Leitsatz (amtlich)

Der Beschluss des Prozessgerichts über die öffentliche Bekanntmachung eines gem. § 2 KapMuG gestellten Musterverfahrensantrags im Klageregister ist gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 KapMuG selbst dann unanfechtbar, wenn der Rechtsmittelführer geltend macht, der Anwendungsbereich des Gesetzes (§ 1 Abs. 1 KapMuG) sei nicht eröffnet.

 

Normenkette

KapMuG § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Beschluss vom 21.12.2016; Aktenzeichen I-17 W 65/16)

LG Krefeld (Beschluss vom 22.09.2016; Aktenzeichen 3 O 328/15)

 

Tenor

Die Beschwerde der Streithelferin der Beklagten gegen den Beschluss des 17. Zivilsenats des OLG Düsseldorf vom 21.12.2016 wird als unzulässig verworfen.

Streitwert: bis 2.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Kläger begehrt von der Beklagten im Ausgangsverfahren vor dem LG Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung.

Rz. 2

Nach einem Beratungsgespräch Ende 2005 zeichnete der Kläger am 11.1.2006 eine Beteiligung am L. Fonds i.H.v. 10.000 US-Dollar zzgl. eines Agios i.H.v. 5 % der Anlagesumme. Der Kläger zahlte am 1.6.2006 die Anlagesumme i.H.v. 10.000 US-Dollar zzgl. des Agios i.H.v. 500 US-Dollar. In der Folgezeit erhielt er Ausschüttungen i.H.v. 1.217,84 EUR.

Rz. 3

Im Laufe des Rechtsstreits hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23.3.2016 einen Musterverfahrensantrag nach dem KapMuG gestellt, der u.a. in Bezug auf den von der Streithelferin der Beklagten herausgegebenen Emissionsprospekt die Feststellung diverser Prospektfehler zum Gegenstand hat. Das LG hat mit Beschluss vom 22.9.2016 entschieden, den Musterverfahrensantrag weitgehend, insb. im Hinblick auf die geltend gemachten Prospektfehler, im Klageregister des Bundesanzeigers bekannt zu machen, im Übrigen aber den Antrag als unzulässig verworfen. Der Beschluss ist am 30.9.2016 im Klageregister veröffentlicht worden.

Rz. 4

Die Streithelferin der Beklagten ist der Ansicht, dass der Musterverfahrensantrag unzulässig sei, weil der Anwendungsbereich des KapMuG nicht eröffnet sei.

Rz. 5

Gegen den Bekanntmachungsbeschluss des LG vom 22.9.2016 hat die Streithelferin der Beklagten sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie dessen Aufhebung und die Verwerfung des Musterverfahrensantrages als unzulässig begehrt hat. Sie meint, der Anwendungsbereich des KapMuG sei hier nicht eröffnet, so dass der Anfechtungsausschluss des § 3 Abs. 2 Satz 1 KapMuG keine Anwendung finde. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 21.12.2016 als unzulässig verworfen.

Rz. 6

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Beschwerdegericht im Wesentlichen ausgeführt, dass das Rechtsmittel unzulässig sei, weil § 3 Abs. 2 Satz 1 KapMuG die Unanfechtbarkeit des Beschlusses zur Bekanntmachung eines Musterverfahrensantrages anordne.

Rz. 7

Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Streithelferin der Beklagten ihr Rechtsschutzbegehren weiter.

II.

Rz. 8

Die von der Streithelferin der Beklagten eingelegte Rechtsbeschwerde ist unstatthaft und daher als unzulässig zu verwerfen.

Rz. 9

1. Die Rechtsbeschwerde ist weder gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO noch gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 KapMuG ist die Anfechtung des Bekanntmachungsbeschlusses ausgeschlossen. Die Zulassungsentscheidung des Beschwerdegerichts entfaltet für das Rechtsbeschwerdegericht keine Bindungswirkung.

Rz. 10

a) Durch die Zulassungsentscheidung wird dem Beschwerdeführer die Rechtsbeschwerde nur zugänglich gemacht, wenn sie nach dem Gesetz grundsätzlich eröffnet ist, nicht aber in den Fällen, in denen die Anfechtbarkeit gesetzlich ausgeschlossen ist. Eine nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidung kann nicht durch den Ausspruch eines Gerichts der Anfechtung unterworfen werden (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 21.4.2004 - XII ZB 279/03, BGHZ 159, 14, 15; v. 5.11.2015 - III ZB 69/14, BGHZ 207, 306 Rz. 7 jeweils m.w.N.).

