Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufschiebende Wirkung einer Beschwerde bei Zwangs- oder Ordnungsmittel
Leitsatz (amtlich)
Die Beschwerde gegen die Festsetzung eines Zwangs- oder Ordnungsmittels hat auch bei Zwangs- oder Ordnungsmittelbeschlüssen gem. §§ 888, 890 ZPO aufschiebende Wirkung.
Normenkette
ZPO § 570 Abs. 1, §§ 888, 890
Verfahrensgang
KG Berlin (Beschluss vom 23.02.2011; Aktenzeichen 2 W 1/11) |
LG Berlin (Beschluss vom 04.06.2010; Aktenzeichen 94 O 101/07) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats des KG vom 23.2.2011 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 6.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
I. Der Gläubiger ist Gesellschafter der i. GbR. Er hat vor dem LG eine durch Urteil vom 12.12.2007 bestätigte Beschlussverfügung erwirkt, mit der dem Schuldner unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel u.a. untersagt wurde, mit der i. GbR innerhalb von drei Monaten in Wettbewerb zu treten.
Rz. 2
Mit Beschluss vom 9.5.2008 hat das LG gegen den Schuldner wegen Zuwiderhandlungen gegen dieses Verbot ein Ordnungsgeld i.H.v. 10.000 EUR und für den Fall seiner Nichtbeitreibbarkeit für je 500 EUR einen Tag Ordnungshaft festgesetzt. Der vom Schuldner eingelegten sofortigen Beschwerde hat das LG mit Beschluss vom 4.6.2010 abgeholfen und den Beschluss vom 9.5.2008 aufgehoben.
Rz. 3
Der vom Gläubiger gegen den Beschluss vom 4.6.2010 eingelegten sofortigen Beschwerde hat das LG unter Hinweis darauf nicht abgeholfen, dass mittlerweile Vollstreckungsverjährung eingetreten sei und für den Ordnungsmittelantrag des Gläubigers daher kein Rechtsschutzbedürfnis mehr bestehe. Das Beschwerdegericht hat den Beschluss des LG vom 4.6.2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
Rz. 4
Mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Schuldner die Wiederherstellung des landgerichtlichen Beschlusses vom 4.6.2010.
Rz. 5
II. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts besteht hinsichtlich des mit dem Beschluss vom 9.5.2008 festgesetzten Ordnungsgeldes kein Vollstreckungshindernis wegen zwischenzeitlich eingetretener Verjährung. Mit der Festsetzung eines Ordnungsmittels nach § 890 ZPO scheide Verfolgungsverjährung nach Art. 9 Abs. 1 EGStGB aus und komme daher allein noch eine Vollstreckungsverjährung nach Art. 9 Abs. 2 EGStGB in Betracht. Die danach mit der Vollstreckbarkeit des Ordnungsmittels beginnende Verjährungsfrist von zwei Jahren ruhe gem. Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 EGStGB, solange die Vollstreckung nach dem Gesetz nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden könne. Nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut des § 570 Abs. 1 ZPO habe eine Beschwerde auch dann diese aufschiebende Wirkung, wenn sie sich gegen die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels nach §§ 888, 890 ZPO richte. Die in der Begründung des Regierungsentwurfs des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses enthaltenen Ausführungen ließen keinen sicheren Schluss auf einen gegenteiligen Willen des Gesetzgebers zu. Der Umstand, dass eine Ausdehnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen Beschlüsse nach §§ 888, 890 ZPO in der Vergangenheit - soweit ersichtlich - nicht diskutiert worden sei, könne die Mehrdeutigkeit des geäußerten gesetzgeberischen Willens nicht ausräumen. Für die aufschiebende Wirkung der Beschwerde auch in den Fällen der §§ 888, 890 ZPO spreche zudem die in der Begründung des Regierungsentwurfs enthaltene Bezugnahme auf die Generalklauseln in § 149 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 131 Abs. 1 Satz 1 FGO und § 175 Satz 1 SGG; denn diese Wirkung gelte auch für das Zwangsgeld, das nach § 172 VwGO, § 154 FGO und § 201 SGG zur Durchsetzung einer der Behörde durch Urteil oder einstweilige Anordnung auferlegten Verpflichtung festzusetzen sei.
