Verfahrensgang

LG München I (Entscheidung vom 18.08.2021; Aktenzeichen 1 S 2103/20 WEG)

AG München (Entscheidung vom 22.01.2020; Aktenzeichen 485 C 11775/19 WEG)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts München I – 1. Zivilkammer – vom 18. August 2021 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 EUR.

 

Tatbestand

I.

Rz. 1

Die Klägerin, eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, nimmt die Beklagten auf Unterlassung der Nutzung einer Teileigentumseinheit als kulturelle Begegnungsstätte in Anspruch. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Urteil ist dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 23. Januar 2020 zugestellt worden. Deren zweitinstanzlicher Prozessbevollmächtigter hat fristgerecht gegen das Urteil, „zugestellt am 24. Januar 2020”, Berufung eingelegt und zugleich beantragt, die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO zu verlängern. Der Berufungsschrift war eine Abschrift des erstinstanzlichen Urteils beigefügt, die die handschriftlichen Vermerke „beA 23.01.20” „Berufungsfrist: 24.02.20” und „Begründungsfrist: 23.03.20” enthält. Mit Verfügung vom 27. Februar 2020 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle den Eingang der Berufung und sodann auf Basis der Angaben in der Berufungsschrift als Ende der Begründungsfrist den 24. März 2020 in der Gerichtsakte vermerkt. Am 3. März 2020 hat die Berichterstatterin die Berufungsbegründungsfrist „antragsgemäß verlängert”. Die Berufungsbegründung ist am 24. April 2020 bei dem Berufungsgericht eingegangen.

Rz. 2

Auf den Hinweis des Landgerichts, dass die Berufung unzulässig sei, weil die Berufungsbegründungsfrist nur bis zum 23. April 2020 verlängert worden sei, haben die Beklagten sich auf den Standpunkt gestellt, die Frist sei antragsgemäß bis zum 24. April 2020 verlängert worden. Hilfsweise haben sie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und geltend gemacht, ihr Prozessbevollmächtigter habe auf der Grundlage des von dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten auf der Urteilsabschrift vermerkten Zustelldatums das Ende der Berufungsbegründungsfrist ursprünglich korrekt mit „23.03.2020” im Fristenkalender eingetragen. Zur Überprüfung der Frist habe er Einsicht in die Gerichtsakte genommen und dabei die gerichtliche Verfügung vom 27. Februar 2020 als Auskunft verarbeiten dürfen. Im Vertrauen auf die Berechnung der Frist durch das Berufungsgericht habe er als neues Fristende den 24. April 2020 notiert.

Rz. 3

Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wenden sich die Beklagten mit der Rechtsbeschwerde. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

 

Entscheidungsgründe

II.

Rz. 4

Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung u.a. in ZWE 2022, 87 veröffentlicht ist, meint, die Berufung sei nicht fristgerecht begründet worden. Die Berufungsbegründungsfrist sei nur bis zum 23. April 2020 verlängert worden. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO lägen nicht vor. Die Beklagten müssten sich ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Dieser habe die Berufungsbegründungsfrist fehlerhaft berechnet. Es begründe einen Verschuldensvorwurf, dass der Prozessbevollmächtigte in der Berufungsschrift angegeben habe, die Zustellung des Urteils sei am 24. Januar 2020 erfolgt. Die fehlerhafte Angabe habe zu dem falschen Fristenvermerk der Geschäftsstelle vom 27. Februar 2020 geführt.

Rz. 5

Auch nach Eingang der Gerichtsakten sei das Gericht nicht verpflichtet gewesen, die Richtigkeit des in der Berufungsschrift mitgeteilten Zustelldatums und den gerichtsinternen Fristenvermerk zu überprüfen. Dass die Versäumung der Begründungsfrist drohte, sei nicht offensichtlich gewesen.

III.

Rz. 6

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

Rz. 7

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Beklagten ist unzulässig, weil es an den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Insbesondere ist der Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert worden (vgl. Senat, Beschluss vom 12. November 2020 – V ZB 32/20, NJW-RR 2021, 506 Rn. 4). Die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Beklagten die Berufung nicht fristgerecht begründet haben (§ 520 Abs. 1 ZPO) und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO nicht zu gewähren ist, lässt zulassungsrelevante Rechtsfehler nicht erkennen.

