Tenor
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main übertragen.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Die Angeschuldigte ist am 2. Oktober 2020 aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 27. September 2018 (4 BGs 192/18) festgenommen worden und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Rz. 2
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, die Angeschuldigte habe sich in der Zeit von August 2014 bis zum Sommer 2016 in Syrien durch acht rechtlich selbständige Handlungen als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat” (IS) beteiligt, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 und 12 VStGB) zu begehen. In drei dieser Fälle habe sie durch dieselbe Handlung die tatsächliche Gewalt über eine Kriegswaffe ohne Genehmigung nach § 2 Abs. 2 KrWaffKG erworben, in fünf weiteren Fällen habe sie sich durch dieselbe Handlung gemeinschaftlich handelnd im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt, ohne dass dies durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten gewesen sei, in erheblichem Umfang völkerrechtswidrig Sachen der gegnerischen Partei, die der Gewalt der eigenen Partei unterlagen, angeeignet; strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, § 22a Abs. 1 Nr. 2 KrWaffKG in Verbindung mit Teil B Nr. 29 Buchst. c der Anlage zu § 1 Abs. 1 KrWaffKG, § 9 Abs. 1 VStGB, §§ 52, 53 StGB.
Rz. 3
Der Ermittlungsrichter des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hat mit Beschluss vom 18. November 2020 einen Antrag der Angeschuldigten auf Aufhebung des Haftbefehls abgelehnt, den Haftbefehl aufrechterhalten und die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Eine hiergegen eingelegte Beschwerde der Angeschuldigten hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 19. Februar 2021 mit der Maßgabe verworfen, dass die Angeschuldigte ausgehend von dem Lebenssachverhalt, der dem Haftbefehl vom 27. September 2018 zu Grunde liegt, der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland in neun Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit der Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe und in fünf weiteren Fällen in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen gegen Eigentum oder sonstige Rechte dringend verdächtigt sei.
Rz. 4
Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat mit Anklageschrift vom 15. März 2021 wegen der dem Haftbefehl zugrundeliegenden Tatvorwürfe und eines weiteren Tatvorwurfs Anklage zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main erhoben. Die Anklage legt der Angeschuldigten nunmehr zur Last, sich im Zeitraum vom 24. Juni 2014 bis August 2016 in Syrien der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zehn Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit dem Erwerb der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe und in sechs weiteren Fällen in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen gegen Eigentum oder sonstige Rechte strafbar gemacht zu haben.
Rz. 5
Der Vorsitzende des 5. Strafsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hat am 22. März 2021 die Mitteilung der Anklageschrift verfügt und der Angeschuldigten und ihren Verteidigern eine Erklärungsfrist bis zum 30. April 2021 gesetzt. Für den Fall einer Eröffnung des Hauptverfahrens ist der Beginn der Hauptverhandlung für den 7. Juni 2021 vorgesehen.
Rz. 6
Mit Beschluss vom 26. März 2021 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich gehalten und die Akten dem Bundesgerichtshof zur besonderen Haftprüfung vorgelegt. Der Generalbundesanwalt hat – ebenso wie die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main – die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft gemäß §§ 121, 122 StPO beantragt. Der Verteidiger der Angeschuldigten hat mit Schriftsatz vom 30. März 2021 die Aufhebung, hilfsweise die Außervollzugsetzung des Haftbefehls beantragt.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 7
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
Rz. 8
1. Die Angeschuldigte ist der ihr mit dem Haftbefehl zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.
Rz. 9
a) Nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen, der Gegenstand des Haftbefehls ist:
Rz. 10
aa) Die in Syrien seit Februar 2011 gegen die Regierung von Präsident Bashar al-Assad schwelenden Proteste eskalierten ab dem 15. März 2011 aufgrund des repressiven und gewaltsamen Vorgehens syrischer Sicherheitskräfte und Milizen sowie der Armee gegen Demonstranten und Oppositionelle. Die dadurch bewirkte Militarisierung der Protestbewegung entwickelte sich zu einem bewaffneten Aufstand, der Anfang 2012 weite Teile des Landes erfasste und sich zu einem großflächigen Bürgerkrieg ausweitete. Spätestens seit dieser Zeit herrscht in Syrien ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt.
Rz. 11
bb) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham” – die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina – umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat” unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak sowie das Regime des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam” begreift; die Tötung solcher „Feinde” oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitimes Mittel des Kampfes an.
Rz. 12
Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des „Kalifats” am 29. Juni 2014 von „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien” (ISIG) in „Islamischer Staat” (IS) umbenannte – wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm –, hatte seit 2010 bis zu seiner Tötung im Oktober 2019 Abu Bakr al-Baghdadi inne. Bei der Ausrufung des Kalifats war al-Baghdadi von seinem Sprecher zum „Kalifen” erklärt worden, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Dem „Kalifen” unterstehen ein Stellvertreter sowie „Minister” als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister” und ein „Propagandaminister”. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Shura-Räte”. Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung „Al-Furqan” produziert und über die Medienstelle „al-l'tisam” verbreitet, die dazu einen eigenen Twitter-Kanal und ein Internetforum nutzt. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel”, einem weißen Oval mit der Inschrift „Allah – Rasul – Muhammad” auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die – zeitweilig mehreren tausend – Kämpfer sind dem „Kriegsminister” unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.
Rz. 13
Seine Ziele setzte der IS durch offenen militärischen Bodenkampf im Irak und in Syrien sowie durch Sprengstoff- und Selbstmordanschläge, aber auch durch Entführungen, Erschießungen und spektakulär inszenierte, grausame Hinrichtungen durch. Die Vereinigung teilte von ihr besetzte Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der irakischen und syrischen Armee, aber auch in Gegnerschaft zum IS stehender Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsanspruch des IS in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus beging der IS immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So übernahm er auch für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel, Nizza und Berlin, die Verantwortung.
