nicht zu erkennen. Im vorliegenden Fall sei gerade kein zusätzlicher Verwaltungsaufwand dadurch entstanden, dass die Kündigung der Wohnung nicht gleichzeitig mit dem Zeitpunkt des Umzugs in das Pflegeheim erfolgte. Die Auflösung und Abwicklung des Wohnraums in einem angemessenen zeitlichen Zusammenhang zu dem dauerhaften Umzug in ein Pflegeheim beträfen den üblichen Aufwand im Rahmen des Aufgabenbereichs der Wohnungsangelegenheiten. Der Umzug am 21. Dezember 2022 und die von der Betroffenen am 7. Februar 2023 erklärte Kündigung erlaubten an diesem zeitlichen Zusammenhang keinen Zweifel.
Rz. 9
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 10
a) Ist der Betreute nicht mittellos, wird der berufliche Betreuer nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG mit einer zusätzlichen monatlichen Pauschale in Höhe von 30 € vergütet, wenn dieser die Verwaltung von Wohnraum, der nicht vom Betreuten oder seinem Ehegatten genutzt wird, zu besorgen hat. Ob dem beruflichen Betreuer diese gesonderte Pauschale auch für den Zeitraum zwischen einem dauerhaften Umzug des Betroffenen aus dessen bisheriger Mietwohnung in ein Pflegeheim und der Beendigung dieses Mietverhältnisses zusteht, ist umstritten.
Rz. 11
Nach einer Ansicht soll in diesem Fall die zusätzliche monatliche Pauschale nicht anfallen. Diese Auffassung stützt sich vornehmlich auf die Gesetzesbegründung, wonach die gesonderte Pauschale den Mehraufwand abgelten solle, der durch die Verwaltung eines höheren Vermögens anfalle. Die Kündigung und Auflösung des zuletzt von einem Betreuten angemieteten Wohnraums habe ihren Schwerpunkt aber nicht in einer (aufwändigeren) Vermögensverwaltung, sondern könne bei Zuweisung des Aufgabenkreises Wohnungsangelegenheiten sowohl bei einem bemittelten als auch bei einem unbemittelten Betreuten anfallen (vgl. LG Freiburg RPfleger 2020, 590, 591; Jurgeleit/Maier Betreuungsrecht 5. Aufl. § 10 VBVG Rn. 5).
Rz. 12
Nach anderer Ansicht soll dem Betreuer in diesem Fall die zusätzliche monatliche Pauschale zustehen. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Außerdem führe die Verwaltung einer vom Betreuten bislang genutzten Wohnung auch nach dessen Auszug zu einem erhöhten Betreuungsaufwand (vgl. LG Hamburg BtPrax 2023, 114; Toussaint/Felix Kostenrecht 54. Aufl. VBVG § 10 Rn. 18; Deinert/Lütgens in Bauer/Lütgens/Schwedler HK zum Betreuungs- und Unterbringungsrecht [Stand: Februar 2024] 2. Nicht selbst bewohnter Wohnraum Rn. 19b f.; Fröschle FamRZ 2019, 678, 680).
Rz. 13
b) Die letztgenannte Auffassung trifft zu.
