Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzung Einigungsgebühr. Notwendigkeit der Protokollierung eines Vergleichs
Leitsatz (amtlich)
Für die Festsetzbarkeit einer Einigungsgebühr reicht es aus, dass glaubhaft gemacht wird, dass die Parteien eine Vereinbarung im Sinne von Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV geschlossen haben. Die Protokollierung eines als Vollstreckungstitel tauglichen Vergleichs nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist nicht erforderlich.
Normenkette
RVG VV Nr. 1000 Abs. 1 S. 1; ZPO § 104 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 11. Zivilsenats des OLG Karlsruhe vom 29.3.2006 abgeändert.
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Karlsruhe vom 4.7.2005 - 8 O 607/04 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
Beschwerdewert: 412 EUR
Gründe
[1] I. Der Kläger hat die Beklagte vor dem LG Karlsruhe auf Zahlung einer Vertragsstrafe von 8.000 EUR nebst Zinsen in Anspruch genommen. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Beklagtenvertreter ausweislich des Protokolls nach ausgiebiger Erörterung des Sach- und Streitstandes: "Für den Fall, dass der Kläger seine Klage zurücknehmen sollte, ist die Beklagte bereit, an ihn außergerichtlich weitere 1.000 EUR zu bezahlen." "Daraufhin" erklärte der Klägervertreter, dass er die Klage zurücknehme. Dem Kläger wurden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Die Beklagte beantragte im Kostenfestsetzungsverfahren die Festsetzung einer Einigungsgebühr nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1, 1003 RVG-VV. Dem hat das LG mit Beschluss vom 4.6.2005 entsprochen. Auf die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das OLG den Kostenfestsetzungsbeschluss abgeändert und die Einigungsgebühr aberkannt. Mit der vom OLG zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 4.7.2005.
[2] II. Die nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Zugunsten der Beklagten ist eine Einigungsgebühr nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV festzusetzen.
[3] 1. Das OLG hat die Ansicht vertreten, die Festsetzung einer Einigungsgebühr scheide aus, da Voraussetzung der Festsetzbarkeit die Protokollierung eines als Vollstreckungstitel tauglichen Vergleichs nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sei, woran es im vorliegenden Fall fehle.
[4] 2. Das hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Durch den Inhalt des Verhandlungsprotokolls ist das Entstehen einer Einigungsgebühr glaubhaft gemacht. Damit ist sie als Teil der notwendigen Kosten des Rechtsstreits i.S.d. § 91 ZPO zugunsten der Beklagten festzusetzen.
[5] a) Noch zutreffend geht das OLG davon aus, dass die Einigungsgebühr entstanden ist. Die Parteien haben eine Vereinbarung im Sinne von Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV geschlossen. Das Angebot der Beklagten zur außergerichtlichen Zahlung von 1.000 EUR bei Klagerücknahme war ein Vertragsangebot, das der Kläger durch die umgehende Rücknahme der Klage konkludent angenommen hat.
[6] Nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV entsteht die Einigungsgebühr, wenn der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis durch Abschluss eines Vertrages unter Mitwirkung des Rechtsanwalts beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht. Der Vertrag kann auch stillschweigend geschlossen werden und ist nicht formbedürftig, sofern dies materiell-rechtlich nicht besonders vorgeschrieben ist. Die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV soll die frühere Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO ersetzen und gleichzeitig inhaltlich erweitern. Während die Vergleichsgebühr nach § 23 BRAGO durch Verweisung auf § 779 BGB ein gegenseitiges Nachgeben voraussetzte, soll die Einigungsgebühr jegliche vertragliche Beilegung eines Streits der Parteien honorieren und dadurch einen Anreiz schaffen, diesen Weg der Erledigung eines Rechtsstreits zu beschreiten. Durch den Wegfall der bis dahin geltenden Voraussetzung des gegenseitigen Nachgebens wird insb. der in der Vergangenheit häufig ausgetragene Streit darüber vermieden, welche Abrede noch und welche nicht mehr als gegenseitiges Nachgeben zu bewerten ist (BT-Drucks. 15/1971, 147, 204). Unter der Geltung des RVG kommt es deswegen nicht mehr auf einen Vergleich i.S.v. § 779 BGB, sondern nur noch auf eine Einigung an (vgl. BGH, Urt. v. 10.10.2006 - VI ZR 280/05, MDR 2007, 492 = BGHReport 2007, 183 f.; Hartmann, Kostengesetze 37. Aufl. Nr. 1000 RVG-VV Rz. 5 und 10; von Eicken in Gerold/Schmidt, RVG 17. Aufl. Nr. 1000 RVG-VV Rz. 3 f.; Madert/Müller-Raabe, NJW 2006, 1927, 1929 f.). Durch die zusätzliche Gebühr soll die mit der Einigung verbundene Mehrbelastung und erhöhte Verantwortung des beteiligten Rechtsanwalts vergütet werden; zudem soll die Belastung der Gerichte gemindert werden (BGH a.a.O. Tz. 5 m.w.N.). Die Einigungsgebühr entsteht demnach nur dann nicht, wenn der von den Beteiligten geschlossene Vertrag das Anerkenntnis der gesamten Forderung durch den Schuldner oder den Verzicht des Gläubigers auf den gesamten Anspruch ausschließlich zum Inhalt hat (BGH a.a.O. Tz. 6; Goebel/Gottwald/v. Seltmann, RVG Nr. 1000 VV Rz. 3).