Rz. 14
Im Irak gelang es dem IS im Jahr 2014, etwa ein Drittel des Staatsterritoriums zu besetzen. Am 10. Juni 2014 erlangte er die Kontrolle über die Millionenstadt Mossul, die bis zu der Offensive der von den USA unterstützten irakischen Armee Ende 2016 der zentrale Ort seiner Herrschaft im Irak war. In den Jahren 2013 und 2014 gelang es dem IS zudem, weite Teile im Norden und Osten Syriens unter seine Gewalt zu bringen.
Rz. 15
Seit Januar 2015 wurde die Vereinigung schrittweise erfolgreich zurückgeschlagen. So begann am 16. Oktober 2016 die Rückeroberung von Mossul, die Anfang Juni 2017 abgeschlossen war. Am 27. August 2017 wurde der IS aus seiner letzten nordirakischen Hochburg in Tal Afar verdrängt; im Frühjahr 2019 verlor er auch die von ihm zuletzt noch kontrollierten Gebiete im Norden Syriens. Der Anführer und selbsternannte „Kalif” des IS Abu Bakr al-Baghdadi wurde in der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober 2019 im Rahmen einer US-amerikanischen Militäraktion im Nordwesten Syriens getötet. Zu seinem Nachfolger berief der IS kurz darauf Abu Ibrahim al-Haschimi al-Kuraschi. Heute hat der IS sein ehemaliges Herrschaftsgebiet in Syrien und im Irak verloren, ohne dass aber die Vereinigung als solche zerschlagen wäre.
Rz. 16
cc) Die Angeschuldigte, die 2009 zum Islam konvertiert war, radikalisierte sich spätestens ab 2013 in ihrem Glauben, nahm eine islamistisch-salafistische Grundhaltung ein und befürwortete die Vereinigung „Islamischer Staat” und deren Agieren. Sie entschloss sich spätestens im Juni 2014, gemeinsam mit E., den sie 2013 in Deutschland nach islamischem Ritus geehelicht hatte und der sich unter ihrem bestimmenden Einfluss ebenfalls dem IS zugewandt hatte, nach Syrien auszureisen, sich dort dem IS anzuschließen, fortan im Herrschaftsgebiet des IS zu leben und an der Festigung der Herrschaftsstrukturen des IS mitzuwirken. Über die Türkei gelangten beide in der Nacht vom 25. auf den 26. Juni 2014 mit vom IS organisierter und bezahlter Schleuserhilfe nach Syrien und wurden dort von einem Repräsentanten des IS in Empfang genommen. E. ließ sich vom IS als Kämpfer registrieren und absolvierte zunächst eine mehrwöchige militärische Ausbildung. Die Angeschuldigte, die sich zunächst „…” und später „…” nannte, gliederte sich gleichfalls in den IS ein und lebte währenddessen gemeinsam mit anderen zum IS ausgereisten Frauen in Wohnungen von IS-Funktionären in der Ortschaft a.. Ab Ende August 2014 war E. als Kämpfer an verschiedenen Orten in Syrien für den IS tätig, wobei er in erster Linie Wachdienste verrichtete. Die Angeschuldigte lebte fortan mit ihrem Mann zusammen und folgte diesem an seine verschiedenen Einsatzorte.
Rz. 17
Die Angeschuldigte betrieb gemeinsam mit anderen zum IS ausgereisten Frauen zwei Chatgruppen für IS-Anhängerinnen, und zwar eine WhatsApp-Gruppe mit dem Namen „…” und eine Telegram-Gruppe „…”, in denen das Leben im „Kalifat” beschönigt wurde. Teilnehmer der letztgenannten Gruppe waren auch Frauen, die sich in Deutschland aufhielten, aber sich mit dem Gedanken trugen, gleichfalls zum IS auszureisen. Ihnen wurden in der Chatgruppe praktische Tipps für eine Ausreise zum IS gegeben.
Rz. 18
Die Angeschuldigte war darauf bedacht, Kritik am IS zu unterbinden und so die Vereinigung zu stärken: Als die ebenfalls aus Deutschland zum IS ausgereiste Zeugin S. sich in einem von ihr betriebenen Internet-Blog kritisch über den IS äußerte, zeigte die Angeschuldigte sie bei einem IS-Gericht an und initiierte damit Ermittlungen des IS gegen die Zeugin, die dazu führten, dass diese ihren Blog aufgab.
Rz. 19
Die Angeschuldigte und ihr Mann wurden beide vom IS alimentiert. Sie erhielten zusammen 80 bis 100 US-Dollar monatlich, wovon die Hälfte vom IS ausdrücklich der Angeschuldigten als Entlohnung für ihre Tätigkeit als Ehefrau eines IS-Kämpfers zugedacht war; zudem wurde ihnen vom IS kostenlos Wohnraum zur Verfügung gestellt.
Rz. 20
(1) Die Angeschuldigte erwarb während ihres Aufenthaltes im IS-Gebiet in drei Fällen die tatsächliche Gewalt über Sturmgewehre „AK 47” (Kalaschnikow):
Rz. 21
Nach Abschluss seiner militärischen Ausbildung unterwies E. sie im Umgang mit einem Maschinengewehr, um sie in die Lage zu versetzen, sich gegebenenfalls zu verteidigen und gegen Gegner des IS mit Waffengewalt vorzugehen. Die Angeschuldigte und ihr Mann begaben sich hierfür Ende August 2014 auf freies Gelände in der Nähe des Ortes a.. Dort überließ E. der Angeschuldigten sein Sturmgewehr „AK 47” (Kalaschnikow) für Schießübungen. Unter seiner Anleitung schoss die Angeschuldigte mit dem Sturmgewehr mehrfach auf einen Ölkanister, den sie nach einigen vergeblichen Versuchen auch traf.