Rz. 14
aa) Dafür spricht bereits der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG. Danach steht dem beruflichen Betreuer die gesonderte Pauschale zu, wenn dieser die Verwaltung von Wohnraum, der nicht vom (nicht mittellosen) Betreuten oder seinem Ehegatten genutzt wird, zu besorgen hat. Eine Differenzierung nach der Art des Wohnraums lässt sich dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen. Die Regelung erfasst somit nicht nur Immobilien, die im Eigentum des Betroffenen stehen, sondern auch Mietwohnungen (vgl. BT-Drucks. 19/8694 S. 30). Deshalb fällt auch die Verwaltung der Mietwohnung, die ein nicht mittelloser Betreuter vor seinem Umzug in eine stationäre Einrichtung oder ein Pflegeheim zuletzt genutzt hat, in den Anwendungsbereich der Vorschrift (vgl. LG Hamburg BtPrax 2023, 114; Deinert/Lütgens in Bauer/Lütgens/Schwedler HK zum Betreuungs- und Unterbringungsrecht [Stand: Februar 2024] 2. Nicht selbst bewohnter Wohnraum Rn. 18). Die Vorschrift enthält auch keine Anhaltspunkte für eine einschränkende Auslegung in zeitlicher Hinsicht. Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 VBVG fällt die gesonderte Pauschale bereits dann an, wenn einer der Fälle des Satzes 1 an mindestens einem Tag des Abrechnungszeitraums vorliegt. Unerheblich ist deshalb, ob sich die von der Pauschalvergütung erfasste Verwaltungstätigkeit des Betreuers auf die Kündigung und Abwicklung des Wohnraummietverhältnisses beschränkt oder dieses, etwa auf Wunsch des Betreuten, über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten wird.
Rz. 15
bb) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts besteht auch kein Anlass für eine Korrektur des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG in Form einer teleologischen Reduktion dahingehend, dass ein beruflicher Betreuer, dem der Aufgabenbereich der Wohnungsangelegenheiten übertragen wurde, allein für die Verwaltung einer bislang vom Betreuten selbst genutzten Mietwohnung nach dessen endgültigem Umzug in ein Pflegeheim die gesonderte Pauschale nicht verlangen kann. Eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs einer Vorschrift kommt in Betracht, wenn der Wortlaut der Norm mit Blick auf ihren Zweck zu weit gefasst ist. Sie setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Ob eine solche Lücke vorhanden ist, ist vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrundeliegenden Regelungsabsicht zu beurteilen (vgl. BGH Beschluss vom 28. Juni 2022 - II ZB 8/22 - NJW-RR 2022, 1270 Rn. 12 mwN). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil sich weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus der Gesetzesbegründung tragfähige Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Gesetzgeber Fälle der vorliegenden Art aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift ausschließen wollte.
Rz. 16
(1) Die gesonderte Pauschale für die Verwaltung eines höheren Vermögens des Betreuten wurde als § 5 a Abs. 1 VBVG durch das Gesetz zur Anpassung der Betreuer- und Vormündervergütung vom 22. Juni 2019 (BGBl. I S. 866) mit Wirkung zum 27. Juli 2019 neu eingeführt und mit Wirkung zum 1. Januar 2023 durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4. Mai 2021 (BGBl. I S. 882) in § 10 Abs. 1 VBVG wortgleich übernommen. Mit der Einführung dieser gesonderten Pauschale wollte der Gesetzgeber den erhöhten Betreuungsaufwand, der beruflichen Betreuern in der Regel bei der Verwaltung eines höheren Vermögens entsteht, durch eine zusätzliche Pauschalvergütung in Höhe von 30 € monatlich ausgleichen, ohne dass der Betreuer eine konkrete Verwaltungshandlung darlegen muss (vgl. BT-Drucks. 19/8694 S. 20, 29 f.). Hierzu hat er in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VBVG drei Fallgruppen gebildet, in denen bei der im Rahmen der Vergütungsregelungen gebotenen pauschalen Betrachtungsweise ein Mehraufwand für den beruflichen Betreuer zu erwarten ist, wobei die gesonderte Pauschalvergütung bereits dann anfallen soll, wenn der Aufgabenkreis des Betreuers mindestens einen der genannten Fälle umfasst (BT-Drucks. 19/8694 S. 30).
Rz. 17
(2) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts sind weder dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG noch der Gesetzesbegründung tragfähige Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass der Tätigkeitsschwerpunkt auch in dieser Fallgruppe im Bereich einer (aufwändigeren) Vermögensverwaltung liegen muss.
