Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 16. April 1996 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist ein Verein, in dem etwa 2.900 VW- und Audi-Händler organisiert sind. Ausweislich seiner Satzung verfolgt er das Ziel, die Einhaltung der Regeln des lauteren Wettbewerbs im Kraftfahrzeuggewerbe zu überwachen und Verstöße zu verfolgen.
Die Beklagte, die mit VW und Audi vertraglich nicht verbunden ist, warb in Zeitungsanzeigen für „Euro-Neuwagen” der Marken VW und Audi, wobei sie lediglich den Typ, eventuelle Ausstattungsdetails und den Preis anführte. Dabei handelte es sich um Fahrzeuge, die unter Ausnutzung des Preisgefälles innerhalb der Europäischen Union nach Deutschland (re-)importiert worden waren. Ob die Beklagte die Fahrzeuge selbst eingeführt oder im Inland von freien Händlern erworben hat, ist zwischen den Parteien streitig.
Der Kläger hat diese Werbung als wettbewerbswidrig beanstandet. Er hat – soweit hier von Bedeutung – vorgetragen, Fahrzeuge der Marken VW und Audi würden ausschließlich über ein lückenloses selektives Vertriebssystem abgesetzt. Die Beklagte könne sich daher diese Fahrzeuge nur im Wege des Schleichbezugs oder dadurch beschafft haben, daß sie einen gebundenen Händler zum Vertragsbruch verleitet oder dessen Vertragsbruch zumindest ausgenutzt habe. Außerdem sei die Werbung irreführend, weil sie weder darauf hinweise, daß VW- und Audi-Händler in Deutschland nicht verpflichtet seien, für die fraglichen Fahrzeuge Garantieleistungen zu erbringen, noch erkennen lasse, daß die Garantiefrist bereits mit der Auslieferung durch den (ausländischen) Vertragshändler zu laufen begonnen habe.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
es der Beklagten zu untersagen,
im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für den Verkauf von VW/Audi EU-Neufahrzeugen zu werben, die sie durch Schleichbezug, durch Ausnutzung von Vertragsbruch oder durch Verleitung zum Vertragsbruch im In- oder Ausland der EU als Wiederverkäuferin erworben hat,
und/oder
für den Vertrieb von VW/Audi-Fahrzeugen zu werben, die noch keinen privaten Vorbesitzer (nicht Händler) gehabt haben, ohne darauf hinzuweisen, daß
eine evtl. Gewährleistungsfrist schon früher mit der Auslieferung der Fahrzeuge durch den letzten VW-Audi-Vertragshändler zu laufen begonnen hat
und/oder
- der Erwerber nicht damit rechnen kann, daß sein Fahrzeug ohne weiteres und wie bei einem von einem Vertragshändler der VW oder Audi AG erworbenen Auto von der Gewährleistung erfaßt wird, die die VW/Audi-Organisation vorhält.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat sich darauf berufen, daß das Vertriebssystem von VW und Audi nicht lückenlos sei. Eine Irreführung hat sie in Abrede gestellt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg.
Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Das Berufungsgericht hat Ansprüche des Klägers aus §§ 1 oder 3 UWG verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Ein Wettbewerbsverstoß nach § 1 UWG scheide aus, weil die Beklagte allenfalls einen fremden Vertragsbruch ausgenutzt habe. Besondere Umstände, die das Verhalten der Beklagten unlauter erscheinen ließen, seien nicht ersichtlich. Dabei könne nicht unberücksichtigt bleiben, daß in dem selektiven Vertriebssystem der VW/Audi-Organisation erhebliche Lücken bestünden, was sich allenthalben durch entsprechende Angebote von Parallel- oder Reimporten erweise. Hinzu komme, daß die Beklagte das letzte Glied in einer Kette sei. Es sei nicht vorgetragen worden, daß sie von Verstößen der Vorlieferanten gegen § 1 UWG bei Veräußerung der Fahrzeuge gewußt habe.
Darin, daß die Beklagte einen Hinweis auf das mögliche Fehlen einer Herstellergarantie unterlassen habe, liege keine Irreführung nach § 3 UWG, da sich Gewährleistungsansprüche üblicherweise gegen die jeweiligen Vertragspartner richteten. Selbst wenn in dem Unterlassen eines Hinweises auf den bereits mit Auslieferung durch den Vertragshändler begonnenen Lauf der Gewährleistungsfrist ein Verstoß gegen § 3 UWG liege, sei dieser nicht geeignet, den Wettbewerb wesentlich zu beeinträchtigen.
Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben im Ergebnis keinen Erfolg.
