Leitsatz (amtlich)
Eine Untersuchungshaft begründet regelmäßig keinen gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen in einem Heim i.S.d. § 5 Abs. 2 Satz 2 VBVG (Abgrenzung zum BGH v. 14.12.2011 - XII ZB 521/10, NJW-RR 2012, 451).
Normenkette
VBVG § 5
Verfahrensgang
LG Kassel (Beschluss vom 22.04.2013; Aktenzeichen 3 T 108/13) |
AG Kassel (Entscheidung vom 09.01.2013; Aktenzeichen 785 XVII E 556/09) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Kassel vom 22.4.2013 wird zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 185 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die den Rechtsbeschwerdeführer vertretende Staatskasse begehrt die Herabsetzung einer Betreuervergütung.
Rz. 2
Der Betroffene steht seit Oktober 2006 unter Betreuung. Er wurde Ende 2009 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt; zudem wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Vollstreckung der Strafe und der Unterbringung wurden zur Bewährung ausgesetzt. Nachdem er über einen längeren Zeitraum mit seiner Lebensgefährtin in einer eigenen Wohnung zusammen gelebt hatte, verließ er die Wohnung Mitte des Jahres 2012, war zunächst für geraume Zeit nicht erreichbar und kam, noch bevor er eine von ihm neu angemietete Wohnung bezogen hatte, am 31.7.2012 in Untersuchungshaft, weil er seine Lebensgefährtin misshandelt hatte. Aus der Haft heraus kündigte der Betroffene diese Wohnung. Mit Beschluss vom 30.11.2012 widerrief das AG die Aussetzung der Strafe und der Unterbringung zur Bewährung, so dass der Betroffene Anfang 2013 in einer Klinik untergebracht wurde.
Rz. 3
Dem Antrag des Betreuers, seine Vergütung für den Zeitraum vom 26.7.2012 bis zum 25.10.2012 auf Grundlage des Vermögensstatus eines mittellosen, in eigener Wohnung lebenden Betreuten festzusetzen, hat das AG stattgegeben und ihm einen Betrag von 462 EUR zugesprochen. Das LG hat die zugelassene Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Staatskasse mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
Rz. 5
1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass der Betroffene im fraglichen Vergütungszeitraum nicht in einem Heim im vergütungsrechtlichen Sinne gelebt habe. Ein solches könne zwar auch eine Justizvollzugsanstalt sein. Entscheidend sei aber, ob der Betroffene dort seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort, also seinen Lebensmittelpunkt habe. Dies sei jedenfalls anzunehmen, wenn sich der Betroffene dort in Strafhaft von langer Dauer aufhalte. Der Betroffene habe sich indes nicht in Strafhaft bzw. dauerhafter Unterbringung befunden. Im Vergütungszeitraum seien die zeitliche Ausdehnung der Untersuchungshaft ungewiss sowie über die Frage des Anschlusses einer Strafhaft aufgrund zu erwartender Verurteilung bzw. Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung noch nicht entschieden gewesen. Anders als bei einer Strafhaft müsse bei der Untersuchungshaft jederzeit mit einer Beendigung der Haft gerechnet werden. Fielen die Haftgründe weg, sei auch bei einer zu erwartenden Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe die Untersuchungshaft sofort zu beenden. Deshalb könne der Aufenthalt eines Untersuchungshäftlings in der Justizvollzugsanstalt in der Regel nicht als dauerhaft, sondern nur als vorübergehend angesehen werden. Ob der Betroffene während des Zeitraums der Untersuchungshaft einen anderen Wohnraum aufrechterhalte, spiele höchstens eine untergeordnete Rolle. Entscheidend sei vielmehr, dass jederzeit mit der Beendigung der Untersuchungshaft gerechnet werden könne und müsse.
Rz. 6
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung stand.
Rz. 7
Im Streit ist vorliegend allein der dem Betreuer zu vergütende Zeitaufwand nach § 5 VBVG. Dabei ist es entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zu beanstanden, dass die Instanzgerichte zugunsten des Betreuers gem. § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VBVG von einem Stundensatz von 3,5 Stunden im Monat für die Betreuung eines mittellosen Betreuten ausgegangen sind, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Heim hat. Bei dem - von der Rechtsbeschwerde insoweit nicht angegriffenen und auch ansonsten nicht zu beanstandenden - festgestellten Zeitraum von drei Monaten und der der Entscheidung zugrunde gelegten Vergütung von 44 EUR pro Stunde gem. § 4 Abs. 1 Nr. 2 VBVG ergibt sich mithin der zugesprochene Betrag von 462 EUR (3,5 Stunden x 3x 44 EUR).
Rz. 8
Zwar erfüllt auch eine Justizvollzugsanstalt nach der Rechtsprechung des Senats die Voraussetzungen für eine Einrichtung i.S.d. § 5 Abs. 3 VBVG (BGH v. 14.12.2011 - XII ZB 521/10, NJW-RR 2012, 451 Rz. 9 ff. m.w.N.). Jedoch hat der Betroffene im hier maßgeblichen Vergütungszeitraum seinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. § 5 Abs. 2 Satz 2 VBVG nicht in der Justizvollzugsanstalt gehabt.
