Leitsatz (amtlich)
Von einer Gesellschaft, die einen Verwaltungssitz innerhalb der Europäischen Union oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterhält, kann Prozesskostensicherheit gem. §§ 110 ff. ZPO nicht verlangt werden (im Anschluss an BGH, Urt. v. 1.7.2002 - II ZR 380/00, BGHZ 151, 204).
Normenkette
ZPO § 110 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG München (Entscheidung vom 13.02.2017; Aktenzeichen 7 U 3659/16) |
LG München I (Entscheidung vom 05.08.2016; Aktenzeichen 14 HKO 25260/13) |
Tenor
Die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 4.7.2017 erhobene Einrede der mangelnden Prozesskostensicherheit für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren und möglicher anschließender Revision sowie ihr Antrag auf Anordnung weiterer Sicherheitsleistung werden zurückgewiesen.
Gründe
Rz. 1
I. Die Klägerin ist eine auf den S. ansässige Ltd., die gegen die Beklagte als Mitversicherer einen Anspruch aus einer Yachtkaskoversicherung verfolgt. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin.
Rz. 2
Durch Zwischenurteil vom 6.11.2014 hat das LG der Klägerin eine Prozesskostensicherheit aufgegeben, die nur die Kosten der ersten beiden Instanzen abdeckte. Im vorliegenden Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde begehrt die Beklagte nunmehr die Anordnung einer ergänzenden Prozesskostensicherheit für die Kosten der dritten Instanz.
Rz. 3
Die Klägerin tritt diesem Antrag mit der Behauptung entgegen, dass sie jedenfalls seit 2014 einen Verwaltungssitz am Wohnsitz ihres gesetzlichen Vertreters in Österreich unterhalte. Dagegen unterhalte sie auf den S. keine Geschäftsräume.
Rz. 4
II. Die Einrede der mangelnden Prozesskostensicherheit ist unbegründet. Zwar kommt die Anordnung einer weiteren Prozesskostensicherheit nach § 112 Abs. 3 ZPO in Betracht, wenn die geleistete Sicherheit nicht ausreicht. Die Klägerin ist aber bereits dem Grunde nach nicht zur Sicherheitsleistung gem. § 110 ZPO verpflichtet.
Rz. 5
1. Insoweit hat der Senat selbständig zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 110 Abs. 1 ZPO (noch) gegeben sind. Dem steht entgegen der Auffassung der Beklagten keine Bindungswirkung des Zwischenurteils des LG entgegen, weil darin über eine Prozesskostensicherheit, die auch die dritte Instanz abdeckt, nicht entschieden worden ist (vgl. auch BGH, Zwischenurteil v. 30.6.2004 - VIII ZR 273/03, NJW-RR 2005, 148, wo die Voraussetzungen des § 110 Abs. 1 ZPO in einem gleichgelagerten Fall ebenfalls selbständig geprüft worden sind).
Rz. 6
2. Von einer Gesellschaft, die einen Verwaltungssitz innerhalb der Europäischen Union oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterhält, kann Prozesskostensicherheit gem. §§ 110 ff. ZPO nicht verlangt werden.
Rz. 7
a) Als Ort des gewöhnlichen Aufenthalts i.S.v. § 110 ZPO ist bei Kapitalgesellschaften deren Sitz anzusehen (BGH, Zwischenurteil v. 30.6.2004 - VIII ZR 273/03, NJW-RR 2005, 148 unter 2a, juris Rz. 9). Umstritten und in der Rechtsprechung des BGH bisher nicht abschließend geklärt ist allerdings, ob insoweit auf den Gründungssitz oder den Verwaltungssitz abzustellen ist. Der BGH hat diese Frage zuletzt in zwei Entscheidungen ausdrücklich offen gelassen (BGH, Zwischenurteil v. 30.6.2004 - VIII ZR 273/03, a.a.O.; Urt. v. 21.6.2016 - X ZR 41/15 ZIP 2016, 1703 Rz. 12 ff.).
Rz. 8
aa) In einem früheren Urteil hatte der BGH allerdings bereits ausgeführt, dass die Anwendbarkeit des § 110 ZPO jedenfalls bei einem Verwaltungssitz innerhalb der Europäischen Union ausscheide (Urt. v. 1.7.2002 - II ZR 380/00, BGHZ 151, 204 unter III, juris Rz. 12). Auch die herrschende Auffassung in der Rechtsprechung der Instanzgerichte (OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.2.2015 - 2 U 57/14, juris Rz. 20; OLG München IPrax 2011, 267; OLG KarlsruheNJW-RR 2008, 944; LG Berlin ZIP 2010, 903 f. juris Rz. 19) und in der Literatur (Stein/Jonas/Muthorst, ZPO, 23. Aufl., § 110 Rz. 9; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 75. Aufl., § 110 Rz. 4; Zöller/Herget, ZPO, 31. Aufl., § 110 Rz. 2; Musielak/Voit/Foerste, ZPO, 14. Aufl., § 110 Rz. 4; MünchKomm/ZPO/Schulz, 5. Aufl., § 110 Rz. 13; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht 7. Aufl. Rz. 2004d; Schütze, IPrax 2014, 272, 273 m.w.N. in Fn. 9; ders. IPrax 2011, 245, 246) stellt generell auf den tatsächlichen Verwaltungssitz ab.
Rz. 9
bb) Anderer Auffassung ist - außer dem LG im hiesigen Rechtsstreit - das Schleswig-Holsteinische OLG. Nach dessen Ansicht soll es auf den Gründungssitz ankommen, weil die Gesellschaft ohne größeren Aufwand ihren Verwaltungssitz verlegen und sich hierdurch dem Vollstreckungszugriff im Falle des Unterliegens entziehen könnte (OLG Schleswig IPrax 2014, 289, juris Rz. 16).
