Leitsatz (amtlich)
Bei einer Submissionsabsprache beginnt die nach nationalem Prozessrecht zu beurteilende Verfolgungsverjährung nicht schon mit dem sich aus der wettbewerbsbeschränkenden Absprache ergebenden Vertragsschluss, sondern erst mit der vollständigen Vertragsabwicklung; daran ist auch nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 14. Januar 2021 (C-450/19 - Eltel) festzuhalten (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 25. August 2020 - KRB 25/20, WuW 2020, 615 Rn. 17 - Unterlassenes Angebot, mwN).
Normenkette
GWB §§ 1, 81 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 81g Abs. 1; OWiG § 31 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts wird das Urteil des 2. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 11. November 2022 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit das Verfahren eingestellt und die Nebenbetroffene frei-gesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechts-mittels, an einen anderen Kartellsenat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde der Nebenbetroffenen wird als unbegründet verworfen.
Die Nebenbetroffene trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.
Gründe
Rz. 1
Das Oberlandesgericht hat gegen die Nebenbetroffene wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB (§ 81 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GWB) Geldbußen in Höhe von 20.000.000 € und 1.000.000 € festgesetzt (Urteil vom 11. November 2022, 2 Kart 2/20 [OWi], ECLI:DE:OLGD:2022:1111.2 KART2.20OWI.00). Vom Vorwurf der unter A.VI. der Urteilsgründe dargelegten Kartellordnungswidrigkeit hat es die Nebenbetroffene freigesprochen und das Verfahren im Übrigen eingestellt. Es hat zudem eine überlange Verfahrensdauer festgestellt. Die Nebenbetroffene wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen ihre Verurteilung. Das Bundeskartellamt beanstandet mit seiner Rechtsbeschwerde den Freispruch der Nebenbetroffenen und die im Übrigen erfolgte Einstellung des Verfahrens. Während das Rechtsmittel der Nebenbetroffenen unbegründet ist, hat die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts in vollem Umfang Erfolg.
I.
Rz. 2
1. Mit Bußgeldbescheid vom 5. Dezember 2019 hat das Bundeskartellamt gegen die Nebenbetroffene eine Verbandsgeldbuße (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) festgesetzt. Dem liegt der Vorwurf zugrunde, ihr Geschäftsführer (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) sei an sieben Kartellordnungswidrigkeiten nach § 81 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Satz 2 bis 4 und 6 GWB in der bis zum 18. Januar 2021 geltenden Fassung i.V.m. Art. 101 AEUV, § 1 GWB i.V.m. § 30 Abs. 1 Nr. 1, 4 und 5, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 und 4, § 20 OWiG beteiligt (§ 14 Abs. 1 OWiG) gewesen. Er habe im Zusammenhang mit einer Ausschreibung der Vergabe von Leistungen zur technischen Gebäudeausrüstung von Kraftwerken im Jahr 2005 Absprachen mit drei, zeitweise vier Mitbewerbern initiiert, mit denen er sich von Ende 2006 bis 2011 bei insgesamt 24 Kraftwerksprojekten darauf verständigt habe, wer künftig welchen Auftrag durch Abgabe des niedrigsten Angebotspreises erhalten solle. Von einem Fall abgesehen seien alle Absprachen erfolgreich umgesetzt worden.
Rz. 3
2. Das Oberlandesgericht hat die Nebenbetroffene wegen zwei Kartellordnungswidrigkeiten verurteilt.
Rz. 4
a) Den im Bußgeldbescheid unter A.II. geschilderten Sachverhalt ("Absprache im S. -Kreis"; im Urteil unter A.III.) hat das Oberlandesgericht dahin beurteilt, dass der Geschäftsführer der Nebenbetroffenen eine nach § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB verbotene wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung auf dem Nachfragemarkt für technische Gebäudeausrüstungen von Kraftwerken getroffen und bei 18 einzelnen Kraftwerksprojekten umgesetzt habe.
Rz. 5
aa) Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts kam es Anfang der 2000er Jahre zu einer verstärkten Nachfrage für die Gewerke Heizung, Klima und Lüftung als Bestandteil von Kraftwerksprojekten. Zu den nachfragenden Unternehmen gehörte oft die S. AG, die beim Kraftwerksbau als Generalunternehmerin für verschiedene europäische Energieversorgungsunternehmen tätig wurde. Im Kreis der technischen Gebäudeausrüster waren die entsprechenden Großprojekte zumeist schon ein bis zwei Jahre vor der Beauftragung der S. AG bekannt. Nach Auftragseingang führte die S. AG freihändige Vergabeverfahren für Leistungen der technischen Gebäudeausrüstung unter vier bis fünf bewährten potentiellen Bieterunternehmen durch, die - gleichbleibend - nach einem bekannten Verfahren mit mehreren Verhandlungsrunden abliefen.
Rz. 6
Mit dem Ziel, bei künftigen Auftragsvergaben über solche Leistungen für Kraftwerke den Bieterwettbewerb zu ihren Gunsten zu manipulieren und insbesondere das Preisniveau und die Auftragsvergabe zu steuern, initiierte der Leiter des Geschäftsbereichs Kraftwerks- und Versorgungstechnik der Nebenbetroffenen R. im Jahr 2007 mit jedenfalls vier Wettbewerbern eine feste Absprache über das zukünftige Bieterverhalten. Danach sollte nach Bekanntgabe einer Ausschreibung im Kreis der Kartellanten zunächst die Übereinkunft darüber hergestellt werden, wer den Zuschlag als preisgünstigster Bieter erhalten solle. Der entsprechende Konsens sollte nachfolgend durch die Abgabe inhaltlich abgestimmter, nach außen jedoch als solche nicht erkennbarer Schutzangebote umgesetzt werden. In Umsetzung dieser Absprache stimmte sich R. beginnend Ende 2006 und Anfang 2007 bis 2011 bei insgesamt 18 Kraftwerksprojekten mit den weiteren Kartellbeteiligten darüber ab, wer welchen Auftrag erhalten solle. In diesem Rahmen erfolgte während der Verhandlungsrunden mit S. ein stetiger Austausch über die konkreten Angebotspreise, um die Zuschlagserteilung an das zuvor ausgewählte Unternehmen sicherzustellen. Von einer Ausschreibung abgesehen wurde die Absprache in allen Fällen am Ende erfolgreich umgesetzt.
Rz. 7
bb) Das Oberlandesgericht hat in dem Verhalten der Nebenbetroffenen einen Verstoß gegen § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB gesehen. Das Verhalten des Leiters des Geschäftsbereichs Kraftwerks- und Versorgungstechnik R. hat es der Nebenbetroffenen gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1, § 30 Abs. 1 Nr. 4 OWiG zugerechnet. Weil nach der Grundabsprache die wesentlichen Eckdaten bereits festgelegt gewesen seien und die Einzelabsprachen nur noch der Verständigung darüber gedient hätten, wer den Zuschlag erhalten solle, seien die Einzelabsprachen zu einer Bewertungseinheit verbunden. Es liege deshalb eine einheitliche Ordnungswidrigkeit vor.
Rz. 8
b) Den im Bußgeldbescheid unter A.VII. geschilderten Sachverhalt ("TÜV SÜD"; im Urteil unter A.IV.) hat das Oberlandesgericht als Zuwiderhandlung gegen das Verbot wettbewerbswidriger Vereinbarungen im Sinne des § 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB bewertet.
Rz. 9
aa) Nach den Feststellungen schrieb die T. S. (im Folgenden: "T. S. ") im Jahr 2014 freihändig Leistungen der technischen Gebäudeausrüstung für den Neubau eines Labors in O. aus und forderte neben der Nebenbetroffenen mehr als zwölf weitere lokale Unternehmen zur Angebotsabgabe auf. Der in leitender Stellung für die Nebenbetroffene tätige Handlungsbevollmächtigte Hei. stieß in der Folge ab Oktober 2014 den Austausch der Angebotspreise mit Vertretern von Mitbewerbern an und wirkte - erfolgreich - darauf hin, durch Schutzangebote der Mitbewerber den Zuschlag für die Nebenbetroffene zu sichern. Der Auftrag wurde abschließend am 27. Mai 2015 unterzeichnet und am 29. Juni 2018 mit einem Gesamtbetrag von 3.393.023,03 € schlussabgerechnet.
Rz. 10
bb) In diesem Vorgehen hat das Oberlandesgericht eine Zuwiderhandlung gegen das Verbot wettbewerbswidriger Vereinbarungen im Sinne des § 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB gesehen, da in dem Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen ein abgestimmtes Verhalten liege, das sich auf den Wettbewerbspreis ausgewirkt habe. Der eigenverantwortlich handelnde Leiter des Geschäftsbereichs Versorgungstechnik Hei. habe gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 OWiG zu den Normadressaten des Kartellverbots gehört. Seine Handlungen seien der Nebenbetroffenen gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 OWiG zuzurechnen.
Rz. 11
3. Von dem Vorwurf einer Kartellordnungswidrigkeit nach § 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB durch die Absprache zum Projekt "Sc. Retreat" im Zeitraum von November 2013 bis zum 7. Mai 2014 (Bußgeldbescheid A.VI.; im Urteil unter A.V.) hat das Oberlandesgericht die Nebenbetroffene freigesprochen.
Rz. 12
Dem Vorwurf lag das Wettbewerbsverhalten der Nebenbetroffenen im Zusammenhang mit der Ausschreibung der M. GmbH bezüglich der Errichtung eines Gebäudes auf dem Gelände des Sc. in K. zugrunde. Nach den Feststellungen forderte die M. GmbH im November 2013 unter anderem die Nebenbetroffene und die St. GmbH zur Abgabe von Angeboten für die Lose Heizung, Lüftung und Sanitär auf. Der Vertriebsleiter der St. GmbH, der Zeuge Ha., kontaktierte daraufhin den bei der Nebenbetroffenen als Abteilungsleiter für Vertrieb und Versorgungstechnik tätigen und ihm langjährig bekannten E. und bat ihn, das Angebot der St. GmbH durch die Abgabe eines Schutzangebots zu unterstützen, was E. zusagte. Ha. übersandte E. entsprechende Kalkulationsdaten, auf deren Grundlage E. Angebote für die drei Lose entwarf und sie seinem Vorgesetzten He. zur Zeichnung vorlegte. He. unterschrieb die Angebote unbesehen und ohne weitere Überprüfung. Wie von E. und Ha. beabsichtigt, wurden alle drei Lose an die St. GmbH vergeben; das Gesamtauftragsvolumen betrug mehr als 2,8 Mio. €.
Rz. 13
Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen hat das Oberlandesgericht eine wettbewerbswidrige Absprache zwar für erwiesen gehalten, allerdings die Anforderungen an die Zurechnung der Normadressateneigenschaft des Kartellverbots gegenüber E. gemäß § 9 Abs. 2 OWiG als nicht erfüllt angesehen. Diesem sei zwar formal die Leitung der Abteilung Versorgungstechnik als eigenverantwortlich wahrzunehmender Aufgabenbereich übertragen gewesen. Faktisch hätten sich seine betrieblichen Aktivitäten jedoch darauf beschränkt, kleinere Aufträge zu beschaffen. E. habe weder Weisungs- oder Kontrollbefugnisse gehabt noch selbst Entscheidungen getroffen, so dass § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG keine Anwendung finde und E. sich keiner vorsätzlichen Kartellordnungswidrigkeit schuldig gemacht habe.
Rz. 14
4. Im Hinblick auf weitere vier prozessuale Taten, die im Urteil unter A.VI. festgestellten und unter C.IV. gewürdigten Projekte "F. - (T. I. ) (F. )", "R. - D. (H. )", "K. D., L. " sowie "K. M. - ", hat das Oberlandesgericht das Verfahren gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 260 Abs. 3 StPO eingestellt, da die Taten verjährt seien. Die fünfjährige Verjährungsfrist (§ 81g Abs. 1 Satz 2 GWB) habe im Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsschlusses zu laufen begonnen. Für die insoweit erforderliche Bestimmung der Tatbeendigung (§ 81g Abs. 1 Satz 1 GWB i.V.m. § 31 Abs. 3 OWiG) als verjährungsauslösendes Moment hat es sich durch die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 14. Januar 2021 zur Dauer einer wettbewerbsbeschränkenden Absprache (EuGH, Urteil vom 14. Januar 2021 - C-450/19, ECLI:EU:C:2021:10, RIW 2021, 371 - Kilpailu-ja Kuluttajavirasto/Eltel Group Oy, Eltel Networks Oy, im Folgenden: "Eltel") gebunden gesehen.