Rz. 6
III. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde ist zwar aufgrund ihrer Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch ansonsten zulässig. In der Sache hat sie aber keinen Erfolg. Das Beschwerdegericht ist bei seiner Entscheidung zutreffend davon ausgegangen, dass keine Verjährung eingetreten und der vom Gläubiger gestellte Vollstreckungsantrag daher nicht wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig ist.
Rz. 7
1. Das Beschwerdegericht hat mit Recht und von der Rechtsbeschwerde insoweit auch unbeanstandet angenommen, dass auf die Ordnungsmittel des § 890 ZPO die Regelung des Art. 9 EGStGB anzuwenden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 5.11.2004 - IXa ZB 18/04, BGHZ 161, 60, 63). Dasselbe gilt für seine Annahme, in Fällen, in denen - wie vorliegend - das Prozessgericht als Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers ein Ordnungsmittel bereits festgesetzt hat, könne keine Verfolgungsverjährung i.S.d. Art 9 Abs. 1 EGStGB mehr eintreten (BGHZ 161, 60, 64 bis 66).
Rz. 8
2. Das Beschwerdegericht hat des Weiteren - insoweit entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - mit Recht angenommen, dass der danach allein in Betracht kommenden Vollstreckungsverjährung i.S.d. Art 9 Abs. 2 EGStGB entgegenstand, dass diese Verjährung zwar mit der Vollstreckbarkeit begonnen (Art. 9 Abs. 2 Satz 3 EGStGB; vgl. BGHZ 161, 60, 65), aber seit der Einlegung der sofortigen Beschwerde durch den Beklagten am 21.5.2008 gem. Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 EGStGB geruht hat. Das Beschwerdegericht hat mit Recht die in diesem Zusammenhang entscheidende Frage bejaht, ob die aufschiebende Wirkung, die eine Beschwerde gegen die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels gem. § 570 Abs. 1 ZPO hat, auch bei Zwangs- und Ordnungsmittelbeschlüssen gem. §§ 888, 890 ZPO eintritt.
Rz. 9
a) Die genannte, in der Rechtsprechung wie auch im Schrifttum umstrittene und vom BGH (vgl. BGHZ 161, 60, 65) bislang noch nicht entschiedene Frage wird teilweise mit der Begründung verneint, die weite Fassung des § 570 Abs. 1 ZPO beruhe auf einem Redaktionsversehen, das dem Gesetzgeber bei der Neufassung der Vorschriften über die Beschwerde im Zuge der ZPO-Reform 2002 unterlaufen und durch eine einschränkende Auslegung dieser Vorschrift zu korrigieren sei (vgl. OLG Köln, NJW-RR 2003, 716 f.; Lipp in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 570 Rz. 2; Brehm in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 888 Rz. 48 und § 890 Rz. 70; Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 570 Rz. 2; Zöller/Stöber, a.a.O., § 888 Rz. 15 und § 890 Rz. 20; Olzen in Prütting/, ZPO, 3. Aufl., § 888 Rz. 33 und § 890 Rz. 29; Reichold in Thomas/, ZPO, 32. Aufl., § 570 Rz. 1; Seiler in Thomas/Putzo, a.a.O., § 888 Rz. 18 und § 890 Rz. 40; Walker in Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 5. Aufl., § 888 Rz. 51; Gaul in Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Aufl., § 38 Rz. 21). Diese Ansicht wird außer mit der vollstreckungsrechtlichen Funktion der §§ 888, 890 ZPO und dem Umstand, dass in diesen Bestimmungen das Wort "Festsetzung" nicht verwendet wird, vor allem damit begründet, dass der Gesetzgeber nach der Begründung zum Regierungsentwurf des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses nichts an der bisher bestehenden Rechtslage habe ändern wollen, nach der Beschwerden gegen Beschlüsse gem. §§ 888, 890 ZPO keine aufschiebende Wirkung gehabt hätten. Sie nimmt dabei insb. auf die Formulierung in der Begründung zum Regierungsentwurf Bezug, wonach die an die Stelle des Enumerationsprinzips in § 572 ZPO a.F. tretende Generalklausel des § 570 Abs. 1 ZPO die nach dem bisherigen Recht unvollständige Aufzählung einzelner Ordnungs- und Zwangsmittel "ohne inhaltliche Änderung" obsolet mache (vgl. OLG Köln, NJW-RR 2003, 715, 716 mit Hinweis auf BT-Drucks. 14/4722, 112).