Rz. 9
a) Den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Vormünder- und Betreuungsvergütungsgesetzes hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Es handelt sich um den Ort, an dem eine Person sozial integriert ist und ihren auf längere Zeit angelegten tatsächlichen Lebensmittelpunkt hat. Auf den Willen, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt oder Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, kommt es nicht an. Entscheidend sind vielmehr die tatsächlichen Verhältnisse (BGH v. 14.12.2011 - XII ZB 521/10, NJW-RR 2012, 451 Rz. 12). Die für einen gewöhnlichen Aufenthalt erforderliche Dauer ist unter Berücksichtigung des jeweiligen Normzwecks nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen. Dabei ist der Zweck der Vorschrift, nämlich die Gewährung einer geringeren Vergütung für einen geringeren Betreuungsaufwand bei einem Aufenthalt des Betreuten in einer Einrichtung, mit zu berücksichtigen (BGH v. 14.12.2011 - XII ZB 521/10, NJW-RR 2012, 451 Rz. 13 f.).
Rz. 10
aa) Für eine mehrjährige Strafhaft (rund drei Jahre) hat der Senat die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts in der Haftanstalt i.S.d. § 5 VBVG bejaht (BGH v. 14.12.2011 - XII ZB 521/10, NJW-RR 2012, 451 Rz. 15 ff.).
Rz. 11
bb) Höchstrichterlich noch nicht entschieden ist die Frage, ob auch die Untersuchungshaft einen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. § 5 VBVG zu begründen vermag. Die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur lehnt dies ab (OLG München FamRZ 2007, 1913, 1914; OLG Köln NJW-RR 2007, 517, 518 [für den Regelfall]; FGPrax 2007, 83; LG Köln Beschl. v. 7.1.2013 - 1 T 398/12 - juris Rz. 18 [im Regelfall]; Jürgens Betreuungsrecht 4. Aufl., § 5 VBVG Rz. 12; BTKomm/Dodegge 4. Aufl. Teil F Rz. 167; vgl. auch Jurgeleit/Maier Betreuungsrecht 3. Aufl., § 5 VBVG Rz. 31, wonach der gewöhnliche Aufenthalt eine dauerhafte Aufnahme in dem "Heim" voraussetzt; a.A. - jedenfalls bei einem Aufenthalt von sechs Monaten in einem forensischen Krankenhaus - LG Koblenz Beschl. v. 21.8.2006 - 2 T 619/06 - juris Rz. 7).
Rz. 12
Der Senat hält die überwiegend vertretene Auffassung für zutreffend. Maßgeblich für den gewöhnlichen Aufenthalt ist, dass der Betroffene nach den Umständen erkennbar an diesem Ort nicht nur vorübergehend verweilt bzw. einen auf längere Zeit tatsächlichen Lebensmittelpunkt angelegt hat.
Rz. 13
Dies ist bei Untersuchungshaft nicht der Fall, da sie - wie das Beschwerdegericht zu Recht ausgeführt hat - jederzeit beendet werden kann. So hat der Beschuldigte gem. § 117 Abs. 1 StPO das Recht jederzeit die gerichtliche Prüfung zu beantragen, ob der Haftbefehl aufzuheben oder dessen Vollzug auszusetzen ist. Nach § 120 Abs. 1 StPO ist der Haftbefehl aufzuheben, soweit die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen oder sich ergibt, dass die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregelung der Besserung und Sicherung außer Verhältnis stehen würde. Mithin kann jederzeit der Aufenthalt des Beschuldigten in der Haftanstalt beendet werden, sei es, dass ein Haftgrund entfallen ist oder dass ein dringender Tatverdacht nicht (mehr) festgestellt werden kann. Dass die Untersuchungshaft schließlich nicht auf Dauer angelegt ist, ergibt sich auch aus § 121 Abs. 1 StPO. Danach darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen oder die Fortdauer der Haft rechtfertigen.
Rz. 14
b) Gemessen hieran fehlt es vorliegend an einem gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen in der Justizvollzugsanstalt für den hier streitbefangenen Vergütungszeitraum vom 26. Juli bis zum 25.10.2012. Dabei kann dahinstehen, ob etwas anderes bei einer lang andauernden Untersuchungshaft (etwa von einem halben Jahr oder länger) zu gelten hat. Denn der Betroffene hat sich bis zum Ende des beantragten Vergütungszeitraums am 25.10.2012 nicht einmal drei Monate in der am 31.7.2012 angetretenen Untersuchungshaft befunden.
Rz. 15
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ändert an dem gefundenen Ergebnis auch ihr Vortrag nichts, wonach gegen den Betroffenen bereits am 22.6.2012 im Hinblick auf einen etwaigen Widerruf seiner Bewährung ein Sicherungshaftbefehl erlassen worden ist. Dieser Vortrag betrifft neue, im instanzgerichtlichen Verfahren nicht festgestellte Tatsachen, die vom Senat mangels Verfahrensrüge nicht zu berücksichtigen sind.
Rz. 16
Dass die Strafaussetzung zur Bewährung schließlich am 30.11.2012 widerrufen worden und der Betroffene fortan untergebracht ist, hat auf den streitbefangenen, am 25.10.2012 endenden Vergütungszeitraum keinen Einfluss. Denn die Frage des gewöhnlichen Aufenthalts ist nicht aus einer Rückschau, sondern von dem Zeitpunkt aus zu betrachten, zu dem die Vergütung begehrt wird (OLG München FamRZ 2007, 1913, 1914).
Fundstellen
Haufe-Index 6705769 |
EBE/BGH 2014 |
FamRZ 2014, 1015 |
FuR 2014, 412 |
NJW-RR 2014, 705 |
FGPrax 2014, 160 |
BtPrax 2014, 127 |
JZ 2014, 307 |
MDR 2014, 626 |
FamRB 2014, 8 |
NZFam 2014, 718 |