Verfahrensgang

OLG Hamburg (Beschluss vom 26.05.2021)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 26. Mai 2021 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

Rz. 1

1. Das Oberlandesgericht hat den Beschwerdeführer am 6. Februar 2019 wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt; das Urteil ist seit dem 23. Januar 2021 rechtskräftig.

Rz. 2

Nach den getroffenen Feststellungen gehörte der Verurteilte vom 24. Dezember 2009 bis zu seiner Verhaftung am 2. Dezember 2016 der ausländischen terroristischen Vereinigung „Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi” (DHKP-C) als Europaverantwortlicher an. Die Organisation verfolgte das Ziel, durch „bewaffneten Kampf” einen Umsturz der politischen Verhältnisse in der Türkei herbeizuführen und dort eine marxistisch-leninistisch geprägte Gesellschaftsordnung unter ihrer Kontrolle zu errichten. Seit dem Jahr 1994 verübte sie zu diesem Zweck zahlreiche Brand- und Sprengstoffanschläge auf Menschen. Seine Funktionärstätigkeit innerhalb der Europäischen „Rückfront” verrichtete der Verurteilte mit dem Willen und Bewusstsein, durch die Ausführung der ihm übertragenen Aufgaben einen maßgeblichen Beitrag zur Förderung des mittels Mordes und Totschlags geführten Kampfes in der Türkei sowie letztlich zur Verwirklichung der Zielsetzungen der DHKP-C zu erbringen.

Rz. 3

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht es abgelehnt, die Vollstreckung des Strafrests nach – am 1. Juni 2021 erreichter – Verbüßung von zwei Dritteln zur Bewährung auszusetzen. Die hiergegen gerichtete zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Rz. 4

2. Der Ansicht des Oberlandesgerichts, dass die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht zu verantworten ist (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 StGB), weil dem Verurteilten keine hinreichend günstige Kriminalprognose gestellt werden kann (zu den rechtlichen Maßstäben s. BGH, Beschlüsse vom 10. April 2014 – StB 4/14, juris Rn. 3; vom 19. April 2018 – StB 3/18, NStZ-RR 2018, 228, jeweils mwN), ist beizutreten. Der Senat nimmt auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug, die auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens fortgelten. Mit Blick hierauf besteht Anlass zu dem folgenden Bemerken:

Rz. 5

a) Anders als der Beschwerdeführer meint, hat das Oberlandesgericht zu Recht nicht zu erkennen vermocht, dass sich der Verurteilte zwischenzeitlich vom „bewaffneten Kampf” distanziert hat, den die DHKP-C in der Türkei insbesondere gegen staatliche Stellen führt.

Rz. 6

Zutreffend hat es die Angaben des Verurteilten bei dessen persönlicher Anhörung am 19. Mai 2021 dahin verstanden, dass er solche Gewalttaten weiterhin für legitim hält (zur besonderen Bedeutung des bei der Anhörung gewonnenen eigenen Eindrucks vgl. BGH, Beschluss vom 3. September 2020 – StB 26/20, juris Rn. 5 mwN). Entgegen dem Beschwerdevorbringen stellen diese Angaben keine theoretischen Reflexionen über das als „ultima ratio” bestehende Recht zum Widerstand „gegen den Faschismus allgemein” dar. Ausweislich des Protokolls hat sich die Erklärung des Angeklagten vielmehr nach ihrem Sinnzusammenhang eindeutig auf den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat bezogen. Deshalb liegt die in der Beschwerdebegründungsschrift geübte Kritik, es sei „nicht hinnehmbar, dass ein deutsches Gericht” – „vor dem Hintergrund der eigenen (historischen) Erfahrungen” – „das allgemeine Widerstandsrecht gegen ein(en) Unrechtsstaat. .. grundsätzlich in Frage” stelle, neben der Sache.

