Leitsatz (amtlich)
Der Berufungsführer kann sich im Wiedereinsetzungsverfahren nicht mit Erfolg auf sein Vertrauen in die Gewährung einer (erstmaligen) Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist berufen, wenn sein Prozessbevollmächtigter in dem (nicht auf die Einwilligung des Gegners gestützten) Fristverlängerungsantrag keinen Grund für die Notwendigkeit der Fristverlängerung angegeben hat. Vielmehr muss der Prozessbevollmächtigte des Berufungsführers in einem solchen Fall damit rechnen, dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts in einem nicht mit erheblichen Gesichtspunkten begründeten Antrag auf Verlängerung der Frist eine Verzögerung des Rechtsstreits sehen und das Gesuch deshalb ablehnen werde (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 7. Oktober 1992 - VIII ZB 28/92, NJW 1993, 134 unter 2 a; BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2007 - IV ZR 132/06, juris Rn. 7 und vom 20. August 2019 - X ZB 13/18, NJW-RR 2019, 1392 Rn. 12).
Normenkette
ZPO § 85 Abs. 2, § 233 S. 1, § 520 Abs. 2 Sätze 2-3
Verfahrensgang
OLG Hamm (Entscheidung vom 31.08.2020; Aktenzeichen I-2 U 193/20) |
LG Essen (Entscheidung vom 23.04.2020; Aktenzeichen 2 O 407/19) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 31. August 2020 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 24.949,22 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung für die Lieferung von Inventar für einen Verkaufsraum, von Baumaterialien und Werkzeugen sowie auf Zahlung einer Software-Wartungspauschale in Anspruch. Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht gegen die Beklagte einen Vollstreckungsbescheid erlassen. Das Landgericht hat den Einspruch der Beklagten als unzulässig verworfen. Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 11. Mai 2020 zugestellte Urteil des Landgerichts hat die Beklagte fristgerecht Berufung eingelegt. Mit einem am 23. Juni 2020 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten unter Beifügung der ersten Seite seiner Berufungsschrift angefragt, ob es bereits ein Aktenzeichen gebe. Das Berufungsgericht hat am 3. Juli 2020 ein Schreiben abgesandt, mit welchem den Prozessbevollmächtigten beider Parteien das Aktenzeichen des Berufungsverfahrens mitgeteilt wurde.
Rz. 2
Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2020, bei dem Berufungsgericht am selben Tag über Telefax eingegangen, hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten um Verlängerung der - am 13. Juli 2020 abgelaufenen - Frist zur Berufungsbegründung bis zum 15. August 2020 wegen Urlaubs vom 13. bis zum 27. Juli 2020 gebeten. Zugleich hat er beantragt, der Beklagten gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat er ausgeführt, dass nach der Berufungseinlegung mehrfach, unter anderem mit Telefax vom 23. Juni und 10. Juli 2020, um Mitteilung des Aktenzeichens des Berufungsgerichts gebeten worden sei. Bis zum Urlaubsantritt am 13. Juli 2020 sei ein Eingangsvermerk oder Aktenzeichen indes nicht mitgeteilt worden. Das Schreiben des Berufungsgerichts vom 3. Juli 2020 sei erst am 14. Juli 2020 eingegangen, da es vom Berufungsgericht offenbar versehentlich an eine Anwaltskanzlei in A. geleitet worden sei, die es nach dem dort am 8. Juli 2020 erfolgten Eingang per Post weitergeleitet habe.
Rz. 3
Mit Beschluss vom 20. Juli 2020 hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, den Wiedereinsetzungs- und den Fristverlängerungsantrag abzulehnen und die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine rechtzeitige Berufungsbegründung nicht vorliege, der Fristverlängerungsantrag mittels Telefax erst am 14. Juli 2020 und damit nach Ablauf der ursprünglichen Berufungsbegründungsfrist eingegangen und die von der Beklagten mit einer fehlenden Kenntnis vom Aktenzeichen des Berufungsgerichts begründete Fristversäumnis nicht unverschuldet sei.