Rz. 18
Während dieser Gesichtspunkt in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 VBVG dadurch deutlich zum Ausdruck kommt, dass die Vermögensverwaltungspauschale an die Verwaltung eines Geldvermögens von mindestens 150.000 € oder eines Erwerbsgeschäfts des Betroffenen gekoppelt ist, enthält der Wortlaut der Nr. 2 eine vergleichbare Einschränkung nicht. Bei der Verwaltung von nicht vom Betreuten oder seinem Ehegatten bewohntem Wohnraum (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG) sollte durch die gesonderte Pauschalvergütung der zusätzliche Verwaltungsaufwand ausgeglichen werden, der durch die Bewirtschaftung und Instandhaltung der Immobilien entsteht (BT-Drucks. 19/8694 S. 30). Ob der Wohnraum als Eigentum zum Vermögen des Betreuten gehört oder von diesem nur gemietet ist, sollte dabei unerheblich sein (vgl. BT-Drucks. 19/8694 S. 30; Toussaint/Felix Kostenrecht 53. Aufl. VBVG § 10 Rn. 18). Ein erhöhter Verwaltungsaufwand kann dem für den Aufgabenbereich Wohnungsangelegenheiten bestellten Betreuer aber auch durch die Auflösung und Abwicklung des bisherigen Wohnraums des Betroffenen nach dessen dauerhaften Umzug in ein Pflegeheim entstehen. Denn der Aufgabenbereich der Wohnungsangelegenheiten umfasst grundsätzlich neben der Berechtigung zur Kündigung des Mietvertrags über die Wohnung des Betroffenen, welche allerdings nach § 1833 Abs. 1 BGB einer gesonderten vorherigen Genehmigung durch das Betreuungsgericht bedarf (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Juli 2016 - XII ZB 131/16 - FamRZ 2016, 1668 Rn. 23), auch die Verpflichtung des Betreuers, die Räumung und die Herausgabe der Wohnung nach Ablauf der Kündigungsfrist zu organisieren, sofern der Betroffene hierzu selbst nicht mehr in der Lage ist. Zudem hat der Betreuer die Wohnung während der Abwesenheit des Betroffenen instand zu halten. Deshalb kann der Betreuer die Vermögensverwaltungspauschale nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG auch für die Verwaltung einer bislang vom Betreuten selbst genutzten Mietwohnung nach dessen endgültigem Umzug in ein Pflegeheim verlangen (vgl. LG Hamburg BtPrax 2023, 114).
Rz. 19
3. Danach ist der angefochtene Beschluss gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Der Senat kann auf der Grundlage der vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen selbst entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Der Aufgabenkreis des Beteiligten umfasste den Bereich der Wohnungsangelegenheiten. In dem von ihm geltend gemachten Abrechnungszeitraum vom 21. Dezember 2022 bis zum 25. Mai 2023 wurde die Mietwohnung weder von der Betroffenen noch von deren Ehegatten genutzt. Ob der Beteiligte in diesem Zeitraum tatsächlich Verwaltungstätigkeiten für die Mietwohnung erbracht hat, ist zwar nicht festgestellt. Dies steht dem Anspruch auf die gesonderte Pauschale jedoch nicht entgegen. Diese fällt bereits dann an, wenn die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG - wie hier - an einem Tag im Abrechnungsmonat vorgelegen haben, ohne dass es darauf ankommt, ob tatsächlich eine entsprechende Tätigkeit des Betreuers erfolgt ist (vgl. Dodegge in Dodegge/Roth Systematischer Praxiskommentar Betreuungsrecht (2) Verwaltung von Wohnraum Nr. 2 Rn. 193).
Guhling |
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Klinkhammer |
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Günter |
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Botur |
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Pernice |
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Fundstellen
Haufe-Index 16325892 |
FuR 2024, 3 |
FGPrax 2024, 170 |
NZM 2024, 10 |
BtPrax 2024, 174 |
JZ 2024, 364 |
JZ 2024, 371 |
FamRB 2024, 5 |