Rz. 15
Danach sei eine unter Verstoß gegen § 1 GWB und/oder Art. 101 AEUV getroffene Submissionsabsprache im Zeitpunkt des Zuschlags oder Vertragsschlusses über den erteilten Auftrag beendet. Mithin sei für den Beginn der Verjährung nicht (mehr) auf die bislang nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgebliche Erstellung der Schlussrechnung, sondern bereits auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die wesentlichen Merkmale des Auftrags und insbesondere der als Gegenleistung zu zahlende Gesamtpreis endgültig bestimmt gewesen sei. Für die Tatbeendigung sei allein maßgeblich, wann dem Auftraggeber endgültig die Möglichkeit genommen werde, die in Rede stehenden Güter unter normalen Marktbedingungen zu erhalten. Der Zuschlag für das zeitlich letzte der betroffenen Projekte, das "K. M. " (A.VI.4. des Urteils), datiere vom 11. Februar 2009, so dass die letzte der eingestellten Taten am 11. Februar 2014 verjährt sei. Der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Bonn vom 23. Januar 2015 als erste in Betracht kommende Unterbrechungshandlung (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 2 und 3 OWiG) habe den Eintritt der Verjährung deshalb nicht mehr verhindert.
II.
Rz. 16
Die zulässige Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts hat Erfolg.
Rz. 17
1. Die Einstellung des Verfahrens im Hinblick auf die unter A.VI. des Urteils festgestellten Kartellordnungswidrigkeiten hat keinen Bestand. Das Oberlandesgericht hat das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung (§ 31 Abs. 1 Satz 1 OWiG) zu Unrecht angenommen. Auch im Streitfall finden die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Grundsätze Anwendung, wonach die Verjährung jedenfalls nicht vor der Erstellung der Schlussrechnung beginnt. Aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 14. Januar 2021 (RIW 2021, 371 - Eltel) folgt entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts nichts anderes.
Rz. 18
a) Der Eintritt der Verjährung von Ordnungswidrigkeiten nach § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 101 AEUV wie auch nach § 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB ist gemäß § 81g GWB i.V.m. §§ 31 ff. OWiG zu bestimmen. Im Fall einer Submissionsabsprache beginnt die Verjährung nicht schon mit dem sich aus der wettbewerbsbeschränkenden Absprache ergebenden Vertragsschluss, sondern erst mit der vollständigen Vertragsabwicklung. Dieser Zeitpunkt, der regelmäßig nicht vor der Erstellung der Schlussrechnung liegt, ist maßgebend nicht nur für den von der Submissionsabsprache Begünstigten, sondern für sämtliche Personen, welche die Absprache getroffen haben, auch soweit sie absprachegemäß von einem eigenen Angebot abgesehen haben (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 1984 - KRB 1/84, BGHSt 32, 389 [juris Rn. 17 bis 21] - Schlussrechnung; vom 21. Oktober 1986 - KRB 5/86, EWiR 1987, 57 [juris Rn. 34 bis 36] - Prüfgruppe; vom 13. März 1990 - KRB 3/89, WuW/E BGH 2659 [juris Rn. 8] - Leerangebot; vom 4. November 2003 - KRB 20/03, WuW/E DE-R 1233 [juris Rn. 18] - Frankfurter Kabelkartell; vom 25. August 2020 - KRB 25/20, WuW 2020, 615 Rn. 17 - Unterlassenes Angebot).
Rz. 19
aa) Die für die Verfolgung geltende regelmäßige Verjährungsfrist beträgt gemäß § 81g Abs. 1 Satz 2 GWB fünf Jahre. Sie läuft an, sobald die Handlung im Sinne des § 31 Abs. 3 OWiG beendet ist. Dies betrifft nicht nur die bußgeldrechtliche Haftung des Betroffenen, sondern wegen der Akzessorietät zur Anknüpfungstat (§ 30 Abs. 4 Satz 3 OWiG) auch diejenige der Nebenbetroffenen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2000 - 1 StR 411/00, BGHSt 46, 207 [juris Rn. 15]; Beschlüsse vom 13. Juli 2020 - KRB 99/19, BGHSt 65, 75 Rn. 14 - Bierkartell; WuW 2020, 615 Rn. 7 und 19 bis 27 - Unterlassenes Angebot).
Rz. 20
bb) Nach dem Wortlaut knüpft § 31 Abs. 3 OWiG ebenso wie § 78a StGB den Verjährungsbeginn an den Eintritt des letzten tatbestandlichen Erfolgs an, sofern die Handlung nicht erst danach beendet ist. Anders als der Wortlaut nahelegt, ist damit allerdings weder die Vollendung oder Beendigung der Tat im materiell-rechtlichen Sinn noch der Begriff der "Tat" im prozessualen Sinn gemeint, wie er etwa den Regelungen der Rechtskraft, dem Strafklageverbrauch (Art. 103 Abs. 3 GG) und den §§ 155, 264 StPO zugrunde liegt. Mit diesen Begriffen ist der verjährungsrechtliche Begriff der Tat, auf den für die Beendigung abzustellen ist, nicht identisch. Für den Verjährungsbeginn nach § 31 Abs. 3 OWiG sind vielmehr auch solche Umstände relevant, die nicht mehr von der objektiven Tatbestandsumschreibung erfasst werden, aber dennoch das materielle Unrecht der Tat vertiefen.
Rz. 21
(1) Dies belegt bereits die Gesetzesgenese. In § 78a StGB sollte die bereits zum alten Recht (§ 67 Abs. 4 StPO in der bis 1974 geltenden Fassung) einhellige Auffassung, dass die strafbare Handlung im Rechtssinne erst mit Verwirklichung sämtlicher Tatbestandsmerkmale einschließlich des Erfolgs beendet und auch erst damit "begangen" ist (vgl. RGSt 5, 282, 283 bis 286; 26, 261, 262; 40, 402, 405; 62, 418, 419; BGH, Beschluss vom 18. Dezember 1957 - 4 StR 106/57, BGHSt 11, 119, 121; Urteile vom 23. August 1961 - 2 StR 267/61, BGHSt 16, 207 [juris Rn. 6]; vom 23. September 1971 - 4 StR 207/71, BGHSt 24, 218 [juris Rn. 17]), kodifiziert werden (vgl. Entwurf eines Strafgesetzbuches [E 1962] vom 4. Oktober 1962, BT-Drucks. IV/650, S. 259; dazu Greger/Weingarten in LK-StGB, 14. Aufl., § 78a Rn. 1; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 78a Rn. 2). Die Verjährung sollte nach Vorstellung des Gesetzgebers also erst zu laufen beginnen, "sobald das strafbare Verhalten beendet ist", nicht jedoch vor Erfolgseintritt (so Zweiter Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drucks. V/4095, S. 44; BT-Drucks. IV/650, S. 33). Im Verhältnis von Erfolg und nachfolgender Verhaltensbeendigung sollte Letztere für den Verjährungsbeginn maßgebend sein (vgl. BT-Drucks. IV/650, S. 33; Greger/Weingarten, aaO, § 78a Rn. 1; Fischer, aaO, § 78a Rn. 2a). Bei Dauerstraftaten sollte die Verfolgungsverjährung in dem Zeitpunkt beginnen, "in dem der Täter aufhört, den rechtswidrigen Zustand aufrechtzuerhalten" (BT-Drucks. IV/650, S. 259). Soweit in Art. 18 Nr. 46 EGStGB die zuvor verwendete Formulierung "das strafbare Verhalten" durch den Begriff "die Tat" ersetzt wurde, sollte es sich ausdrücklich nur um eine "redaktionelle Änderung" zur Anpassung an den "allgemeinen Sprachgebrauch" handeln (vgl. Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 11. Mai 1973, BT-Drucks. 7/550, S. 215; dazu Greger/Weingarten, aaO, § 78a Rn. 1).
Rz. 22
(2) Die für die Verfolgungsverjährung maßgebliche "Beendigung" der Tat tritt also im deutschen Recht nach dem Willen des Gesetzgebers erst ein, wenn die auf demselben Vorsatz beruhende Gesamttätigkeit des Täters abgeschlossen ist. Der prozessual abgegrenzte Lebenssachverhalt ist in diesem Kontext ebenso wenig entscheidend wie die Verwirklichung des gesetzlichen Straftatbestands (vgl. BGHSt 16, 207 [juris Rn. 4]; BGHSt 24, 218 [juris Rn. 15 bis 17]; Fischer, aaO, § 78a Rn. 2a; Dallmeyer, ZStW 2012, 711, 714 mwN). Dies hat zur Folge, dass zwischen der Erfüllung des gesetzlichen Tatbestands und dem Beginn der Verjährungsfrist ein durchaus erheblicher Zeitraum liegen kann, beispielsweise bei Taten, bei denen der Gesetzgeber zur Gewährung eines effektiven Rechtsgüterschutzes einen Deliktstypus mit vorverlagertem Vollendungszeitpunkt gewählt hat. So beginnt etwa die Verjährung beim vollendeten Betrug gemäß § 263 StGB mit der Erlangung des letzten vom Tatvorsatz umfassten Vermögensvorteils zu laufen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2000 - 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159 [juris Rn. 2, 17] [Zahlung eines Grundstückskaufpreises in Tranchen]; Beschlüsse vom 25. April 2014 - 1 StR 13/13, BGHSt 59, 205 Rn. 60; vom 18. November 2015 - 4 StR 76/15, NStZ-RR 2016, 42 Rn. 6 [vollständige Auszahlung einer Darlehensvaluta]; vom 13. Januar 2021 - 3 StR 348/20, juris Rn. 2 f.; vom 20. Juli 2021 - 4 StR 439/20, NZV 2022, 25 Rn. 4; vom 30. März 2022 - 2 StR 151/21, NStZ-RR 2022, 241 Rn. 3; Urteil vom 8. März 2023 - 1 StR 281/22, NZWiSt 2023, 317 Rn. 9; vgl. auch BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2020 - 6 StR 251/20, BeckRS 2020, 41132 Rn. 8 [endgültige Abwendung einer Regressforderung]). Im Falle der langjährigen geheimdienstlichen Agententätigkeit stehen rechtsstaatliche Gründe selbst der - möglicherweise jahrzehntelangen - Hinauszögerung des Verjährungsbeginns bis zur Beendigung des letzten Tatteils nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 1997 - 3 StR 525/96, BGHSt 43, 1 [juris Rn. 16]). Der gesetzliche Tatbestand bildet mitunter nur einen Ausschnitt des materiellen Unrechts ab; verjährungsrechtlich ist jedoch der Abschluss des Unrechts maßgebend, welches der Straftat ihr Gepräge gibt (vgl. Dallmeyer, ZStW 2012, 711, 714 mwN). Verfassungsrechtlich ist dieses Verständnis der verjährungsrechtlichen Tatbeendigung unbeanstandet geblieben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Februar 1991 - 2 BvR 102/91, NJW 1992, 223 [zur fortgesetzten Handlung]).