Rz. 4
Mit dem - bei dem Berufungsgericht am selben Tag über Telefax eingegangenen - Schriftsatz vom 27. Juli 2020 hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten weiter zu seinem Wiedereinsetzungsantrag vorgetragen: Die Angelegenheit habe erst nach der heutigen Urlaubsrückkehr des Prozessbevollmächtigten und der Kanzleimitarbeiterin aufgeklärt werden können. Am 10. Juli 2020 - einem Freitag - sei neben der Bitte um Mitteilung des Aktenzeichens vorsorglich auch ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gestellt worden. Die mit der Versendung beider Schriftsätze mittels Telefax betraute Kanzleimitarbeiterin habe lediglich das Gesuch um Übermittlung des Aktenzeichens gefaxt, nicht aber den Fristverlängerungsantrag. Gleichwohl habe sie dem Prozessbevollmächtigten, der das Büro am Mittag bereits verlassen gehabt habe, die Erledigung der Aufträge telefonisch bestätigt, die verlängerte Berufungsbegründungsfrist eingetragen und die - ursprüngliche - Berufungsbegründungsfrist gestrichen. Der Prozessbevollmächtigte hat beantragt, Wiedereinsetzung zu gewähren und die Berufungsbegründungsfrist bis zum 15. August 2020 zu verlängern. "Vorsorglich" hat er Ausführungen zur Begründung der Berufung gemacht und eine weitere Begründung nach Verlängerung der Frist angekündigt. Der dem Schriftsatz vom 27. Juli 2020 in Kopie beigefügte Fristverlängerungsantrag vom 10. Juli 2020 nennt im Rubrum die Parteien mit dem Zusatz "-Berufung-" und umfasst lediglich den Satz:
"wird vorsorglich um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 15.08.2020 gebeten."
Rz. 5
Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist abgelehnt, das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es - soweit im Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 6
Die Beklagte habe die Berufung nicht fristgemäß begründet; die mit Telefax vom 27. Juli 2020 übersandte Berufungsbegründung sei erst nach Ablauf der Begründungsfrist eingegangen. Raum für eine Fristverlängerung bestehe nicht. Der Verlängerungsantrag sei mittels Telefax am 14. Juli 2020 und damit erst nach Fristablauf eingegangen; er müsse jedoch vor Fristablauf gestellt werden.
Rz. 7
Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei zwar zulässig, aber unbegründet. Die Beklagte habe die Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt, wobei ihr das anwaltliche Verschulden nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei. Das Vorbringen aus dem Schriftsatz vom 27. Juli 2020 rechtfertige eine Wiedereinsetzung nicht. Zwar sei noch ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass der Prozessbevollmächtigte die gut geschulte, zuverlässige und entsprechend überwachte Kanzleimitarbeiterin mit der Übersendung des Schreibens vom 10. Juli 2020 betraut habe. Gleichwohl sei der Antrag unbegründet. Zu einem begründeten Wiedereinsetzungsantrag habe auch die Darlegung gehört, dass die versäumte Handlung für die Beklagte den gewünschten und beantragten Erfolg gehabt hätte, vorliegend also die Berufungsbegründungsfrist auf das Schreiben vom 10. Juli 2020 antragsgemäß verlängert worden wäre. Hieran fehle es. Erhebliche Gründe seien nicht dargelegt, da der Fristverlängerungsantrag keinerlei Begründung enthalte. Dass die Fristverlängerung wegen eines Urlaubs beantragt worden sei, ergebe sich erst aus dem außerhalb der Frist eingegangenen Schriftsatz vom 14. Juli 2020. Auch hätte die Fristverlängerung den Rechtsstreit um mindestens einen Monat verzögert. Da der Antrag keine Begründung enthalte, habe der Prozessbevollmächtigte nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Vorsitzende eine Verzögerung des Rechtsstreits nicht annehmen werde.
Rz. 8
Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 9
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte und auch den Form- und Fristerfordernissen genügende Rechtsbeschwerde der Beklagten ist unzulässig. Denn die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei der Rechtsbeschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung ablehnenden und die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 20. März 2018 - VIII ZB 31/17, juris Rn. 1 [zur Wiedereinsetzung]; vom 14. April 2020 - VIII ZB 27/19, juris Rn. 1 [zur Berufung]; jeweils mwN; vom 11. Mai 2021 - VIII ZB 9/20, NJW 2021, 2201 Rn. 15), sind nicht erfüllt. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
Rz. 10
1. Insbesondere verletzt der Beschluss des Berufungsgerichts entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht die Beklagte in ihren Ansprüchen auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) und auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).