Rz. 22
Ende August oder Anfang September 2014 überließ E. der Angeschuldigten zur eigenen Bewaffnung in der Ortschaft Q. ein Sturmgewehr „AK 47” (Kalaschnikow) chinesischer Bauart, das ihm vom IS zur Verfügung gestellt worden war. Dieses Sturmgewehr führte die Angeschuldigte zu ihrem Schutz mit sich, während E. in der Region von Q. als IS-Kämpfer im Einsatz war.
Rz. 23
Im September 2014, als die Angeschuldigte und ihr Mann in das syrische Dorf D. verzogen, schenkte E. der Angeschuldigten ein schwarzes Sturmgewehr „AK 47” (Kalaschnikow) russischer Bauart, das er für sie auf dem Basar in al. erworben hatte, zur eigenen Verwendung. Dieses Sturmgewehr mitsamt Munition hatte die Angeschuldigte bis kurz vor ihrem Verlassen des IS-Gebiets im August 2016 in ihrem Besitz. Zwar lehnte die Angeschuldigte einen ihr vom IS angebotenen Sprengstoffgürtel für den Fall einer Erstürmung des IS-Gebiets durch feindliche Truppen ab; mit dem Sturmgewehr wollte sie sich jedoch die Möglichkeit verschaffen, sich und den IS im Falle eines Angriffs gegnerischer Kräfte zu verteidigen. Die Angeschuldigte verwahrte das Sturmgewehr zugriffsbereit in ihrem Haus und führte es regelmäßig mit sich, wenn sie ihre Unterkunft verließ.
Rz. 24
(2) Im Tatzeitraum wohnte die Angeschuldigte mit ihrem Mann in verschiedenen Häusern oder Wohnungen, die ihnen als Mitglieder des IS von der Vereinigung kostenfrei zur Verfügung gestellt wurden oder die sie als Angehörige des IS mit ausdrücklicher Billigung der Vereinigung in Besitz nahmen und kostenfrei bewohnten, wobei sie auch das dort vorhandene Mobiliar und Inventar nutzten. Bei den Unterkünften handelte es sich – was die Angeschuldigte jeweils wusste – um Räumlichkeiten, in denen zuvor Angehörige der einheimischen Bevölkerung gewohnt hatten, die vor dem IS geflohen beziehungsweise von der Vereinigung getötet oder vertrieben worden waren, oder aber um Räumlichkeiten, die zuvor von gegnerischen Gruppierungen erlangt und genutzt worden waren, die vom IS im Zuge militärischer Auseinandersetzungen aus dem betreffenden Gebiet zurückgedrängt worden waren. Die Angeschuldigte und ihr Mann wollten die von ihnen besetzten Räumlichkeiten jeweils langfristig wie regulär Nutzungsberechtigte bewohnen, und zwar auch, um damit den Machtanspruch des IS in der betreffenden Gegend zum Ausdruck zu bringen und zu festigen.
Rz. 25
Im Einzelnen kam es zur Inbesitznahme und Nutzung folgender Häuser und Wohnungen durch die Angeschuldigte und ihren Mann:
Rz. 26
Anfang September 2014, nach Abschluss der militärischen Ausbildung ihres Mannes, bezog die Angeschuldigte gemeinsam mit diesem ein Haus, bestehend aus einem offenen Hof und zwei Wohnräumen und eingerichtet mit einer Einbauküche, in dem Dorf Q., wo ihr Mann als IS-Kämpfer eingesetzt war. Das Haus wurde der Angeschuldigten und ihrem Mann vom IS zugewiesen; die Eigentümer waren zuvor vor dem IS geflohen oder von diesem vertrieben worden. Entgegen ihren Planungen mussten die Angeschuldigte und ihr Mann das Haus und das Dorf jedoch schon nach wenigen Tagen verlassen, weil der IS einen Angriff von Kampftruppen der FSA befürchtete und daher einen Rückzug anordnete. Sie verzogen in das in der Nähe befindliche Dorf D., in dessen Umgebung E. nunmehr eingesetzt war, und verblieben dort bis Anfang 2015.
Rz. 27
Im Januar oder Februar 2015 bezogen die Angeschuldigte und ihr Mann zunächst ohne Einbeziehung der IS-Wohnungsverwaltung ein Haus in der unter der Herrschaft des IS stehenden Stadt a.. Das Wohnhaus, in dem sich unter anderem eine Heizung und diverse Einrichtungsgegenstände befanden und das vor der Einnahme des Ortes durch den IS von einer gegnerischen Rebellengruppe als Verwaltungsgebäude genutzt worden war, war ihnen von dem IS-Mitglied „…” und seiner Ehefrau überlassen worden, die es bis dahin bewohnt hatten und nun in den irakischen Teil des IS-Herrschaftsgebiet übersiedelten. Die Angeschuldigte und ihr Mann zahlten den Vorbesitzern für die Überlassung des Hauses einen Betrag in Höhe von 500 US-Dollar als „Ablöse” und lebten mit nachträglicher Genehmigung der Inbesitznahme durch den IS über ein Jahr in dem Anwesen.
Rz. 28
Als sich Truppen der FSA der Stadt a. näherten, flohen die Angeschuldigte und ihr Mann im April 2016 in die Stadt M.. Dort teilte ihnen die für IS-Kämpfer und ihre Familienangehörigen zuständige IS-Wohnungsverwaltung eine Ein-Zimmer-Wohnung zu. In dieser Wohnung lebten beide, bis kurdische Truppen auf die Stadt vorrückten und sie im Juni 2016 erneut fliehen mussten.
