Leitsatz (amtlich)
Die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist erfordert nicht die Feststellung, dass die Berufung rechtzeitig eingelegt worden ist.
Normenkette
ZPO § 520 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 01.11.2004; Aktenzeichen 58 S 196/04) |
AG Berlin |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 58. Zivilkammer des LG Berlin v. 1.11.2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 2.817,45 EUR.
Gründe
I.
Der Kläger nimmt den Beklagten aus einem Verkehrsunfall v. 2.11.1998 aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Tochter A. auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das AG hat die Klage mit Urteil v. 11.5.2004 abgewiesen. Dieses Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 14.5.2004 zugestellt worden. Der Kläger hat am 14.6.2004 Berufung eingelegt und am 14.7.2004 um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gebeten. Am 16.7.2004 teilte die Richterin K.-W. der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers telefonisch mit, es sei unklar, wann das amtsgerichtliche Urteil zugestellt worden sei. Ein Empfangsbekenntnis liege nicht vor. Darauf erklärte die Büroangestellte S., sie könne derzeit keine Auskunft über das Zustellungsdatum geben, weil die Akte für sie nicht greifbar sei; sie werde jedoch noch am selben Tage das Empfangsbekenntnis per Fax direkt an das LG übermitteln. Mit Schreiben v. 22.7.2004, abgesandt am 23.7.2004, wiederholte die Richterin ihren Hinweis. Gleichzeitig wies sie darauf hin, dass über den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht entschieden werden könne, solange die Rechtzeitigkeit der Berufungseinlegung nicht geklärt sei. Mit Schreiben v. 2.8.2004, abgesandt am 4.8.2004, teilte der Richter W. der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten mit, bisher sei weder die gerichtliche Anfrage v. 16.7.2004 noch das Schreiben v. 22.7.2004 beantwortet worden. Deswegen könne die beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht gewährt werden. Die Kammer beabsichtige, die Berufung durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen. Am 13.8.2004 ging die Berufungsbegründung beim LG ein. Am 16.8.2004 wurde das Empfangsbekenntnis v. 14.5.2004 per Telefax übermittelt. Mit Schreiben v. 7.10.2004 wies der Vorsitzende der Zivilkammer den Prozessbevollmächtigten des Klägers darauf hin, eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sei aus den am 16.7.2004 telefonisch sowie mit Schreiben v. 22.7. und 2.8.2004 mitgeteilten Gründen nicht gewährt worden. Da das Empfangsbekenntnis erst am 16.8.2004 und somit nach Ablauf der beantragten zu verlängernden Frist eingegangen sei, sei auch eine nachträgliche Fristverlängerung nicht in Betracht gekommen.
Mit Beschluss v. 1.11.2004, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 11.11.2004, hat das LG die Berufung als unzulässig verworfen, weil sie nicht fristgerecht begründet worden sei. Die Berufungsbegründungsfrist habe am 14.7.2004 geendet. Dem stehe der am 14.7.2004 gestellte Verlängerungsantrag nicht entgegen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers sei darauf hingewiesen worden, dass eine Verlängerung nicht in Betracht komme, weil die Rechtzeitigkeit der Berufung nicht überprüft werden könne. Der Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist sei durch Verfügung der stellvertretenden Vorsitzenden v. 2.8.2004, spätestens mit der Verfügung des Vorsitzenden der Kammer v. 7.10.2004 abgelehnt worden. Ohne Darlegung des Zeitpunkts der Urteilszustellung durch den Kläger sei eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht in Betracht gekommen, da die Möglichkeit bestanden habe, dass die Frist zur Einlegung der Berufung nicht eingehalten worden sei. Auf Grund der erteilten richterlichen Hinweise und der am 7.10.2004 erfolgten Ablehnung habe der Kläger auch nicht auf eine Fristverlängerung vertrauen dürfen. Ob sein Vortrag zutreffe, das Empfangsbekenntnis sei am 23.7.2004 per Telefax übermittelt worden, könne dahinstehen, denn auf Grund des Schreibens v. 2.8.2004 habe er gewusst, dass es jedenfalls nicht zur Akte gelangt sei. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, weil der Kläger einen solchen Antrag nicht gestellt habe. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 522 Abs. 1 S. 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es, einer Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz auf Grund von Anforderungen zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen die Partei auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (BVerfG v. 28.2.1989 - 1 BvR 649/88, BVerfGE 79, 372 [376 f.] = NJW 1989, 1147; v. 2.3.1993 - 1 BvR 249/92, BVerfGE 88, 118 [123 f.] = NJW 1993, 1635; v. 14.12.2001 - 1 BvR 1009/01, NJW-RR 2002, 1004 [1005]).