Rz. 11
a) Die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) verbieten es den Gerichten, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden beziehungsweise die den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (st. Rspr.; vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 25. August 2015 - 1 BvR 1528/14, juris Rn. 9 ff.; Senatsbeschlüsse vom 16. Januar 2018 - VIII ZB 61/17, NJW 2018, 1022 Rn. 10 f.; vom 4. September 2018 - VIII ZB 70/17, NJW-RR 2018, 1325 Rn. 9; vom 22. Juni 2021 - VIII ZB 56/20, juris Rn. 13; jeweils mwN).
Rz. 12
b) Gemessen hieran verletzen die Versagung einer Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist und die Verwerfung der Berufung als unzulässig die Beklagte in ihren vorgenannten Verfahrensgrundrechten nicht. Das Berufungsgericht ist im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs davon ausgegangen, dass die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem der Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruht und deshalb die Gewährung einer Wiedereinsetzung nach § 233 Satz 1 ZPO ausscheidet. Die von der Beklagten mit ihrem Wiedereinsetzungsgesuch vorgebrachten Umstände rechtfertigen die Annahme einer unverschuldeten Fristversäumnis nicht.
Rz. 13
aa) Soweit die Beklagte den Wiedereinsetzungsantrag vom 14. Juli 2020 zunächst darauf gestützt hat, dass ihrem Prozessbevollmächtigten trotz entsprechender Bitten bis zu dessen Urlaubsantritt am 13. Juli 2020 - dem letzten Tag der ursprünglichen Berufungsbegründungsfrist - das Aktenzeichen des Berufungsgerichts nicht mitgeteilt worden sei, wird die eine Wiedereinsetzung ablehnende Entscheidung des Berufungsgerichts von der Rechtsbeschwerde nicht angefochten. Im Übrigen steht die diesbezügliche Beurteilung des Berufungsgerichts in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Beschluss vom 10. März 2020 - AnwZ (Brfg) 67/19, juris Rn. 6 mwN).
Rz. 14
bb) Die Rechtsbeschwerde wendet sich lediglich dagegen, dass das Berufungsgericht das mit Schriftsatz vom 27. Juli 2020 geltend gemachte Wiedereinsetzungsgesuch der Beklagten wegen einer versehentlich unterbliebenen Absendung des Fristverlängerungsantrags ihres Prozessbevollmächtigten vom 10. Juli 2020 zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen hat. Das Berufungsgericht ist insoweit ohne Verletzung von Verfahrensgrundrechten der Beklagten zu der Annahme gelangt, dass die unterbliebene Begründung dieses Verlängerungsantrags der Gewährung einer Wiedereinsetzung in die am 13. Juli 2020 abgelaufene Berufungsbegründungsfrist entgegensteht. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten konnte sich unter den im Streitfall gegebenen Umständen im Wiedereinsetzungsverfahren nicht auf ein Vertrauen in die Gewährung der Fristverlängerung und damit auf eine unverschuldete Versäumung der Berufungsbegründungsfrist berufen.
Rz. 15
(1) Wenn ein Rechtsanwalt erkennt, dass er eine Frist zur Rechtsmittelbegründung nicht einhalten kann, muss er durch einen rechtzeitig gestellten Antrag auf Fristverlängerung dafür Sorge tragen, dass ein Wiedereinsetzungsgesuch gar nicht erst notwendig wird. Die Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist und die Wiedereinsetzung in eine solche Frist sind nicht zwei gleichrangige Möglichkeiten, zwischen denen ein Rechtsanwalt im Verhinderungsfall wählen könnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. März 2010 - XII ZB 166/09, FamRZ 2010, 879 Rn. 15; vom 1. Juli 2013 - VI ZB 18/12, NJW 2013, 3181 Rn. 9; vom 27. Mai 2021 - III ZB 64/20, NJW-RR 2021, 1143 Rn. 10; jeweils mwN).