Rz. 23
(3) Für das Ordnungswidrigkeitenrecht gilt nichts Anderes. Eine Ordnungswidrigkeit ist im Sinne des § 31 Abs. 3 OWiG beendet, wenn der Täter sein rechtsverneinendes Tun insgesamt abgeschlossen, also das Tatunrecht in vollem Umfang tatsächlich verwirklicht hat (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2018 - KRB 58/16, juris Rn. 13 - Flüssiggas II; WuW 2020, 615 Rn. 15 mwN - Unterlassenes Angebot; vgl. auch BGH, Urteile vom 19. Juni 2008 - 3 StR 90/08, BGHSt 52, 300 Rn. 6; vom 6. September 2011 - 1 StR 633/10, NStZ 2012, 511 Rn. 101; BeckRS 2020, 41132 Rn. 8; Beschluss vom 24. März 2022 - 3 StR 375/20, wistra 2022, 422 Rn. 28; Urteil vom 14. Juli 2022 - 6 StR 227/21, NStZ-RR 2022, 306 Rn. 27 f.). Anknüpfungspunkt ist damit auch bei sanktionsbewehrtem wettbewerbswidrigen Verhalten nicht allein die tatbestandliche Verwirklichung der Ordnungswidrigkeit. Vielmehr sind für die Tatbeendigung im Sinne des § 31 Abs. 3 OWiG auch solche Umstände relevant, die zwar nicht mehr von der objektiven Tatbestandsumschreibung erfasst werden, aber dennoch das materielle Unrecht der Tat vertiefen, weil sie den Angriff auf das geschützte Rechtsgut intensivieren oder perpetuieren (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 2. Dezember 2005 - 5 StR 119/05, NJW 2006, 925 [juris Rn. 24]; BGHSt 52, 300 Rn. 6; NStZ 2012, 511 Rn. 101; Beschluss vom 14. März 2016 - 1 StR 337/15, NJW 2016, 1525 Rn. 13; Urteil vom 18. Mai 2017 - 3 StR 103/17, NJW 2017, 2565 Rn. 15; Beschlüsse vom 25. Oktober 2017 - 2 StR 252/16, BGHSt 63, 40 Rn. 16; vom 12. Dezember 2017 - 2 StR 308/16, NStZ-RR 2018, 178 Rn. 20 f.; vom 9. Oktober 2018 - KRB 58/16, juris Rn. 13 - Flüssiggas II; WuW 2020, 615 Rn. 15 - Unterlassenes Angebot; wistra 2022, 422 Rn. 28).
Rz. 24
cc) Für eine nach § 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB bußgeldbewehrte Submissionsabsprache, die zum Zuschlag an das durch sie begünstigte Unternehmen führt, beginnt die Verjährung nach diesen Grundsätzen nicht schon mit dem sich aus der wettbewerbsbeschränkenden Absprache ergebenden Vertragsschluss, sondern erst mit der vollständigen Vertragsabwicklung. Abgewickelt ist der Vertrag jedenfalls nicht vor Erstellung der Schlussrechnung.
Rz. 25
(1) Als das Unrecht der Tat vertiefende Ausführungshandlungen der wettbewerbswidrigen Abstimmung im Sinne der § 81 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Art. 101 AEUV wie auch § 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB kommen danach nicht nur Tätigkeiten in Betracht, die der unzulässigen Vereinbarung des Marktverhaltens unmittelbar nachfolgen und die Gefahr einer Beeinträchtigung der Marktverhältnisse als Folge einer Durchsetzung des unwirksamen Vertrags erstmals begründen, sondern auch alle Handlungen, die nach der Vorstellung des Täters dem im konkreten Fall verfolgten Ziel einer wettbewerbswidrigen Vereinbarung dienen, soweit sie geeignet sind, die Marktbeeinflussung durch Beschränkung des Wettbewerbs zu verstärken.
Rz. 26
(2) Bei verbotenen Submissionsabsprachen sind nicht allein die manipulierten Angebote geeignet, diese Wirkung hervorzurufen, sondern es ist gerade auch die erfolgreiche Abwicklung der so erlangten Verträge, welche die Marktstellung des begünstigten Unternehmens auf Kosten seiner Konkurrenten und der Marktgegenseite stärkt und so die Gefahr einer Marktbeeinflussung durch Wettbewerbsbeschränkung vergrößert (vgl. auch BGHSt 32, 389 [juris Rn. 17 bis 21 mwN] - Schlussrechnung).
Rz. 27
(a) Beteiligt sich ein Unternehmen an einer verbotenen Submissionsabsprache mit dem Ziel, den ausgeschriebenen Auftrag zu erhalten, sind deshalb die Einreichung des Angebots, die weiteren vertraglichen Vereinbarungen mit dem Auftraggeber und schließlich die Erstellung der Schlussrechnung in der Regel als Handlungen anzusehen, mit denen er sich über das Verbot der abgestimmten Verhaltensweise im Sinne von § 81 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Art. 101 AEUV wie auch von § 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB hinwegsetzt (st. Rspr., vgl. BGHSt 32, 389 [juris Rn 17 bis 21] - Schlussrechnung; EWiR 1987, 57 [juris Rn. 34 bis 36] - Prüfgruppe; WuW/E BGH 2659 [juris Rn. 8] - Leerangebot; WuW/E DE-R 1233 [juris Rn. 18] - Frankfurter Kabelkartell; WuW 2020, 615 Rn. 17 - Unterlassenes Angebot).
Rz. 28
(b) Das sanktionsbewehrte Unrecht dauert bei der Submissionsabsprache danach jedenfalls bis zur Erstellung der Schlussrechnung an. Vor diesem Zeitpunkt ist der Vertrag nicht abgewickelt. Die durch § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. § 1 GWB geschützte Freiheit des Wettbewerbs ist auch nach Abschluss des Vertrages und Bestimmung der wesentlichen Elemente von Leistung und Gegenleistung fortwirkend beeinträchtigt; die wettbewerblichen Auswirkungen auf den Markt entfallen hierdurch nicht. Zwar besteht bei einer auf eine einzelne Ausschreibung beschränkten Submissionsabsprache nach Abschluss des Vertrags insoweit kein Bieterwettbewerb mehr, der noch beschränkt werden könnte. Dies lässt aber keine Aussage über fortwirkende, das Unrecht vertiefende Folgen der wettbewerbswidrigen Absprache zu. Solange solche Folgen weiter eintreten, besteht kein Anlass, den staatlichen Strafanspruch aus Verhältnismäßigkeitserwägungen aufzugeben (vgl. Meyer-Lindemann in LMRKM, Kartellrecht, 4. Aufl., § 81 GWB Rn. 240; a.A. Achenbach in FK-Kartellrecht, 108. Lieferung, § 81 GWB Rn. 46; Biermann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 7. Aufl., vor § 81 GWB Rn. 193; Ritz/Weber, NZKart 2021, 163, 165). Wettbewerbswidrige Preisabsprachen führen bei der ausschreibenden Stelle zu einer gezielten Täuschung über Marktlage und -preise, die nicht nur die Vermögensschädigung des Auftraggebers, sondern je nach den Umständen des Einzelfalls infolge der Schaffung von Referenzpreisen eine allgemeine Steigerung des Preisniveaus auch für nicht kartellbefangene Aufträge zur Folge haben kann, die nicht unmittelbar Gegenstand der Kartellabsprache waren (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2020 - KZR 24/17, BGHZ 224, 281 Rn. 43 - Schienenkartell II; zu Preisschirmeffekten s. BGH, Urteil vom 19. Mai 2020 - KRZ 8/18, WuW 2020, 597 Rn. 38 - Schienenkartell IV). Die Gefahr für den Wettbewerb, welcher der Gesetzgeber unter anderem mit der Schaffung der Sanktionsnormen in § 81 GWB und § 298 StGB entgegenwirken will, besteht jedenfalls bis zur vollständigen Vertragsabwicklung fort. Es kommt daher nicht entscheidend darauf an, dass § 81 GWB und § 298 StGB neben dem Vertrauen des Einzelnen in den freien Wettbewerb mittelbar auch die Vermögensinteressen des Veranstalters - und gegebenenfalls der Mitbewerber - schützen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2013 - 3 StR 167/13, BGHSt 59, 34 Rn. 22).
Rz. 29
(c) Die Erstellung der Schlussrechnung als Zeitpunkt der Tatbeendigung ist maßgebend nicht nur für den von der Submissionsabsprache Begünstigten, der infolge des Zuschlags den Vertrag geschlossen und abgewickelt hat, sondern für sämtliche Personen, welche die Absprache getroffen haben. Der Senat hat bereits entschieden, dass dies auch gilt, soweit die Absprachebeteiligten vereinbarungsgemäß überbietende Angebote abgegeben haben (vgl. BGH, EWiR 1987, 57 [juris Rn. 34 bis 36] - Prüfgruppe ["regelmäßig"]; WuW/E BGH 2659 [juris Rn. 8] - Leerangebot; WuW/E DE-R 1233 [juris Rn. 18] - Frankfurter Kabelkartell), und auch derjenige Beteiligte nicht anders zu behandeln ist, der aufgrund der Absprache von einem dem Ausschreibenden zugesagten Angebot vorsätzlich abgesehen hat (vgl. BGH, WuW 2020, 615 Rn. 18 bis 23 - Unterlassenes Angebot).
Rz. 30
dd) Diese Bestimmung des Verjährungsbeginns gewährleistet einen Gleichlauf der Kartellordnungswidrigkeiten nach § 81 Abs. 1 und 2 Nr. 1 GWB mit der - hier hinsichtlich der Projekte "R. -D. (H. )" und "K. D., L. " in Betracht kommenden - Strafnorm des § 298 StGB.
Rz. 31
(1) Der Gesetzgeber hat wettbewerbsbeschränkende Absprachen im Sinne des § 1 GWB, welche bei einer Ausschreibung oder einer freihändigen Vergabe nach vorausgegangenem Teilnehmerwettbewerb abgeschlossen werden und darauf abzielen, den Veranstalter zur Annahme eines bestimmten Angebots zu veranlassen, nach § 298 StGB unter Strafe gestellt. Die Vorschrift schützt neben dem freien Wettbewerb zugleich die Vermögensinteressen des Veranstalters und der Mitbewerber (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption vom 24. September 1996, BT-Drucks. 13/5584, S. 13; BGHSt 59, 34 Rn. 22). Mit Blick auf ihr Schutzgut ist sie bewusst als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet, denn eine wettbewerbsbeschränkende, den Preisbildungsprozess betreffende Wirkung liegt bereits in der für Submissionsabsprachen typischen Wiederholung und allmählichen Steigerung der Angebotspreise in zukünftigen Vergabeverfahren. Dass im konkreten Fall keine Vermögensschädigung beim Auftraggeber eingetreten ist, hindert diese Wirkung nicht (vgl. BGHSt 59, 34 Rn. 22; Beschluss vom 19. Dezember 2002 - 1 StR 366/02, wistra 2003, 146 Rn. 4; Fischer, aaO, § 298 Rn. 3; Bosch in Satzger/Schluckebier/Werner, StGB, 6. Aufl., § 298 Rn. 1; Rogall in SK-StGB, 9. Aufl., § 298 Rn. 4.; Tsambikakis in Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, Wirtschaftsstrafrecht, § 298 Rn. 5; Rotsch, ZIS 2014, 579, 582).
Rz. 32
(2) Für die Beendigung der Tathandlung des § 298 StGB gelten die zu den Kartellordnungswidrigkeiten nach § 81 Abs. 1 und Abs. 2 GWB entwickelten Grundsätze entsprechend (vgl. König, JR 1997, 397, 402; Fischer, aaO, § 298 Rn. 15b; Heine/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 298 Rn. 27; a.A. Heger in Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 298 Rn. 7, Hohmann in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 298 Rn. 109 [Abgabe des Angebots]; a.A. Dannecker/Schröder in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger, StGB, 6. Aufl., § 298 Rn. 174 bis 176; Bosch in Satzger/Schluckebier/Werner, StGB, 6. Aufl., § 298 Rn. 17, Lindemann in LK-StGB, 13. Aufl., § 298 Rn. 59 [Erteilung des Zuschlags]). Dass dies dem Verständnis und Willen des Gesetzgebers entspricht, ist insbesondere § 298 Abs. 3 StGB zu entnehmen. Diese Vorschrift lässt die nur bis zur Beendigung der Tat im materiell-rechtlichen Sinne denkbare tätige Reue des Täters zu, wenn er freiwillig die Annahme des Angebots oder die Leistungserbringung verhindert. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts ist der Angriff auf die geschützten Rechtsgüter zuvor nicht abgeschlossen, denn dieser wirkt sowohl auf den Markt als auch auf die Vermögensinteressen der Beteiligten bis zur vollständigen Abwicklung des inkriminierten Vertrags fort.