Rz. 7

Auf eine völkerrechtliche Rechtfertigung der Taten, auf die sich die Tätigkeit der DHKP-C richtet, kann sich der – zumal rechtskräftig verurteilte – Beschwerdeführer indes nicht erfolgreich berufen (vgl. – für die „Partiya Karkeren Kurdistan” [PKK] – BGH, Beschlüsse vom 6. Mai 2014 – 3 StR 265/13, BGHR StGB § 129b Rechtswidrigkeit 1; vom 8. Februar 2018 – AK 3/18, NStZ-RR 2018, 106; ferner Scheuß, ZStW 130 [2018], 23).

Rz. 8

b) Ebenso zu Recht hat der Staatsschutzsenat darauf abgestellt, dass der Verurteilte zu einer ernsthaften Aufarbeitung seiner Delinquenz bisher nicht bereit gewesen ist.

Rz. 9

Ausweislich der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 14. Dezember 2020 hat der Verurteilte es etwa abgelehnt, die schriftlichen Einstiegsfragen zur Delinquenzaufarbeitung auch nur entgegenzunehmen oder anzusehen. Nach der weiteren Stellungnahme vom 14. Mai 2021 hat beispielsweise bei jedem dortigen Gespräch mit diesem Ziel zunächst versucht werden müssen, dem Verurteilten zu vermitteln, dass es sich bei dessen jeweiligem Gesprächspartner nicht um einen „Faschisten” handele und die deutsche Justiz kein „Vasall” der türkischen Regierung sei; dies habe stets breiten Raum eingenommen.

Rz. 10

In seiner schriftlichen Stellungnahme, die der Verurteilte im Anschluss an seine Anhörung am 19. Mai 2021 überreicht hat, hat er entgegen den im rechtskräftigen Urteil getroffenen – für das Vollstreckungsverfahren bindenden (vgl. Fischer, StGB, 68. Aufl., § 57 Rn. 18) – Feststellungen behauptet, die DHKP-C sei keine Organisation, es gebe zwar die Organisationen DHKP und DHKC, diese hätten aber in Europa keine Mitglieder. Die Strafverfahren in Deutschland würden von „folternden Polizisten in der Türkei eingeleitet. Das BKA und. .. (der) GBA. .. (vervollständigten) die nötigen Formalitäten. Die OLG. .. beende(te)n diese politische Show mit einem Urteil” (zur Berücksichtigung der Tatleugnung bei der Entscheidung über die Reststrafenaussetzung s. BGH, Beschluss vom 3. September 2020 – StB 26/20, juris Rn. 5 mwN).

Rz. 11

c) Die vom Staatsschutzsenat gestellte Prognose, es sei ernsthaft zu besorgen, dass die Verbindung des Verurteilten zur DHKP-C aktuell weiterbesteht und er seine Aktivitäten unverzüglich wiederaufnehmen wird, sobald er auf freien Fuß gelangt, beruht auf diesen und weiteren – in dem angefochtenen Beschluss beanstandungsfrei dargelegten – tatsachenbasierten negativen prognoserelevanten Faktoren. Selbst wenn, wie der Beschwerdeführer vorbringt, die DHKP-C ihre letzte „militärische Aktion” im Jahr 2016 ausgeführt haben sollte, bleibt die Rückfallgefahr davon unberührt. Denn dies bedeutet nicht, dass die Vereinigung ihre Zielsetzungen im Sinne des § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB aufgegeben hätte.

Rz. 12

d) Das Oberlandesgericht hat vor seiner Entscheidung von der Hinzuziehung eines Sachverständigen gemäß § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO absehen dürfen. Kann im Einzelfall, wie beim Verurteilten, wegen besonderer Umstände eine Reststrafaussetzung offensichtlich nicht verantwortet werden und zieht sie das Gericht deshalb nicht in Betracht, ist eine Beurteilung der von ihm ausgehenden Gefahr mittels einer Sachverständigenbegutachtung nicht erforderlich (s. BGH, Beschluss vom 3. September 2020 – StB 26/20, juris Rn. 8 mwN). Zur Beauftragung eines Politik- und Sozialwissenschaftlers als Sachverständigen, wie vom Beschwerdeführer beantragt, hat ohnehin kein Anlass bestanden.

 

Unterschriften

Schäfer, Wimmer, Berg

 

Fundstellen

Dokument-Index HI14677880

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