Leitsatz (amtlich)
Zur Wahrung der Berufungsbegründungsfrist genügt der Einwurf in einen Tages briefkasten des Berufungsgerichts.
Normenkette
ZPO § 519 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 14.11.1980) |
LG Hanau |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluß des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 14. November 1980 aufgehoben.
Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, jedoch werden Gerichtsgebühren nicht erhoben.
Beschwerdewert: 7.645,17 DM.
Gründe
Der Kläger hat gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts Hanau am 22. August 1980 rechtzeitig Berufung eingelegt und diese mit einem Schriftsatz vom 15. Oktober 1980 begründet. Dieser Schriftsatz hat den Eingangsstempel des Oberlandesgerichts vom 16. Oktober 1980 erhalten. Der Kläger hat rechtzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Er hat durch eidesstattliche Versicherung seines Korrespondenzanwalts Rechtsanwalt G. glaubhaft gemacht, daß dieser den Schriftsatz am 15. Oktober 1980 gegen 9.45 Uhr in den Tagesbriefkasten des Oberlandesgerichts eingeworfen hat. Dieser Briefkasten soll, wie die an ihm angebrachte Aufschrift besagt, montags bis freitags um 8, 12 und 16 Uhr geleert werden.
Das Oberlandesgericht hat die Wiedereinsetzung versagt und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Der Kläger hat sofortige Beschwerde eingelegt. Die Beklagte hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beschwerde ist begründet.
Das Berufungsgericht meint, Rechtsanwalt Gesser hätte die Berufungsbegründungsschrift zwecks Fristwahrung entweder bei der Geschäftsstelle abgeben oder in den Nachtbriefkasten einwerfen müssen. Dem kann nicht gefolgt werden.
Zwar ist in ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung früher die Auffassung vertreten worden, daß zur fristgerechten Einreichung eines fristwahrenden Schriftsatzes die Entgegennahme durch einen dazu befugten Beamten des betroffenen Gerichts erforderlich sei (vgl. u.a. RGZ 76, 127; RG JW 1938, 2153; BGHZ 2, 31; Senatsbeschlüsse vom 26. Oktober 1972 – VII ZB 8/72 = VersR 1973, 87; 5. Februar 1976 – VII ZB 20/75 –; 10. Juni 1976 – VII ZB 5/76 = VersR 1976, 1063). Der Senat hält daran aber nach erneuter Prüfung nicht fest. Er schließt sich vielmehr der gegenteiligen Auffassung des Bundesverfassungsgerichts an. Dieses hat in seiner Entscheidung BVerfGE 52, 203 = NJW 1980, 580 – mit weiteren Nachweisen – u.a. ausgeführt: Der Zugang zur nächsten Instanz darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert werden (so auch schon BVerfGE 40, 272, 275 = NJW 1976, 141; und öfter: neuerdings BVerfG Urteil vom 15. April 1980 – 2 BvR 970/79 –). Für die schriftliche Einlegung eines Rechtsmittels sieht die Zivilprozeßordnung eine Mitwirkung des Gerichts nicht vor. Eine „Annahme” des fristwahrenden Schriftsatzes durch das Gericht ist demnach nicht erforderlich. Es genügt die „Einreichung” durch die Partei bzw. deren Prozeßbevollmächtigten. Die bisherige Meinung, ein fristgebundenes Schriftstück gelte erst in dem Zeitpunkt als bei Gericht eingegangen, in dem es der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle dieses Gerichts amtlich in Empfang nimmt, kann daher nicht aufrechterhalten werden. Vielmehr genügt es, daß das Schriftstück noch innerhalb der Frist tatsächlich in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt. Das kann auch durch Einwurf in einen Tagesbriefkasten des Gerichts geschehen.
Die Wirkung des Zugangs bei dem Gericht durch Einwurf in einen Tagesbriefkasten des Gerichts ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß das Gericht – wie hier – den Briefkasten mit der Aufschrift versehen hat, Fristsachen seien in diesen Briefkasten nicht einzuwerfen, sondern „stets bei der zuständigen Geschäftsstelle abzugeben”. Dieser Hinweis beruht auf der früheren, vom Bundesverfassungsgericht mißbilligten und überholten Rechtsprechung; er ist daher unbeachtlich.
Nach alledem hat der Kläger die Berufungsbegründungsfrist nicht versäumt.
Das kann auch in der Beschwerdeinstanz noch festgestellt werden (vgl. BGH, Beschluß vom 23. Februar 1978 – VII ZB 21/77 = VersR 1978, 562, 563). Einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedarf es daher nicht.
Der sofortigen Beschwerde des Klägers ist nach alledem mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO stattzugeben, jedoch sind Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG nicht zu erheben.
Unterschriften
Vogt, Meise, Recken, Doerry, Bliesener
Fundstellen
Haufe-Index 1237734 |
BGHZ |
BGHZ, 62 |
Nachschlagewerk BGH |