II. Mit Recht ist das Berufungsgericht von der Prozeßführungsbefugnis des klagenden Verbandes nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG ausgegangen. Nach den getroffenen Feststellungen haben allein elf Mitglieder des Klägers – ebenso wie die Beklagte – ihren Sitz in Dortmund, wobei der relevante räumliche Markt nicht auf das Stadtgebiet begrenzt ist, sondern auch einen dichtbesiedelten Einzugsbereich umfaßt, in dem weitere im Kläger organisierte Händler tätig sind. Damit unterliegt es keinem Zweifel, daß dem Kläger eine erhebliche Zahl von Gewerbetreibenden angehört, die auf demselben Markt wie die Beklagte Waren gleicher Art vertreiben (vgl. BGH, Urt. v. 19.6.1997 - I ZR 72/95, GRUR 1998, 170 f. = WRP 1997, 1070 - Händlervereinigung).
III. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten wegen der Werbung für reimportierte VW/Audi-Neufahrzeuge (Klageantrag zu 1) kein Unterlassungsanspruch aus § 13 Abs. 2 Nr. 2 i.V. mit § 1 UWG zu.
Der Kläger möchte der Beklagten die Werbung für EU-Neufahrzeuge untersagen lassen, die sie durch Schleichbezug, durch Verleiten zum Vertragsbruch oder durch Ausnutzen des Vertragsbruchs eines gebundenen VW/Audi-Händlers erworben hat. Da die getroffenen Feststellungen, aber auch der Klagevortrag keine Anhaltspunkte für einen Schleichbezug oder für ein Verleiten zum Vertragsbruch bieten, kann der Antrag nur Erfolg haben, wenn ein Unterlassungsanspruch auch für den Fall zu bejahen wäre, daß die Beklagte lediglich durch Ausnutzen des Vertragsbruchs eines gebundenen VW/Audi-Händlers in den Besitz der VW- und Audi-Fahrzeuge gelangt ist. In der Vergangenheit hat der Bundesgerichtshof dem Hersteller – Anspruchsteller hätte ebenso ein vertriebsgebundener Händler oder wie vorliegend ein Händlerverband sein können – einen solchen Anspruch gegenüber dem Außenseiter unter der Voraussetzung zugesprochen, daß es sich um ein gedanklich und praktisch lückenloses Vertriebssystem handelt.
An dieser Rechtsprechung wird in Übereinstimmung mit dem Kartellsenat nicht festgehalten (vgl. die im Verfahren I ZR 130/96 erfolgte Anfrage beim Kartellsenat vom 15.7.1999, GRUR 1999, 1113 = WRP 1999, 1022 - Außenseiteranspruch I, auf die der Kartellsenat – wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erörtert – am 28.9.1999 mitgeteilt hat, daß er an der früheren Beurteilung ebenfalls nicht festhalte). Zwar kam dem auf § 1 UWG gestützten Anspruch gegenüber dem Außenseiter in den vergangenen Jahren keine große Bedeutung zu, weil die strengen Anforderungen an die praktische Lückenlosigkeit im allgemeinen zur Verneinung dieses Merkmals führten. Die praktische Lückenlosigkeit ist aber entgegen der früheren Rechtsprechung weder Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Vertriebsbindungssystems, noch kann der Anspruch gegenüber dem Außenseiter von diesem Erfordernis abhängig gemacht werden (dazu 1.). Dies zwingt zur Beantwortung der an sich vorrangigen Frage, ob es gerechtfertigt ist, das Verhalten des Außenseiters, der lediglich den Vertragsbruch eines Dritten ausnutzt, nach § 1 UWG als wettbewerbswidrig zu beurteilen; dies ist – ebenfalls entgegen der früheren Rechtsprechung – zu verneinen (dazu 2.). Der Schutz selektiver Vertriebssysteme, der durch die frühere Rechtsprechung bewirkt werden sollte, kann auf andere Weise erreicht werden (dazu 3.).
1. Dem Erfordernis der praktischen Lückenlosigkeit des Vertriebsbindungssystems ist keine entscheidende Bedeutung beizumessen.