[7] b) Ergibt sich, wie hier, die Erfüllung der in Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV für das Entstehen der Einigungsgebühr erforderlichen Voraussetzungen aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung, ist die Gebühr im Kostenfestsetzungsverfahren glaubhaft gemacht und damit festsetzbar. An seiner gegenteiligen Auffassung (Beschl. v. 28.3.2006 - VIII ZB 29/05, BGHReport 2006, 940 = MDR 2006, 1375 = NJW 2006, 1523) hält der VIII. Zivilsenat des BGH nicht fest, wie er auf Anfrage mitgeteilt hat.
[8] Glaubhaftmachung reicht nach § 104 Abs. 2 ZPO für die Festsetzung der Kosten aus. Sie erstreckt sich sowohl auf die Entstehung der Kosten, als auch auf die Frage der Notwendigkeit i.S.d. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO (Stein/Jonas/Bork, ZPO 22. Aufl., § 104 Rz. 3). Im Falle überwiegender Wahrscheinlichkeit der tatbestandlichen Voraussetzungen ist die Gebühr zugunsten des Antragstellers festzusetzen, denn es gilt insoweit der normale Maßstab des § 294 ZPO. Dass dies nicht gelten soll, wenn die Entstehung der Kosten oder deren Notwendigkeit schwer festzustellen sind, kann dem Gesetz nicht entnommen werden. Zwar sind bei der Kostenfestsetzung durchgängig einfach gelagerte Sachverhalte zu beurteilen. Dies schließt es jedoch nicht aus, dass der gut ausgebildete Rechtspfleger in diesem Verfahren auch schwierige Rechtsfragen entscheidet und tatsächliche Fragen klärt. Zum Zwecke der Aufklärung hat er schriftliche Erklärungen von Richtern, Parteien, Verfahrensbevollmächtigten und Zeugen einzuholen, Akten beizuziehen, die Vorlage von Akten oder sonstigen Urkunden anzuordnen sowie einen Augenschein durchzuführen oder ein Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben (MünchKomm/ZPO/Belz 2. Aufl., § 104 Rz. 11; Musielak/Wolst, ZPO 5. Aufl., § 104 Rz. 18; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 65. Aufl., § 104 Rz. 5; Stein/Jonas/Bork a.a.O. § 104 Rz. 4 jeweils m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 1749195 |
BB 2007, 1302 |
NJW 2007, 2187 |
BGHR 2007, 847 |
EBE/BGH 2007 |
FamRZ 2007, 1096 |
JurBüro 2007, 411 |
WM 2007, 1145 |
AnwBl 2007, 551 |
MDR 2007, 979 |
Rpfleger 2007, 506 |
ZfS 2007, 469 |
AGS 2007, 366 |
NJW-Spezial 2007, 336 |
RVGreport 2007, 275 |
ZVI 2007, 357 |
BRAK-Mitt. 2007, 177 |
RVG-Letter 2007, 62 |
Rafa-Z 2009, 4 |
www.judicialis.de 2007 |