Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Wirksamkeit der Urteilsverkündung als Voraussetzung für den Beginn der Berufungsfrist, wenn das Urteil – nach Verlegung des Verkündungstermins – in einem den Parteien zuvor nicht mitgeteilten Termin verkündet worden ist.
Normenkette
ZPO § 516
Verfahrensgang
OLG Hamburg (Aktenzeichen 3 U 163/97) |
LG Hamburg (Aktenzeichen 412a O 88/96) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 3. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 10. Dezember 1997 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1 Mio. DM festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte auf Feststellung geklagt, daß sie nicht verpflichtet sei, es zu unterlassen, ihre Programmzeitschrift „T. ” zu einem Betrag von 1,80 DM oder einem darunter liegenden Einzelhandelsverkaufspreis zu vertreiben.
Das Landgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 1996 in Gegenwart der Parteivertreter Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 14. August 1996 bestimmt. In diesem Termin wurde in Abwesenheit der Parteivertreter ein Beschluß verkündet, durch den der Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den „28. August 1995” (richtig: 1996) verlegt wurde. Weder der Beschluß noch das Sitzungsprotokoll wurden zugestellt. Am 28. August 1996 verkündete das Landgericht – wiederum in Abwesenheit der Parteivertreter – den Tenor eines Urteils, mit dem es der negativen Feststellungsklage stattgab. Auch dieses Sitzungsprotokoll wurde den Parteien nicht übermittelt.
Das vollständige Urteil des Landgerichts wurde der Beklagten am 19. Juni 1997 zugestellt.
Die gegen dieses Urteil am 21. Juli 1997 (Montag) eingelegte und – nach Fristverlängerung – am 22. September 1997 begründete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht durch Beschluß vom 10. Dezember 1997 als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Berufung sei nicht innerhalb der Frist des § 516 ZPO eingelegt worden. Der Beschluß zur Verlegung des Verkündungstermins vom 14. August 1996 und das Urteil vom 28. August 1996 seien wirksam verkündet worden. Der Wirksamkeit der Urteilsverkündung stehe auch nicht entgegen, daß die Dreiwochenfrist des § 310 Abs. 1 ZPO nicht eingehalten worden sei und das Urteil anscheinend bei der Verkündung entgegen § 310 Abs. 2 ZPO noch nicht in vollständiger Form abgefaßt gewesen sei.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer sofortigen Beschwerde, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt.
II. Die sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen, weil die Frist des § 516 ZPO zur Einlegung der Berufung versäumt worden ist (§ 519 b ZPO). Die Berufungsfrist endete am 28. Februar 1997. Die erst am 21. Juli 1997 eingelegte Berufung war daher unzulässig.
1. Die Berufungsfrist – von hier fünf Monaten – hat am 28. August 1996 begonnen, weil das Urteil von diesem Tag wirksam verkündet worden war (vgl. dazu BGHZ - GSZ - 14, 39, 44 ff.; BGH, Beschl. v. 2.3.1988 - IVa ZB 2/88, NJW 1988, 2046; Urt. v. 11.10.1994 - XI ZR 72/94, NJW 1994, 3358).
a) Die Verkündung des Urteils war wirksam, obwohl das Urteil entgegen § 310 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht innerhalb der Regelfrist von drei Wochen nach Schluß der mündlichen Verhandlung verkündet worden ist. Die Vorschrift des § 310 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist eine bloße Ordnungsvorschrift (vgl. BGH, Beschl. v. 6.12.1988 - VI ZB 27/88, NJW 1989, 1156, 1157).
b) Das Urteil ist auch dann wirksam verkündet worden, wenn das Urteil in dem zur Verkündung anberaumten Termin noch nicht in vollständiger Form abgefaßt gewesen sein sollte. Tatbestand und Entscheidungsgründe sind nicht wesensmäßige Voraussetzungen eines Urteils (vgl. dazu näher BGH NJW 1988, 2046).