Rz. 16
Nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Frist zur Berufungsbegründung ohne Einwilligung des Gegners - auf diese hat sich die Beklagte im Streitfall nicht berufen - auf Antrag um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Zwar muss ein Berufungsführer grundsätzlich damit rechnen, dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf er jedoch im Allgemeinen darauf vertrauen, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn dieser auf erhebliche Gründe im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestützt wird (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschlüsse vom 26. Januar 2017 - IX ZB 34/16, NJW-RR 2017, 564 Rn. 10; vom 22. Juni 2021 - VIII ZB 56/20, juris Rn. 23). Das setzt zunächst die Zulässigkeit und weiter die Vollständigkeit des Fristverlängerungsantrags voraus (vgl. für § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO BGH, Beschlüsse vom 26. Juli 2012 - III ZB 57/11, NJW-RR 2012, 1462 Rn. 14; vom 1. Juli 2013 - VI ZB 18/12, NJW 2013, 3181 Rn. 25; siehe auch Senatsbeschluss vom 16. Januar 2018 - VIII ZB 61/17, NJW 2018, 1022 Rn. 14 f. [zur Dauer der Fristverlängerung]). Hierzu gehört auch die Darlegung eines erheblichen Grunds für die Notwendigkeit der Fristverlängerung, an die bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (Senatsbeschluss vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 12 mwN). Insoweit reicht der bloße Hinweis auf einen als erheblich anerkannten Grund aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf (vgl. Senatsbeschlüsse vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 69/16, aaO Rn. 13 und 17 f.; vom 22. Juni 2021 - VIII ZB 56/20, aaO).
Rz. 17
Sind diese Voraussetzungen gegeben, kann sich der Berufungsführer im Wiedereinsetzungsverfahren mit Erfolg auf sein Vertrauen in die Fristverlängerung berufen, da er deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten konnte (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 69/16, aaO Rn. 11 f.). Hierfür ist nicht erforderlich, dass er sich innerhalb der noch laufenden (nicht verlängerten) Berufungsbegründungsfrist durch Nachfrage beim Berufungsgericht über eine Verlängerung der Frist erkundigt hat (Senatsbeschlüsse vom 11. November 1998 - VIII ZB 24/98, NJW 1999, 430 unter II 1 c; vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 69/16, aaO Rn. 19 mwN; vom 22. Juni 2021 - VIII ZB 56/20, aaO Rn. 32 ff. mwN).
Rz. 18
(2) Nach diesem Maßstab konnte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht damit rechnen, dass seinem - vermeintlich eingereichten - Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben werde. Denn er hat, wie das Berufungsgericht zutreffend festgestellt hat, in seinem Antrag einen erheblichen Grund für die Gewährung einer Fristverlängerung nicht dargelegt. Vielmehr entbehrt der mit dem Wiedereinsetzungsantrag eingereichte Schriftsatz vom 10. Juli 2020, mit dem der Prozessbevollmächtigte der Beklagten eine Fristverlängerung hat erreichen wollen, jeglicher Begründung zur Notwendigkeit einer Fristverlängerung und genügt selbst der niedrigen Schwelle der Anforderungen nicht, welche die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an die Darlegung eines erheblichen Grunds im Sinne von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO stellt. Somit musste der Prozessbevollmächtigte der Beklagten damit rechnen, dass der Senatsvorsitzende in einem nicht mit erheblichen Gesichtspunkten begründeten Antrag auf Verlängerung der Frist eine Verzögerung des Rechtsstreits sehen und das Gesuch deshalb ablehnen werde (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. August 2019 - X ZB 13/18, NJW-RR 2019, 1392 Rn. 12; vom 18. Juli 2007 - IV ZR 132/06, juris Rn. 7; siehe auch Senatsbeschluss vom 7. Oktober 1992 - VIII ZB 28/92, NJW 1993, 134 unter [III] 2 a).
