Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Entscheidung vom 20.07.2022; Aktenzeichen 13 U 296/21) |
LG Regensburg (Entscheidung vom 27.01.2021; Aktenzeichen 81 O 2138/17) |
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg - 13. Zivilsenat - vom 20. Juli 2022 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungs-beschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 240.665,16 €.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen für Gerüstbau. Ab Mitte September 2017 lagerte sie sukzessive Gerüstmaterial, das sich auf dem Betriebsgelände eines ehemaligen Betonteilwerks befand, zu einem Lagerplatz auf dem Gelände um. Die Beklagte, ein Abbruchunternehmen, stellte ihr dafür am 10. Oktober 2017 einen Tieflader zur Verfügung. Auf dem Betriebsgelände stand eine Halle, die von einer anderen Firma gemietet und von dieser ebenfalls zur Lagerung von Gerüstteilen genutzt wurde. Etwa ab Mitte Oktober 2017 wurde die Halle anlässlich einer Räumungsklage der Vermieterin gegen die Mieterin geräumt. Ebenfalls ab Oktober 2017 führte die Beklagte im Auftrag einer Entwicklungsgesellschaft auf dem Betriebsgelände Abbruch- und Räumungsarbeiten durch. Gestützt darauf, sie sei Eigentümerin bzw. Leasingnehmerin und Mieterin des von ihr zu dem Lagerplatz verbrachten Materials (Gerüstteile, Gerüstaufzüge, Heckklappe eines LKWs) gewesen, das Material habe sich am 5. November 2017 noch dort befunden und sei zwischen dem 6. und 7. November 2017 auf Veranlassung der Beklagten verschrottet worden, verlangt die Klägerin von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von insgesamt 240.665,16 € (Wiederbeschaffungswert, Mehrkosten und entgangener Gewinn).
Rz. 2
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung durch Beschluss zurückgewiesen. Gegen die damit verbundene Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
Rz. 3
Das Berufungsgericht meint, das Landgericht habe zu Recht angenommen, dass es an einem ausreichenden Sachvortrag der Klägerin zu Schadensersatzansprüchen gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 303, 242, 246 StGB und §§ 858, 992 BGB fehle. Der Klägerin sei es nicht möglich gewesen darzulegen, welche in ihrem Eigentum stehenden Gerüste und Gerüstteile sich zum Zeitpunkt der Verschrottung auf dem Gelände befunden hätten und welchen Wert das Material gehabt habe. Eine Eigentumsverletzung sei nach dem eigenen Sachvortrag der Klägerin nicht nachvollziehbar. Die bloße Behauptung, nicht näher bezeichnete Gerüstteile hätten in ihrem Eigentum gestanden, lasse weder die Annahme einer Eigentumsverletzung noch die Feststellung eines Schadens zu. Es könne nicht offenbleiben, welches Gerüstmaterial der Klägerin gehört habe und welches sie geleast bzw. gemietet habe. Die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB streite nicht zugunsten der Klägerin, weil diese nicht Eigen-, sondern Fremdbesitz behaupte. Auf Miteigentum durch Vermischung könne die Klägerin sich ebenfalls nicht berufen, da weder die Voraussetzung dafür noch die Ermächtigung der übrigen Miteigentümer zur Geltendmachung von Ansprüchen dargetan seien. Eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast der Beklagten bestehe nicht. Auch sei allein durch die Vernichtung der Gerüstteile keine Umkehr der Beweislast eingetreten. Der Klägerin als angeblicher Eigentümerin oder Besitzerin müsse es möglich sein, die vernichteten Gegenstände konkret zu bezeichnen. Der behauptete Besitz an dem Gerüstmaterial sei weder unter Beweis gestellt noch rechtfertige dessen Verletzung einen Anspruch auf Ersatz des Wiederbeschaffungswerts und des entgangenen Gewinns. Es sei bereits nicht dargelegt und unter Beweis gestellt, welche konkrete Nutzung der Klägerin habe ermöglicht werden sollen.
III.
Rz. 4
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze findet, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 21. November 2019 - V ZR 101/19, ZMR 2020, 768 Rn. 10).
Rz. 5
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass die Annahme des Landgerichts, die Klägerin habe nicht dargelegt und bewiesen, dass sich das in der Klageschrift aufgeführte Gerüstmaterial am 6./7. November 2017 tatsächlich noch auf dem Betriebsgelände befunden und die Klägerin den Besitz daran ausgeübt habe, auf einer unzulässigen vorweggenommenen Beweiswürdigung beruht. Das Berufungsgericht hat diese Entscheidung rechtsfehlerhaft bestätigt, obwohl die Klägerin in der Berufungsbegründung auf ihre erstinstanzlichen Beweisangebote hingewiesen und die unterbliebene Vernehmung der angebotenen Zeugen gerügt hat (Art. 103 Abs. 1 GG).