c) Ebensowenig hätte es Einfluß auf die Wirksamkeit der Verkündung, wenn die Behauptung der Beklagten zutreffen sollte, daß beim Ablauf der Fünfmonatsfrist noch nicht die vollständige Entscheidung vorgelegen hat. Auch bei Fehlen von Gründen liegt eine wirksame Entscheidung vor, die nur auf ein zulässiges Rechtsmittel hin aufgehoben werden kann (vgl. BGH, Beschl. v. 5.3.1997 - XII ZB 160/96, NJW-RR 1997, 770, 771 m.w.N.). Die durch das Urteil beschwerte Partei erleidet dadurch auch keinen unzumutbaren Nachteil (vgl. auch BGHZ 2, 347, 350). Sie muß zwar spätestens binnen sechs Monaten nach der Verkündung eine Entscheidung darüber treffen, ob sie das Urteil anfechten will und in diesem Fall Berufung einlegen (vgl. dazu auch BGH NJW 1989, 1156, 1157). Sie hat es aber in der Hand, rechtzeitig nach § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zu erwirken (vgl. BGH, Urt. v. 19.2.1976 - VII ZR 127/75, MDR 1976, 658, 659; MünchKomm/Rimmelspacher, ZPO, § 539 Rdn. 26).
2. Besondere Umstände, die es zulassen würden, eine Ausnahme von der Bestimmung des § 516 ZPO anzunehmen, sind nicht gegeben. Dieser Vorschrift liegt allerdings der Gedanke zugrunde, daß eine Partei, die vor Gericht streitig verhandelt hat, mit dem Erlaß einer Entscheidung rechnen muß und daß es ihr deshalb zugemutet werden kann, sich danach zu erkundigen, ob und mit welchem Inhalt eine solche Entscheidung ergangen ist. Trifft dieser Grundgedanke im Einzelfall nicht zu, kann ausnahmsweise die Fünfmonatsfrist nicht zu laufen beginnen, was etwa dann in Betracht kommt, wenn die beschwerte Partei im Verhandlungstermin nicht vertreten und zu diesem Termin auch nicht ordnungsgemäß geladen war (BGH, Beschl. v. 20.4.1977 - IV ZR 68/76, MDR 1977, 1006, 1007; Beschl. v. 2.3.1988 - IVb ZB 10/88, NJW 1989, 1432, 1433; Beschl. v. 1.3.1994 - XI ZB 23/93, VersR 1994, 1491 f.). Im vorliegenden Fall war der Beklagten jedoch, wie sie selbst vorgetragen hat, bekannt, daß am 28. August 1996 ein Urteil verkündet worden war. Der Beklagtenvertreter war in der mündlichen Verhandlung, an deren Ende der Verkündungstermin auf den 14. August 1996 angesetzt worden ist, anwesend. Auf telefonische Anfrage wurde ihm am 14. August 1996 mitgeteilt, daß der Verkündungstermin um 14 Tage verschoben worden sei. Der Tenor der am 28. August 1996 verkündeten Entscheidung wurde dem Beklagtenvertreter nach seinem Vorbringen auf Anfrage fernmündlich bekanntgegeben. Ungeachtet der Fehler, die im Zusammenhang mit der Verkündung des angefochtenen Urteils im Bereich des Landgerichts gemacht worden sind, wäre es daher unter den gegebenen Umständen Sache der durch das Sachurteil beschwerten Beklagten gewesen, sich rechtzeitig über den Fortgang des Verfahrens zu unterrichten (vgl. dazu auch BGH VersR 1994, 1491, 1492; BGH NJW-RR 1997, 770 f.). Daraus ergibt sich zugleich, daß die Rüge der Beklagten, die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts verletze ihr Recht auf rechtliches Gehör, nicht durchgreift.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Geiß, v. Ungern-Sternberg, Goette, Melullis, Bornkamm
Fundstellen
Haufe-Index 539789 |
NJW 1999, 143 |
BGHR |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1999, 625 |
SGb 1999, 253 |
VersR 1999, 1384 |
WRP 1999, 109 |