Verfahrensgang
LG Hannover (Entscheidung vom 18.02.2022; Aktenzeichen 53 T 2/22) |
AG Hannover (Entscheidung vom 05.11.2021; Aktenzeichen 38 XIV 35/21) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 53. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 18. Februar 2022 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe
Rz. 1
I. Der Betroffene, ein senegalesischer Staatsangehöriger, reiste 1998 nach Deutschland ein. Ihm wurden zunächst befristete Aufenthaltstitel erteilt. Der Betroffene wurde wiederholt straffällig. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 30. April 2020 lehnte die beteiligte Behörde die Anträge des Betroffenen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und auf Verlängerung der bestehenden Aufenthaltserlaubnis ab und drohte ihm die Abschiebung an.
Rz. 2
In der Zeit vom 12. September bis zum 4. Oktober 2021 befand sich der Betroffene in Abschiebungshaft. Die für den 4. Oktober 2021 geplante Abschiebung musste abgebrochen werden, da der Betroffene nicht rechtzeitig zum Flughafen gebracht wurde. Der Betroffene wurde aus der Haft entlassen.
Rz. 3
Auf Antrag der Beteiligten ordnete das Amtsgericht am 2. November 2021 nach Anhörung des Betroffenen im Wege der einstweiligen Anordnung erneut Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 8. November 2021 an. Am 5. November 2021 hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen im Beisein seines Verfahrensbevollmächtigten Abschiebungshaft bis zum 8. November 2021 angeordnet. Nach der am 8. November 2021 erfolgten Abschiebung des Betroffenen hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 18. Februar 2022 die gegen den Beschluss vom 5. November 2021 eingelegte, auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter.
Rz. 4
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 5
1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Haftanordnung des Amtsgerichts sei rechtmäßig. Fluchtgefahr liege vor. Der Betroffene habe bei abgelaufener Ausreisefrist trotz Hinweises wiederholt den Aufenthaltsort gewechselt, ohne der Behörde eine Anschrift anzugeben. Er sei ferner wegen vorsätzlicher Straftaten zu mindestens einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Aus seinem Verhalten ergäben sich Hinweise darauf, dass von ihm eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter ausgehe, denn gegen ihn seien mehrere Ermittlungsverfahren wegen Rohheitsdelikten sowie Bedrohung anhängig. Auch nach seiner Entlassung aus der Abschiebehaft am 4. Oktober 2021 seien bereits weitere Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Die Haftanordnung sei nicht deshalb unzulässig, weil die Abschiebung am 4. Oktober 2021 gescheitert sei. Dass die erneute Inhaftierung nicht erforderlich geworden wäre, wenn diese Abschiebung hätte vollzogen werden können, sei zwar bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung in besonderem Maße zu berücksichtigen. Die angeordnete Haft von nur wenigen Tagen sei aber nicht zu beanstanden und stelle das zwingend zur Sicherung einer Abschiebung erforderliche Minimum dar.
Rz. 6
2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
Rz. 7
a) Zutreffend ist das Beschwerdegericht nach den dafür geltenden Maßstäben (vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. April 2020 - XIII ZB 53/19, InfAuslR 2020, 283 Rn. 7 mwN) von der Zulässigkeit des Haftantrags ausgegangen. Im Haftantrag wird hinsichtlich der zahlreichen gegen den Betroffenen geführten Ermittlungsverfahren auf das Vorliegen des gemäß § 72 Abs. 4 AufenthG erforderlichen staatsanwaltschaftlichen Einvernehmens verwiesen.
Rz. 8
b) Zu Recht hat das Beschwerdegericht angenommen, dass die am 4. Oktober 2021 gescheiterte Abschiebung kein Hindernis für die erneute Anordnung von Abschiebungshaft begründete.
Rz. 9
aa) Das Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen verlangt, dass die Behörde die Abschiebung oder Überstellung ohne vermeidbare Verzögerung betreibt und die Dauer der Sicherungshaft auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt wird (BGH, Beschluss vom 22. März 2022 - XIII ZB 17/20, juris Rn. 18 mwN). Versäumnisse anderer am Verfahren beteiligter Behörden sind der die Abschiebung betreibenden Behörde zuzurechnen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 65/19, InfAuslR 2020, 385 Rn. 15; vom 6. Oktober 2020 - XIII ZB 21/20, juris Rn. 19). Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot führt dazu, dass die Haft aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht weiter aufrechterhalten werden darf (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2022 - XIII ZB 116/19, juris Rn. 11 mwN).
Rz. 10
bb) Das hat die beteiligte Behörde beachtet. Sie hat den Betroffenen sofort aus der Haft entlassen, nachdem die Abschiebung wegen des ihr zuzurechnenden Versäumnisses gescheitert war. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde stand der Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot der Anordnung einer erneuten Abschiebungshaft nicht generell entgegen. Denn dies würde bedeuten, dass die Ausreiseverpflichtung des Betroffenen in diesen Fällen vielfach nicht mehr durchgesetzt werden könnte. Eine solche Folge kann indes weder aus § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG noch aus dem im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wurzelnden Beschleunigungsgebot abgeleitet werden. Auch § 62 Abs. 4a AufenthG ist zu entnehmen, dass das Scheitern einer Abschiebung nicht zwingend zur Freilassung des Betroffenen führt.Hinzu tritt hier, dass gegen den Betroffenen nach den Feststellungen bis zuletzt mehrere Ermittlungsverfahren wegen Rohheitsdelikten, namentlich gefährliche Körperverletzung und räuberischer Diebstahl, sowie wegen Bedrohung anhängig waren und daher Hinweise darauf bestanden, dass von ihm eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter ausging. Zutreffend hat das Beschwerdegericht daher angenommen, dass in einem solchen Fall unter Berücksichtigung der bereits vollzogenen Haft eine besonders strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung stattzufinden hat.
Rz. 11
cc) Nach diesen Maßgaben ist die Würdigung des Beschwerdegerichts, die erneute, insgesamt sechs Tage dauernde Haft sei verhältnismäßig, nicht zu beanstanden. Dabei war hier zu berücksichtigen, dass schon aufgrund des von den senegalesischen Behörden geforderten PCR-Tests und der bestehenden Fluchtgefahr eine vorherige Inhaftnahme erforderlich war, um eine Abschiebung durchführen zu können. Die Dauer der Haft war im Hinblick auf den Zeitbedarf für die Testung, die erforderlichen Anhörungen und Transportzeiten zum Gericht und zum Flughafen nicht zu beanstanden. Sie belief sich zusammen mit der vor der gescheiterten Abschiebung vollzogenen Haft auf vier Wochen und war damit auch insgesamt verhältnismäßig. Insbesondere überschritt sie nicht die zulässige Gesamtdauer der Sicherungshaft (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Februar 2012 - V ZB 46/11, juris Rn. 13 mwN; vom 20. Mai 2020 - XIII ZB 10/19, juris Rn. 14).
Rz. 12
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
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Fundstellen
Dokument-Index HI15697642 |