Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 12.12.2022; Aktenzeichen 37 S 19/22)

AG Berlin-Charlottenburg (Entscheidung vom 03.05.2022; Aktenzeichen 206 C 5/22)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 31.01.2024; Aktenzeichen XI ZB 4/23)

BGH (Beschluss vom 24.10.2023; Aktenzeichen XI ZB 4/23)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Beiordnung eines Notanwalts für das Verfahren der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 37. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 12. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den vorbezeichneten Beschluss wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Kläger nimmt die beklagte Bank im Wege der Stufenklage auf Auskunft und Zahlung von Schadensersatz in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 3. Mai 2022, dem Kläger zugestellt am 6. Mai 2022, abgewiesen. Der Kläger hat mit Schreiben vom 14. September 2022 an das Landgericht beantragt, ihm zur Einlegung der Berufung einen Notanwalt beizuordnen. Hilfsweise hat er beantragt, festzustellen, dass vor dem Amtsgericht keine Entscheidung erlassen wurde, und das Verfahren zur Beendigung der Instanz an das Ausgangsgericht zurückzuleiten. Das Landgericht hat den Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts zurückgewiesen, weil die Frist zur Einlegung der Berufung schon bei Einreichung des Schreibens vom 14. September 2022 abgelaufen gewesen sei und die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung nicht vorlägen. Den Hilfsantrag hat das Landgericht ebenfalls zurückgewiesen. Die vom Kläger zur Überprüfung des Berufungsgerichts gestellten Fragen könnten nicht isoliert außerhalb eines Berufungsverfahrens vorgebracht werden; sie beträfen Vorfragen, die nur im Rahmen einer formwirksam eingelegten Berufung geklärt werden könnten. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers, für deren Durchführung er die Beiordnung eines Notanwalts beantragt.

II.

Rz. 2

1. Der Antrag des Klägers auf Beiordnung eines Notanwalts für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist unbegründet.

Rz. 3

Gemäß § 78b Abs. 1 ZPO hat das Gericht, soweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, einer Partei auf ihren Antrag einen Notanwalt beizuordnen, wenn sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung nicht mutwillig oder aussichtslos ist. Aussichtslosigkeit ist immer dann gegeben, wenn ein günstiges Ergebnis der beabsichtigten Rechtsverfolgung auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2019 - III ZR 85/19, juris Rn. 5, vom 12. Mai 2020 - II ZB 7/20, juris Rn. 9 und vom 23. Juni 2021 - V ZR 112/20, juris Rn. 6). Dies ist hier der Fall. Der Beschluss des Landgerichts Berlin ist nicht mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar.

Rz. 4

2. Die Rechtsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie bereits nicht statthaft ist.

Rz. 5

a) Eine Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder sie in dem angegriffenen Beschluss zugelassen ist. Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die gesetzliche Regelung der Beiordnung eines Notanwalts (§ 78b ZPO) sieht die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde nicht allgemein vor (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2021 - III ZB 42/20, juris Rn. 3) und das Landgericht hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde ist - anders als die Nichtzulassung der Revision (§ 544 ZPO) - nicht anfechtbar (Senatsbeschlüsse vom 4. April 2017 - XI ZB 5/17, juris Rn. 4, vom 3. März 2020 - XI ZB 24/19, juris Rn. 4 und vom 25. Januar 2021 - XI ZB 25/20, juris Rn. 3).

Rz. 6

b) Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde folgt entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht aus § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger mit seinem Schreiben vom 14. September 2022 keine Berufung eingelegt, sondern den Hilfsantrag im Rahmen seines Antrags auf Beiordnung eines Notanwalts gestellt hat.

Rz. 7

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das Rechtsbeschwerdegericht die Würdigung prozessualer Erklärungen einer Partei uneingeschränkt nachprüfen und Erklärungen selbst auslegen (Senatsurteil vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 11; BGH, Beschluss vom 27. August 2019 - VI ZB 32/18, NJW 2019, 3727 Rn. 9). Die Auslegung darf auch im Prozessrecht nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen. Bei der Auslegung von Prozesserklärungen ist zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (Senatsurteil vom 16. Mai 2017, aaO; BGH, Urteil vom 1. August 2013 - VII ZR 268/11, NJW 2014, 155 Rn. 30; BGH, Beschluss vom 27. August 2019, aaO).

Rz. 8

bb) Unter Beachtung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass der Kläger mit seinem Schreiben vom 14. September 2022 nicht Berufung eingelegt hat. Der Kläger hat die Beiordnung eines Notanwalts "zur Einlegung des Rechtsmittels der Berufung" beantragt und zur Begründung auf die vom Amtsgericht erteilte Rechtsbehelfsbelehrung Bezug genommen. Damit hat er zum Ausdruck gebracht, dass er weiß, für die Berufungseinlegung einen Rechtsanwalt zu benötigen. Die Einlegung einer mangels Postulationsfähigkeit unzulässigen Berufung wäre unvernünftig (BGH, Beschluss vom 27. August 2019 - VI ZB 32/18, NJW 2019, 3727 Rn. 11). Seinen Hilfsantrag hat er damit begründet, dem Landgericht "zur Vermeidung unnötiger Kosten" ermöglichen zu wollen, im Falle des Vorliegens einer Schein- bzw. Nichtentscheidung die notwendigen Feststellungen zu treffen und das Verfahren "auf dem kurzen Dienstweg" zur Beendigung an das Ausgangsgericht zurückzuleiten; in diesem Falle würde er auf eine Entscheidung zum Hauptantrag verzichten. Diese Erklärung lässt sich bei verständiger Würdigung nur so verstehen, dass der Kläger kein - Kosten verursachendes - förmliches Rechtsmittelverfahren einleiten wollte.

Rz. 9

3. Eine außerordentliche Beschwerde ist ebenfalls nicht eröffnet und verfassungsrechtlich nicht geboten (vgl. BVerfGE 107, 395, 416 ff.; BGH, Beschlüsse vom 7. März 2002 - IX ZB 11/02, BGHZ 150, 133 ff., vom 4. April 2017 - XI ZB 5/17, juris Rn. 5 und vom 9. Januar 2020 - IX ZA 18/19, juris Rn. 2).

Ellenberger     

Matthias     

Schild von Spannenberg

Sturm     

Ettl     

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15765046

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