Rz. 10
b) Das Beschwerdegericht weist demgegenüber zur Begründung seiner gegenteiligen, in der Rechtsprechung und im Schrifttum ebenfalls verbreiteten Ansicht (vgl. OLG Frankfurt, InstGE 9, 301, 302; Beschl. v. 12.6.2009 - 6 W 81/09, juris Rz. 3; Wieczorek/Schütze/Jänich, ZPO, 3. Aufl., § 570 Rz. 3; Baumbach/Hartmann, ZPO, 69. Aufl., § 570 Rz. 4 und § 890 Rz. 40; Sturhahn in Schuschke/Walker, a.a.O., § 890 Rz. 56; Lohmann in Prütting/Gehrlein, a.a.O., § 570 Rz. 2; Kayser in Hk-ZPO, 4. Aufl., § 570 Rz. 3; Musielak/Lackmann, ZPO, 8. Aufl., § 890 Rz. 20) mit Recht darauf hin, dass die Äußerung des Reformgesetzgebers an der bewussten Stelle keineswegs eindeutig, sondern im Gegenteil in sich widersprüchlich ist. So findet sich dort zwischen den Passagen, auf die sich die von der Rechtsbeschwerde befürwortete Ansicht stützt, die Wendung eingestreut, die Beschwerde habe "nunmehr immer dann aufschiebende Wirkung, wenn sie die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels zum Gegenstand" habe. Bei dieser Sachlage erscheint es allenfalls möglich, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung lediglich die zu § 572 ZPO a.F. überwiegend vertretene Ansicht bestätigen wollte, dass die dort enthaltene Aufzählung einzelner Bestimmungen unvollständig und die Regelung daher auf entsprechend gelagerte andere Fälle zu erstrecken sei. Wohl näher, zumindest aber ebenso nahe liegt die Annahme, dass der Gesetzgeber mit einer generellen Regelung im reformierten Gesetz sonst absehbar erneut drohenden Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Behandlung der einzelnen Fälle entgegenwirken wollte. Bei diesen Gegebenheiten verbietet sich eine Normauslegung, die den für sich gesehen durchaus klaren Wortlaut des § 570 Abs. 1 ZPO im Hinblick auf einen möglicherweise gegenteiligen Willen des Gesetzgebers korrigiert. Dies gilt umso mehr deshalb, weil - wie das Beschwerdegericht ebenfalls zutreffend berücksichtigt hat - nach den in § 149 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 131 Abs. 1 Satz 1 FGO und § 201 SGG enthaltenen Generalklauseln, auf die sich der Reformgesetzgeber zur Begründung der in § 570 ZPO enthaltenen neuen Regelung bezogen hat, Beschwerden aufschiebende Wirkung insb. auch bei Zwangsgeldern gem. § 172 VwGO, § 154 FGO und § 201 SGG haben, die Behörden zur Erfüllung ihnen gerichtlich auferlegter Pflichten veranlassen sollen (vgl. Meyer-Ladewig/Rudise in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 11. Lieferung Juli 2005, § 149 Rz. 3; Kaufmann in Posser/Wolff, VwGO, § 149 Rz. 1).
Rz. 11
3. Die vom Beschwerdegericht auf der Grundlage des § 572 Abs. 3 ZPO vorgenommene Zurückverweisung an das LG lässt zumal unter Berücksichtigung dessen, dass dieses sich - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - mit dem sachlichen Beschwerdevorbringen des Gläubigers noch nicht auseinandergesetzt hat, keinen Ermessensfehler erkennen und wird auch von der Rechtsbeschwerde nicht beanstandet.
Rz. 12
IV. Nach allem ist die Rechtsbeschwerde des Schuldners unbegründet und deshalb mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 2827009 |
NJW 2011, 3791 |
EBE/BGH 2011 |
FamRZ 2012, 126 |
GRUR 2012, 427 |
JurBüro 2012, 104 |
WM 2011, 2331 |
MDR 2011, 1503 |
NJ 2012, 5 |
FoVo 2012, 16 |
FoVo 2013, 70 |
IP kompakt 2011, 17 |