Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 25.04.2002; Aktenzeichen 16 U 16/02) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluß des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 25. April 2002 – 16 U 16/02 – aufgehoben.
Dem Kläger wird wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14. Dezember 2001 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Tatbestand
I.
Das Landgericht hat die Feststellungsklage des Klägers aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2001 mit Urteil vom 14. Dezember 2001 abgewiesen. Gegen dieses seiner Prozeßbevollmächtigten am 15. Januar 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30. Januar 2002 Berufung eingelegt, die er mit einem am 13. März 2002 eingegangenen Schriftsatz begründet hat. Am 22. März 2002 beantragte der Kläger wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und führte zur Begründung aus: Rechtsanwältin St., seine erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte, habe mit ihm vereinbart, daß gegen das Urteil des Landgerichts unter Ausschöpfung der Berufungsfrist am 15. Februar 2002 Berufung eingelegt werden solle. Da Rechtsanwältin St. beabsichtigt habe, im Februar 2002 Urlaub zu machen, dessen genaues Datum noch nicht festgestanden habe, habe sie am 28. Januar 2002 die Berufungsschrift diktiert und durch den am Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalt Sch. unterzeichnen lassen. Der Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellten G. habe sie die Anweisung erteilt, die Berufungsschrift genau am 15. Februar 2002 bei Gericht einzureichen. Zugleich habe sie verfügt, die Berufungsbegründungsfrist unter Zugrundelegung der angeordneten Einlegung der Berufung vorsorglich auf den 15. März 2002 mit einer Vorfrist zum 8. März 2002 zu notieren. Entgegen der ausdrücklichen Anweisung habe Frau G. die Berufungsschrift schon am 28. Januar 2002 zur Gerichtspost gegeben. Als Rechtsanwältin St. die Kopie der Berufungsschrift mit Eingangsquittung zum 30. Januar 2002 vorgelegt worden sei, habe sie sowohl schriftlich auf der Berufungsschrift als auch mündlich gegenüber Frau G. bei Übergabe der Akte verfügt, die Berufungsbegründungsfrist mit Vorfrist umzunotieren. Frau G. sei jedoch der Ansicht gewesen, eine Umnotierung sei nicht erforderlich, weil die Frist 15. März 2002 nach neuem Recht richtig notiert sei. Sie habe deshalb bei der Verfügung „nicht notwendig” vermerkt, wegen hohen Arbeitsanfalls aber vergessen, Rechtsanwältin St. noch einmal auf die Fristnotierung anzusprechen. Die eingetragene Wiedervorlagefrist 14. Februar 2002 habe sie in der Annahme gestrichen, die Wiedervorlage habe sich durch Einreichung der Berufungsschrift erledigt, weshalb die Akte an diesem Tag nicht vorgelegt worden sei. Dies sei vielmehr erst zur vorsorglich notierten Vorfrist am 8. März 2002 geschehen. Als Rechtsanwältin St. am 11. März 2002 die Akten für die Berufungsbegründung in Arbeit genommen habe, habe sie die falsche Berechnung der Berufungsbegründungsfrist bemerkt.
Das Berufungsgericht hat die Erteilung von Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Zwar hat der Kläger die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Auf seinen rechtzeitigen Antrag ist ihm jedoch gemäß §§ 233, 234 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Damit wird der die Berufung als unzulässig verwerfende Beschluß des Berufungsgerichts gegenstandslos.
a) Nach dem durch anwaltliche Versicherung des Prozeßbevollmächtigten zweiter Instanz und durch eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellten G. glaubhaft gemachten Vorbringen des Klägers war dieser ohne ein ihm zuzurechnendes Verschulden seiner Prozeßbevollmächtigten gehindert, die Berufungsbegründungsfrist zu wahren. Hiernach beruhte die Versäumung der Frist auf drei Fehlern der Angestellten G.. Entgegen einer erteilten Weisung reichte sie die bereits am 28. Januar 2002 erstellte Berufungsschrift sofort und nicht erst unter Ausschöpfung der Frist am 15. Februar 2002 bei Gericht ein. War dies für sich genommen noch kein Fehler, der unmittelbar zu Rechtsverlusten des Klägers führte, unterließ sie nach Zugang einer Kopie der Berufungsschrift mit Eingangsquittung die ihr mündlich und schriftlich angewiesene Umnotierung der Berufungsbegründungsfrist vom 15. März 2002 auf den 28. Februar 2002, weil sie der irrigen Auffassung war, die Frist laufe nach neuem Recht am 15. März 2002 aus. Sie war jedoch nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen darüber unterrichtet worden, daß nach der Übergangsregelung das alte Recht in Fällen anzuwenden ist, in denen die mündliche Verhandlung, auf welche das Urteil ergeht, vor dem 1. Januar 2002 geschlossen worden ist. Schließlich legte sie die Handakten am 14. Februar 2002 nicht vor, weil sie den Zusammenhang dieser Frist mit der bereits eingereichten Berufung sah.
b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Rechtsanwalt die Berechnung üblicher und in seiner Praxis häufig vorkommender Fristen sowie die Führung des Fristenkalenders seinem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büropersonal überlassen. Er muß aber durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür sorgen, daß Fristversäumnisse möglichst vermieden werden (vgl. BGH, Beschluß vom 6. Juli 1994 – VIII ZB 26/94 – NJW 1994, 2551; Senatsbeschluß vom 31. Januar 2002 – III ZB 69/01 – NJW 2002, 1130). Darüber hinaus darf ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen, daß eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Ihn trifft unter solchen Umständen nicht die Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (vgl. BGH, Beschluß vom 13. April 1997 – XII ZB 56/97 – NJW 1997, 1930).