Rz. 11

b) So liegt der Fall hier. Der Bekanntmachungsbeschluss ist, wie das Beschwerdegericht zutreffend erkannt hat, gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 KapMuG unanfechtbar. Etwas anderes gilt entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde auch nicht in den Fällen, in denen der Rechtsmittelführer - wie hier die Streithelferin der Beklagten - geltend macht, der Anwendungsbereich des KapMuG (§ 1 Abs. 1 KapMuG) sei nicht eröffnet (offengelassen von BGH, Beschl. v. 5.11.2015 - III ZB 69/14, BGHZ 207, 306 Rz. 9).

Rz. 12

aa) Allerdings gehen Teile der obergerichtlichen Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass der Anfechtungsausschluss nach § 3 Abs. 2 Satz 1 KapMuG keine Anwendung findet, wenn das Ausgangsverfahren nicht in den Anwendungsbereich des KapMuG fällt. Vielmehr sei in diesen Fällen eine Anfechtung des Bekanntmachungsbeschlusses analog §§ 252, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft (vgl. KG WM 2015, 71 f.; KG, Beschlüsse vom 28.10.2014 - 7 Kap. 2/14, juris Rz. 8, vom 18.12.2014 - 4 Kap. 14/14, juris Rz. 10; v. 23.12.2014 - 4 Kap. 1/14, juris Rz. 9; Wieczorek/Schütze/Großerichter, ZPO, 4. Aufl., § 3 KapMuG Rz. 77; KK-KapMuG/Kruis, 2. Aufl., § 3 Rz. 122 ff.; vgl. zu § 3 KapMuG aF: Plaßmeier, NZG 2005, 609, 610 Fn. 16 und Varadinek/Asmus, ZIP 2008, 1309, 1310). Diese Ansicht stützt sich auf die Senatsrechtsprechung zur Anfechtbarkeit eines Aussetzungsbeschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG in der bis zum 31.10.2012 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.), wonach der in § 7 Abs. 1 Satz 4 KapMuG a.F. angeordnete Anfechtungsausschluss solche Rechtsstreitigkeiten nicht erfasst, in denen ein Musterfeststellungsantrag nach § 1 KapMuG a.F. nicht gestellt werden kann (vgl. BGH v. 16.6.2009 - XI ZB 33/08, WM 2009, 1359 Rz. 8 ff.; v. 8.9.2009 - XI ZB 4/09, juris Rz. 5; v. 30.11.2010 - XI ZB 23/10, WM 2011, 110 Rz. 10; v. 17.5.2011 - XI ZB 2/11, juris Rz. 8; v. 11.9.2012 - XI ZB 32/11, WM 2012, 2146 Rz. 13).

Rz. 13

bb) Andere Stimmen in Rechtsprechung und Literatur nehmen demgegenüber an, dass der Anfechtungsausschluss des § 3 Abs. 2 Satz 1 KapMuG unabhängig davon greift, ob das Ausgangsverfahren im Anwendungsbereich des KapMuG liegt (vgl. OLG Braunschweig, BKR 2017, 173 Rz. 19 ff.; OLG Bremen WM 2018, 180, 181; KG WM 2015, 1415; KG WM 2015, 2363; KG AG 2015, 904 f.; KG WM 2018, 178; KG, Beschl. v. 5.1.2015 - 20 Kap. 1/14, juris Rz. 8; OLG München, Beschl. v. 29.7.2013 - 5 W 1384/13, juris; Blankenheim, WM 2017, 795, 796; Elzer, FD-ZVR 2017, 400054; vgl. zu § 2 KapMuG aF: Riedel in Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 2 Rz. 5).

Rz. 14

cc) Die letztgenannte Ansicht ist zutreffend.