Rz. 29
Die Angeschuldigte und ihr Mann kehrten nach a. zurück, das zwischenzeitlich vom IS zurückerobert worden war. Da ihr altes Haus durch Kampfeinwirkungen zerstört worden war, wies ihnen die örtliche IS-Administration eine andere Wohnung in der Stadt zu, in der beide einige Wochen lebten. Diese Wohnung befand sich in der ehemaligen Grundschule von a., welche vor der Einnahme des Ortes durch den IS von Truppen der FSA als Verwaltungsgebäude genutzt worden war.
Rz. 30
Wegen eines Beschusses von a. durch die anrückende türkische Armee und Kräfte der FSA verließen die Angeschuldigte und ihr Mann Anfang Juli 2016 die Stadt erneut und gelangten in den vom IS gehaltenen syrischen Ort Qa.. Dort zogen sie ohne Vermittlung der IS-Administration in ein Haus mit offenem, mauerlosen Hof. Die Angeschuldigte wohnte in diesen Räumlichkeiten bis August 2016.
Rz. 31
Als die Situation für die Angeschuldigte im IS-Gebiet im Frühjahr 2016 wegen des Vordringens gegnerischer Kräfte zunehmend gefährlich wurde, entschloss sie sich, das Herrschaftsgebiet des IS zu verlassen. Nachdem ihr Mann im Juli 2016 wegen des Verdachts verhaftet worden war, er wolle sich vom IS lossagen, gelangte sie unter Vermittlung des deutschen Journalisten St. mit Hilfe von Schleusern Mitte August 2016 in ein seinerzeit von der FSA gehaltenes syrisches Territorium, wo sie Unterkunft bei einer der FSA nahestehenden syrischen Familie fand. Im Herbst 2020 floh sie mit erneuter Schleuserhilfe aus Syrien in die Türkei und kehrte am 2. Oktober 2010 nach Deutschland zurück, wo sie bei ihrer Ankunft am Flughafen Frankfurt am Main verhaftet wurde.
Rz. 32
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich in Bezug auf den Konflikt in Syrien und die außereuropäische terroristische Vereinigung „Islamischer Staat”, wie dem Senat auch aus anderen Verfahren bekannt ist, insbesondere aus Gutachten des Sachverständigen Dr. Ste., umfangreichen Auswertevermerken des Bundeskriminalamts und Behördenerklärungen des Bundesnachrichtendienstes.
Rz. 33
Hinsichtlich des dringenden Tatverdachts in Bezug auf die gegen die Angeschuldigte erhobenen Vorwürfe gilt:
Rz. 34
Die Angeschuldigte hat sich im Rahmen von mehreren Beschuldigtenvernehmungen nach ihrer Rückkehr nach Deutschland teilgeständig eingelassen. Sie hat dabei ihre Radikalisierung, ihre Ausreise zum IS im Juni 2014, ihre Alimentation durch den IS, die Erlangung der Schusswaffen und das kostenfreie Wohnen in vom IS zur Verfügung gestellten oder mit Billigung des IS bezogenen Wohnungen weitgehend eingestanden.
Rz. 35
Zwar hat die Angeschuldigte bestritten, die Zeugin S. gegenüber dem IS denunziert zu haben. Ferner hat sie bestritten, ihr Mann habe ihr die schwarze Kalaschnikow russischer Bauart geschenkt; es habe sich vielmehr um dessen Zweitwaffe gehandelt, die er gelegentlich zu Hause gelassen habe, die sie selbst aber nie geführt habe. Insofern aber ergibt sich der dringende Tatverdacht aus Bekundungen unter anderem der Zeugen St., R., Ö. und S. sowie aus Angaben in dem Buch „Mein Leben im Kalifat – eine deutsche IS-Aussteigerin erzählt”, das die Angeschuldigte nach eigenen Angaben und nach Bekundungen des Zeugen R. gemeinsam mit diesem unter dem Pseudonym „Maryam A.” während ihres Aufenthaltes im Gebiet der FSA nach Verlassen des IS verfasste und das im November 2017 erschien. In dem Buch schildert die Angeschuldigte die Schießübungen mit einer Kalaschnikow in der Nähe des Ortes a. Ende August 2014 und die spätere Erlangung von zwei Sturmgewehren „AK 47”, wobei sie die schwarze Kalaschnikow russischer Bauart als ihre Waffe bezeichnet. Zudem beschreibt sie dort detailreich und den obigen Ausführungen entsprechend die Inbesitznahme der verschiedenen Wohnungen.
Rz. 36
Wegen weiterer Umstände, die den dringenden Tatverdacht begründen, wird auf die Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 15. März 2021 Bezug genommen.
Rz. 37
2. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass sich die Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung in neun Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit dem Erwerb der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe ohne Genehmigung und in fünf weiteren Fällen in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen gegen Eigentum oder sonstige Rechte gemäß §§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, § 22a Abs. 1 Nr. 2 KrWaffKG in Verbindung mit Teil B Nr. 29 Buchst. c der Anlage zu § 1 Abs. 1 KrWaffKG, § 9 Abs. 1 Variante 3 VStGB, §§ 52, 53 StGB, strafbar gemacht hat.
