Leitsatz (amtlich)
Der Verwalter, der eine Aufgabe selbst wahrnimmt, mit der er zulässigerweise einen Rechtsanwalt hätte beauftragen können, hat den Vorteil wählen zu können, ob er seine Vergütung nach dem RVG oder nach der InsVV geltend macht. Entscheidet er sich für letztere, darf er nicht erwarten, zumindest so gestellt zu werden, als hätte er die Vergütung nach dem RVG gewählt (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 8. März 2012 - IX ZB 162/11).
Normenkette
InsO § 63 Abs. 1 S. 3; InsVV § 3
Verfahrensgang
LG Dortmund (Entscheidung vom 01.03.2022; Aktenzeichen 9 T 109/21) |
AG Dortmund (Entscheidung vom 08.01.2021; Aktenzeichen 252 IN 11/17) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 1. März 2022 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 12.406,58 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Mit Beschluss vom 20. April 2017 eröffnete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners und bestellte den weiteren Beteiligten zum Insolvenzverwalter. Der weitere Beteiligte beantragte, seine Vergütung nebst Auslagen unter Berücksichtigung eines Zuschlags in Höhe von 40 % zu der Regelvergütung auf insgesamt 52.202,32 € festzusetzen. Das Amtsgericht hat die Vergütung auf insgesamt 52.219,05 € festgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht die Vergütung des Beteiligten auf insgesamt 39.812,47 € herabgesetzt. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beteiligte seinen Vergütungsantrag weiter, soweit dieser zurückgewiesen worden ist.
II.
Rz. 2
Die Rechtsbeschwerde ist uneingeschränkt statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, §§ 4, 6 Abs. 1, § 64 Abs. 3 Satz 1 InsO), bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
Rz. 3
1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, dem Beteiligten stehe nur die Regelvergütung nach § 2 Abs. 1 InsVV zu.
Rz. 4
Nach § 63 Abs. 1 Satz 3 InsO werde dem Umfang und der Schwierigkeit der Geschäftsführung des Insolvenzverwalters durch Abweichungen vom Regelsatz Rechnung getragen. Maßgeblich sei, ob die Bearbeitung im konkreten Fall den Verwalter stärker oder schwächer als in entsprechenden Verfahren üblich in Anspruch genommen habe. Das Gericht müsse die möglichen Zu- und Abschlagstatbestände dem Grunde nach in Erwägung ziehen und anschließend in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung etwaiger Überschneidungen und im Rahmen einer auf das Ganze bezogenen Angemessenheitsbetrachtung den Gesamtzuschlag oder Gesamtabschlag bestimmen. Der in einem größeren Insolvenzverfahren regelmäßig anfallende Mehraufwand des Insolvenzverwalters könne im Grundsatz bereits dadurch abgegolten sein, dass die größere Vermögensmasse zu einer höheren Vergütung führe.
Rz. 5
Durch die Forderungsprüfungen sei kein Aufwand angefallen, der über das für ein Regelinsolvenzverfahren übliche Maß hinausgegangen sei, so dass insoweit ein Zuschlag nicht in Betracht komme. Auch für die Mitwirkung an der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft sei kein Zuschlag zu berücksichtigen, da der Mehraufwand des Beteiligten dadurch in ausreichender Weise abgegolten werde, dass es durch die Massemehrung zu einer erheblichen Erhöhung der Regelvergütung gekommen sei. Schließlich könne ein Zuschlag auch nicht damit begründet werden, dass der Beteiligte einen Teil seiner Tätigkeit nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz hätte abrechnen können.
Rz. 6
2. Das hält der rechtlichen Überprüfung stand.
Rz. 7
a) Die Bemessung von Zu- und Abschlägen ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Sie ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur darauf zu überprüfen, ob sie die Gefahr der Verschiebung von Maßstäben mit sich bringt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2021 - IX ZB 4/20, NZI 2021, 1076 Rn. 8 mwN). Der rechtlichen Nachprüfung zugänglich sind jedoch die Maßstäbe (Rechtsgrundsätze) und ihre Beachtung, nach denen das Leistungsbild der entfalteten Verwaltertätigkeit im Einzelfall gewürdigt und zu dem Grundsatz einer leistungsangemessenen Vergütung (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 63 InsO) in Beziehung gesetzt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2002 - IX ZB 31/02, ZIP 2002, 1459, 1460 unter III. 2.).
Rz. 8
Dem Umfang und der Schwierigkeit der Geschäftsführung des Verwalters wird gemäß § 63 Abs. 1 Satz 3 InsO durch Abweichungen vom Regelsatz Rechnung getragen. § 3 InsVV konkretisiert diese gesetzlichen Vorgaben beispielhaft durch Zu- und Abschlagstatbestände (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2021 - IX ZB 58/19, NZI 2021, 744 Rn. 10). Maßgebend ist, ob die Bearbeitung den Insolvenzverwalter stärker oder schwächer als in entsprechenden Insolvenzverfahren allgemein üblich in Anspruch genommen hat, also der real gestiegene oder gefallene Arbeitsaufwand. Das Insolvenzgericht hat dabei die in Betracht kommenden Tatbestände im Einzelnen zu überprüfen und zu beurteilen. Einer Bewertung der Höhe jedes einzelnen Zu- oder Abschlags bedarf es nicht. Es genügt, wenn der Tatrichter die möglichen Zu- und Abschlagstatbestände dem Grunde nach prüft und anschließend in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung von Überschneidungen und einer auf das Ganze bezogenen Angemessenheitsbetrachtung den Gesamtzuschlag oder Gesamtabschlag bestimmt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2021 - IX ZB 4/20, NZI 2021, 1076 Rn. 9 mwN).
