Verfahrensgang
LG Hamburg (Entscheidung vom 14.09.2020; Aktenzeichen 329 T 21/20) |
AG Hamburg (Entscheidung vom 14.02.2020; Aktenzeichen 219d XIV 56/20) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg - Zivilkammer 29 - vom 14. September 2020 aufgehoben, soweit darin die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 14. Februar 2020 zurückgewiesen worden ist.
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 14. Februar 2020 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Freien und Hansestadt Hamburg auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe
Rz. 1
I. Der Betroffene, ein malischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2012 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein; ihm wurde zunächst eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Mit Bescheid vom 4. Februar 2019 lehnte die Ausländerbehörde die Erteilung einer erneuten Aufenthaltserlaubnis ab und setzte ihm eine Frist zur Ausreise. Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 6. Februar 2020 im Wege der einstweiligen Anordnung die Freiheitsentziehung des Betroffenen zur Sicherung der Abschiebung nach Mali bis zum Ablauf des 27. Februar 2020 an. Der Betroffene wurde am 13. Februar 2020 in Gewahrsam genommen.
Rz. 2
Nach Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde mit Beschluss vom 14. Februar 2020 gegen diesen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 27. Februar 2020 angeordnet. Die dagegen vom Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen eingelegte, nach Ablauf der angeordneten Haftzeit auf Feststellung gerichtete Beschwerde hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene sein Begehren weiter.
Rz. 3
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
Rz. 4
1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Haftanordnung des Amtsgerichts sei rechtmäßig. Das Amtsgericht habe das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren nicht verletzt. Zwar sei aus der Gerichtsakte ersichtlich gewesen, dass der Betroffene in der Vergangenheit von einer Rechtsanwältin S aus B vertreten worden sei; deren in der Ausländerakte befindliche Vollmacht habe sich jedoch ausschließlich auf Fragen des Aufenthaltsrechts bezogen, sodass die Vertretung in der Haftsache davon nicht notwendig umfasst gewesen und das Amtsgericht nicht verpflichtet gewesen sei, sie zum Anhörungstermin zu laden. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht den angefochtenen Beschluss erlassen habe, obwohl der Betroffene vor Beendigung der Anhörung erklärt habe, ohne seine Anwältin nichts mehr sagen zu wollen. Da zu diesem Zeitpunkt bereits die Stellungnahme des Betroffenen zu allen für die Entscheidung relevanten Sachfragen erfolgt gewesen sei, habe das Amtsgericht ihn nicht so verstehen müssen, dass er die Verhandlung nun unterbrechen und erst in Anwesenheit seines Rechtsbeistands fortsetzen wolle.
Rz. 5
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens durch das Amtsgericht.
Rz. 6
a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen. Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen. Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. zuletzt BGH, Beschlüsse vom 25. April 2022 - XIII ZB 50/21, NVwZ-RR 2022, 885 Rn. 6; vom 28. Februar 2023 - XIII ZB 70/21, Asylmagazin 2023, 275 Rn. 9, jew. mwN). Gleiches gilt, wenn der Betroffene im Verlauf der persönlichen Anhörung erklärt, einen Rechtsanwalt zu Rate ziehen zu wollen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. April 2022 - XIII ZB 34/21, juris Rn. 6 f.; vom 25. Oktober 2022 - XIII ZB 18/20, juris Rn. 6, jew. mwN).
Rz. 7
b) Diesen Maßstäben hat die Verfahrensweise des Amtsgerichts nicht entsprochen. Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend geltend macht, hätte das Amtsgericht Rechtsanwältin S zu dem Anhörungstermin laden und ihr die Teilnahme an diesem Termin ermöglichen müssen. Rechtsanwältin S ist sowohl im Haftantrag der beteiligten Behörde als auch im Rubrum des Beschlusses des Amtsgerichts vom 6. Februar 2020 über die einstweilige Haftanordnung als Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen aufgeführt. Schon deshalb musste das Amtsgericht davon ausgehen, dass sie seine Interessen auch in den (folgenden) Haftverfahren wahrnehmen sollte. Aus dem Vorliegen einer nur auf aufenthaltsrechtliche Fragen bezogenen Vollmacht zugunsten von Rechtsanwältin S in der Ausländerakte konnte das Amtsgericht keine abweichenden Schlüsse ziehen, weil im Verwaltungsverfahren kein Anlass für die Vorlage einer Vollmacht für ein (etwaiges) Haftverfahren bestand. Jedenfalls nachdem der Betroffene - wie sich aus dem Anhörungsprotokoll ergibt - zu Beginn seiner Anhörung erklärt hatte, er habe sich einen Anwalt genommen, hätte das Amtsgericht aufklären müssen, ob er diesen Rechtsanwalt zu der Anhörung hinzuziehen wollte. Es durfte nicht aus dem Umstand, dass der Betroffene weiter an der Anhörung mitwirkte, auf einen Verzicht schließen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2022 - XIII ZB 1/21, juris Rn. 11 mwN).
Rz. 8
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
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