Rz. 38
Soweit die Anklageschrift der Angeschuldigten einen weiteren Fall der Inbesitznahme von Wohnraum und damit ein weiteres Kriegsverbrechen nach § 9 Abs. 1 VStGB in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung zur Last legt (Fall III. 6. der Anklageschrift; Inbesitznahme einer Wohnung in der Ortschaft D. im Zeitraum September 2014 bis Januar 2015), hat dieser Tatvorwurf im Rahmen der vom Senat zu treffenden Haftfortdauerentscheidung außer Betracht zu bleiben, weil er nicht Gegenstand des Haftbefehls ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2017 – AK 63/17, NStZ-RR 2018, 53, 54; vom 20. Oktober 2016 – AK 53/16, juris Rn. 6 ff.; KK-StPO/Schultheis, 8. Aufl., § 121 Rn. 24).
Rz. 39
a) Die Angeschuldigte ist der mitgliedschaftlichen Beteiligung am IS dringend verdächtig (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB).
Rz. 40
Das gilt sowohl unter Zugrundelegung des früher nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblichen Vereinigungsbegriffs (vgl. dazu etwa BGH, Urteile vom 20. März 1963 – 3 StR 5/63, BGHSt 18, 296, 299 f.; vom 14. August 2009 – 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69 Rn. 123) als auch auf der Grundlage der Legaldefinition des § 129 Abs. 2 in Verbindung mit § 129a Abs. 1 StGB in der seit dem 22. Juli 2017 gültigen Fassung (vgl. § 2 Abs. 1, 3 StGB; BGH, Beschlüsse vom 9. Juni 2020 – AK 12/20, juris Rn. 24; vom 17. Oktober 2019 – AK 56/19, juris Rn. 27), die im Hinblick auf die Organisationsstruktur und die Willensbildung geringere Anforderungen stellt und den Begriff dadurch ausgeweitet hat.
Rz. 41
Nach beiden Varianten setzt die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung nach § 129a Abs. 1 StGB eine gewisse formale Eingliederung des Täters in die Organisation voraus. Sie kommt nur in Betracht, wenn der Täter die Vereinigung von innen und nicht lediglich von außen her fördert. Insoweit bedarf es zwar keiner förmlichen Beitrittserklärung oder einer förmlichen Mitgliedschaft. Notwendig ist aber, dass der Täter eine Stellung innerhalb der Vereinigung einnimmt, die ihn als zum Kreis der Mitglieder gehörend kennzeichnet und von den Nichtmitgliedern unterscheidbar macht. Dafür reicht allein eine Tätigkeit für die Vereinigung, mag sie auch besonders intensiv sein, nicht aus; denn ein Außenstehender wird nicht allein durch eine Förderung der Vereinigung zu deren Mitglied. Die Mitgliedschaft setzt ihrer Natur nach eine Beziehung voraus, die einer Vereinigung nicht aufgedrängt werden kann, sondern ihre Zustimmung erfordert. Ein auf lediglich einseitigem Willensentschluss beruhendes Unterordnen und Tätigwerden genügt nicht, selbst wenn der Betreffende bestrebt ist, die Vereinigung und ihre kriminellen Ziele zu fördern. Die Annahme einer mitgliedschaftlichen Beteiligung scheidet daher aus, wenn die Unterstützungshandlungen nicht von einem einvernehmlichen Willen zu einer fortdauernden Teilnahme am Verbandsleben getragen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2019 – AK 27/19, juris Rn. 20; Urteil vom 14. August 2009 – 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69 Rn. 128).
Rz. 42
Eine Beteiligungshandlung des Mitglieds kann darin bestehen, unmittelbar zur Durchsetzung der Ziele der Vereinigung beizutragen; sie kann auch darauf gerichtet sein, lediglich die Grundlagen für die Aktivitäten der Vereinigung zu schaffen oder zu erhalten. Ausreichend ist deshalb die Förderung von Aufbau, Zusammenhalt oder Tätigkeit der Organisation. In Betracht kommt etwa ein organisationsförderndes oder ansonsten vereinigungstypisches Verhalten von entsprechendem Gewicht. In Abgrenzung hierzu fehlt es in Fällen einer bloß formalen oder passiven, für das Wirken der Vereinigung bedeutungslosen Mitgliedschaft grundsätzlich an einem aktiven mitgliedschaftlichen Beteiligungsakt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2019 – AK 22/19, NJW 2019, 2552 Rn. 24 mwN).
Rz. 43
Daran gemessen besteht bei einer Gesamtwürdigung der bislang ermittelten Umstände der dringende Tatverdacht, dass sich die Angeschuldigte zum einen einvernehmlich in den IS eingliederte und zum anderen nicht lediglich passives Mitglied des IS war, sondern vereinigungstypische Tätigkeiten für dessen Zwecke entfaltete.