Rz. 33
b) Das Unionsrecht steht der Anwendbarkeit dieser für die Verfolgungsverjährung von Submissionsabsprachen dargestellten Grundsätze des deutschen Rechts nicht entgegen. Zwar gilt im deutschen Verjährungsrecht, anders als im Unionsrecht, das in Art. 25 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. EU Nr. L 1 vom 4. Januar 2003, S. 1) (im Folgenden: VO 1/2003) von einem rein tatbestandsbezogenen Beendigungsbegriff ausgeht ("beginnt die Verjährung jedoch erst mit dem Tag, an dem die Zuwiderhandlung beendet ist"), ein weites Verständnis von der Beendigung einer strafbaren Handlung. Sie kann erst nach der tatbestandlichen Handlung als solche mit dem vollständigen Abschluss des tatbestandlichen Unrechts eintreten, so dass die Verjährung im Vergleich zum Unionsrecht später anläuft und daher auch die Tat später verjährt. Die Ahndung von Kartellordnungswidrigkeiten durch die Wettbewerbs- und Verfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten richtet sich aber grundsätzlich nach dem jeweiligen nationalen - hier: nach deutschem - Verfahrensrecht, zu dem auch die Vorschriften über die Verfolgungsverjährung zählen.
Rz. 34
aa) Für die Durchsetzung der unionsrechtlichen Wettbewerbsvorschriften der Art. 101 und 102 AEUV sind nach der Verordnung 1/2003 zugleich die Europäische Kommission, die nationalen Wettbewerbsbehörden und die Gerichte der Mitgliedstaaten zuständig, die in enger Verbindung handeln, um eine gleichermaßen effiziente, kohärente und einheitliche Anwendung des materiellen Unionskartellrechts zu gewährleisten. Dabei wenden die nationalen Behörden und Gerichte das Unionsrecht unter Wahrung ihrer nationalen Verfahrensautonomie im Lichte der unionsrechtlichen Grundsätze der Effektivität und Adäquanz unmittelbar an (vgl. EuGH, Urteile vom 21. Januar 2021 - C-308/19, ECLI:EU:C:2021:47, WuW 2021 227 Rn. 37 und 46 - Whiteland; vom 10. November 2022 - C-385/21, ECLI:EU:C:2022:866 Rn. 34 - Zenith Media; Schlussanträge des Generalanwalts vom 3. September 2020 - C-308/19, ECLI:EU:C:2020:639, Rn. 47 bis 51 - Whiteland; vgl. auch von Köckritz/Wessely in Schröter/Klotz/von Wendland, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl., Art. 101 AEUV Rn. 358; Ost, NZKart 2019, 69 f.).
Rz. 35
Eine Harmonisierung der für die nationalen Behörden und Gerichte geltenden Verfahrensrechte der Mitgliedstaaten zur Durchsetzung des (jeweiligen) nationalen und des Unionskartellrechts sieht die Verordnung 1/2003 indes nicht vor. Soweit Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VO 1/2003 bestimmt, dass die Anwendung des einzelstaatlichen Wettbewerbsrechts nicht zum Verbot von Vereinbarungen, Beschlüssen oder abgestimmten Verhaltensweisen führen darf, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind, aber nach Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV oder einer Gruppenfreistellungsverordnung zulässig sind, wird damit allein der Anwendungsvorrang des Art. 101 AEUV im Verhältnis zu den Verbotstatbeständen des nationalen Kartellrechts geregelt (vgl. Biermann in Immenga/Mestmäcker, aaO, vor § 81 GWB Rn. 36). Die Regelung betrifft damit allein die Ebene des materiellen Kartellrechts (vgl. Bardong in MüKo Wettbewerbsrecht, Art. 3 VO Nr. 1/2003 Rn. 69; Rehbinder in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl., Art. 3 VO 1/2003 Rn. 19; Köckritz/Wessely in Schröter/Klotz/von Wendland, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl., Art. 101 AEUV Rn. 358; Weitbrecht, EuZW 2003, 69 f.). Dementsprechend können die nationalen Wettbewerbsbehörden Sanktionen wegen Verstößen gegen Art. 101, 102 AEUV nur nach Maßgabe des nationalen Rechts verhängen.
Rz. 36
Die Entstehungsgeschichte der Verordnung 1/2003 belegt, dass mit ihr keine Vereinheitlichung der von den Mitgliedstaaten bei der Durchsetzung des Kartellrechts angewandten Verfahrensrechte beabsichtigt war. In der Begründung ihres Vorschlags zu der Verordnung hat die Europäische Kommission ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie "keine Harmonisierung der einzelstaatlichen Sanktionen" vorsieht (KOM/2000/0582 endg.). Der Verordnungsgeber der Verordnung 1/2003 hat also bewusst eine gegebenenfalls uneinheitliche Sanktionierung von Verstößen gegen die Art. 101 und 102 AEUV durch die Mitgliedsstaaten in Kauf genommen (vgl. Biermann in Immenga/Mestmäcker, aaO, vor § 81 Rn. 26; Meeßen in Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 60. EL 2024, H. I. § 5 Verfahren in Wettbewerbssachen Rn. 27; Zuber in LMRKM, Kartellrecht, 4. Aufl., Art. 3 VO 1/2003 Rn. 2). Die Verfahrensvorschriften des nationalen Sanktionenrechts - wie etwa § 31 Abs. 3 Satz 2 OWiG - sind nach der Verordnung 1/2003 somit allein insofern unionsrechtlich determiniert, als sie die Wirksamkeit des Unionsrechts im Sinne des effet utile gewährleisten müssen und deshalb nicht hinter den Regelungen des Unionsrechts zurückbleiben dürfen (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Juni 2013 - C-681/11, WuW/E EU-R 2754 Rn. 36 - Schenker).
Rz. 37
bb) Durch die Richtlinie (EU) 2019/1 des europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts (ABl. EU L 11 vom 14. Januar 2019, S. 3) (im Folgenden: ECN+-Richtlinie) sind die verfahrensrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten zum Beginn der Verjährung ebenfalls nicht harmonisiert worden. Nach Art. 29 und Erwägungsgrund 70 der Richtlinie stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass ihre jeweiligen nationalen Verjährungsfristen für die Verhängung von Sanktionen wegen eines Verstoßes gegen das Unionskartellrecht gehemmt oder unterbrochen werden, solange Durchsetzungsverfahren wegen desselben Kartellrechtsverstoßes vor den Wettbewerbsbehörden anderer Mitgliedstaaten oder der Kommission andauern. Erwägungsgrund 70 konkretisiert den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz dahingehend, dass "praktikable Vorschriften für Verjährungsfristen erforderlich" und die Mitgliedstaaten nicht gehindert sind, absolute Verjährungsfristen beizubehalten oder einzuführen (vgl. dazu auch Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 3 ECN+-Richtlinie), sofern diese die wirksame Durchsetzung des Unionskartellrechts nicht praktisch unmöglich oder übermäßig schwierig machen.
Rz. 38
cc) Auch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu mitgliedstaatlichen Verfahrensvorschriften, insbesondere zum Verjährungsbeginn, ergeben sich keine Anforderungen, die über die Einhaltung der Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität hinausgehen (vgl. EuGH, WuW 2021 227 Rn. 45 bis 51 - Whiteland).
Rz. 39
(1) Bei der Anwendung und Auslegung verfahrensrechtlicher Bestimmungen geht der Unionsgerichtshof - entsprechend den Vorgaben der Verordnung 1/2003 - grundsätzlich von der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten aus. Diese legen die Modalitäten des Verfahrensrechts fest, wobei jedoch die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität gewahrt sein müssen (vgl. EuGH, Urteile vom 10. April 2003 - C-276/01, ECLI:EU:C:2003:228 Rn. 60 - Joachim Steffensen; vom 15. März 2007 - C-35/05, ECLI:EU:C:2007:167 Rn. 40 - Reemtsma; vom 10. Juli 2014 - C-213/13, ECLI:EU:C:2014:2067 Rn. 54 - Impresa Pizzarotti; vom 24. Oktober 2018 - C-234/17, ECLI:EU:C:2018:853 Rn. 21 - XC u.a.; vom 10. Februar 2022 - C-219/20, ECLI:EU:C:2022:89 Rn. 41 - Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld; vom 9. April 2024 - C-582/21, ECLI:EU:C:2024:282, EuZW 2024, 599 Rn. 39 - FY/Profi Credit Polska).
Rz. 40
(2) Dies hat der Unionsgerichtshof auch für Regelungen der Mitgliedstaaten zur Verfolgungsverjährung eines wettbewerbswidrigen Verhaltens ausdrücklich bestätigt. Danach obliegt es im System der dezentralisierten Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften der Union den Mitgliedstaaten, die Verjährungsvorschriften für die Verhängung von Sanktionen durch die nationalen Wettbewerbsbehörden festzulegen, sofern dabei die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität eingehalten werden. Die für die Kommission geltenden Verjährungsregelungen sind nicht auf die nationalen Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten anwendbar (EuGH, WuW 2021 227 Rn. 37 und 40 - Whiteland). Die Vereinbarkeit eines nationalen Verjährungsregimes mit dem Unionsrecht prüft der Unionsgerichtshof deshalb allein am Maßstab der wirksamen Anwendung des Unionsrechts. Eine nationale Regelung, die den Zeitpunkt, zu dem die Verjährungsfrist zu laufen beginnt, deren Dauer und die Modalitäten ihrer Hemmung oder Unterbrechung festlegt, muss danach den wettbewerbsrechtlichen Besonderheiten und den Zielen der Umsetzung der Wettbewerbsvorschriften angepasst sein, um nicht der vollen Wirksamkeit der Wettbewerbsvorschriften der Union zu schaden (vgl. EuGH, WuW 2021 227 Rn. 52 - Whiteland, [unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 28. März 2019 - C-637/17, ECLI:EU:C:2019:263, WuW 2019, 258 Rn. 47 - Cogeco, zu zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen]).
Rz. 41
dd) Die im Streitfall einschlägigen Verjährungsregelungen genügen den unionsrechtlichen Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität und finden daher uneingeschränkt Anwendung.
Rz. 42
(1) Der Grundsatz der Äquivalenz ist nicht berührt. Danach ist die Ausgestaltung der Verfahrensregelungen zur Anwendung des Unionsrechts bei Fehlen unionsrechtlicher Bestimmungen zwar den Mitgliedstaaten überlassen, jedoch darf das nationale Recht für die Verfolgbarkeit von Verstößen gegen Unionskartellrecht keine strengeren Voraussetzungen aufstellen als für die Verfolgbarkeit von Verstößen gegen das nationale Kartellrecht (EuGH, Urteile vom 13. Juli 2006 - C 295-298/04, ECLI:EU:C:2006:461 Rn. 62 - Manfredi; vom 5. Juni 2014 - C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 25 - Kone; EuZW 2024, 599 Rn. 40 - FY/Profi Credit Polska; vgl. auch Art. 4 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union [ABl. EU L 349 vom 5. Dezember 2014, S. 1]). Das ist hier nicht der Fall, weil das nationale Verfahrensrecht, insbesondere das Verjährungsregime, unterschiedslos sowohl zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen mit grenzüberschreitendem Bezug nach § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 101 Abs. 1 AEUV als auch - bei nationalen Sachverhalten - nach § 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB zur Anwendung kommt.
