Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Entscheidung vom 13.10.2021; Aktenzeichen 8 U 1038/21) |
LG Bad Kreuznach (Entscheidung vom 25.05.2021; Aktenzeichen 3 O 208/18) |
Nachgehend
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 13. Oktober 2021 wird auf Kosten des Beklagten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 22.000 €.
Gründe
I.
Rz. 1
Das Landgericht hat den Beklagten als Verkäufer eines von den Klägern erworbenen Hausgrundstücks zum Schadensersatz verurteilt. Gegen das am 27. Mai 2021 zugestellte Urteil hat der Beklagte fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist ist antragsgemäß bis zum 27. August 2021 verlängert worden. Ausweislich des Faxausdrucks des Oberlandesgerichts ist die Berufungsbegründung am 28. August 2021 um 0.05 Uhr bei Gericht eingegangen. Die Fax-Kennung des Telefaxgerätes des Prozessbevollmächtigten des Beklagten auf dem Berufungsbegründungsschriftsatz weist eine Sendezeit noch am 27. August 2021 um 23.55 Uhr aus. Mit den Beklagtenvertretern am 17. September 2021 zugestellter Verfügung hat das Oberlandesgericht darauf hingewiesen, dass die Berufungsbegründung erst nach Ablauf der verlängerten Berufungsbegründungsfrist eingegangen und deshalb beabsichtigt sei, die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Nachdem in der gesetzten Stellungnahmefrist keine Erklärung zu den Akten gelangt ist, hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Kläger beantragen.
II.
Rz. 2
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufungsbegründung nicht fristgerecht bei Gericht eingegangen. Für die Rechtzeitigkeit des Eingangs eines - wie hier - per Telefax übersandten Schriftsatzes komme es allein darauf an, ob die gesendeten Signale noch vor Fristablauf vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig empfangen (gespeichert) worden seien. Mangels anderslautender Anhaltspunkte seien danach nicht die auf der Faxleiste der Berufungsbegründung abgedruckten Zeitangaben des Sendegeräts maßgeblich, sondern die Daten des Empfangsgeräts bei dem Oberlandesgericht, denen zufolge die Berufungsbegründung erst nach Fristablauf eingegangen sei. Einwendungen gegen die beabsichtigte Verwerfung der Berufung habe der Beklagte nicht erhoben.
III.
Rz. 3
Die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat dem Beklagten den Zugang zu der an sich gegebenen Berufung nicht unzumutbar erschwert und dessen Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) nicht verletzt. Seine Beurteilung, die Berufungsbegründung sei nicht fristgerecht bei Gericht eingegangen, entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die insoweit weder fortzubilden noch zu ergänzen ist. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann dem Berufungsgericht auch kein Verstoß gegen den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) zur Last gelegt werden.
Rz. 4
1. Der von dem Berufungsgericht zugrunde gelegte Ausgangspunkt, dass es für die Rechtzeitigkeit des von dem Beklagtenvertreter per Telefax übersandten Schriftsatzes darauf ankommt, ob die gesendeten Signale noch vor Ablauf des letzten Tages der Frist vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig empfangen (gespeichert) worden sind (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - IV ZB 20/05, BGHZ 167, 214 Rn. 15 ff.), wird von der Rechtsbeschwerde nicht in Frage gestellt.
Rz. 5
2. Die Rechtsbeschwerde wird vielmehr darauf gestützt, dass das Berufungsgericht unter Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG einen von dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten innerhalb der Stellungnahmefrist eingereichten Schriftsatz vom 26. September 2021 nicht berücksichtigt habe. Dies verhilft dem Rechtsmittel aber nicht zum Erfolg.
