Leitsatz (amtlich)
Ist offenkundig oder hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Fristversäumnis auf dem Verstoß einer sonst zuverlässigen Kanzleiangestellten gegen eine allgemein erteilte Büroanweisung beruht (hier: Herausgabe eines zur Fristwahrung bestimmten, aber nicht unterschriebenen Schriftsatzes trotz entsprechender Kontrollanordnung), bedarf es keiner weiteren Darlegung oder Glaubhaftmachung des der Partei nicht zuzurechnenden Verschuldens der Angestellten.
Normenkette
ZPO § 236 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Thüringer OLG (Beschluss vom 22.08.2005; Aktenzeichen 1 UF 243/05) |
AG Erfurt (Entscheidung vom 04.05.2005; Aktenzeichen 32 F 1222/01) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 1. Familiensenats des OLG Jena vom 22.8.2005 aufgehoben.
Dem Antragsgegner wird gegen die Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird abgesehen (§ 21 Abs. 1 Satz 1 GKG).
Beschwerdewert: 1.800 EUR
Gründe
I.
Das FamG hat durch Verbundurteil, das dem Antragsgegner am 24.5.2005 zugestellt wurde, die Ehe der Parteien geschieden, der Antragstellerin die elterliche Sorge für die 1995 geborene gemeinsame Tochter übertragen und den Umgang des Antragsgegners mit ihr für ein Jahr ausgeschlossen.
Die gegen die Sorgerechts- und Umgangsentscheidung gerichtete Beschwerdeschrift des Antragsgegners, die am 24.6.2005 beim OLG einging, und auch die beigefügte beglaubigte Abschrift dieses Schriftsatzes waren vom Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners nicht unterschrieben worden.
Auf entsprechenden Hinweis des Gerichts beantragte der Antragsgegner mit am 27.6.2005 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdefrist und legte die Beschwerde, die er inzwischen mit am gleichen Tag eingegangenem Schriftsatz begründet hatte, erneut ein.
Das OLG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Beschwerde als unzulässig. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners.
II.
Die nach §§ 629a Abs. 2 Satz 1, 621e Abs. 3 Satz 2, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO (Verwerfung) bzw. §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO (Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs) statthafte Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (hier: Sicherung einheitlicher Rechtsprechung) zulässig und zugleich begründet, weil dem Antragsgegner durch die Verwerfung die Rechtsmittelinstanz genommen wurde, und zwar zu Unrecht, weil das Beschwerdegericht die Anforderungen an ein Wiedereinsetzungsgesuch verkannt hat (BGH, Beschl. v. 9.2.2005 - XII ZB 225/04, BGHReport 2005, 874 = FamRZ 2005, 791 [792]).
1. Das Beschwerdegericht ist der Ansicht, der Antragsgegner habe die eine Wiedereinsetzung rechtfertigenden Umstände, die zur Absendung der nicht unterschriebenen Beschwerdeschrift geführt hätten, nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Zwar habe sein Prozessbevollmächtigter anwaltlich versichert, dass für die bisher stets zuverlässigen Angestellten seiner Kanzlei die allgemeine Büroanweisung bestehe, sämtliche ausgehenden Schriftsätze vor der Kuvertierung und Absendung daraufhin zu überprüfen, ob sie mit der Unterschrift des Anwalts versehen sind. Den für die Fristversäumung ursächlichen Umstand, dass die Büroangestellte K. diese Weisung missachtet, das Fehlen der Unterschrift übersehen und die Beschwerdeschrift ohne die erforderliche Unterschrift kuvertiert und den Umschlag verschlossen habe, könne er durch seine eigene anwaltliche Versicherung nicht glaubhaft machen, da er damit nur solche Tatsachen bekräftigen könne, die Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung gewesen seien. Deshalb hätte er beispielsweise eine eidesstattliche Versicherung seiner Angestellten vorlegen müssen. Daran fehle es.
