Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 21.12.2021; Aktenzeichen 15 S 14/19) |
AG Berlin-Neukölln (Entscheidung vom 17.04.2019; Aktenzeichen 9 C 277/17) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 15. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 21. Dezember 2021 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 1.985,29 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die von der Klägerin erhobene Klage auf Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren hat das Amtsgericht unter Aufhebung des zuvor ergangenen Versäumnisurteils abgewiesen. Gegen das ihr am 24. April 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Nachdem die Klägerin ihre Berufung nicht innerhalb der bis zum 24. Juli 2019 verlängerten Frist begründet hatte, hat das Landgericht die Berufung mit Beschluss vom 6. August 2019 verworfen. Der Beschluss wurde dem früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin laut Postzustellungsurkunde am 17. Oktober 2019 durch Einlegung in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten zugestellt.
Rz. 2
Mit Schriftsatz vom 20. Juli 2020 hat die Klägerin die Berufungsbegründung vorgelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Das Berufungsgericht hat den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist mit Beschluss vom 21. Dezember 2021 abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
Rz. 3
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich; insbesondere verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG, NJW 2003, 281 mwN).
Rz. 4
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die zur Akte gelangte Postzustellungsurkunde erbringe gemäß § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis dafür, dass der die Berufung verwerfende Beschluss dem früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 17. Oktober 2019 zugestellt worden sei. Die Behauptungen der Klägerin und die Glaubhaftmachung durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung ihres früheren Prozessbevollmächtigten reichten nicht aus, um die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde zu entkräften. Der Vortrag der Klägerin beschränke sich auf die Behauptung, ihr früherer Prozessbevollmächtigter habe den Beschluss nicht erhalten, und auf eine Sammlung alternativer Mutmaßungen zu den Gründen hierfür. Eines vorherigen richterlichen Hinweises auf den insoweit unzureichenden Vortrag der Klägerin habe es nicht bedurft, nachdem der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 6. April 2021 alle erforderlichen Gesichtspunkte thematisiert habe und der Klägerin ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu eingeräumt worden sei.
Rz. 5
2. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin abgelehnt, ohne dass ihm dabei zulassungsbedürftige Rechtsfehler unterlaufen sind.
Rz. 6
a) Die Postzustellungsurkunde begründet als öffentliche Urkunde nach den §§ 418, 415 ZPO den vollen Beweis für die darin beurkundeten Tatsachen, hier also die ordnungsgemäße Zustellung an den früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Nach § 418 Abs. 2 ZPO ist der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen zulässig. Zur Führung des Gegenbeweises ist grundsätzlich der volle Beweis der Urkundenunrichtigkeit erforderlich. Im Wiedereinsetzungsverfahren reicht allerdings für die Entkräftung der Beweiskraft der Postzustellungsurkunde gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Glaubhaftmachung aus (BGH, Beschluss vom 3. März 1983 - IX ZB 4/83, MDR 1983, 749; vom 5. Oktober 2000 - X ZB 13/00, NJW-RR 2001, 571; vom 28. Januar 2020 - VIII ZB 39/19, MDR 2020, 431 Rn. 24).
Rz. 7
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Beweiskraft einer Zustellungsurkunde nur durch die substantiierte Darlegung und Glaubhaftmachung des Gegenteils entkräftet werden. Dabei dürfen die Anforderungen an die darlegungsbelastete Partei nicht überspannt werden. Die nur pauschale Behauptung, das zugestellte Schriftstück nicht bekommen zu haben, entkräftet die Richtigkeit der Zustellungsurkunde allerdings nicht (BGH, Urteil vom 10. November 2005 - III ZR 104/05, NJW 2006, 150 Rn. 12; vgl. auch BVerfG, NJW-RR 2002, 1008). Vielmehr bedarf es konkreten Vortrags, ob und durch welche Personen der Briefkasten regelmäßig geleert wird und welche Vorkehrungen getroffen werden, dass eingegangene Brief- und sonstige Postsendungen sorgfältig gesichtet werden (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2002 - AnwZ (B) 48/01, juris Rn. 12).
Rz. 8
b) Unter Anwendung dieser Maßstäbe hat das Berufungsgericht den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Denn die Klägerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie nicht bereits aufgrund Zustellung am 17. Oktober 2019, sondern erst nach Akteneinsicht in die Verfahrensakten am 18. Juni 2020 von dem Verwerfungsbeschluss vom 6. August 2019 Kenntnis erlangt hat.
Rz. 9
aa) Auf die Rüge, das Berufungsgericht habe die Anforderungen an das Beweismaß überspannt, weil es offensichtlich davon ausgegangen sei, dass der Gegenbeweis auch im Wiedereinsetzungsverfahren nur im Wege des Vollbeweises erbracht werden könne, kommt es nicht an. Das Berufungsgericht hat es ausdrücklich dahinstehen lassen, ob eine eidesstattliche Versicherung des früheren Prozessbevollmächtigten ausreicht oder dieser als Zeuge zu vernehmen wäre; denn es hat zu Gunsten der Klägerin unterstellt, dass seine Zeugenaussage dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung entspricht. Soweit das Berufungsgericht annimmt, dass der von ihm als richtig unterstellte Vortrag der Klägerin nicht geeignet ist, die Beweiskraft zu erschüttern, ist diese Würdigung rechtsfehlerfrei.