a) Zunächst ist hervorzuheben, daß die kartellrechtliche Beurteilung eines selektiven Vertriebssystems nicht maßgeblich von der Frage der gedanklichen oder gar praktischen Lückenlosigkeit des Systems abhängt. Dies gilt nicht nur für die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages (EuGH, Urt. v. 13.1.1994 - Rs. C-376/92, Slg. 1994, I-15 = GRUR 1994, 300, 302 Tz. 28 f. - Metro/Cartier; Urt. v. 5.6.1997 - Rs. C-41/96, Slg. 1997, I-3123 = GRUR Int. 1997, 907, 908 Tz. 12 - VAG-Händlerbeirat/SYD-Consult), sondern auch für das autonome deutsche Kartellrecht: Die kartellrechtliche Wirksamkeit eines selektiven Vertriebsbindungssystems bzw. der zugrundeliegenden vertraglichen Vereinbarungen hängt auch hier nicht von der Lückenlosigkeit des Systems ab (vgl. BGH, Urt. v. 15.7.1999 - I ZR 14/97, GRUR 1999, 1109, 1111 f. = WRP 1999, 1026 - Entfernung der Herstellungsnummer, zur Veröffentlichung in BGHZ 142, 192 vorgesehen). Aus EG-Kartellrecht kann sich freilich – ebenso wie aus dem nationalen Kartellrecht (vgl. § 20 Abs. 1 und 2 GWB) – eine Notwendigkeit zum diskriminierungsfreien Einsatz eines Vertriebsbindungssystems ergeben (vgl. EuGH, Urt. v. 25.10.1983 - Rs. 107/82, Slg. 1983, 3151 = GRUR Int. 1984, 28, 29 Tz. 36 bis 38 - AEG-Telefunken; BGH, Urt. v. 10.11.1987 - KZR 15/86, WuW/E 2451, 2457 = GRUR 1988, 327 - Cartier-Uhren; Urt. v. 12.5.1998 - KZR 23/96, WuW/E DE-R 206, 208 = GRUR 1999, 276 - Depotkosmetik).
b) Die lückenlose Einhaltung eines Vertriebsbindungssystems ist von der Rechtsprechung in den Fällen, in denen ein Ausnutzen eines fremden Vertragsbruchs in Rede stand, als eine Voraussetzung dafür angesehen worden, daß der Hersteller einen systemfremden Außenseiter unter dem Gesichtspunkt einer wettbewerbswidrigen Behinderung in Anspruch nehmen kann.
aa) Steht – wie regelmäßig und auch im Streitfall – nicht fest, welcher gebundene Händler die Ware unter Verstoß gegen das Verbot der Abgabe an (systemfremde) Wiederverkäufer veräußert hat, kann nur dann davon ausgegangen werden, die Ware sei entweder aufgrund des Vertragsbruchs eines Vertragshändlers oder aufgrund Täuschung in die systemfremden Vertriebskanäle gelangt, wenn der Hersteller mit allen Abnehmern eine entsprechende Bindung vereinbart hat, wenn das System also gedanklich lückenlos ist. Ist die Lückenlosigkeit in diesem Sinne im Prozeß gegen den Außenseiter dargetan, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, daß dieser die Waren nur durch fremden Vertragsbruch oder auf Schleichwegen erlangt haben kann (RGZ 151, 239, 255; BGHZ 36, 370, 376 - Rollfilme; 40, 135, 140 - Trockenrasierer II; BGH, Urt. v. 10.12.1957 - I ZR 175/56, GRUR 1958, 240, 245 = WRP 1958, 88 - Markenschokolade; Urt. v. 9.11.1967 - KZR 9/65, GRUR 1968, 272, 275 - Trockenrasierer III; Urt. v. 9.5.1985 - I ZR 99/83, GRUR 1985, 1059 = WRP 1985, 555 - Vertriebsbindung; Urt. v. 22.6.1989 - I ZR 126/87, GRUR 1989, 832, 833 = WRP 1990, 321 - Schweizer Außenseiter). Hierin liegt die beweisrechtliche Bedeutung der Lückenlosigkeit.
bb) Die sachlich-rechtliche Bedeutung der Lückenlosigkeit ist von der Rechtsprechung zunächst in Fällen der – damals generell für Markenwaren zulässigen – Preisbindung betont worden. Sie beruht auf der Erwägung, daß dem gebundenen Händler die Einhaltung der ihm obliegenden Verpflichtung dann nicht mehr zugemutet werden kann, wenn seine Mitbewerber ohne eine entsprechende rechtliche oder tatsächliche Bindung Wettbewerb treiben können (BGHZ 36, 370, 375 f. - Rollfilme; 40, 135, 139 - Trockenrasierer II; BGH GRUR 1968, 272, 275 - Trockenrasierer III). Dies kann zum einen der Fall sein, wenn nicht alle Mitbewerber in derselben Weise gebunden werden, wenn das System also schon gedanklich lückenhaft ist. Eine solche Situation kann aber zum anderen auch eintreten, wenn gegen gebundene Mitbewerber, die vertragsbrüchig werden, von seiten des Herstellers nicht vorgegangen wird, wenn das System also in seiner praktischen Handhabung Lücken aufweist. Dahinter verbirgt sich die Erwägung, daß in Fällen, in denen schon dem gebundenen Händler die Einhaltung der sich aus der Bindung ergebenden Verpflichtungen nicht mehr zugemutet werden kann, die Mißachtung des Bindungssystems schon gar nicht dem nichtgebundenen Außenseiter als eine sittenwidrige Handlungsweise zur Last zu legen ist (vgl. BGH GRUR 1968, 272, 275 - Trockenrasierer III). Hinzu tritt die Erwägung, daß in einem auf diese Weise praktisch lückenhaften System auch der Bezug der Ware vom an sich gebundenen Händler nicht mehr notwendig einen Vertragsbruch oder einen Schleichbezug voraussetzt (BGH, Urt. v. 7.2.1991 - I ZR 104/89, GRUR 1991, 614, 616 = WRP 1991, 391 - Eigenvertriebssystem).
