Normenkette
FamFG § 420 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Krefeld (Entscheidung vom 02.07.2021; Aktenzeichen 7 T 70/21) |
AG Krefeld (Entscheidung vom 28.04.2021; Aktenzeichen 29 XIV (B) 67/21) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld vom 2. Juli 2021 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Krefeld vom 28. April 2021 den Betroffenen im Zeitraum bis zum 1. Juni 2021 in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe
Rz. 1
I. Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste am 14. April 2021 nach Deutschland ein, nachdem er sich zuvor in Frankreich, Schweden und Norwegen aufgehalten hatte. Das Amtsgericht ordnete am 15. April 2021 im Wege der einstweiligen Anordnung Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 28. April 2021 an. Dagegen legte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen mit Schriftsatz vom 19. April 2021 Beschwerde ein.
Rz. 2
Am 26. April 2021 verfügte die beteiligte Behörde die Zurückschiebung nach Frankreich und beantragte am gleichen Tag die Anordnung von Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 14. Juni 2021. Der Verfahrensbevollmächtigte wurde von dem auf den 28. April 2021, 9.00 Uhr angesetzten Anhörungstermin informiert und beantragte mit Schriftsatz vom gleichen Tag wegen eines anderweitigen Termins dessen Verlegung auf 8.00 Uhr. Den Verlegungsantrag lehnte das Amtsgericht ab. Bei der Anhörung erklärte der Betroffene ausweislich des Protokolls: "Ich habe schon mal mit meinem Anwalt gesprochen. Ich weiß nicht, was jetzt passiert, er hat mir keine Informationen gegeben. Ich denke, es bringt nichts ob er anwesend ist oder nicht. Wir können ohne den Anwalt weiter verhandeln".
Rz. 3
Das Amtsgericht hat sodann Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 14. Juni 2021 angeordnet. Dagegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt. Nachdem der Betroffene am 1. Juni 2021 nach Frankreich überstellt worden war, hat das Landgericht die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene sein Begehren weiter.
Rz. 4
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
Rz. 5
1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Haftanordnung des Amtsgerichts sei rechtmäßig. Insbesondere habe die Beschwerde nicht deshalb Erfolg, weil ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vorliege. Das Amtsgericht habe im Nichtabhilfebeschluss nachvollziehbar dargelegt, dass der von dem Verfahrensbevollmächtigten beantragten Vorverlegung aus organisatorischen Gründen, welche im Geschäftsbereich der Bundespolizei begründet gewesen seien, nicht habe entsprochen werden können. Eine Verlegung auf einen anderen Tag sei aufgrund des Auslaufens der Haftanordnung nicht in Betracht gekommen. Das Amtsgericht habe ferner schlüssig begründet, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Betracht gezogen worden sei, hätte der Betroffene die Abwesenheit (gemeint: Anwesenheit) des Anwalts wünschen sollen. In dem Vorführtermin sei dem Betroffenen die Situation auch erläutert worden, woraufhin dieser erklärt habe, in Abwesenheit des Verfahrensbevollmächtigten weiter verhandeln zu wollen. Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben des Betroffenen unzutreffend gewesen sein könnten, seien dem Protokoll nicht zu entnehmen.
Rz. 6
2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Amtsgericht den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt hat.
Rz. 7
a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rn. 8; vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7; vom 6. Oktober 2020 - XIII ZB 21/19, juris Rn. 14). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2018 - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5; vom 7. April 2020 - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9 f.; vom 15. Dezember 2020 - XIII ZB 28/20, juris Rn. 16). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7; vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7).
Rz. 8
b) Diesen Maßgaben hat die Verfahrensweise des Amtsgerichts nicht entsprochen.
Rz. 9
aa) Es hat den Verfahrensbevollmächtigten zwar über den Termin informiert. Nachdem der Verfahrensbevollmächtigte wegen eines anderen Termins nicht anwesend sein konnte, eine Verlegung auf eine andere Terminstunde aus bei der Bundespolizei vorliegenden organisatorischen Gründen nicht in Betracht kam und am 28. April 2021 die Haftanordnung auslief, hätte das Amtsgericht die Haft aber nicht (erneut) endgültig, sondern nur im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig (§ 427 FamFG) anordnen dürfen, um einen weiteren Anhörungstermin im Beisein des Verfahrensbevollmächtigten zu ermöglichen (BGH, Beschlüsse vom 7. April 2020 - XIII ZB 84/19, juris Rn. 10; vom 15. Dezember 2020 - XIII ZB 123/19, InfAuslR 2021, 242 Rn. 12; vom 22. Februar 2022 - XIII ZB 74/20, juris Rn. 14). Darauf hatte der Verfahrensbevollmächtigte, der auf seine Anwesenheit bei der Anhörung nicht verzichtet hat, mit am 27. April 2021 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz auch hingewiesen.
Rz. 10
bb) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts hat auch der Betroffene selbst auf den Beistand seines Verfahrensbevollmächtigten bei der Anhörung nicht verzichtet. Ein solcher Verzicht ist zwar möglich (BGH, Beschluss vom 20. Juli 2021 - XIII ZB 98/19, juris Rn. 11). Er liegt hier aber nicht vor. Das Amtsgericht hat den Betroffenen ausweislich des Protokolls schon nicht über sein Recht, einen Rechtsanwalt zu der Anhörung hinzuzuziehen, belehrt. Auf den Vortrag des Verfahrensbevollmächtigten in der Beschwerde, der Betroffene sei auch nicht darüber aufgeklärt worden, dass das Amtsgericht den Termin verlegen müsse, wenn er auf der Teilnahme des Rechtsanwalts bestehe, sondern man habe ihm verdeutlicht, dass es "ohnehin nichts bringe", hat das Amtsgericht im Nichtabhilfebeschluss nicht im Einzelnen erläutert, wie es zu der protokollierten Äußerung gekommen ist. Das Amtsgericht hat zwar ausgeführt, dem Betroffenen sei die Verfahrenssituation erklärt worden. Daraus ergibt sich aber nicht, dass dem rechtsunkundigen Betroffenen die Folgen eines Verzichts ausreichend verdeutlicht wurden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Mai 2020 - XIII ZB 73/19, juris Rn. 9). Denn ein (wirksamer) Verzicht hätte zu einer (rechtmäßigen) Haftanordnung im Hauptsacheverfahren und damit dazu geführt, dass eine erneute Anhörung vor dem Amtsgericht nicht mehr durchzuführen war, dem Betroffenen also der Beistand eines Rechtsanwalts bei dieser Anhörung (endgültig) versagt blieb. Dagegen hätte bei einer nur vorläufigen Entscheidung gemäß § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG erneut eine Anhörung stattfinden müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2022 - XIII ZB 74/20, juris Rn. 16).
Rz. 11
c) Danach kommt es auf die weitere Rüge der Rechtsbeschwerde, die Haftanordnung weise einen Begründungsmangel in Bezug auf die Durchführbarkeit der Rückführung auf, nicht mehr an.
Rz. 12
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
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