Rz. 10
Der durch eine eidesstattliche Versicherung ihres früheren Prozessbevollmächtigten glaubhaft gemachte Vortrag der Klägerin beschränkte sich darauf, dass ihr früherer Prozessbevollmächtigter den Beschluss nicht erhalten habe, sein Briefkasten stets ordnungsgemäß beschriftet gewesen sei und er in der Vergangenheit schon des Öfteren beobachtet habe, dass Postzustellungsumschläge durch die Zustellungsunternehmen oben auf der Briefkastenanlage abgelegt worden seien. Weitere Ausführungen zur üblichen Vorgehensweise des früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin bei der Entgegennahme von Post oder Zustellungsbriefen hat die Klägerin ebenso wenig gemacht wie zu den im vorliegenden Fall maßgeblichen Umständen der von dem früheren Zustellungsbevollmächtigten beobachteten Ablage von Zustellungsbriefen auf der Briefkastenanlage und den von ihm im Hinblick darauf getroffenen Vorkehrungen. Es fehlte damit bereits an der für eine Glaubhaftmachung notwendigen, aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der den Wiedereinsetzungsantrag begründenden Umstände.
Rz. 11
Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs auch nicht dadurch verletzt, dass es ihren Vortrag übergangen hat, wonach ihr früherer Prozessbevollmächtigter den Beschluss nicht nur nicht bekommen habe, sondern dieser niemals in seinen Geschäftsbriefkasten eingelegt worden sei. Durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung ihres früheren Prozessbevollmächtigen vom 20. August 2020 hat die Klägerin nämlich nur die Darlegung glaubhaft gemacht, dieser habe das Schriftstück trotz ordnungsgemäßer Beschriftung seines Briefkastens nicht zugestellt erhalten und ihm sei nicht näher bekannt, warum es ihm nicht zugegangen sei.
Rz. 12
bb) Soweit im Rechtsbeschwerdeverfahren erstmals dargelegt und glaubhaft gemacht wird, dass der frühere Prozessbevollmächtigte der Klägerin seinen Briefkasten stets selbst leert und welche Vorkehrungen er hierbei trifft oder getroffen hat, damit ihn Zustellungsbriefe erreichen, wird diese Schilderung den vorgenannten Anforderungen gerecht. Sie kann aber im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr berücksichtigt werden.
Rz. 13
Gemäß § 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO müssen alle Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sein können, innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden. Erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, können noch nach Fristablauf erläutert und vervollständigt werden (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 16. August 2016 - VI ZB 19/16, NJW 2016, 3312 Rn. 7). Eine solche Vervollständigung der Angaben kann auch noch mit der Rechtsbeschwerde erfolgen.
Rz. 14
Darum handelt es sich bei dem neuen Vortrag der Klägerin im Rechtsbeschwerdeverfahren aber nicht. Die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags war nicht unklar oder ergänzungsbedürftig; es mangelte vielmehr insgesamt an der notwendigen geschlossenen Schilderung aller Abläufe bei der Entgegennahme von Zustellungsbriefen. Wenn die insoweit darlegungspflichtige Partei nichts zur Posteingangskontrolle vorgetragen hat, ist das Gericht nicht nach § 139 Abs. 1 ZPO verpflichtet, auf den insoweit notwendigen Vortrag hinzuweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. August 2016 - VI ZB 19/16, NJW 2016, 3312 Rn. 9 zur Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes).
Rz. 15
cc) Eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs folgt auch nicht daraus, dass das Berufungsgericht ihr keine Frist zur Stellungnahme zum Schriftsatz des Beklagten vom 6. April 2021 gesetzt hat. Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt der an einem Rechtsstreit beteiligten Partei ein Recht darauf, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern, also grundsätzlich auch zu jeder dem Gericht unterbreiteten Stellungnahme der Gegenseite und deren Rechtsauffassung (st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, vgl. BVerfGE 60, 175, 210). Eine förmliche Fristsetzung durch das Gericht ist hierfür allerdings nicht erforderlich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Oktober 2011 - 2 BvR 1555/11, juris Rn. 4). Die Klägerin hatte vorliegend - auch ohne Fristsetzung - ausreichend Gelegenheit, auf den ihr mit Verfügung vom 3. September 2021 übermittelten Schriftsatz der Gegenseite zu erwidern,
Rz. 16
dd) Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Schoppmeyer |
|
Lohmann |
|
Schultz |
|
Selbmann |
|
Harms |
|
Fundstellen
Dokument-Index HI15585914 |