Rz. 15

Die Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 1 KapMuG bestimmt, dass das Prozessgericht einen zulässigen Musterverfahrensantrag im Klageregister durch unanfechtbaren Beschluss öffentlich bekannt macht. Damit ist die Anfechtbarkeit des Bekanntmachungsbeschlusses ausgeschlossen (vgl. OLG Braunschweig, BKR 2017, 173 Rz. 20; OLG Bremen WM 2018, 180, 181; KG WM 2015, 1415). Der Gesetzgeber überlässt die Entscheidung, ob der Musterverfahrensantrag statthaft und auch sonst zulässig ist, mithin zunächst ohne weitere Überprüfungsmöglichkeit dem jeweiligen Prozessgericht. Das ist in diesem Stadium des Verfahrens hinzunehmen, weil gegen erstinstanzliche Aussetzungsentscheidungen eine zeitlich versetzte Rechtsschutzmöglichkeit gegeben ist. Denn im Zuge der Novellierung des KapMuG hat der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Senatsrechtsprechung zur Anfechtbarkeit eines Aussetzungsbeschlusses nach § 7 Abs. 1 KapMuG a.F. (vgl. BGH v. 16.6.2009 - XI ZB 33/08, WM 2009, 1359 Rz. 8 ff.; v. 8.9.2009 - XI ZB 4/09, juris Rz. 5; v. 30.11.2010 - XI ZB 23/10, WM 2011, 110 Rz. 10; v. 17.5.2011 - XI ZB 2/11, juris Rz. 8; v. 11.9.2012 - XI ZB 32/11, WM 2012, 2146 Rz. 13) den vormals in § 7 Abs. 1 Satz 4 KapMuG a.F. normierten Anfechtungsausschluss aufgehoben, so dass die Aussetzungsentscheidung des erstinstanzlichen Prozessgerichts nunmehr gem. §§ 252, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO der sofortigen Beschwerde unterliegt (vgl. BT-Drucks. 17/8799, 21). Mit ihr kann auch geltend gemacht werden, dass das ausgesetzte Verfahren nicht in den Anwendungsbereich des KapMuG fällt (BGH v. 8.4.2014 - XI ZB 40/11, WM 2014, 992 Rz. 23; v. 30.4.2019 - XI ZB 13/18, XI ZB 14/18, XI ZB 15/18, n.n.v.; vgl. zu § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG a.F. bereits BGH v. 16.6.2009 - XI ZB 33/08, WM 2009, 1359 Rz. 7; v. 30.11.2010 - XI ZB 23/10, WM 2011, 110 Rz. 10).

Rz. 16

Ein zeitlich versetzter Rechtsschutz ist von dem Antragsgegner auch unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) hinzunehmen, weil der Gesetzgeber das Verfahren so ausgestaltet hat, dass ihm bei gesetzeskonformer Handhabung keine unverhältnismäßigen Belastungen drohen (vgl. BVerfGE 88, 118, 123 f.; OLG Braunschweig, BKR 2017, 173 Rz. 25 ff.; OLG Bremen WM 2018, 180, 181; KG, Beschl. v. 5.1.2015 - 20 Kap. 1/14, juris Rz. 8; KG AG 2015, 904, WM 2015, 2363, 2364 und WM 2018, 178, 179 f.). Zwar sieht sich der Antragsgegner im Falle der Bekanntmachung eines Musterverfahrensantrages aufgrund der gem. § 5 KapMuG eintretenden Unterbrechung des Verfahrens einer Verzögerung seines Rechtsstreits auch dann ausgesetzt, wenn das Verfahren tatsächlich nicht in den Anwendungsbereich des KapMuG fällt. Die mit der Unterbrechung einhergehende Verzögerung des Verfahrens dauert aber nach den gesetzlichen Vorgaben regelmäßig maximal sechs Monate (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 KapMuG). Diese Verzögerung ist in Anbetracht der vom Gesetzgeber mit dem Anfechtungsausschluss nach § 3 Abs. 2 Satz 1 KapMuG verfolgten Rechtsklarheit und Verfahrensbeschleunigung bei Ermittlung des Quorums für den Erlass eines Vorlagebeschlusses gem. § 6 Abs. 1 KapMuG hinzunehmen (vgl. BT-Drucks. 17/8799, 17; KG, Beschl. v. 5.1.2015 - 20 Kap. 1/14, juris Rz. 8; KG AG 2015, 904, WM 2015, 2363, WM 2015, 2363, 2364 und WM 2018, 178, 179 f.).

Rz. 17

2. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens bilden einen Teil der Kosten des Rechtsstreits, die unabhängig vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens die nach §§ 91 ff. ZPO in der Sache unterliegende Partei zu tragen hat (vgl. BGH, Beschl. v. 5.11.2015 - III ZB 69/14, BGHZ 207, 306 Rz. 25 m.w.N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 13364704

BGHZ 2020, 27

DB 2019, 1957

DStR 2019, 11

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