Rz. 8

1. Die Annahme, die Berufungsbegründungsfrist sei gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO nur bis zum 23. April 2020 und nicht bis zum 24. April 2020 verlängert worden, hält sich im Rahmen der vertretbaren tatrichterlichen Würdigung. Weil eine Partei im Zweifel einen zulässigen Antrag stellen will, durfte das Berufungsgericht den Antrag des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO zu verlängern, so auslegen, dass die ohne Einwilligung des Gegners längstmögliche Fristverlängerung erstrebt war. Nach diesem Verständnis war nicht das angegebene, sondern das zutreffende und zudem in der Anlage zu dem Schriftsatz genannte Zustelldatum des 23. Januar 2020 als für den Beginn der Berufungsbegründungsfrist maßgebliches Datum gemeint, so dass die Fristverlängerung nur bis zum 23. April 2020 beantragt war. Indem das Berufungsgericht die Frist „antragsgemäß” verlängert hat, hat es den so verstandenen Antrag des Berufungsklägers zum Inhalt der Fristverlängerung gemacht (vgl. BGH, Beschluss vom 30. April 2008 – III ZB 85/07, NJW-RR 2008, 1162 Rn. 2; Beschluss vom 2. Juni 2016 – III ZB 13/16, NJOZ 2017, 261 Rn. 7). Die danach am 23. April 2020 endende Frist ist mit dem am 24. April 2020 eingegangenen Schriftsatz der Beklagten nicht gewahrt worden.

Rz. 9

3. Die Versagung der Wiedereinsetzung wegen eines der Beklagten zurechenbaren Verschuldens ihres Prozessbevollmächtigten (§ 233 Satz 1, § 85 Abs. 2 ZPO) steht ebenfalls im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Rz. 10

a) Es begründet einen Verschuldensvorwurf, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten von einer Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils am 24. März 2020 ausgegangen ist und den Ablauf der gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO um einen Monat verlängerten Frist auf den 24. April 2020 berechnet hat. Der mit der Einlegung der Berufung beauftragte Rechtsanwalt muss in eigener Verantwortung die für die Berechnung der Berufungsfrist maßgebenden Daten überprüfen und das Zustellungsdatum zuverlässig feststellen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 1990 – VIII ZB 24/90, NJW-RR 1991, 91; Beschluss vom 25. Mai 1993 – VI ZB 32/92, VersR 1994, 199). Daran fehlt es. Zur Ermittlung des Zustelldatums war die Verfügung der Geschäftsstelle vom 27. Februar 2020 schon deshalb nicht geeignet, weil das darin notierte Datum ersichtlich auf der Angabe des Prozessbevollmächtigen in der Berufungsschrift beruhte.

Rz. 11

b) Rechtsfehlerfrei bejaht das Berufungsgericht die Kausalität zwischen dem Verschulden und der Fristversäumung. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde war es nach Eingang der Gerichtsakten nicht aufgrund der prozessualen Fürsorgepflicht gehalten, die Beklagten darauf hinzuweisen, dass das angefochtene Urteil am 23. März 2020 zugestellt worden ist.

Rz. 12

aa) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung besteht keine generelle Fürsorgepflicht des unzuständigen Rechtsmittelgerichts, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Dezember 2021 – V ZB 12/21, MDR 2022, 261 Rn. 6). Ein Gericht ist vielmehr nur unter besonderen Umständen gehalten, einer drohenden Fristversäumnis seitens der Partei entgegenzuwirken (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Juli 2021 – V ZB 71/20, NJW-RR 2021, 1317 Rn. 7; BGH, Beschluss vom 20. Juni 2012 – IV ZB 18/11, NJW-RR 2012, 1269 Rn. 13; Beschluss vom 15. Juni 2004 – VI ZB 9/04, NJW-RR 2004, 1364 mwN).

Rz. 13

bb) Solche Umstände sind nicht gegeben. Auf das unzutreffende Zustelldatum hätte das Berufungsgericht den Prozessbevollmächtigten nur dann hinweisen müssen, wenn der Fehler und die damit drohende Fristversäumnis offensichtlich gewesen wäre. Daran fehlt es. Für das Berufungsgericht war ohne nähere Prüfung, zu der es für die Entscheidung über die Fristverlängerung nicht verpflichtet war, nicht ersichtlich, ob die Angabe des 24. Januar 2020 als Zustellungsdatum in der Berufungsschrift schlicht auf einem Schreibfehler beruhte, oder ob der Prozessbevollmächtigte den Fristbeginn falsch in den Fristenkalender eingetragen hatte und die Gefahr einer falschen Fristberechnung und damit der Fristversäumnis bestand (vgl. auch BSG, NJW 2005, 1303, 1305). Ein bloßer Schreibfehler lag sogar besonders nahe, weil auf der der Berufungsschrift beigefügten Abschrift des angefochtenen Urteils als Zustelldatum der 23. Januar 2020 vermerkt war.

IV.

Rz. 14

Den Streitwert hat der Senat gemäß § 3 ZPO (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 9. Dezember 2021 – V ZR 112/21, MDR 2022, 227 Rn. 4 u. 5) mangels anderer Anhaltspunkt in Anlehnung an die Entscheidung des Berufungsgerichts festgesetzt.

 

Unterschriften

Brückner, Haberkamp, Hamdorf, Malik, Laube

 

Fundstellen

Haufe-Index 15222105

MDR 2022, 907

BRAK-Mitt. 2022, 202

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