Rz. 44
Hierbei ist im Rahmen einer Gesamtschau insbesondere Folgendes von Bedeutung: Die Angeschuldigte begab sich nach dem derzeitigen Ermittlungsstand freiwillig und aus eigenem Antrieb in das syrische IS-Gebiet, um sich dort der von ihr gutgeheißenen Vereinigung IS anzuschließen und am Aufbau eines islamischen Staates mitzuwirken. Ihre Einreise in das IS-Gebiet gemeinsam mit ihrem Mann, die maßgeblich auf ihre Initiative zurückging, wurde vom IS organisatorisch unterstützt, der auch die Schleuser bezahlte. Während ihr Mann, der sich erst unter dem bestimmenden Einfluss der Angeschuldigten dem IS zugewandt hatte, von der Vereinigung militärisch ausgebildet wurde, wurde die Angeschuldigte vom IS in Wohnungen von IS-Funktionären untergebracht. Nicht nur ihr Mann, sondern auch die Angeschuldigte wurde vom IS alimentiert; der IS leistete regelmäßige Geldzahlungen für beide und stellte beiden kostenlosen Wohnraum zur Verfügung. Soweit die Angeschuldigte und ihr Mann eigenständig Wohnraum in Besitz nahmen, gestattete der IS ihnen dies, und zwar auch, um damit die Gebietsansprüche des IS zu festigen und die Rückeroberung der Gebiete zu erschweren. Die einvernehmliche Eingliederung der Angeschuldigten in den IS manifestiert sich ferner darin, dass die Angeschuldigte nach Angaben in ihrem Buch die Möglichkeit hatte, an einem „Patrouillendienst von IS-Frauen” mitzuwirken, dass sie gemeinsam mit ihrem Mann ihre Wohnorte nach Vorgaben der Vereinigung wechselte, dass ihr vom IS ein Sprengstoffgürtel angeboten wurde und dass sie von ihrem Mann mit Sturmgewehren ausgestattet wurde, die sie von ihm unabhängig in Besitz hatte und führte. Hinzu kommt, dass sie sich an Chatgruppen beteiligte, in denen die Vorzüge eines Lebens unter der Herrschaft des IS propagiert wurden, und dass sie Aktivitäten der gleichfalls zum IS ausgereisten deutschen Staatsangehörigen S., die sie als für den IS nachteilig erachtete, gegenüber der Vereinigung zur Anzeige brachte und damit ein Vorgehen des IS gegen die Zeugin initiierte. Zudem hielt sich die Angeschuldigte über einen Zeitraum von zwei Jahren aus eigenem Antrieb im Herrschaftsgebiet des IS auf und verließ dieses nur, weil die Vereinigung militärisch zurückgedrängt wurde und die Angeschuldigte den mit den militärischen Auseinandersetzungen verbundenen zunehmenden Gefahren für sich entkommen wollte. In Anbetracht dessen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts davon auszugehen, dass die Angeschuldigte einvernehmlich in die Vereinigung aufgenommen wurde.
Rz. 45
Angesichts dieser Gesamtumstände stellen sich die der Angeschuldigten zur Last gelegten Aktivitäten im IS-Herrschaftsgebiet als aktive mitgliedschaftliche Beteiligungsakte dar; mit ihren Aktivitäten im IS-Herrschaftsgebiet förderte die Angeschuldigte bewusst und gewollt die Ziele der Vereinigung. Aufgrund ihrer Schulung im Umgang mit einem Sturmgewehr und ihres längeren Besitzes zweier dieser Waffen war die Angeschuldigte in der Lage, nicht nur sich selbst, sondern auch den von ihr vertretenen Herrschaftsanspruch der Vereinigung gegen Angriffe gegnerischer Kräfte zu verteidigen. Indem die Angeschuldigte gemeinsam mit ihrem Mann als (ausländische) IS-Angehörige erkennbar Wohnraum im IS-Gebiet bezog, manifestierte und festigte sie die Gebietshoheit des IS, so dass auch diese Aktivitäten mitgliedschaftliche Beteiligungshandlungen waren (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Juni 2020 – AK 12/20, juris Rn. 26; vom 15. Mai 2019 – AK 22/19, NJW 2019, 2552 Rn. 27). Auch das Führen des gemeinsamen Haushalts für ihren als Kämpfer tätigen Mann stellt sich angesichts der aus den dargelegten weiteren Umständen folgenden mitgliedschaftlichen Einbindung der Angeschuldigten in den IS und ihres Zieles, im Rahmen der ihr vom IS zugedachten Rolle als Ehefrau die Vereinigung zu fördern, nicht lediglich als bloße alltägliche Verrichtung ohne Organisationsbezug dar (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Februar 2021 – AK 7/21, juris Rn. 22; vom 9. Februar 2021 – AK 5/21, juris Rn. 25; vom 30. Juni 2020 – AK 14/20, juris Rn. 25 f.; vom 9. Juni 2020 – AK 12/20, juris Rn. 26; vom 13. Juni 2019 – AK 27/19, juris Rn. 21 f.; vom 15. Mai 2019 – AK 22/19, NJW 2019, 2552 Rn. 26). Die Angeschuldigte erfüllte damit nicht lediglich die „häuslichen Pflichten”, die sich aus dem Zusammenleben mit ihrem Ehemann nach islamischem Ritus ergaben (vgl. zu dieser Konstellation BGH, Beschlüsse vom 23. Juni 2020 – StB 20/20; vom 23. Juni 2020 – StB 19/20; vom 22. März 2018 – StB 32/17, NStZ-RR 2018, 206, 207).
Rz. 46
Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern des IS hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz am 13. Oktober 2015 erteilt.
Rz. 47
b) Die Angeschuldigte erwarb in den drei dargestellten Fällen die Gewalt über Sturmgewehre „AK 47” (Kalaschnikow) von ihrem Mann. Es ist daher im Sinne eines dringenden Tatverdachts von einem Erwerb der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen ohne Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz (§ 22a Abs. 1 Nr. 2 KrWaffKG) in drei Fällen und nicht – wie im Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 19. Februar 2021 angenommen – von der Ausübung der tatsächlichen Gewalt über solche (§ 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a KrWaffKG) auszugehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 2014 – 4 StR 335/14, juris; vom 22. Juli 2009 – 2 StR 173/09, juris; MüKoStGB/ Heinrich, 3. Aufl., § 22a KrWaffKG Rn. 71). Sturmgewehre des Typs „AK 47” (Kalaschnikow) sind Kriegswaffen im Sinne von Teil B Nr. 29 Buchst. c der Anlage zu § 1 Abs. 1 KrWaffKG.