aa) Nach diesen Grundsätzen ist den Prozeßbevollmächtigten des Klägers ein Verschulden nicht vorzuwerfen. Die Weisung an die Büroangestellte, die am 28. Januar 2002 bereits unterzeichnete Berufungsschrift erst am 15. Februar 2002 bei Gericht einzureichen, betraf eine einfach wahrzunehmende Handlung, die keine besonderen Kenntnisse voraussetzte und mit Hilfe des Fristenkalenders verläßlich hätte ausgeführt werden können. Auch die möglicherweise vorzunehmende Korrektur einer vorsorglich eingetragenen Berufungsbegründungsfrist nach Eingang der Mitteilung über den genauen Eingang der Berufungsschrift bei Gericht war ein nach dem bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Recht immer wieder vorkommender Routinevorgang, den der Anwalt seinem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büropersonal überlassen durfte. Es kommt hier hinzu, daß sich Rechtsanwältin St. auf eine selbständige Bearbeitung durch die Büroangestellte nicht beschränkt, sondern ihr eine mündliche und schriftliche Weisung zur Umnotierung der Berufungsbegründungsfrist erteilt hat. Angesichts dieser Weisung kommt dem Umstand, daß die Büroangestellte möglicherweise die Unterrichtung über das neue Rechtsmittelrecht und die Übergangsregelung noch nicht richtig aufgenommen hatte, keine entscheidende Bedeutung zu, weil die Weisung in jedem Fall zu befolgen war und die Büroangestellte nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen gleichfalls angewiesen war, Rücksprache mit dem Prozeßbevollmächtigten zu halten, wenn sie eine Verfügung anders als angeordnet ausführen wollte. Da ihr nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen bei der Fristberechnung und -notierung seit Beginn ihres Arbeitsverhältnisses in der Kanzlei (Oktober 1997) noch keine Fehler unterlaufen waren, durften sich die Prozeßbevollmächtigten darauf verlassen, daß auch in dieser Sache die angewiesene Frist eingetragen würde.
bb) Der Senat folgt der Beurteilung des Berufungsgerichts nicht, Rechtsanwältin St. hätte die Eintragung der Frist in den Kalender selbst vornehmen, jedenfalls prüfen müssen, ob die Büroangestellte die Frist richtig eingetragen hatte, nachdem sie bemerkt hatte, daß die Angestellte die Berufungsschrift weisungswidrig zu früh eingereicht hatte. Nicht jeder Fehler rechtfertigt den vom Berufungsgericht gezogenen Schluß, daß man sich auf einen Mitarbeiter nicht mehr verlassen könne. Der Fehler hatte hier nicht entscheidendes Gewicht, weil er als solcher noch nicht mit Rechtsnachteilen für den Kläger verbunden war und eine ordnungsmäßige Abwicklung des Berufungsverfahrens nicht behinderte. Er betraf auch nicht im Kern die Führung des Fristenkalenders, so daß er das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Angestellten in dieser Beziehung nicht berührte. Daß Rechtsanwältin St. unter diesen Umständen durch eine eigene – mündliche und schriftliche – Weisung zur Umnotierung der Berufungsbegründungsfrist dem eingetretenen Fehler Rechnung trug und die weitere fristgemäße Bearbeitung sicherstellen wollte, entsprach einer verantwortungsbewußten und die Interessen des Mandanten wahrnehmenden Verfahrensweise. Zu mehr war sie auch im Hinblick auf den der Angestellten unterlaufenen Fehler bei der Einreichung der Berufungsschrift nicht verpflichtet. Soweit das Berufungsgericht den Beschlüssen des Bundesgerichtshofs vom 3. November 1997 (VI ZB 47/97 – NJW 1998, 460) und vom 10. Juli 1980 (VII ZB 7/80 – VersR 1980, 1047) weitergehende Anforderungen an die vom Rechtsanwalt selbst wahrzunehmenden Pflichten entnehmen will, verkennt es, daß diesen Entscheidungen keine vergleichbaren Fallgestaltungen zugrunde lagen. Es kommt auch nicht auf die Bedenken an, die das Berufungsgericht mit Rücksicht auf das Verhalten des beim Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalts Sch. äußert. Denn dem Wiedereinsetzungsantrag ist seinem gesamten Inhalt nach zu entnehmen, daß Rechtsanwältin St. mit der Bearbeitung betraut war. Daß ihr im Februar 2002 geplanter Urlaub einer Überwachung der Sache entgegenstand, ist nicht erkennbar. Vielmehr belegt ihre Bearbeitung, daß sie das Erforderliche veranlaßt hatte, um die Berufungsbegründung rechtzeitig vorzubereiten. Daß hierzu möglicherweise vor dem 28. Februar 2002 ein Verlängerungsantrag hätte gestellt werden müssen, stellt die ordnungsmäßige Handhabung durch sie nicht in Frage.
Unterschriften
Rinne, Streck, Schlick, Kapsa, Dörr
Fundstellen
NJW 2003, 976 |
BGHR 2003, 146 |