Rz. 6
a) Die Klägerin hat, wie die Beschwerde zutreffend geltend macht, bereits in erster Instanz vorgetragen, welche Gerüstteile sie infolge der Verschrottung vermisst. Zum Beweis dafür, dass sich die von ihr genannten Gegenstände bis zur Räumung des Lagerplatzes durch die Beklagte dort befunden hätten, hat sie die Vernehmung des Zeugen H. L. beantragt. Sie hat ferner Lichtbilder vorgelegt und vorgetragen, der Zeuge S. F., der im Auftrag des Beklagten die Gerüstteile in den Container verladen habe, habe diese Lichtbilder während der Verladung mit seiner Telefonkamera gefertigt. Die Klägerin hat zudem wiederholt geltend gemacht, sie sei zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung jedenfalls Besitzerin des in der Klageschrift genannten Materials gewesen. Dafür hat sie die Vernehmung der Zeugen C. M., C. B. und H. L. angeboten und ergänzend dargelegt, der Zeuge H. L. habe die mit der Klageschrift vorgelegte Inventarliste erstellt und könne deren Richtigkeit bezeugen. Nach ihrem konkretisierten Sachvortrag hat nur sie und kein anderes Gerüstbauunternehmen Zugriff auf den Lagerbestand gehabt.
Rz. 7
b) Das Landgericht - und mit ihm das Berufungsgericht - durfte von der Beweiserhebung nicht mit der Begründung absehen, es bestünden Zweifel an dem Sachvortrag der Klägerin, weil deren Vorbringen zu den Eigentumsverhältnissen an dem Gerüstmaterial und zu der Inventarliste widersprüchlich sei. Das folgt schon daraus, dass auch der Besitz, wie das Berufungsgericht selbst erkennt, ein Schutzgut im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 2014 - VI ZR 155/14, NJW 2015, 1174 Rn. 17; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., § 823 Rn. 325 zum Besitz des Mieters, Pächters und Leasingnehmers; näher unten Rn. 10). Zudem beseitigt die aufgezeigte Widersprüchlichkeit die Schlüssigkeit des Vortrags der Klägerin zum Vorhandensein des Gerüstmaterials auf dem Lagerplatz bis unmittelbar vor der Verschrottung am 6. und 7. November 2017 nicht. Eine Partei ist nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. Dabei entstehende Widersprüchlichkeiten im Parteivortrag können allenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung Beachtung finden. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots wegen vermeintlicher Widersprüche im Vortrag der beweisbelasteten Partei läuft auf eine prozessual unzulässige vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung hinaus und verstößt damit zugleich gegen Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Januar 2012 - V ZR 141/11, WuM 2012, 164 Rn. 8; Beschluss vom 17. November 2022 - V ZR 25/22, juris Rn. 9; BGH, Beschluss vom 10. November 2016 - I ZR 235/15, WuM 2017, 48 Rn. 15).
Rz. 8
2. Auch mit der Rüge, das Berufungsgericht habe - wie zuvor das Landgericht - den Vortrag der Klägerin zu den Eigentumsverhältnissen an dem Lagerbestand rechtsfehlerhaft als nicht hinreichend substantiiert bewertet, dringt die Beschwerde durch. Das Berufungsgericht überspannt die Anforderungen an die Substantiierung des Vortrags der Klägerin zu dem Eigentum an den von der Beklagten der Verschrottung zugeführten Gegenständen. Da die Handhabung der Substantiierungsanforderungen durch das Gericht dieselben einschneidenden Folgen hat wie die Anwendung von Präklusionsvorschriften, verletzt sie Art. 103 Abs. 1 GG bereits dann, wenn sie offenkundig unrichtig ist (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Oktober 2017 - V ZR 17/17, NZM 2018, 294 Rn. 7; Beschluss vom 22. März 2023 - V ZR 128/22, NJW-RR 2023, 718 Rn. 8). So liegt es hier. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klageforderung sei unschlüssig, da die Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt habe, welche in ihrem Eigentum stehenden Gegenstände von der Beklagten der Verschrottung zugeführt worden sein sollen, ist offenkundig unrichtig.
Rz. 9
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Sachvortrag schlüssig und ausreichend substantiiert, wenn die vorgetragenen Tatsachen in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht zu begründen (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Oktober 2017 - V ZR 17/17, NZM 2018, 294 Rn. 10; Urteil vom 28. April 2023 - V ZR 270/21, ZfBR 2023, 562 Rn. 22). Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden; es ist dann Sache des Tatrichters, bei der Beweisaufnahme Einzelheiten zu klären, die für ihn im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO erforderlich erscheinen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 25. September 2018 - VI ZR 234/17, NJW 2019, 607 Rn. 8; Beschluss vom 20. November 2019 - VII ZR 213/18, NJW 2020, 391 Rn. 12). Für den Umfang der Darlegungslast ist der Grad der Wahrscheinlichkeit der Sachverhaltsschilderung ohne Bedeutung (vgl. Senat, Urteil vom 13. Dezember 2002 - V ZR 359/01, NJW-RR 2003, 491; Beschluss vom 12. Juni 2008 - V ZR 221/07, WM 2008, 2068 Rn. 7 mwN). Die Grenze zulässigen Vortrags ist erst erreicht, wenn das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte den Vorwurf begründet, eine Behauptung sei „ins Blaue hinein“ aufgestellt, mithin aus der Luft gegriffen, und stelle sich deshalb als Rechtsmissbrauch dar (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Juni 2008 - V ZR 221/07, aaO Rn. 8 f.; BGH, Urteil vom 1. Juni 2005 - XII ZR 275/02, NJW 2005, 2710, 2711).