1. Das Berufungsgericht hat die Berufung verfahrensfehlerhaft als unzulässig verworfen. Wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hätte die Berufung nur dann verworfen werden dürfen, wenn der Antrag des Klägers auf Verlängerung dieser Frist abgelehnt gewesen wäre (BGH, Beschl. v. 7.6.1982 - II ZB 7/81, VersR 1982, 1191 [1192]; v. 3.2.1988 - IVb ZB 19/88, NJW-RR 1988, 581; v. 5.4.2001 - VII ZB 37/00, MDR 2001, 951 = BGHReport 2001, 524 = VersR 2003, 222). Das war hier nicht der Fall. Über die beantragte Fristverlängerung hat gem. § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO der Vorsitzende zu entscheiden. Daran fehlt es. Die telefonische Mitteilung des Gerichts v. 16.7.2004 und die Schreiben v. 22.7. und 2.8.2004 lassen schon nicht erkennen, dass sie von dem Vorsitzenden oder seinem Vertreter herrühren. Zudem handelt es sich inhaltlich nicht um Entscheidungen, sondern um gerichtliche Hinweise, denn es wird lediglich mitgeteilt, dass über den Verlängerungsantrag nicht entschieden werden könne, weil das Empfangsbekenntnis nicht vorliege. Auch das Schreiben des Vorsitzenden v. 7.10.2004 enthält keine Entscheidung über die beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Dieses Schreiben enthält einen Hinweis darauf, dass und weshalb dem Antrag nicht entsprochen worden sei. Eine Ablehnung der begehrten Fristverlängerung liegt darin schon deswegen nicht, weil dem Kläger noch einmal Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird und eine Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung einer Rechtsmittelbegründungsfrist grundsätzlich auch noch nach deren Ablauf ergehen kann, sofern der Antrag rechtzeitig gestellt worden ist (BGH v. 18.3.1982 - GSZ 1/81, BGHZ 83, 217 = MDR 1982, 637; v. 30.9.1987 - IVb ZR 86/86, BGHZ 102, 37 [38] = MDR 1988, 131).
2. Die noch ausstehende Entscheidung über die Fristverlängerung muss im Streitfall nachgeholt werden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts erfordert die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht die Feststellung, dass die Berufung rechtzeitig eingelegt worden ist. Es bedarf dazu auch keiner Darlegung durch den Rechtsmittelführer. Die Frage der Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels stellt sich erst, wenn über dessen Zulässigkeit zu entscheiden ist. Stellt sich dabei heraus, dass die Frist zur Einlegung der Berufung nicht gewahrt ist, ist diese unabhängig davon, ob die Begründungsfrist verlängert worden ist, als unzulässig zu verwerfen.
3. Sollte eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 13.8.2004 im Streitfall abgelehnt werden, würde sich die Frage einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen, die gem. § 236 Abs. 2 ZPO ggf. auch von Amts wegen zu gewähren sein kann (Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 236 Rz. 5). Dabei wäre zu berücksichtigen, dass das Empfangsbekenntnis v. 14.5.2004 entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht erst am 16.8.2004, sondern bereits am 23.7.2004 per Telefax bei Gericht eingegangen ist. Es war, wie sich aus Blatt 74 i.V.m. Blatt 118 der Gerichtsakte ergibt, zwar an das AG adressiert, aber so, wie mit der Richterin K.-W. am 16.7.2004 telefonisch besprochen, an das LG unter dessen Faxnummer übermittelt worden. Bei dieser Sachlage durfte der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf vertrauen, dass seinem rechtzeitig gestellten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen werden würde (BVerfG v. 28.2.1989 - 1 BvR 649/88, BVerfGE 79, 372 = NJW 1989, 1147; BGH, Beschl. v. 11.11.1998 - VIII ZB 24/98, MDR 1999, 374 = NJW 1999, 430, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 1341723 |
BGHR 2005, 930 |
EBE/BGH 2005, 146 |
NJW-RR 2005, 792 |
JurBüro 2006, 391 |
DAR 2005, 338 |
MDR 2005, 944 |
VersR 2005, 1265 |
SVR 2005, 230 |
r+s 2005, 486 |
Mitt. 2005, 326 |