Rz. 48
c) Die Angeschuldigte hat sich in fünf weiteren Fällen mit hoher Wahrscheinlichkeit eines Kriegsverbrechens gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 Variante 3 VStGB schuldig gemacht. Gemeinschaftlich mit ihrem Mann (§ 2 VStGB i.V.m. § 25 Abs. 2 StGB) eignete sie sich Häuser und Wohnungen an, die – wie sie wusste – zuvor vertriebene oder getötete Angehörige der gegnerischen Zivilbevölkerung bewohnt hatten oder die von gegnerischen Gruppierungen genutzt worden waren. Es handelte sich hierbei jeweils um Sachen der gegnerischen Konfliktpartei, die der Gewalt der eigenen Partei, des IS, unterlagen; dieser ist im Verhältnis zur Zivilbevölkerung der von ihm okkupierten Gebiete und im Verhältnis zu vom IS bekämpften anderen Konfliktparteien als Gegner anzusehen. Dem dringenden Tatverdacht steht nicht entgegen, dass es sich bei dem von der Angeschuldigten während ihres zweiten Aufenthaltes in a. bewohnten Objekt ursprünglich um eine (syrische) Grundschule – und damit möglicherweise syrisches Staatseigentum – handelte und dieses Objekt sowie das Wohnhaus, das die Angeschuldigte bei ihrem ersten Aufenthalt in diesem Ort bewohnte, vor der (erneuten) Einnahme des Ortes durch den IS von einer anderen nichtstaatlichen Konfliktpartei als Verwaltungsgebäude genutzt worden waren. § 9 Abs. 1 VStGB erfasst grundsätzlich auch gegnerisches staatliches Eigentum (vgl. MüKoStGB/Ambos, 3. Aufl., § 9 VStGB Rn. 1, 10; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1373); zudem ist die Vorschrift nicht auf eine erstmalige Aneignung beschränkt (BGH, Beschluss vom 4. April 2019 – AK 12/19, NStZ-RR 2019, 229, 230). Die Aneignungen durch die Angeschuldigte und ihren Mann hatten nicht nur einen erheblichen Umfang, sondern waren auch darauf angelegt, die Sachen den rechtmäßigen bisherigen Bewohnern oder jedenfalls ursprünglichen rechtmäßigen Nutzern ohne deren Willen dauerhaft zu entziehen. Schließlich standen die Inbesitznahmen der Häuser und Wohnungen mit dem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt in dem für die Tatbestandsverwirklichung erforderlichen funktionalen Zusammenhang, waren völkerrechtlich nicht gerechtfertigt und auch nicht durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten (vgl. zum Ganzen BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2021 – AK 5/21, juris Rn. 27; vom 9. Juni 2020 – AK 12/20, juris Rn. 28; vom 15. Mai 2019 – AK 22/19, NJW 2019, 2552 Rn. 28 f.; vom 4. April 2019 – AK 12/19, NStZ-RR 2019, 229, 230 f. mwN).
Rz. 49
d) Für die konkurrenzrechtliche Beurteilung der verschiedenen verwirklichten Straftatbestände gilt:
Rz. 50
Die mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte, die auch den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen und der Zwecksetzung der Vereinigung oder ihren sonstigen Interessen dienen, stehen gemäß § 52 Abs. 1 Alternative 1 StGB in Tateinheit mit der jeweils gleichzeitig verwirklichten mitgliedschaftlichen Beteiligung, jedoch – soweit sich nach allgemeinen Grundsätzen nichts anderes ergibt – sowohl untereinander als auch zu der Gesamtheit der sonstigen mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte in Tatmehrheit (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 – 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308 Rn. 23 ff.).
Rz. 51
Die Kriegswaffendelikte und die unabhängig davon verwirklichten Kriegsverbrechen stehen zueinander in Tatmehrheit (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2021 – AK 5/21, juris Rn. 48; vom 9. Juni 2020 – AK 12/20, juris Rn. 31; vom 17. Oktober 2019 – StB 26/19, juris Rn. 32; vom 10. August 2017 – AK 35/17 u.a., juris Rn. 37 mwN). Sowohl der Waffenbesitz als auch der Einzug in die verschiedenen Wohnungen lagen – wie bereits dargetan – im Interesse des IS. Die Kriegswaffendelikte und die Kriegsverbrechen stellen damit zugleich mitgliedschaftliche Beteiligungsakte im Sinne der § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB dar und sind daher für sich jeweils in Tateinheit im Sinne des § 52 StGB zur Mitgliedschaft verwirklicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2021 – AK 5/21, juris Rn. 48; vom 9. Juni 2020 – AK 12/20, juris Rn. 31; vom 4. März 2020 – StB 7/20, Rn. 45; vom 15. Mai 2019 – AK 22/19, NJW 2019, 2552 Rn. 30).
Rz. 52
In Tatmehrheit (§ 53 StGB) dazu treten die fortdauernden, keinen weiteren Straftatbestand erfüllenden mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2019 – StB 26/19, juris Rn. 30 ff. mwN).