Rz. 10
b) Daran gemessen ist der von der Beschwerde aufgezeigte, in der ersten Instanz gehaltene und in der Berufungsinstanz wiederholte Vortrag der Klägerin zu einer Eigentumsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB schlüssig und hinreichend substantiiert.
Rz. 11
aa) Die Klägerin hat in erster Instanz vorgetragen und unter Beweis gestellt, Eigentümerin der auf den Lagerplatz verbrachten Gegenstände gewesen zu sein (Vernehmung der Zeugen C. M., C. B. und H. L. ). Sie hat zwar eingeräumt, dass sich auf dem Lagerplatz auch von ihr gemietetes und geleastes Gerüstmaterial befunden hat. Sie hat aber, worauf die Nichtzulassungsbeschwerde zutreffend hinweist, wiederholt und auch mit der Berufungsbegründung vorgetragen, Eigentümerin jedenfalls des ganz überwiegenden Lagerbestandes gewesen zu sein, insbesondere eines in den Jahren 2016 und 2017 angeschafften Baustellengerüsts, das sich noch am 6./7. November 2017 auf dem Lagerplatz befunden habe. Zum Beweis dafür hat sie Rechnungsbelege vorgelegt und die Vernehmung des Zeugen S. F. beantragt. Eine Partei ist nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. Dabei entstehende Widersprüchlichkeiten im Parteivortrag können allenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung Beachtung finden (vgl. oben Rn. 7).
Rz. 12
bb) Der Sachvortrag der Klägerin ist plausibel und lässt die Feststellung einer Eigentumsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB zu. Inwieweit die auf den Lagerplatz verbrachten Gegenstände im Eigentum der Klägerin standen, ist im Rahmen der Beweisaufnahme zu klären. Das gilt auch für die Frage, ob die Klägerin die von ihr erworbenen Gerüste und Gerüstteile nach der Verwendung auf den Baustellen überhaupt noch identifizieren konnte, oder ob Vermischung bzw. Vermengung mit dem geleasten bzw. gemieteten Gerüstmaterial eingetreten war, so dass die Klägerin nur noch Miteigentümerin war (§§ 948, 947 BGB). Es ist nicht ausgeschlossen, dass die im Wege der Beweisaufnahme gewonnenen Erkenntnisse als Grundlage für eine Schadensschätzung ausreichen (§ 287 ZPO).
Rz. 13
3. Die Verletzung des Verfahrensgrundrechts der Klägerin aus Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach einer Vernehmung des Zeugen und gegebenenfalls ergänzender Parteianhörung (§ 141 ZPO; vgl. dazu Senat, Urteil vom 19. April 2002 - V ZR 90/01, BGHZ 150, 334, 343; Beschluss vom 28. April 2011 - V ZR 220/10, juris Rn. 13 mwN) zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
IV.
Rz. 14
1. Der Verstoß gegen das rechtliche Gehör der Klägerin führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, das die angebotenen Beweise zu erheben haben wird.
Rz. 15
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Rz. 16
Bei der erneuten Prüfung des Anspruchs der Klägerin aus § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 858 BGB, § 303 StGB wird das Berufungsgericht zu klären haben, welche Gerüstteile im Eigentum der Klägerin gestanden haben. Für den Fall, dass die Klägerin ihr Eigentum nicht oder nur zum Teil beweisen kann, ist der durch den Besitzverlust eingetretene Schaden zu prüfen und der Klägerin Gelegenheit zu geben, ihren Besitzschaden zu berechnen. Soll der berechtigte Besitz dazu dienen, eine bestimmte Nutzung der Sache zu ermöglichen, stellt es eine Rechtsgutsverletzung gemäß § 823 Abs. 1 BGB dar, wenn der Besitzer an eben dieser Nutzung durch einen rechtswidrigen Eingriff in relevanter Weise gehindert wird (vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 2014 - VI ZR 155/14, NJW 2015, 1174 Rn. 17; Urteil vom 29. Januar 2019 - VI ZR 481/17, NJW 2019, 1669 Rn. 17). Das ist bei einer Vernichtung von Gerüstmaterial, das eine Gerüstbaufirma gemietet oder geleast hat, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ohne weiteres naheliegend. Der bestimmungsgemäße Gebrauch von Gerüstteilen besteht im Einsatz auf Baustellen. Zu ersetzen ist der Nachteil, der durch den Ausfall der Sache infolge der Beschädigung der Miet-, Pacht- oder Leasingsache entstanden ist (vgl. MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., § 823 Rn. 325; z.B. Mietkosten, entgangener Gewinn).
Brückner |
|
Haberkamp |
|
Hamdorf |
|
Malik |
|
Grau |
|
Fundstellen
Haufe-Index 16181612 |
TranspR 2024, 77 |