Rz. 43
(2) Die Anforderungen an das nationale Recht, die sich aus dem Grundsatz der Effektivität ergeben, sind ebenfalls erfüllt. Danach dürfen die Vorschriften des nationalen Rechts die Verwirklichung des Unionsrechts nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren und müssen, speziell im Bereich des Wettbewerbsrechts, dafür sorgen, dass die wirksame Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV nicht beeinträchtigt wird. Nach Art. 4 Abs. 3 EUV dürfen die Mitgliedstaaten keine Maßnahmen ergreifen oder beibehalten, die die praktische Wirksamkeit der für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln beseitigen könnten. Bei nationalen Regelungen des Verjährungsrechts sind diese Anforderungen nach der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs insbesondere dann nicht gewahrt, wenn sie die Maßnahmen der mitgliedstaatlichen Kartellbehörden übermäßig erschweren (vgl. EuGH, Urteile vom 14. Juni 2011 - C-360/09, ECLI:EU:C:2011:389 Rn. 24 - Pfleiderer; WuW 2021 227 Rn. 46 - Whiteland; vom 13. Juli 2023 - C-615/21, ECLI:EU:C:2023:573 Rn. 47 - Napfény Toll; vom 18. April 2024 - C-605/21, ECLI:EU:C:2024:324, WuW 2024, 329 Rn. 51 und 79 - Heureka; vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 3. September 2020, ECLI:EU:C:2020:639 Rn. 48 bis 52, 75 bis 81 - Whiteland; in diesem Sinne auch EuGH, Urteile vom 19. März 1992 - C-60/91, ECLI:EU:C:1992:140 Rn. 11 mwN - Batista Morais; vom 7. Dezember 2010 - C 439/08, ECLI:EU:C:2010:739 Rn. 56 - VEBIC).
Rz. 44
Eine Gefahr für die Durchsetzung und damit für die einheitliche Anwendung des Unionsrechts hat der Gerichtshof der Europäischen Union dementsprechend allein in solchen Fällen angenommen, in denen das nationale Gericht in Anwendung des nationalen Verjährungsregimes auf Nichtverfolgbarkeit der unionsrechtlich sanktionsbewehrten Tat (vgl. EuGH, Urteile vom 8. September 2015 - C-105/14, ECLI:EU:C:2015:555 Rn. 47 - Tarico; WuW 2021 227 Tenor Ziff. 2 und Rn. 53, 56, 57 f., 60, 65 - Whiteland) oder Abweisung daraus resultierender zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche (vgl. EuGH, Urteile vom 14. März 2019 - C-724/17, ECLI:EU:C:2019:204 Rn. 43 bis 46 - Vantaan kaupunki/Skanska; WuW 2019, 258 Rn. 55 - Cogeco; WuW 2024, 329 Rn. 51 und 79 - Heureka) erkannt hatte.
Rz. 45
So liegt es hier nicht. Die Anwendung der Verjährungsvorschriften nach § 81g GWB, §§ 31 ff. OWiG stellt die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicher. Die mit fünf Jahren bemessene Dauer der Verjährungsfrist in § 81g Abs. 1 Satz 2 GWB stimmt mit der Regelung in Art. 25 Abs. 1 Buchst. b VO 1/2003 überein. Die Regelungen über die Unterbrechung der Verjährung nach § 81g Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GWB, § 33 Abs. 1 OWiG, über das Ruhen nach § 81g Abs. 3 GWB und über die Ablaufhemmung nach § 81g Abs. 4 Satz 2 GWB entsprechen im Wesentlichen ebenfalls denjenigen des Art. 25 Abs. 3 bis 6 VO 1/2003. Sie sind insbesondere für den Bebußten unter keinen Umständen günstiger, so dass sich die Frage hinreichend effektiver Verfolgung insoweit nicht stellt. Ein Unterschied zum unionsrechtlichen Verjährungsregime liegt allein in der Bestimmung des für den Anlauf der Verjährungsfrist maßgeblichen Zeitpunkts. Während das Unionsrecht hier bei der Anwendung des Art. 101 AEUV von einem materiell- und verfahrens- und somit auch verjährungsrechtlich einheitlichen Tatbegriff und -ende ausgeht, liegt dem deutschen Recht ein differenzierter Tatbegriff zugrunde, bei dem das für den Beginn der Verjährung maßgebliche Ende der Tat aufgrund nicht abgeschlossenen Unrechts zeitlich auch nach der tatbestandlichen Handlung liegen kann. Eine solche (nationale) Bestimmung des Verjährungsbeginns kann niemals zu einer früheren Vollendung der Verjährung führen als dies bei Anwendung von Art. 25 Abs. 2 VO 1/2003 der Fall wäre. Die wirksame Durchsetzung des Unionskartellrechts gefährdet sie nicht. Soweit ihre Anwendung im Einzelfall zu einem späteren Verjährungseintritt führen kann, stellt dies keinen Verstoß gegen den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz dar. Den Mitgliedstaaten sind strengere Verfahrensregelungen unbenommen.
Rz. 46
ee) Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 14. Januar 2021 (RIW 2021, 371 - Eltel) gibt im Streitfall zu einer abweichenden Beurteilung des Verjährungsbeginns keinen Anlass. Es bindet die Gerichte der Mitgliedstaaten nur im Hinblick darauf, wann und unter welchen Voraussetzungen die Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV nach unionsrechtlichem Verständnis - auch im Hinblick auf den Beginn der unionsrechtlichen Verfolgungsverjährung - beendet ist. Die Anwendung - vom Unionsrecht abweichender - mitgliedstaatlicher Regelungen zum verjährungsrechtlich maßgebenden Zeitpunkt der Beendigung einer solchen Zuwiderhandlung (wie der § 81g GWB, §§ 31 ff. OWiG und §§ 78 ff. StGB) wird davon hingegen nicht berührt.
Rz. 47
(1) Der Entscheidung des Gerichtshofs lag ein Kartellverfahren wegen einer Submissionsabsprache zugrunde, das die finnische Wettbewerbsbehörde ahnden wollte. Das finnische Gericht für Wirtschaftssachen wies den Bußgeldantrag wegen Verjährung zurück. Nach § 22 des finnischen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen dürfe eine Geldbuße nicht wegen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV verhängt werden, wenn der Antrag an das zuständige Gericht nicht innerhalb von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt gestellt werde, in dem die Wettbewerbsbeschränkung geendet oder die Behörde Kenntnis von der Wettbewerbsbeschränkung erlangt habe (dazu EuGH, RIW 2021, 371 Rn. 3 - Eltel). Die fünfjährige Verjährungsfrist ist dabei nach finnischem Recht die gleiche wie die, die im Unionsrecht Anwendung findet (vgl. Vorabentscheidungsersuchen des Korkein hallinto-oikeus (Finnland) vom 10. Juni 2019 - C-450/19, curia Rn. 20). Danach hat der finnische Gesetzgeber - anders als der deutsche - für den Bereich des Kartellrechts vorgesehen, dass im finnischen Sanktionenrecht die unionsrechtliche Regelung des Verjährungsbeginns gelten soll.
Rz. 48
(2) Der vom finnischen Obersten Verwaltungsgericht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV angerufene Unionsgerichtshof führte zum unionsrechtlichen Verjährungsbeginn aus, dass für ein Unternehmen, das an einer gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßenden Submissionsabsprache für einen öffentlichen Bauauftrag beteiligt gewesen sein soll, den Zuschlag erhalten und mit dem Auftraggeber einen Vertrag über diesen Bauauftrag geschlossen hat, der Zeitraum der Zuwiderhandlung dem Zeitraum bis zur Unterzeichnung des Vertrags entspreche. Bei einer solchen Submissionsabsprache über die anzubietenden Preise und/oder die Auftragsvergabe entfielen die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen des Kartells grundsätzlich spätestens, wenn die wesentlichen Merkmale des Auftrags und insbesondere der zu zahlende Gesamtpreis zwischen dem erfolgreichen Bieter und dem öffentlichen Auftraggeber endgültig bestimmt worden seien, da Letzterem zu diesem Zeitpunkt endgültig die Möglichkeit genommen werde, die in Rede stehenden Güter, Bau- oder Dienstleistungen unter normalen Marktbedingungen zu erhalten (EuGH, RIW 2021, 371 Rn. 35 - Eltel). Danach gebiete auch die "wirksame Durchführung" von Art. 101 AEUV nicht, die Dauer der Zuwiderhandlung "künstlich" über diesen Zeitpunkt hinaus zu verlängern, um deren Verfolgung zu ermöglichen (aaO, Rn. 40).
Rz. 49
(3) Die Bestimmung des für das finnische Recht maßgeblichen Zeitpunkts der Tatbeendigung einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV ist für den im deutschen Recht - im Einklang mit dem Unionsrecht - abweichend geregelten Verjährungsbeginn (vgl. oben Rn. 18 ff.) ohne Bedeutung. Die in Finnland kraft autonomer Entscheidung erfolgte Anlehnung des nationalen Rechts an die unionsrechtlichen Vorschriften, die die Anfrage an den Gerichtshof der Europäischen Union überhaupt erst erforderlich und möglich gemacht hat, findet in Deutschland keine Entsprechung. Zwar hat auch der deutsche Gesetzgeber - zuletzt bei der Umsetzung der ECN+-Richtlinie - die Harmonisierung und Verzahnung der deutschen Vorschriften mit dem Unionsrecht bewusst immer weiter vorangetrieben (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 und anderer wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen vom 19. Oktober 2020, BT-Drucks. 19/23492, S. 124 bis 140). Von einer (überschießenden) Umsetzung der Richtlinienvorgaben im Sinne einer vollständigen Anpassung des nationalen Kartellverfahrensrechts an das Unionsrecht hat er aber anders als Finnland gerade abgesehen und sich stattdessen bewusst für die Schaffung der §§ 81-81g GWB entschieden (vgl. BT-Drucks. 19/23492, S. 124).
Rz. 50
c) Nach alldem besteht kein Anlass zur Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Frage der Vereinbarkeit der deutschen Regelungen über die Verfolgungsverjährung, insbesondere des in diesem Zusammenhang maßgeblichen Begriffs der Tatbeendigung, mit dem Unionsrecht (Art. 101 AEUV, Art. 4 Abs. 3 AEUV, Art. 25 VO 1/2003). Eine Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht unter anderem dann nicht, wenn die richtige Auslegung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. EuGH, Urteile vom 6. Oktober 1982 - Rs. 283/81, ECLI:EU:C:1982:335 Rn. 21 - Cilfit u. a.; vom 15. September 2005 - C-495/03, ECLI:EU:C:2005:552 Rn. 33 - Intermodal Transports; vom 4. Oktober 2018 - C-416/17, ECLI:EU:C:2018:811 Rn. 110 - Kommission/Frankreich; vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - KVB 56/22, WRP 2024, 1220 Rn. 209 - Amazon). Das ist hier der Fall. Angesichts dieser Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten kommt es auch nicht darauf an, ob sich aus dem Grundsatz der effektiven Durchsetzung der Wettbewerbsregeln eine Notwendigkeit ergibt, die Verjährung erst nach endgültiger Bestimmung der wesentlichen Merkmale eines Auftrags in Gang zu setzen.
Rz. 51
d) Die im Urteil unter A.VI. festgestellten Kartellordnungswidrigkeiten ("Projekt F. [T. I. ] [F. "; Projekt "R. - D. (H. )"; Projekt "K. D., L. "; Projekt "K. M. - ") sind mithin nicht in der vom Oberlandesgericht angenommenen Frist verjährt. Denn die Verjährung begann erst mit der Erstellung der jeweiligen Schlussrechnung zu laufen. Nach den Urteilsfeststellungen gilt dazu Folgendes:
Rz. 52
aa) Ob für die Tat unter A.VI.1. des Urteils (Projekt "F. 3") Verjährungsbeginn der 17. Dezember 2014 ist, unter dem die Schlussrechnung erstellt wurde, vermag der Senat nicht abschließend zu beurteilen, denn diese wurde von der Auftraggeberin am 23. Dezember 2014 zurückgewiesen. Zu den weiteren Modalitäten der Rechnungslegung verhält sich das Urteil nicht. Selbst unter Heranziehung des 17. Dezember 2014 als frühest denkbarem Zeitpunkt der Beendigung wäre die Tat aber nicht verjährt. Denn die Verjährung ist jedenfalls durch die Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens mit dem Anhörungsschreiben des Bundeskartellamts vom 10. Oktober 2017 (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 OWiG) sowie den Erlass des binnen zwei Wochen zugestellten Bußgeldbescheids des Bundeskartellamts vom 5. Dezember 2019 (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9, Satz 2 OWiG) unterbrochen worden (§ 33 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Die frühestens mit Ablauf des 17. Dezember 2024 eintretende absolute Verjährung verlängert sich gemäß § 81g Abs. 4 Satz 2 GWB um den Zeitraum bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Gerichtsverfahrens (vgl. dazu Biermann in Immenga/Mestmäcker, aaO, § 81g GWB Rn. 29).