Rz. 10
b) Zutreffend ist jedenfalls für die Fälle, in denen die Gesellschaft einen Verwaltungssitz in der Europäischen Union oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum hat, die erstgenannte Auffassung.
Rz. 11
Für die Anknüpfung an den Verwaltungssitz spricht bereits die Parallele zwischen dem Verwaltungssitz und dem "gewöhnlichen Aufenthalt", auf den der Wortlaut des § 110 Abs. 1 ZPO für natürliche Personen abstellt. Darüber hinaus besteht der Sinn und Zweck der Vorschrift darin, den obsiegenden Beklagten vor Schwierigkeiten bei der Durchsetzung seines Kostenerstattungsanspruchs zu bewahren, die typischerweise bei einer Vollstreckung außerhalb der Europäischen Union oder des Gebietes der Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und damit außerhalb der Anwendungsbereiche der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie der für vor dem 10.1.2015 eingeleitete Verfahren noch maßgeblichen Verordnung (EG) Nr. 44/2001 und des Luganer Übereinkommens auftreten (BGH, Urt. v. 21.6.2016 - X ZR 41/15, ZIP 2016, 1703 Rz. 20; BT-Drucks. 13/10871, 17). Für die Durchsetzbarkeit des Kostenerstattungsanspruchs kommt es aber eher auf den Verwaltungssitz als auf den Gründungs- oder satzungsmäßigen Sitz einer Gesellschaft an, weil sich das Betriebsvermögen der Gesellschaft regelmäßig an ihrem Verwaltungssitz befindet, wo die Geschäfte geführt werden; der statutarische Sitz kann eine "leere Hülle" sein. Darauf, dass im Einzelfall auch eine Vollstreckung am Verwaltungssitz gefährdet sein kann, kommt es nicht an, weil dieses Risiko nicht höher als bei inländischen Klägern ist (zutreffend Schütze, IPRax 2014, 272, 273).
Rz. 12
Europarechtliche Gründe stehen einer Anknüpfung an den Verwaltungssitz jedenfalls bei Gesellschaften mit Verwaltungssitz innerhalb der Europäischen Union oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum nicht entgegen, weil diese Anknüpfung gerade dazu führt, dass diese Gesellschaften keine Prozesskostensicherheit zu leisten haben und damit nicht anders als inländische Gesellschaften behandelt werden.
Rz. 13
Ob an den Verwaltungssitz auch dann anzuknüpfen wäre, wenn eine innerhalb der Europäischen Union gegründete Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in ein Land verlegt, das weder der Europäischen Union noch einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum angehört, braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden.
Rz. 14
3. Für den Streitfall ist zugrunde zu legen, dass die Klägerin ihren Verwaltungssitz in Österreich hat.
Rz. 15
a) Maßgebend dafür, wo eine juristische Person ihren Verwaltungssitz hat, ist der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane, also der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden (BGH, Urt. v. 21.6.2016 - X ZR 41/15, ZIP 2016, 1703 Rz. 15; v. 15.3.2010 - II ZR 27/09, ZIP 2010, 1003 Rz. 16; v. 21.3.1986 - V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 unter II, juris Rz. 9; Beschlüsse v. 10.11.2009 - VI ZB 25/09, VersR 2010, 275 Rz. 8; v. 10.3.2009 - VIII ZB 105/07, ZIP 2009, 987 Rz. 11; vom 21.1.2009 - Xa ARZ 273/08, juris Rz. 18). Hat die Gesellschaft nur einen organschaftlichen Vertreter und unterhält sie an keinem anderen Ort Geschäftsräume, in denen dieser tätig ist, ist danach für ihren Verwaltungssitz der Aufenthaltsort ihres einzigen organschaftlichen Vertreters maßgebend.
Rz. 16
b) So liegt es nach dem Vorbringen der Klägerin hier. Diese hat schlüssig dargelegt, dass sich ihr Verwaltungssitz in Österreich und damit innerhalb der Europäischen Union befindet, indem sie vorgetragen hat, dass ihr einziger organschaftlicher Vertreter ("sole director") in Österreich wohnt sowie dass sie auf den S. keine Geschäftsräume unterhält, weil alleiniger Gesellschaftszweck Erwerb und Halten der streitgegenständlichen Yacht sei und sie über keinen anderweitigen Geschäftsbetrieb verfüge.
Rz. 17
Für ihre gegenteilige Behauptung, dass sich der Verwaltungssitz der Klägerin nicht in der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum befindet, ist die Beklagte beweispflichtig (vgl. BGH, Beschl. v. 21.12.2005 - III ZB 73/05, NJW-RR 2006, 710, juris Rz. 13; Stein/Jonas/Muthorst, 23. Aufl., § 110 Rz. 46; Zöller/Herget, 31. Aufl., § 110 Rz. 7), weil dies eine Voraussetzung der für sie günstigen Bestimmung des § 110 Abs. 1 ZPO ist. Insoweit fehlt es jedoch an einem ausreichend substantiierten Vorbringen unter Beweisantritt.
Fundstellen
Haufe-Index 11261843 |
GmbH-StB 2018, 13 |
NJW-RR 2017, 1320 |
EWiR 2017, 707 |
FA 2017, 349 |
NZG 2017, 1229 |
WM 2017, 1944 |
WuB 2017, 694 |
ZIP 2017, 2171 |
JZ 2018, 15 |
MDR 2017, 1382 |
RIW 2017, 760 |
GWR 2017, 416 |
GmbHR 2018, 92 |
NJW-Spezial 2017, 656 |
IHR 2017, 270 |
IWRZ 2018, 41 |
Mitt. 2017, 575 |
TranspR 2018, 37 |
ZCG 2017, 262 |