Rz. 53
e) Deutsches Strafrecht ist nach gegenwärtigem Stand der Ermittlungen anwendbar. Dies folgt für die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung entweder unmittelbar aus § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 2 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2009 – StB 34/09, BGHR StGB § 129b Anwendbarkeit 1) oder – ebenso wie für die Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz – aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, weil die Angeschuldigte Deutsche ist und das Gebiet, in dem sie sich als Mitglied des IS beteiligte, im Tatzeitraum keiner effektiven staatlichen Strafgewalt unterlag (vgl. näher BGH, Beschlüsse vom 9. Juni 2020 – AK 12/20, juris Rn. 32; vom 17. Oktober 2019 – AK 56/19, juris Rn. 55; vom 17. Oktober 2019 – StB 26/19, juris Rn. 28; vom 6. Oktober 2016 – AK 52/16, juris Rn. 33 ff.). Im Übrigen ist der Anschluss an eine terroristische Organisation gemäß Art. 1 und 3 des syrischen Anti-Terror-Gesetzes Nr. 19 vom 28. Juni 2012, das die zuvor geltenden Vorschriften über die Strafbarkeit einer Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach Art. 304 bis 306 des syrischen Strafgesetzbuchs ersetzt hat, auch in Syrien mit Strafe bedroht (BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2020 – AK 14/20, juris Rn. 27; vom 13. Juni 2019 – AK 27/19, juris Rn. 23). Gleiches gilt hinsichtlich der Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz im Hinblick auf §§ 39, 41 des syrischen Präsidialerlasses Nr. 51 vom 24. September 2001 (BGH, Beschluss vom 30. Juni 2020 – AK 14/20, juris Rn. 27). Die Kriegsverbrechen nach § 9 Abs. 1 VStGB unterfallen nach § 1 VStGB dem Weltrechtsprinzip (BGH, Beschlüsse vom 9. Juni 2020 – AK 12/20, juris Rn. 33; vom 15. Mai 2019 – AK 22/19, NJW 2019, 2552 Rn. 31).
Rz. 54
3. Es sind die Haftgründe der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie – bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 – AK 57/18, juris Rn. 30 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) – der Schwerkriminalität gegeben. Es ist wahrscheinlicher, dass sich die Angeschuldigte – sollte sie auf freien Fuß gelangen – dem Strafverfahren entziehen, als dass sie sich ihm stellen wird.
Rz. 55
Die Angeschuldigte hat angesichts der gegen sie erhobenen schwerwiegenden Tatvorwürfe im Falle ihrer Verurteilung mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen, zumal es sich bei dem IS um eine jedenfalls im Tatzeitraum besonders gefährliche und grausam vorgehende terroristische Vereinigung handelte. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthemmenden Umstände entgegen.
Rz. 56
Zwar ist die Angeschuldigte freiwillig nach Deutschland zurückgekehrt und hat sich im Rahmen mehrerer Beschuldigtenvernehmungen teilgeständig eingelassen. Doch verfügt sie in der Bundesrepublik über keine nennenswerten familiären oder sonstigen sozialen Bindungen. Von ihrem afghanischen Ehemann, mit dem sie weiterhin standesamtlich verheiratet ist, trennte sie sich bereits kurz nach der Vermählung und lange vor ihrer Ausreise zum IS. Vor ihrer Ausreise aus Deutschland 2014 hatte sie kaum Kontakt zu Familienangehörigen; ihre wesentliche Bezugsperson war ihr Ehemann nach islamischem Ritus E., der nicht nach Deutschland zurückgekehrt ist. Von dessen Familie wurde sie wegen ihrer radikal-islamistischen Haltung abgelehnt. Zwar hat ihre Mutter sich bereiterklärt, die Angeschuldigte im Falle einer Freilassung vorübergehend bei sich aufzunehmen, doch dies erst nach längerem Zögern und reiflicher Überlegung, was eine fehlende Einbindung der Angeschuldigten in ihre Herkunftsfamilie, die fluchthemmend wirken könnte, nur unterstreicht. Dies gilt auch deshalb, weil es bislang keine Besuchskontakte zwischen der inhaftierten Angeschuldigten und Familienangehörigen gegeben hat. Die Angeschuldigte lebte vor ihrer Ausreise zum IS ohne festen Wohnsitz in einem Frauenhaus. Sie verfügt zudem über keine berufliche Verankerung, denn sie hat weder einen Schulabschluss erlangt noch eine Ausbildung absolviert und war vor ihrer Ausreise erwerbslos.
Rz. 57
Der Zweck der Untersuchungshaft kann unter den gegebenen Umständen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO – die bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO möglich sind – erreicht werden.
Rz. 58
4. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Der Umfang der Ermittlungen hat ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigt den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Das Verfahren ist bislang mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden.
Rz. 59
Die nach der Rückkehr der Angeschuldigten nach Deutschland und ihrer Inhaftierung am 2. Oktober 2020 veranlassten Ermittlungen waren besonders umfangreich und zeitintensiv; die Akten umfassen derzeit 21 Stehordner. Seit der Invollzugsetzung des Haftbefehls sind mehrere Beschuldigtenvernehmungen der Angeschuldigten erfolgt, die sich umfassend zu den gegen sie erhobenen Tatvorwürfen eingelassen hat, und acht Zeugen vernommen worden. Es sind zudem mehrere Mobiltelefone ausgewertet, diverse Medienberichte gesichert, Finanzermittlungen durchgeführt und verschiedene islamwissenschaftliche Vermerke gefertigt worden. Die polizeilichen Ermittlungen sind mit Vorlage eines polizeilichen Abschlussberichts am 3. März 2021 beendet worden. Die 70 Seiten umfassende Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main ist am 15. März 2021 fertiggestellt worden und am 19. März 2021 beim zuständigen Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingegangen. Der Vorsitzende des zuständigen 5. Strafsenats des Oberlandesgerichts hat der Angeschuldigten und ihren Verteidigern mit der Anordnung der Zustellung der Anklageschrift am 22. März 2021 eine Erklärungsfrist bis zum 30. April 2021 gesetzt und zugleich für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens einen Beginn der Hauptverhandlung am 7. Juni 2021 und weitere elf Hauptverhandlungstage zunächst bis Mitte August 2021 in Aussicht gestellt.
Rz. 60
5. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht der Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Unterschriften
Schäfer, Paul, Kreicker
Fundstellen
Haufe-Index 14471323 |
StV 2021, 575 |