Rz. 53
bb) Hinsichtlich der Tat unter A.VI.2. (Projekt "R. - D. (H. )"), die neben der Ordnungswidrigkeit nach § 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB auch den Tatbestand nach § 81 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Art. 101 AEUV erfüllt, wurde der mit Stellung der Schlussrechnung am 18. Oktober 2016 begonnene Verjährungslauf erstmals durch das Anhörungsschreiben des Bundeskartellamts vom 10. Oktober 2017 unterbrochen (UA 91). Weitere Unterbrechungshandlungen sind der Erlass des Bußgeldbescheids durch das Bundeskartellamt am 5. Dezember 2019 (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG) sowie der Eingang der Akten beim Oberlandesgericht im Sinne des § 69 Abs. 3 Satz 1 OWiG am 29. Mai 2020 (UA 91) gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 OWiG.
Rz. 54
cc) Die Tat unter A.VI.3. des Urteils (Projekt "K. D., L. "), die gleichfalls einen tateinheitlichen Verstoß gegen § 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB und § 81 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Art. 101 AEUV darstellt, war frühestens durch die Vorlage der letzten Teilrechnung vom 8. November 2018 (UA 89) beendet, so dass die Verjährung frühestens zu diesem Zeitpunkt zu laufen begann. Erstmals durch den Erlass des Bußgeldbescheids am 5. Dezember 2019 (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG) und ferner durch den Eingang der Akten bei Gericht (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 OWiG) am 29. Mai 2020 (UA 91) wurde die Verjährung unterbrochen.
Rz. 55
dd) Hinsichtlich der Tat unter A.VI.4. des Urteils (Projekt "K. M. ") lief die Verjährungsfrist frühestens ab Stellung der Schlussrechnung durch die ehemalige Nebenbetroffene FA. am 24. November 2014 (UA 89) und wurde erstmals durch Anordnung der Durchsuchung am 23. Januar 2015 und 28. Januar 2015 (UA 90) unterbrochen. Eine weitere Unterbrechung trat jeweils mit der Anhörung durch das Bundeskartellamt am 10. Oktober 2017 (UA 91), durch den Erlass des Bußgeldbescheids am 5. Dezember 2019 und den Akteneingang bei Gericht ein.
Rz. 56
2. Der Freispruch vom Vorwurf der verbotenen Absprache beim Projekt "Sc. Retreat" (Urteil A.V.) im Zeitraum von November 2013 bis zum 7. Mai 2014 hält rechtlicher Nachprüfung gleichfalls nicht stand. Die Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts zu den Voraussetzungen der Zurechnungsregelungen in § 9 Abs. 2 OWiG und § 30 Abs. 1 Nr. 4 und 5 OWiG begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 57
a) Die Würdigung der Beweise obliegt dem Tatrichter, der sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden hat (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 261 StPO). Das Rechtsbeschwerdegericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa, weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist oder mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht (st. Rspr. vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2022 - KRB 54/22, BGHSt 67, 208 Rn. 27 bis 33 mwN - Beweiswürdigung bei kartellrechtlichem Haftungsrisiko). Zudem muss das Urteil erkennen lassen, dass der Tatrichter sämtliche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Betroffenen oder der Nebenbetroffenen zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Dabei dürfen die einzelnen Beweisergebnisse nicht isoliert voneinander bewertet, sondern sie müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt werden (vgl. nur BGH, Urteil vom 21. März 2013 - 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212 Rn. 6; Beschluss vom 9. Oktober 2018 - KRB 58/16, juris Rn. 27 f. - Flüssiggas II; Urteil vom 11. März 2021 - 3 StR 316/20, NStZ 2022, 161 Rn. 12; BGHSt 67, 208 Rn. 27 bis 33 - Beweiswürdigung bei kartellrechtlichem Haftungsrisiko; Urteil vom 28. Juni 2023 - 1 StR 421/22, juris Rn. 9, jeweils mwN).
Rz. 58
b) Nach diesen Maßstäben erweist sich die Annahme des Oberlandesgerichts, das Handeln des Anknüpfungstäters E. lasse eine ahndende Rechtsfolge gegenüber der Nebenbetroffenen nicht zu, weil die Voraussetzungen der § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2, § 30 Abs. 1 Nr. 4 und 5 OWiG nicht vorgelegen hätten, als rechtsfehlerhaft.
Rz. 59
aa) Die Würdigung, der Anknüpfungstäter E. habe für die Nebenbetroffene nicht im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 OWiG eigenverantwortlich gehandelt, entbehrt einer tragfähigen Grundlage. Nicht nur erweisen sich die beweiswürdigenden Erwägungen des Oberlandesgerichts als lückenhaft und - teilweise - widersprüchlich. Seine Ausführungen lassen darüber hinaus besorgen, dass das Oberlandesgericht an die - im Ausgangspunkt allerdings zutreffend restriktiv interpretierten - Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 OWiG überzogene Anforderungen gestellt und damit an die Beweiswürdigung nicht ausschließbar auch einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt hat.
Rz. 60
(1) Adressaten der Verbote in Art. 101 AEUV sowie § 1 GWB sind Unternehmen und Unternehmensvereinigungen. Dementsprechend stellen die Bußgeldtatbestände in § 81 GWB Sonderdelikte des Unternehmensinhabers dar. Der Verband als eigentlicher Sanktionsadressat scheidet selbst als möglicher Täter der bebußten Zuwiderhandlung aus. Seine Organe, Vertreter oder Beauftragten sind wiederum nicht Sanktionsadressaten der Bußgeldtatbestände. Unter den Voraussetzungen des § 9 OWiG ist jedoch die ahndungsbegründende Unternehmereigenschaft auf sie zu erstrecken, wodurch im Ergebnis der Bußgeldtatbestand auf die Handlungen der erfassten Organe, Vertreter und Beauftragten ausgedehnt wird. So erweitert die Substitutenhaftung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 OWiG den Anwendungsbereich der Ordnungswidrigkeiten nach § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB auf gewillkürte Vertreter, die von dem Inhaber eines Betriebes oder einem sonst dazu Befugten beauftragt worden sind, den Betrieb oder das Unternehmen "ganz oder zum Teil zu leiten" und die aufgrund dieses Auftrags gehandelt haben (vgl. etwa Raum in Bunte, Kartellrecht, 14. Aufl., § 81 GWB Rn. 16 bis 19 mwN). Dabei erfasst § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 OWiG neben der Teilleitung von räumlich und organisatorisch abgetrennten Betriebsteilen (z.B. Zweigstellen oder Filialen) auch Personen in Leitungsfunktionen von sachlich abgegrenzten Teilbereichen innerhalb des Gesamtbetriebes wie etwa einzelnen Abteilungen (vgl. OLG Düsseldorf, wistra 1991, 275, 276; Radtke in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 14 Rn. 96; Schünemann in LK-StGB, 13. Aufl., § 14 Rn. 59; Perron/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 14 Rn. 32; Göhler, OWiG, 19. Aufl., § 9 Rn. 20; Rogall in KK-OWiG, 5. Aufl., § 9 Rn. 77; so bereits Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 20. Januar 1967, BT-Drucks. V/1319, S. 64). Ob eine solche Teilleitung vorliegt, ist im Einzelfall auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung der konkreten Umstände festzustellen, wobei vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 2 GG eine enge Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals geboten ist.
Rz. 61
So muss in sachlicher Hinsicht der betroffene Betriebsteil hinreichend abgrenzbar und gegenüber dem Gesamtbetrieb mit einer gewissen Bedeutung und Selbständigkeit ausgestattet sein. In persönlicher Hinsicht muss der Leiter eines solchen Betriebsteils hinsichtlich des ihm eingeräumten Maßes an Eigenverantwortlichkeit und Selbständigkeit normativ dem Leiter einer räumlich-organisatorisch getrennten Einheit entsprechen. Verantwortung setzt Freiheit des Handelns und damit die Befugnis zur Entscheidung voraus (vgl. BT-Drucks. V/1319, S. 65). Dies wird regelmäßig eine Ansiedlung nicht auf der obersten, doch auf der oberen Leitungsebene verlangen, wobei die konkrete Organisation des Gesamtunternehmens maßgebend ist. Indizien für das Vorliegen einer Leitungsfunktion, die jedoch für sich betrachtet keinen tragfähigen Schluss zulassen und weder erforderlich noch ausreichend sind, können beispielhaft Berufsbezeichnungen, Vertretungsformen des Handelsrechts oder die Übertragung von Weisungsbefugnissen sein. Entscheidend ist letztlich, ob sich bei wertender Gesamtbetrachtung auf Grundlage aller festgestellten Umstände das Handeln des Vertreters als eigenes Verhalten des Vertretenen darstellt. Erforderlich ist nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 OWiG ("leiten"), dass der Vertreter die Leitungsfunktion tatsächlich übernommen hat (vgl. Radtke in MüKo-StGB, aaO, § 14 Rn. 94). Zudem muss das konkrete Verhalten des Handelnden im Zusammenhang mit der Erfüllung von Pflichten des Vertretenen erfolgt sein ("auf Grund dieses Auftrags"). Allerdings kommt es - anders als nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 OWiG - nicht darauf an, ob die Beauftragung zur Leitung des Betriebsteils ausdrücklich oder konkludent erfolgt ist (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1989 - VI ZR 23/89, NJW-RR 1989, 1185 [juris Rn. 8] [zu § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StGB]; vgl. auch BT-Drucks. V/1319, S. 65).
Rz. 62
(2) Hieran gemessen tragen die beweiswürdigenden Erwägungen des Oberlandesgerichts die Ablehnung der Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 OWiG nicht. Es hat zum einen versäumt, Aufgabenkreis und Stellung des Anknüpfungstäters E. im Unternehmen der Nebenbetroffenen geschlossen und widerspruchsfrei in einer Weise herauszuarbeiten, die dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung der daran anknüpfenden Bewertung ermöglicht. Zudem kann der Senat nicht ausschließen, dass das Oberlandesgericht einzelnen Indizien, etwa dem Fehlen unterstellter Mitarbeiter, zu hohes Gewicht beigemessen hat.
Rz. 63
(a) Nach den Urteilsfeststellungen leitete E. die Abteilung "Vertrieb Versorgungstechnik" und war damit von der Nebenbetroffenen mit Leitungsaufgaben beauftragt. Im Zusammenhang mit den Preisabsprachen und der Abgabe von Schutzangeboten bezüglich des Projekts "Sc. Retreat" handelte er innerhalb dieses ihm übertragenen Aufgabenbereichs. Als Abteilungsleiter zählte er innerhalb des Unternehmens zum Management und war vertraglich für die Führung von Mitarbeitern, die Sicherstellung der Funktionalität der betrieblichen Abläufe, die Planung und Überwachung des Budgets, die Entwicklung, Ableitung und Umsetzung der Jahresziele sowie die Sicherstellung der Einhaltung der Vorgaben aus den Verhaltensgrundsätzen der Nebenbetroffenen zuständig (UA 25 f.). Bereits in den Jahren 2009 und 2011 nahm E. an internen und externen Schulungen teil, in denen "Führungskompetenz" und "Rechtskompetenz, Rechtssicheres Verhalten in der Vertragsverhandlung" vermittelt wurden (UA 28). Seine Zeichnungsbefugnis, die zunächst auf Auftragssummen bis 100.000 € beschränkt war, wurde im Jahr 2012 mit einer neuen Unterschriftenrichtlinie erheblich erweitert, für Bietergemeinschaften beispielhaft auf 500.000 €. Für eine herausgehobene Stellung spricht auch seine persönliche Zielvereinbarung, die für das Jahr 2013 ausdrücklich das Ziel "Akquisition 2 Aufträge je ≫ 3 Mio. EUR" vorsah, also von Aufträgen mit größerem Volumen als in El. (UA 27). Nicht ohne weiteres ist damit in Einklang zu bringen, dass E. tatsächlich nur "kleinere Versorgungstechnikprojekte" (UA 27) betreut haben soll. Vielmehr entspricht die Größenordnung des tatgegenständlichen Angebots mit knapp unter drei Millionen Euro der genannten Zielvereinbarung. Für die Erreichung von persönlichen sowie von Bereichs- und Unternehmenszielen gewährte die Nebenbetroffene E. im Jahr 2013 eine Tantieme in Höhe von rund 22.000 € (UA 26), was gleichfalls auf die tatsächliche (erfolgreiche) Umsetzung der dienstvertraglichen Vereinbarung hindeutet. Dafür, dass diese Vereinbarung auch der gelebten Realität entsprach, sprechen ferner die festgestellten Abläufe im Zusammenhang mit dem "Projekt Sc. Retreat". Denn danach konnte E. das Angebot der Nebenbetroffenen ohne Abstimmung mit seinem Vorgesetzten He. und ohne dessen Einbindung eigenständig erstellen. He. unterzeichnete das Angebot unbesehen, weil er sicher gewesen sei, "dass er sich um nichts weiter kümmern müsse" (UA 85). Schließlich handelte es sich bei diesem Vorgehen auch nicht etwa um einen Einzelfall, sondern um das übliche Prozedere, das bei "circa 10 bis 15 Projekte[n]" (UA 127) praktiziert worden sein soll.