Rz. 19
Darauf, ob der - nach dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsverfahren versehentlich nicht eingereichte - Fristverlängerungsantrag vom 10. Juli 2020 tatsächlich wegen einer Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten oder wegen seiner Urlaubsabwesenheit gerechtfertigt gewesen wäre, kommt es nicht an (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 - IV ZR 132/06, aaO). Beide Umstände zählen zwar zu den als erheblich im Sinne von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO anerkannten Gründen (Senatsbeschlüsse vom 10. März 2009 - VIII ZB 55/06, NJW-RR 2009, 933 Rn. 12; vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 12; jeweils mwN). Indes war weder der Fristverlängerungsantrag hierauf gestützt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 1997 - V ZB 26/97, NJW-RR 1998, 573 unter II 2) noch hatte der Prozessbevollmächtigte eine der Erstellung und Einreichung der Berufungsbegründung entgegenstehende Urlaubsabwesenheit oder Arbeitsüberlastung dem Berufungsgericht bis zum Ablauf der am 13. Juli 2020 endenden ursprünglichen Berufungsbegründungsfrist anderweitig bekannt gegeben. Das Berufungsgericht musste auch nicht etwa eine Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten, der einen solchen Verlängerungsantrag stellt, ohne weiteres als Grund des Antrags vermuten (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 69/16, aaO Rn. 15; siehe auch BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 - IV ZR 132/06, aaO).
Rz. 20
Dass in dem nach Fristablauf, aber noch vor Erlass der angegriffenen Entscheidung des Berufungsgerichts eingegangenen Schriftsatz vom 14. Juli 2020 zur Begründung des dort gestellten Wiedereinsetzungs- und Fristverlängerungsantrags nachträglich ein Urlaub des Prozessbevollmächtigten der Beklagten in dem Zeitraum vom 13. bis zum 27. Juli 2020 erwähnt ist, führt entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde zu keiner anderen Bewertung. Im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsgericht eine Wiedereinsetzung der Beklagten in die versäumte Berufungsbegründungsfrist deshalb versagt, weil sich ihr Prozessbevollmächtigter mangels Angabe eines Grunds für die Notwendigkeit einer Fristverlängerung in seinem Verlängerungsantrag vom 10. Juli 2020 nicht bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist darauf verlassen konnte und durfte, der Vorsitzende werde bei pflichtgemäßer Ausübung seines Ermessens die Fristverlängerung gewähren.
Rz. 21
Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein Berufungskläger die innerhalb der Berufungsbegründungsfrist beantragte Verlängerung dieser Frist nur dann mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten, wenn es sich um einen ersten Verlängerungsantrag handelt und er darin gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO erhebliche Gründe für die beantragte Verlängerung darlegt (BGH, Beschlüsse vom 20. August 2019 - X ZB 13/18, NJW-RR 2019, 1392 Rn. 12; vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 12 ff.; vom 14. September 2021 - VI ZB 58/19, juris Rn. 12; jeweils mwN). Eine erst danach erfolgende Darlegung erheblicher Gründe vermag die erforderliche Vertrauensgrundlage nicht nachträglich zu schaffen. Vielmehr muss der Rechtsmittelführer bei einem nicht begründeten Antrag auf Fristverlängerung mit einer Ablehnung seines Antrags rechnen (BGH, Beschluss vom 20. August 2019 - X ZB 13/18, aaO mwN).
Rz. 22
Anders als die Rechtsbeschwerde meint, wirft die Sache damit nicht die angeblich klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf, ob es für den Erfolg eines Wiedereinsetzungsgesuchs lediglich auf den Grund für den nicht rechtzeitigen Eingang des Fristverlängerungsantrags ankommt oder zusätzlich auf die Einhaltung der formalen Anforderungen eines Fristverlängerungsgesuchs beziehungsweise ob nachträglich nach Fristablauf vorgebrachte erhebliche Gründe für eine Fristverlängerung zu berücksichtigen wären.
III.
Rz. 23
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Fetzer |
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Dr. Bünger |
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Kosziol |
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Dr. Matussek |
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Dr. Reichelt |
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Fundstellen
Haufe-Index 14988588 |
NJW 2022, 10 |
NJW-RR 2022, 201 |
IBR 2022, 102 |
JurBüro 2022, 220 |
JZ 2022, 105 |
MDR 2022, 184 |
MDR 2022, 349 |
NJ 2022, 124 |
ErbR 2022, 354 |
NZFam 2022, 182 |
NZFam 2022, 5 |