Verfahrensgang
LG Hof (Entscheidung vom 16.08.2021; Aktenzeichen 22 T 57/21) |
AG Hof (Entscheidung vom 27.04.2021; Aktenzeichen XIV 27/21 (B)) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hof vom 16. August 2021 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 27. April 2021 den Betroffenen im Zeitraum bis zum 29. April 2021 in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Freistaat Bayern auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe
Rz. 1
Der Betroffene, ein kasachischer Staatsangehöriger, reiste am 12. Juli 2009 ohne das erforderliche Visum nach Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde am 14. Januar 2011 unter Androhung der Abschiebung abgelehnt. Seit 2011 ist der Bescheid bestandskräftig und der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig. In der Folgezeit wurden zwei Asylfolgeanträge abgelehnt. Am 20. April 2020 beantragte die beteiligte Behörde die Anordnung von Ausreisegewahrsam vom 26. bis 29. April 2021. Das Amtsgericht hat den Ausreisegewahrsam am 27. April 2021 wie beantragt angeordnet. Bei der zuvor erfolgten, um 9:46 Uhr begonnenen Anhörung hat der Betroffene erklärt, er wolle, dass der Rechtsanwalt anwesend sei. Dazu hat der Vorführbeamte mitgeteilt, der Betroffene habe mit seinem Rechtsanwalt - Rechtsanwalt S. - telefonieren können. Es sei nur die Kanzlei erreicht worden. Von dort sei ein unverzüglicher Rückruf angekündigt worden.
Rz. 2
Mit beim Amtsgericht am 28. April 2021 eingegangenen Schriftsätzen haben Rechtsanwalt S. sowie ferner der vom Betroffenen zusätzlich beauftragte Rechtsanwalt F. Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts eingelegt. Rechtsanwalt F. hat unter anderem die Feststellung beantragt, dass der Beschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Nachdem der Betroffene am 29. April 2021 abgeschoben worden war, hat das Landgericht die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene sein Begehren weiter.
Rz. 3
I. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
Rz. 4
1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Haftanordnung des Amtsgerichts sei rechtmäßig. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens liege nicht vor. Zwar sei bei der Anhörung kein Rechtsanwalt anwesend gewesen. Dem Verfahrensbevollmächtigten sei aber die Möglichkeit eingeräumt worden, an dem Anhörungstermin teilzunehmen. Der Betroffene habe mit seinem Rechtsanwalt Kontakt aufnehmen können. Dieser sei am Tag des Anhörungstermins telefonisch über den Termin informiert worden. Eine Teilnahme sei nicht erfolgt, auch ein Verlegungsantrag sei nicht gestellt worden. Das sei aber möglich gewesen, da das Gericht die ganze Zeit über erreichbar gewesen sei. Der Betroffene habe auch nicht geäußert, einen anderen Rechtsanwalt kontaktieren zu wollen.
Rz. 5
2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Amtsgericht den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt hat.
Rz. 6
a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rn. 8; vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7; vom 6. Oktober 2020 - XIII ZB 21/19, juris Rn. 14). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2018 - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5; vom 7. April 2020 - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9 f.; vom 15. Dezember 2020 - XIII ZB 28/20, juris Rn. 16). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7; vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7).
Rz. 7
b) Diesen Maßstäben hat die Verfahrensweise des Amtsgerichts nicht entsprochen.
Rz. 8
aa) Spätestens bei der Anhörung hat das Amtsgericht Kenntnis davon erlangt, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hatte und dessen Hinzuziehung wünschte. Es hat dem Verfahrensbevollmächtigten jedoch keine ausreichende Möglichkeit eingeräumt, an dem Termin teilzunehmen oder eine Terminsverlegung zu beantragen. Dass der Betroffene am Terminstag mit der Kanzlei seines Rechtsanwalts hatte telefonieren können, wobei die Uhrzeit des Anrufs ungeklärt geblieben ist, reichte dafür nicht aus. Das Amtsgericht hätte zunächst selbst und erneut versuchen müssen, den Rechtsanwalt telefonisch zu erreichen und zu dem Termin zu laden. Auf der Grundlage der Angaben des Vorführbeamten durfte es nicht davon ausgehen, dass eine Reaktion des Anwalts bis zu dem ausweislich des Protokolls um 9:46 Uhr beginnenden Termin zu erwarten war. Es musste vielmehr die naheliegende Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich der Rechtsanwalt während der üblichen Dienststunden zur Wahrnehmung von Terminen bei Gerichten - auch außerhalb seines Kanzleisitzes - aufhalten konnte. Zwar ist ein Rechtsanwalt gehalten, eilige Eingänge nach Möglichkeit, etwa über Mittag - was hier zu spät gewesen wäre - und/oder vor Dienstschluss seiner Mitarbeiter in seiner Kanzlei abzufragen, oder dafür Sorge zu tragen, dass er in geeigneter Weise von seiner Kanzlei über eilige Eingänge unterrichtet wird. Wird eine angemessene Reaktionszeit für die Prüfung berücksichtigt, ob ein Verlegungsantrag gestellt werden soll und welche Möglichkeiten dafür gegebenenfalls im Hinblick auf eine Eilbedürftigkeit der Sache oder den Terminkalender des Anwalts bestehen, war eine Unterrichtung der Kanzlei am Morgen vor dem um 9:46 Uhr beginnenden Termin - zumal durch den Betroffenen selbst - unzureichend (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. November 2020 - XIII ZB 129/19, juris Rn. 9; vom 18. Mai 2021 - XIII ZB 46/19, juris Rn. 9; vom 22. März 2022 - XIII ZB 11/20, juris Rn. 7).
Rz. 9
bb) Hatte der Rechtsanwalt demnach keine ausreichende Möglichkeit, seine Verhinderung anzuzeigen und einen Verlegungsantrag zu stellen, durfte das Beschwerdegericht aus dem Fehlen entsprechender Erklärungen gegenüber dem Amtsgericht nicht auf eine verfahrensfehlerfreie Anhörung schließen. Dass das Amtsgericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung vereitelt hat, führt nach den obengenannten Grundsätzen ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft.
Rz. 10
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
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