Leitsatz (amtlich)
Für die nach dem 1.7.2002 beantragte Simultanzulassung eines Rechtsanwalts zum OLG wird eine mindestens fünfjährige Zulassung bei einem Gericht des ersten Rechtszuges vorausgesetzt; ein Ermessensspielraum steht der Zulassungsbehörde nicht zu.
Normenkette
BRAO § 20 Abs. 1 Nr. 2, § 226 Abs. 2
Verfahrensgang
AGH Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 16.09.2003) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des 1. Senats des AGH für das Land Nordrhein-Westfalen v. 16.9.2003 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 25.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin - die zuvor bis zur Erreichung des Ruhestandes als Richterin am OLG H. tätig war - ist seit dem 27.5.1999 zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwältin beim AG H. und dem LG B. zugelassen. Im November 2001 begehrte sie außerdem die Zulassung zum OLG H. . Mit Bescheid v. 25.2.2002 lehnte die Antragsgegnerin diesen Antrag ab, weil eine Simultanzulassung zum LG und OLG erst ab dem 1.7.2002 möglich sei; außerdem sei die Fünf-Jahres-Frist gem. § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO und - für die Zeit ab 1.7.2002 - § 226 Abs. 2 BRAO nicht eingehalten.
Den hiergegen gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der AGH durch Beschl. v. 16.9.2003 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 BRAO); es hat jedoch keinen Erfolg.
1. Soweit darüber zu befinden ist, ob die Antragstellerin zum OLG zugelassen werden kann, obwohl sie noch keine fünf Jahre bei einem Gericht des ersten Rechtszuges als Rechtsanwältin tätig war, hat der AGH zutreffend seine Entscheidung nicht auf die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO, sondern auf die des § 226 Abs. 2 BRAO gestützt.
Nach der zuletzt genannten Vorschrift ist die Zulassung zum Oberlandesgericht zwingend davon abhängig, dass der Bewerber zuvor bereits mindestens fünf Jahre lang bei einem Gericht des ersten Rechtszuges zugelassen gewesen ist. Diese Voraussetzung erfüllt die Antragstellerin nicht.
Demgegenüber gewährt die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO bei der Zulassungsentscheidung einen gewissen Ermessensspielraum ("... soll i. d. R. versagt werden, wenn ..."). Diese Vorschrift hat seit dem 1.7.2002 einen zumindest sehr eingeschränkten Anwendungsbereich (vgl. AGH Koblenz BRAK-Mitt. 2003, 135; Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl., § 20 Rz. 40, 42). Für die alte Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 4 BRAO, die seit dem 1.8.2001 mit demselben Wortlaut als Nr. 2 fortgilt, war anerkannt, dass sie nur in Bundesländern mit Singularzulassung galt, also in solchen, in denen die Zulassung beim Oberlandesgericht gem. § 25 BRAO den Verlust der Zulassung beim Amts- und LG nach sich zog (BGH v. 7.12.1981 - AnwZ (B) 15/81, BGHZ 82, 333 [334] = MDR 1982, 404; Beschl. v. 18.9.1989 - AnwZ (B) 28/89, BRAK-Mitt. 1990, 51 [52]; v. 25.1.1999 - AnwZ (B) 56/98, BRAK-Mitt. 1999, 142; gebilligt durch BVerfG v. 8.1.2001 - 1 BvR 437/99, NJW 2001, 1561). Der Grund für die freiere Stellung der Zulassungsbehörden im Bereich der Singularzulassung wurde darin gesehen, dass wegen dieses mit der Zulassung beim OLG verbundenen Wegfalls der Zulassung bei den Eingangsgerichten viele Rechtsanwälte nicht bereit waren, nach Ablauf der Wartefrist von fünf Jahren ihre auf diese Gerichte eingestellte Praxis und damit die Früchte ihrer bisherigen Tätigkeit aufzugeben. Deshalb musste dort unter Umständen auf andere Bewerber zurückgegriffen werden, die noch nicht so lange Rechtsanwälte gewesen waren (BGH BGHZ 56, 381 [385 f.]; Feuerich/Braun, BRAO, 5. Aufl., § 226 Rz. 22). § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO kann nicht anders verstanden werden als ihre Vorgängervorschrift. Mit Urt. v. 13.12.2000 hat das BVerfG festgestellt, dass § 25 BRAO mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar und § 226 Abs. 2 BRAO ab dem 1.7.2002 hinsichtlich der Beschränkung auf die dort genannten Länder gegenstandslos ist (BVerfG v. 13.12.2000 - 1 BvR 335/97, MDR 2001, 176 = NJW 2001, 353); seit dem genannten Datum gilt mithin der Grundsatz der Simultanzulassung für alle Bundesländer. Mit der bundesweiten Ausdehnung der Simultanzulassung ist nun eine Rücksichtnahme auf die geringere Zahl von Bewerbern um eine Singularzulassung nicht mehr geboten.
Ein anderweitiges Bedürfnis nach einer flexiblen Lösung, wie sie § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO verwirklicht, ist nicht ersichtlich. Daran ändert auch der Grundsatz nichts, dass Eingriffe in die Berufsfreiheit nicht weiter gehen dürfen, als es erforderlich ist. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers, wie sie § 226 Abs. 2 BRAO und - mit der beschriebenen Einschränkung, für die aber nunmehr die sachliche Anknüpfung entfallen ist - auch § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO zugrunde liegen, sollen zum Schutz der rechtsuchenden Bevölkerung beim OLG nur Rechtsanwälte tätig werden, die durch eine mindestens fünfjährige anwaltliche Tätigkeit bereits eine gewisse Berufserfahrung gesammelt haben (BGH v. 7.12.1981 - AnwZ (B) 15/81, BGHZ 82, 333 [336] = MDR 1982, 404). Dies hält sich als Regelung der Berufsausübung in dem durch Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG gezogenen Rahmen (vgl. BGH, Beschl. v. 12.1.2004 - AnwZ (B) 24/03).
Ob die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO noch für solche Bewerber gilt, die ausschließlich eine Singularzulassung beim OLG anstreben, obwohl ihnen die Simultanzulassung offen stünde, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn die Antragstellerin begehrt jedenfalls für die Zeit nach dem 1.7.2002 keine Singularzulassung.
2. Damit braucht der Senat auch nicht zu der Frage Stellung zu nehmen, ob eine annähernd 20-jährige Tätigkeit als Richterin am OLG bei einer Ermessensentscheidung über die vorzeitige Zulassung beim OLG zu berücksichtigen gewesen wäre (vgl. einerseits EhrG Frankfurt/M. BRAK-Mitt. 1989, 51; Feuerich/Weyland, § 20 BRAO Rz. 44; andererseits Kleine-Cosack, BRAO, 4. Aufl., § 20 BRAO Rz. 7).
3. Dahinstehen kann ferner, ob dem AGH darin gefolgt werden kann, dass der Antragstellerin die Zulassung zum OLG auch deswegen zu versagen war, weil sie bis zum 30.4.1999 dort als Richterin beschäftigt war (vgl. hierzu Feuerich/Weyland, § 20 BRAO Rz. 23).
Fundstellen
Haufe-Index 1101309 |
BB 2004, 405 |
NJW 2004, 1327 |
NWB 2004, 822 |
BGHR 2004, 563 |
EBE/BGH 2004, 1 |
EBE/BGH 2004, 58 |
MDR 2004, 599 |
NJW-Spezial 2004, 96 |
BRAK-Mitt. 2004, 78 |
KammerForum 2004, 134 |