Rz. 6
a) Der Beklagte macht geltend, sein Prozessbevollmächtigter habe diesen Schriftsatz noch am selben Tag - einem Sonntag - gegen 21.30 Uhr in einen Briefkasten eingeworfen, der eine Leerung für den kommenden Tag - Montag - um 8.00 Uhr ausgewiesen habe. Der Umschlag sei zugeklebt und ordnungsgemäß frankiert worden. Im Verantwortungsbereich des Rechtsmittelführers liege es allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Post aufzugeben, dass es nach den normalen Postlaufzeiten den Empfänger erreichen könne. Unter Berücksichtigung der Stellungnahme hätte das Berufungsgericht von einer fristgerechten Einreichung der Berufungsbegründung noch am 27. August 2021 ausgehen müssen.
Rz. 7
b) Eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich aus diesem Vorbringen nicht, so dass dahinstehen kann, ob das Berufungsgericht unter Berücksichtigung der Ausführungen in dem nunmehr vorgelegten Schriftsatz die Berufungsbegründungsfrist als gewahrt hätte ansehen müssen.
Rz. 8
aa) Richtig ist, dass ein Gericht gegen seine aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Pflicht verstößt, die Ausführungen eines Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, wenn es einen ordnungsgemäß bei dem Gericht eingegangenen Schriftsatz nicht berücksichtigt. Auf ein Verschulden des Gerichts kommt es dabei nicht an (vgl. BVerfG, NJW 2013, 925 mwN); das Gericht ist insgesamt für die Einhaltung des Gebots des rechtlichen Gehörs verantwortlich (vgl. BVerfGE 48, 394, 395 f.; 53, 219, 222 f.). Deshalb ändert es an der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG nichts, wenn den zur Entscheidung berufenen Richtern der Schriftsatz im Zeitpunkt der Entscheidung nicht vorlag (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Juli 2017 - V ZB 89/16, juris Rn. 7; Urteil vom 16. September 2016 - V ZR 3/16, ZWE 2017, 99 Rn. 10 ff.). Hierbei macht es keinen Unterschied, ob der Schriftsatz den Richtern nach Eingang bei Gericht nur nicht vorgelegt wurde oder erst gar nicht zu den Akten gelangt ist.
Rz. 9
bb) Diese Rechtsprechung setzt jedoch voraus, dass der als übergangen gerügte Schriftsatz tatsächlich bei dem zuständigen Gericht eingegangen ist, woran es hier fehlt; der Schriftsatz ist erstmals im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgelegt worden.
Rz. 10
(1) Es kann zugunsten des Beklagten unterstellt werden, dass sein Prozessbevollmächtigter den Schriftsatz noch so rechtzeitig zur Post gegeben hat, dass unter gewöhnlichen Umständen mit einem fristgerechten Zugang bei dem Berufungsgericht ausgegangen werden konnte. Dies ändert aber nichts daran, dass der Schriftsatz bei dem Berufungsgericht nicht eingegangen ist. Bei zur Post gegebenen Briefen besteht auch kein Anscheinsbeweis für den Zugang der Sendung. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Urteil vom 21. Januar 2009 - VIII ZR 107/08, NJW 2009, 2197 Rn. 11 mwN).
Rz. 11
(2) Soweit der Beklagte auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verweist, wonach auf die normalen Postlaufzeiten vertraut werden könne, kann er hieraus im vorliegenden Zusammenhang nichts zu seinen Gunsten herleiten. Nach der zitierten Rechtsprechung ist einem Prozessbeteiligten Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn er eine Rechtsmittelfrist versäumt hat, das Schriftstück aber so rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Post aufgegeben hat, dass es nach den normalen Postlaufzeiten den Empfänger fristgerecht erreichen kann (vgl. nur Senat, Beschluss vom 19. November 2020 - V ZB 49/20, juris Rn. 7 mwN). Hier geht es aber nicht um die Frage einer schuldlosen Fristversäumung im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrags, sondern darum, dass eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG nur dann in Betracht kommen kann, wenn ein Schriftsatz bei Gericht eingegangen ist.
IV.
Rz. 12
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO.
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