2. Dem ist aus Rechtsgründen nicht zu folgen. Dem Antragsgegner ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne Verschulden an der Einhaltung der Beschwerdefrist gehindert war ().
a) Grundsätzlich kann Wiedereinsetzung zwar nur gewährt werden, wenn jedes ursächliche (Mit-) Verschulden der Partei oder ihres Anwalts ausgeräumt wird. Hier liegt indes ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners vor, weil er in seiner anwaltlichen Versicherung einräumt, die Beschwerdeschrift sei ihm zusammen mit anderen Schriftsätzen in einer Unterschriftenmappe vorgelegt worden; er habe ihn aber zu unterschreiben vergessen.
b) Ein solches Verschulden steht einer Wiedereinsetzung aber ausnahmsweise dann nicht entgegen, wenn im Rahmen der Büroorganisation durch eine allgemeine Arbeitsanweisung (hier: Kontrolle der Unterzeichnung ausgehender Schriftsätze vor deren Absendung) Vorsorge dafür getroffen wurde, dass bei normalem Verlauf der Dinge die Frist - trotz des Versehens des Rechtsanwalts - mit Sicherheit gewahrt worden wäre (BGH v. 12.12.1984 - IVb ZB 103/84, MDR 1985, 830 = NJW 1985, 1226).
Eine solche Anweisung hat der Antragsgegner hier durch anwaltliche Versicherung seines Anwalts hinreichend glaubhaft gemacht, was auch das Beschwerdegericht nicht in Abrede stellt.
c) Einer Glaubhaftmachung der im Wiedereinsetzungsgesuch dargelegten weiteren Umstände, die für die Fristversäumnis ursächlich waren, bedurfte es entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht.
Die Tatsache, dass die Beschwerdeschrift ohne die Unterschrift des Rechtsanwalts hinausging, ist anhand der Akten offenkundig, da sie ohne Unterschrift beim Beschwerdegericht einging. Eine Glaubhaftmachung erübrigte sich daher.
Daraus folgt zugleich zwingend, dass die Beschwerdeschrift unter Verstoß gegen die allgemeine Büroanweisung trotz fehlender Unterschrift versandt wurde und somit ein der Partei nicht nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden einer Kanzleiangestellten vorlag. Insoweit kommt es auch nicht darauf an, dass die Beschwerdeschrift hier nicht zur Post gegeben, sondern dem Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners auf dessen Anweisung zur Einreichung bei Gericht mitgegeben wurde. Denn diese Art der Beförderung konnte für die Fristversäumnis nicht mehr mitursächlich werden, weil sich aus der anwaltlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners auch ergibt, dass ihm die Beschwerdeschrift in einem verschlossenen Umschlag übergeben wurde. Er durfte sich darauf verlassen, dass seine allgemeine Büroanweisung befolgt wurde, und hatte daher keine Veranlassung, den Umschlag zwecks erneuter Kontrolle noch einmal zu öffnen.
Unter diesen Umständen kommt es auch nicht darauf an, ob die Kanzleiangestellte, wie im Wiedereinsetzungsgesuch vorgetragen, das Fehlen der Unterschrift bei der Kuvertierung übersehen hat, und wie und warum es ggf. dazu gekommen ist. Wiedereinsetzung ist bereits dann zu gewähren, wenn hinreichend glaubhaft gemacht ist, dass die Fristversäumnis nicht auf einem Verschulden der Partei oder ihres Anwalts, sondern allenfalls auf einem Verschulden des Kanzleipersonals beruht. Auf welche Weise und aus welchen Gründen das Kanzleipersonal gegen eine allgemeine Büroanweisung verstoßen hat, ist irrelevant und bedarf keiner Glaubhaftmachung, solange jedenfalls der geschilderte äußere Geschehensablauf, der zur Versäumung der Frist geführt hat, nachvollzogen werden kann. Denn ein der Partei zuzurechnendes Verschulden wäre im vorliegenden Fall selbst dann nicht gegeben, wenn die Büroangestellte etwa das Fehlen der Unterschrift bemerkt und bewusst gegen die bestehende Büroanweisung verstoßen hätte.
3. Die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens sind gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG nicht zu erheben, weil sie bei richtiger Entscheidung des Berufungsgerichts nicht angefallen wären.
Über die übrigen Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens - zu denen auch die Kosten der für den Antragsgegner erfolgreichen Rechtsbeschwerdeverfahren gehören - ist erst in der Endentscheidung über die Hauptsache zu erkennen (BGH, Beschl. v. 24.7.2000 - II ZB 20/99, MDR 2000, 1333 = NJW 2000, 3284 [3286]).
Fundstellen
Haufe-Index 1493485 |
BB 2006, 689 |
DStZ 2006, 748 |