Rz. 64
(b) Soweit das Oberlandesgericht - zutreffend - davon ausgeht, dass für die Anwendbarkeit des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 OWiG nicht die vertraglichen Vereinbarungen, sondern die tatsächliche Wahrnehmung der entsprechenden Rechte und Pflichten maßgebend ist, hat es versäumt, die festgestellten Umstände umfassend und widerspruchsfrei zu würdigen. Die zusammenfassende Wertung, E. sei lediglich für die Akquise kleinerer Versorgungstechnikprojekte zuständig gewesen, während sein jeweiliger Vorgesetzter den gesamten Vertrieb für die Bereiche Kraftwerkstechnik und Versorgungstechnik geleitet habe, ist weder mit Tatsachen unterlegt noch schöpft sie die Gesamtheit der festgestellten Umstände aus. Der Erörterung hätte in diesem Zusammenhang etwa bedurft, weshalb E. an Schulungen teilnahm, die ohne ein eigenverantwortliches Tätigwerden sinnlos gewesen wären. Auch wäre eine Auseinandersetzung damit erforderlich gewesen, weshalb seine Befugnisse nach einem Beobachtungszeitraum von etwa zwei Jahren erweitert wurden, obschon diese nur zum Schein bestanden haben sollen. Den hieraus folgenden Widerspruch zu seiner abschließenden Wertung löst das Oberlandesgericht nicht auf. Inhaltliche oder formale Vorgaben der Nebenbetroffenen oder seines Vorgesetzten, die überdies nicht konkret festgestellt sind, würden seine Verantwortlichkeit nicht ausschließen, soweit tatsächlich ausreichende Entscheidungsfreiheit verbliebe. Auch bleibt ungeklärt, weshalb der spätere Vorgesetzte He. die ihm von E. vorgelegten Angebote ohne eigenständige Prüfung unterschrieb, wenn E. die vertraglich eingeräumte Handlungs- und Entscheidungsfreiheit nie tatsächlich in Anspruch genommen hätte. Nach alldem hätte das Oberlandesgericht die Arbeitsabläufe und von E. vermittelten Vertragsabschlüsse eingehender darstellen und den Beweisertrag kritischer prüfen müssen, um eine tragfähige Bewertung seiner Stellung im Unternehmen und der faktischen Verteilung von Verantwortlichkeiten vornehmen zu können. Danach hat das Oberlandesgericht dem von ihm in den Mittelpunkt gestellten Umstand, dass E. faktisch keine Mitarbeiter unterwiesen habe, aufgrund lückenhafter Gesamtwürdigung zu hohes Gewicht beigemessen.
Rz. 65
bb) Soweit das Oberlandesgericht auf Grundlage der vorbenannten Beweiswürdigung zu der Wertung gelangt, E. habe die Anforderungen an eine Leitungsfunktion gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 4 und 5 OWiG nicht erfüllt, gelten die dargestellten Rechtsbedenken entsprechend.
III.
Rz. 66
Die zulässige Rechtsbeschwerde der Nebenbetroffenen ist unbegründet. Weder zeigt sie einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Rechtsmittelführerin auf, noch ist ein solcher sonst ersichtlich. Zum Vorbringen der Rechtsbeschwerde bemerkt der Senat:
Rz. 67
1. Der Ahndung der Nebenbetroffenen steht kein Verfahrenshindernis entgegen.
Rz. 68
a) Ein aus dem Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art. 103 Abs. 3 GG (ne bis in idem) abzuleitendes Verfahrenshindernis, das die Beschwerdeführerin auf §§ 43, 44, 84 OWiG stützt, liegt fern. Das von der Staatsanwaltschaft geführte Ermittlungsverfahren gegen die Anknüpfungspersonen, für deren Verhalten die Nebenbetroffene einzustehen hat, steht der Verfolgung und Ahndung der der Nebenbetroffenen zur Last gelegten Kartellordnungswidrigkeiten im gerichtlichen Bußgeldverfahren nicht entgegen.
Rz. 69
Das Ermittlungs- und Strafverfahren der Staatsanwaltschaft richtete sich gegen Leitungspersonen der Nebenbetroffenen wegen des Verdachts der Beteiligung an Submissionsabsprachen gemäß § 298 StGB. Die Staatsanwaltschaft hat damit - in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise (§ 44 OWiG) - von ihrer Verfolgungszuständigkeit aus § 40 OWiG allein in Bezug auf die betroffenen natürlichen Personen Gebrauch gemacht. Schon die Personenverschiedenheit schließt ein Verfolgungs- oder Verfahrenshindernis nach dem Grundsatz ne bis in idem aus, denn die dafür maßgebliche prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1981 - 2 BvR 873/80, BVerfGE 56, 22 [juris Rn. 25 f.] - Kriminelle Vereinigung; Urteil vom 31. Oktober 2023 - 2 BvR 900/22, BVerfGE 166, 359 Rn. 57, 69 - Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen; BGH, WuW/E DE-R 1233 [juris Rn. 15f.] - Frankfurter Kabelkartell) kann allein deshalb nicht identisch sein. Die Sanktionierung sowohl der Leitungsperson als auch zugleich des Verbands verstößt - ohne dass es hierauf ankäme - auch nach unionsrechtlichen Maßgaben nicht gegen das Verbot der Doppelbestrafung (vgl. EuGH, Urteil vom 5. April 2017 - C-217/15, C-350/15, UR 2017, 421 Rn. 27 [kein "ne bis in idem" nach Art. 50 GRCh bei Ahnung der Gesellschaft und deren gesetzlichen Vertreters]). Es kommt daher nicht darauf an, dass die prozessuale Tat des Strafverfahrens auch hinsichtlich des maßgeblichen Lebenssachverhalts nicht mit der hier verfahrensgegenständlichen Tat identisch ist.
Rz. 70
b) Aus dem gegen die Anknüpfungspersonen geführten Strafverfahren kann sich für das kartellrechtliche Bußgeldverfahren gegen das Unternehmen entgegen dem Beschwerdevorbringen auch keine materiell-rechtliche Bindungswirkung ergeben. Das gerichtliche Bußgeldverfahren gegen den Verband findet unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 Satz 1 OWiG selbständig statt. Eine Bindung an Tatsachenfeststellungen oder rechtliche Wertungen aus einer gegen die Anknüpfungspersonen ergangenen Entscheidung bestünde deshalb selbst dann nicht, wenn es sich - anders als hier - um dieselbe prozessuale Tat handelte.
Rz. 71
c) Der Verurteilung betreffend den "S. -Kreis" steht auch nicht das Verfahrenshindernis der Verjährung entgegen. Wie der Senat zur Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts dargelegt hat, wurde die fünfjährige Verjährungsfrist (§ 81g Abs. 1 Satz 2 GWB) der Ordnungswidrigkeitnach § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB erst mit der Erstellung der Schlussrechnung für das der letzten Einzelabsprache folgenden Projekt am 1. Juni 2013 (UA 80) in Gang gesetzt. Auf die Rüge zur Wirksamkeit des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Bonn vom 23. Januar 2015 kommt es nicht an, denn der Verjährungslauf wurde jedenfalls durch die Anhörung durch das Bundeskartellamt am 10. Oktober 2017 rechtzeitig unterbrochen.
Rz. 72
2. Sachlich-rechtlich lässt die Verurteilung der Nebenbetroffenen keinen Rechtsfehler zu deren Nachteil erkennen.
Rz. 73
a) Den Feststellungen des angefochtenen Urteils liegt nach den bereits dargestellten Maßstäben eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung zugrunde. Das Oberlandesgericht hat sich hinsichtlich beider zur Verurteilung gelangten Tatkomplexe mit allen in Frage kommenden Umständen beschäftigt und ist aufgrund einer umfassenden Würdigung der Beweisergebnisse zu einem jeweils nachvollziehbaren Ergebnis gelangt. Soweit die Beschwerdeführerin insbesondere die Beweiswürdigung zum Projekt "T. S. " beanstandet, zeigt sie keinen Rechtsfehler auf.
Rz. 74
aa) Entgegen dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde lässt das Urteil erkennen, dass das Tatgericht die für die getroffenen Feststellungen wesentlichen Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zugunsten oder zu Ungunsten der Nebenbetroffenen zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Es hat die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt (vgl. dazu BGH, Urteile vom 10. Mai 2017 - 2 StR 258/16, juris Rn. 17; vom 12. Juli 2017 - 1 StR 535/16, wistra 2018, 92 Rn. 7, jeweils mwN), indem es den Tatnachweis auf die Gesamtschau des Beweisertrags und eine Vielzahl an Beweismitteln stützt. Die belastenden Angaben des Zeugen Hü. zum Zustandekommen und zur Umsetzung der Preisabsprachen hat es mit den in die Hauptverhandlung eingeführten Urkunden, etwa den Angeboten der Absprachebeteiligten, den Verträgen und Protokollen sowie den inhaltlich abweichenden Angaben der Zeugen Hei. und Fr. abgeglichen und gewürdigt. Das Oberlandesgericht hat seine Überzeugung von der Zuwiderhandlung damit gerade nicht allein auf die belastenden Angaben eines einzelnen Zeugen gestützt, sondern auf eine Vielzahl von Beweismitteln einschließlich objektiver oder objektivierbarer Erkenntnisse.
Rz. 75
bb) Als (durchgreifend) lückenhaft oder widersprüchlich erweist sich die Beweiswürdigung auch nicht mit Blick auf die Angaben des Zeugen Hei., die das Oberlandesgericht als unwahre Schutzbehauptung bewertet hat. Die Bekundungen des Zeugen hat das Oberlandesgericht hinreichend detailliert mitgeteilt und nachvollziehbar gewürdigt. Es hat insbesondere beanstandungsfrei dargelegt, dass es den Angaben des Zeugen Hei. mangels Konstanz und Detailreichtums sowie einer erkennbaren Neigung zur Selbstentlastung nicht zu folgen vermochte und zugleich einen Anlass zu unwahrer Selbstbezichtigung für den - abweichend bekundenden - Zeugen Hü. nicht erkennen konnte. Weitergehende Ausführungen waren nicht erforderlich. Die Konstellation, in der die Rechtsprechung an die Darstellung der Zeugenangaben besonders hohe Anforderungen stellt, weil das Tatgericht einem lügenden Zeugen an anderer Stelle gleichwohl folgen will (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 24. Juni 2003 - 3 StR 96/03, NStZ-RR 2003, 332 [juris Rn. 5 bis 8]; vom 3. September 2013 - 1 StR 206/13, juris Rn. 19; vom 26. Januar 2017 - 5 StR 541/16, NStZ-RR 2017, 152 Rn. 6; Urteil vom 20. September 2023 - 1 StR 152/23, juris Rn. 19 mwN), liegt hier nicht vor.