Rz. 9
b) Die Angriffe der Rechtsbeschwerde bezogen auf die Zuerkennung (nur) der Regelvergütung durch das Beschwerdegericht zeigen keine Maßstabsverschiebung zum Nachteil des Beteiligten auf.
Rz. 10
aa) Das Beschwerdegericht hat - entgegen der Rüge der Rechtsbeschwerde - nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass für die Prüfung der zur Aufnahme in die Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen ein Zuschlag gewährt werden dürfte, weil es sich insoweit um die Wahrnehmung einer Regelaufgabe handelte. Vielmehr hat das Beschwerdegericht gemeint, vorliegend sei durch die Forderungsprüfungen kein Aufwand angefallen, der über das für ein Regelinsolvenzverfahren übliche Maß hinausgegangen sei. Das ist nicht zu beanstanden.
Rz. 11
bb) Dem Beteiligten war für seine Tätigkeit im Rahmen der Erbauseinandersetzung und zur Abwehr eines Regressanspruchs nach § 64 GmbHG aF nicht bereits deshalb ein Zuschlag zu gewähren, weil er sich diese Tätigkeiten auch nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) hätte vergüten lassen können. Der Verwalter, der eine Aufgabe selbst wahrnimmt, mit der er zulässigerweise einen Rechtsanwalt hätte beauftragen können, hat den Vorteil wählen zu können, ob er seine Vergütung nach dem RVG oder nach der InsVV geltend macht. Entscheidet er sich für letztere, darf er nicht erwarten, zumindest so gestellt zu werden, als hätte er die Vergütung nach dem RVG gewählt. Wählt er im Falle einer Masseerhöhung die massebezogene Vergütung nach der InsVV, nicht die gegenstandswertbezogenen Gebühren nach dem RVG, kann er nicht verlangen, dass auch in diesem Fall immer ein Zuschlag gewährt werden muss. Die Beurteilung der Angemessenheit eines Zuschlags für die Tätigkeit des Verwalters ist bei einer Wahl der Vergütung nach der InsVV vielmehr nach deren System zu bemessen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. März 2012 - IX ZB 162/11, NZI 2012, 372 Rn. 17 f). Die entsprechende Prüfung hat das Beschwerdegericht vorgenommen.
Rz. 12
cc) Das Beschwerdegericht hat auch bei seiner Beurteilung, dass der erhebliche Umfang der Tätigkeit des Beteiligten im Zuge der Erbauseinandersetzung den geltend gemachten Zuschlag von 40 % nicht rechtfertige, keinen falschen Maßstab angelegt. Es hat eine Vergleichsrechnung durchgeführt, nach der die allein aus der Massemehrung sich ergebende Erhöhung der Vergütung um ein Vielfaches höher sei als der Betrag, der über den beantragten Zuschlag ohne die Massemehrung verdient wäre (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2010 - IX ZB 115/08, ZInsO 2010, 2409 Rn. 6 f mwN). Dem ist - entgegen der Rüge der Rechtsbeschwerde - nicht zu entnehmen, dass das Beschwerdegericht eine Bindung an den durch den Beteiligten beantragten Prozentsatz angenommen hätte. Das Beschwerdegericht hat vielmehr gemeint, der Mehraufwand des Beteiligten sei jedenfalls bereits dadurch ausreichend abgegolten, dass es durch die Massemehrung in Folge der Erbauseinandersetzung zu einer erheblichen Erhöhung der Regelvergütung gekommen sei. Die durch die Massemehrung bewirkte Erhöhung der Regelvergütung stelle eine angemessene Vergütung der Tätigkeit dar. Deshalb hat auch die weitere Rüge der Rechtsbeschwerde, das Beschwerdegericht habe verkannt, dass der Beteiligte einen Zuschlag von 40 % zusätzlich zu der erhöhten Vergütung infolge der vergrößerten Masse als angemessen erachtet und entsprechend beantragt habe, keinen Erfolg.
Grupp |
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Schoppmeyer |
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Röhl |
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Selbmann |
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Harms |
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Fundstellen
DStR 2022, 13 |
NJW 2023, 301 |
NWB 2022, 3704 |
FA 2023, 29 |
WM 2022, 2447 |
ZEV 2023, 123 |
ZEV 2023, 264 |
ZIP 2022, 2558 |
AnwBl 2023, 110 |
DZWir 2023, 434 |
NZI 2023, 7 |
NZI 2024, 10 |
ZInsO 2023, 118 |
ZInsO 2023, 1512 |
AGS 2023, 43 |
InsbürO 2023, 129 |
RENOpraxis 2023, 37 |
BRAK-Mitt. 2023, 43 |
ZRI 2022, 1001 |