Rz. 76
b) Die Bewertung des festgestellten Sachverhalts als Ordnungswidrigkeit nach § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB (S. -Kreis) und Zuwiderhandlung gegen das Verbot wettbewerbswidriger Vereinbarungen im Sinne des § 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB (Projekt T. S. ) ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Konkurrenzrechtlich hat das Oberlandesgericht - entgegen der Beanstandung der Rechtsbeschwerde - für den Tatkomplex "S. -Kreis" zu Recht eine sämtliche Einzelabsprachen umfassende Bewertungseinheit angenommen.
Rz. 77
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründen Einzelabsprachen im Sinne der Kartellverbotstatbestände, die lediglich eine kartellrechtswidrige Grundabsprache konkretisieren, regelmäßig keine selbständigen Taten. Solche Einzelabsprachen stellen keine mehrfache Verletzung desselben Tatbestandes dar; vielmehr werden sie schon vom gesetzlichen Tatbestand - auch nach Wegfall des Tatbestandsmerkmals "Hinwegsetzen" im Sinne des § 38 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB a.F. - zu einer Bewertungseinheit verbunden (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1995 - KRB 33/95, BGHSt 41, 385 [juris Rn. 24]; vom 26. Februar 2013 - KRB 20/12, BGHSt 58, 158 Rn. 23 - Grauzementkartell I). Das betrifft sowohl Einzelabsprachen in Umsetzung einer Grundabsprache als auch Realakte, die - gegebenenfalls wiederholt - darauf zielen, eine solche Absprache als gültig anzusehen und zu behandeln (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Oktober 2018 - KRB 58/16, juris Rn. 11, 23 mwN - Flüssiggas II; BGHSt 65, 75 Rn. 80 - Bierkartell; Biermann in Immenga/Mestmäcker, aaO, § 81 GWB Rn. 56). Tatbeendigung tritt damit im Regelfall erst mit der Beendigung des Kartells ein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2005 - KRB 2/05, WuW/E DE-R 1567 [juris Rn. 14] - Berliner Transportbeton I; BGHSt 65, 75 Rn. 80 - Bierkartell; vgl. auch EuGH, Urteil vom 26. Januar 2017 - C-642/13 P, juris Rn. 54 bis 59 - Villeroy und Boch Belgium SA/Kommission [zu den vergleichbaren unionsrechtlichen Grundsätzen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung]).
Rz. 78
Anders liegt es, wenn es an einer verschiedene Einzelabsprachen zu unterschiedlichen Projekten verbindenden Grundabsprache fehlt, die das kartellbefangene Verhalten für die Zukunft in seinen wesentlichen Zügen bereits abschließend regelt. Ist für jedes neue Projekt eine neue und selbständige, das Verhalten der Kartellanten überhaupt erst ermöglichende Abstimmung erforderlich und wird deshalb durch die erneute Vereinbarung eine selbständige kartellrechtswidrige Unrechtsvereinbarung getroffen, so liegen ungeachtet ihres kriminologisch fassbaren Zusammenhangs mit der Grundabsprache unterschiedliche Tathandlungen im Sinn des § 53 StGB und regelmäßig unterschiedliche prozessuale Taten im Sinn des § 264 StPO vor (vgl. BGH, WuW/E DE-R 1233 [juris Rn. 15 f.] - Frankfurter Kabelkartell).
Rz. 79
bb) Danach trifft die Annahme einer Bewertungseinheit hier zu.
Rz. 80
(1) Mit Gründung des Kartells durch die Anfang 2007 getroffene Grundabsprache wurden nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts die wesentlichen Eckdaten der künftigen Wettbewerbsverstöße festgelegt. Bereits durch die abstrakt-generelle Übereinkunft über das jeweilige Verhalten nach Bekanntwerden einer Ausschreibung war gewährleistet, dass ein gegenseitiges Unterbieten nicht stattfinden würde. Nach der Grundabsprache war zunächst Einigkeit darüber zu erzielen, welcher der Kartellanten am Ende den Auftrag erhalten sollte. Dies sollte nachfolgend durch den wechselseitigen Austausch über die jeweiligen Angebotspreise und Konditionen umgesetzt werden. Dieses Vorgehen wurde in den Folgejahren bei 18 Ausschreibungen umgesetzt, ohne dass eine weitere Absprache über die Art und Weise des Zusammenwirkens erforderlich war. Zum Inhalt hatten die Folgeabsprachen lediglich die Einigung über den jeweils Begünstigten und dienten damit nur noch der Aktualisierung und Konkretisierung der Grundabrede. Diese auf dieselbe Rechtsgutsverletzung gerichteten Handlungen werden durch die Grundabsprache zu einer Bewertungseinheit als Unterfall der tatbestandlichen Handlungseinheit zusammengefasst (zu dieser Rechtsfigur vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, BGHSt 63, 1 Rn. 17 f.). Sie stellen daher keine mehrfachen Verletzungen desselben Tatbestands dar. Solange das verbotswidrige Zusammenwirken fortdauert, ist die Tat deshalb nicht beendet.
Rz. 81
(2) Der Annahme einer Bewertungseinheit stehen die Besonderheiten des Submissionskartells - anders als die Rechtsbeschwerde meint - nicht entgegen. Bei einem Submissionskartell handelt es sich um ein Preiskartell. Kennzeichnend dafür ist die Verpflichtung der Kartellanten, sich bei Ausschreibungen oder Versteigerungen zugunsten eines Kartellmitglieds eines wettbewerbsgerechten Angebots zu enthalten oder - abgesprochene - Schutzangebote abzugeben (horizontale Einflussnahme). Dem liegt im Sinne eines Gegenseitigkeitsprinzips regelmäßig die Erwartung zugrunde, dass durch gesteuerten zeitweisen Verzicht auf Aufträge jeder Kartellant bei bestimmten Projekten zum Geschäftsabschluss gelangt und dabei von dem außer Kraft gesetzten Wettbewerb und dem deshalb gestiegenen Preisniveau profitiert (vgl. Zimmer in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 7. Aufl., § 1 GWB Rn. 115; Achenbach in Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl., Zuwiderhandlung gegen das Kartellverbot nach deutschem Recht, Rn. 25; Dannecker/Schröder in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger, StGB, 6. Aufl., § 298 Rn. 11; Hohmann in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 298 Rn. 17; vgl. auch BT-Drucks. 13/5584, S. 14 [zu § 298 StGB]).
Rz. 82
Das Vorbringen der Rechtsbeschwerde, für die von Submissionskartellen betroffenen, konkreten projektspezifischen Werk- und Bauleistungen bestehe kein "andauernder Markt", vielmehr werde ein solcher in jedem Einzelfall durch eine Ausschreibung erst künstlich mit der Folge geschaffen, dass es zuvor keinen Wettbewerb gäbe, auf den eingewirkt werden könnte, trifft nicht zu. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Grundabsprache darauf abzielt, die Preisbildung bei zukünftigen Auftragsvergaben dauerhaft zugunsten der Kartellbeteiligten zu beeinflussen. Auf weitere marktbeeinflussende Parameter, wie etwa eine Gebiets- oder Quotenabsprache, kommt es für die Entstehung einer Wettbewerbsverzerrung ebenso wenig an wie auf die Vereinbarung einer festgelegten "Reihenfolge über den jeweils zu bevorzugenden Wettbewerber" (RBB 86).Die Wirkung des Kartells entfällt nicht mit Erteilung des Zuschlags nach einer Ausschreibung, sondern (frühestens) mit der Beendigung des Kartells. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ergibt sich aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 14. Januar 2021 (RIW 2021, 371 - Eltel), nichts anderes. Diese hat allein die Beendigung eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV zum Gegenstand und verhält sich nicht zur Frage einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung (vgl. oben Rn. 46 ff.). Einer Bewertungseinheit steht schließlich nicht entgegen, dass sich die kartellbetroffenen Ausschreibungen über einen Zeitraum von vier Jahren auf individuelle Projekte mit jeweils unterschiedlichen technischen, rechtlichen und kaufmännischen Anforderungen bezogen. Die getroffene Kartellabsprache konnte vielmehr bei allen Ausschreibungen ohne inhaltliche Änderung ausgeführt werden und wurde damit durch alle Beteiligten fortwirkend gefördert. Soweit die Rechtsbeschwerde sich zur Begründung ihrer abweichenden Auffassung auf die Senatsentscheidung vom 4. November 2003 (WuW/E DE-R 1233 [juris Rn. 15f.] - Frankfurter Kabelkartell) stützt, lagen dort - anders als hier - keine eine verbindende Grundabsprache rechtfertigenden Feststellungen vor.
Rz. 83
(3) Fehl geht schließlich die Beanstandung der Rechtsbeschwerde, aus der Anknüpfung an die Grundabsprache ergebe sich eine verfassungsrechtlich bedenkliche Vorverlagerung der Straf- oder Ahndbarkeit. Nicht nur ist die Strafbarkeit von wettbewerbsbeschränkenden Submissions- und Preisabsprachen als solche verfassungsrechtlich unbeanstandet geblieben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2002 - 2 BvR 1697/02 bis 1705/02, juris; vom 17. Februar 2014 - 2 BvQ 4/14, WuW/E DE-R 3632). Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht sogar die zwischenzeitlich vom Bundesgerichtshof allenfalls noch für seltene Ausnahmefälle für anwendbar gehaltene Rechtsfigur der "fortgesetzten Handlung" (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 1994 - GSSt 2/93 und 3/93, BGHSt 40, 138) als gemäß Art. 103 Abs. 2 GG genügend bestimmt erachtet (vgl. BVerfG, NJW 1992, 223 [juris Rn. 4 bis 9]; vergleichbar zur "einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung" im Unionsrecht auch EuG, Urteil vom 17. Mai 2013 - T-147/09 und 148/09, ECLI:EU:T:2013:259 Rn. 96 f.). Die konkurrenzrechtliche Annahme einer Bewertungseinheit bleibt dahinter deutlich zurück. Unabhängig davon darf der Gesetzgeber - in bestimmten, hier sicher eingehaltenen Grenzen - eine Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes durch Bestrafung abstrakt gefährlichen Handelns vorsehen und als zum Rechtsgüterschutz geeignet und erforderlich ansehen, wenn es um den Schutz überindividueller Rechtsgüter als elementarer Werte des Gemeinschaftslebens geht (vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 u.a., BVerfGE 153, 182 Rn. 271 mwN - Suizidhilfe).
IV.
Rz. 84
Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung erneuter Verhandlung und Entscheidung. Dabei würde hinsichtlich der Zurechnung des Anknüpfungstäters E. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 OWiG nur dann Bedeutung erlangen, wenn E. keine Leitungs- oder Teilleitungsaufgaben im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 OWiG wahrgenommen hätte. An die Beauftragung im Sinne dieser Vorschrift wären allerdings strenge Anforderungen zu stellen, da hierdurch eine persönliche Normadressatenstellung des Beauftragten begründet wird, die ihm (ahndungsbewehrt) die Erfüllung betriebsbezogener Pflichten aufbürdet. Die Beauftragung muss daher zweifelsfrei erfolgen und ausreichend konkret sein, damit für den Beauftragten das Ausmaß seiner Pflichten eindeutig erkennbar ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2012 - 5 StR 363/12, BGHSt 58, 10 Rn. 13 mwN; Urteile vom 7. April 2016 - 5 StR 332/15, NStZ 2016, 460 Rn. 16; vom 14. Juli 2021 - 6 StR 282/20, NZWiSt 2022, 26 Rn. 33 f. mwN [jeweils zu § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB]; vgl. auch BT-Drucks. V/1319, S. 65). Gegebenenfalls müsste mit Blick auf § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 OWiG noch eingehender aufgeklärt werden, ob E. nach der Kontaktaufnahme durch die St. GmbH im Rahmen seiner allgemeinen Aufgabenzuweisung von sich aus tätig wurde oder dem ein ausdrücklich erteilter Auftrag voranging.
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Dokument-Index HI16707334 |