c) Daß eine solche Lückenhaftigkeit den an sich vertragstreuen Händler von seinen Pflichten entbinden kann, ist eine Erwägung, die in Fällen der Preisbindung nicht fern liegt. Dem Begehren des Herstellers, der auf einer Einhaltung der Preisbindung besteht, kann der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegenstehen, wenn die Mitbewerber des gebundenen Händlers die gleiche Ware zu einem niedrigeren Preis veräußern können – sei es, daß sie keiner Bindung unterliegen, oder sei es, daß gegen sie nicht vorgegangen wird (BGHZ 36, 370, 376 - Rollfilme; BGH, Urt. v. 10.1.1964 - Ib ZR 78/62, GRUR 1964, 320, 321 = WRP 1964, 161 - Maggi; Urt. v. 3.6.1964 - Ib ZR 49/63, GRUR 1964, 629, 631 = WRP 1964, 315 - Grauer Markt; Urt. v. 26.4.1967 - Ib ZR 22/65, GRUR 1968, 95, 99 = WRP 1967, 367 - Büchereinachlaß; hierzu Knöpfle, NJW 1969, 1001 ff.).
In der Vergangenheit sind diese Grundsätze vom Bundesgerichtshof uneingeschränkt auch auf Vertriebsbindungssysteme angewandt worden (BGHZ 40, 135, 137 f. - Trockenrasierer II; BGH GRUR 1968, 272, 274 f. - Trockenrasierer III; BGH, Urt. v. 21.2.1968 - Ib ZR 11/66, GRUR 1969, 222, 223 - Le Galion; GRUR 1985, 1059 - Vertriebsbindung; GRUR 1991, 614, 616 - Eigenvertriebssystem; Urt. v. 19.3.1992 - I ZR 122/90, GRUR 1992, 627, 629 = WRP 1992, 553 - Pajero). An dieser Gleichstellung kann nicht festgehalten werden. Denn die materiell-rechtlichen Wirkungen der Lückenhaftigkeit eines derartigen Vertriebssystems sind nicht notwendig die gleichen wie in Fällen der Preisbindung: Im Hinblick auf die Bedeutung des Preises im Wettbewerb kann dem gebundenen Händler eine Einhaltung der Preisvorgaben des Herstellers häufig schon dann nicht mehr zugemutet werden, wenn seine Preise nicht nur kurzfristig durch nichtgebundene oder durch die Bindung mißachtende Händler unterboten werden und er dadurch Nachteile im Wettbewerb erleidet. Ganz anders verhält es sich dagegen, wenn der im Rahmen eines selektiven Vertriebs gebundene Händler im Wettbewerb auf einen nichtgebundenen Mitbewerber trifft. In diesem Fall kann nicht ohne weiteres angenommen werden, die Einhaltung der dem gebundenen Händler auferlegten Verpflichtungen werde nur deswegen unzumutbar, weil die Waren auch von systemfremden Händlern angeboten werden. Bleibt aber die vertragliche Verpflichtung der gebundenen Händler – wovon hier im allgemeinen auszugehen ist – durch das Angebot der Außenseiter unberührt, entfällt die materiell-rechtliche Wirkung, die sich aufgrund möglicher Lücken des Vertriebsbindungssystems ergeben kann. Damit ist der entscheidenden Begründung für das Merkmal der praktischen Lückenlosigkeit der Boden entzogen.
d) Es kommt hinzu, daß das Erfordernis der praktischen Lückenlosigkeit im Zuge der Schaffung größerer Wirtschaftsräume kaum noch oder nur noch unter Verzicht auf wesentliche Absatzmärkte erfüllt werden kann. Steht ein Bezug der Waren aus dem Ausland in Rede, ergeben sich nach der bisherigen Rechtsprechung bereits dann nicht mehr zu schließende praktische Lücken, wenn die Ware sich dort rechtmäßig im Verkehr befindet und – unbeeinträchtigt vom Vertriebsbinder – rechtmäßig bezogen werden konnte (BGH GRUR 1989, 832 - Schweizer Außenseiter). Ein solcher rechtmäßiger Bezug ist etwa in der Schweiz, aber auch in Österreich möglich, da dort der Außenseiter, der Ware von einem gebundenen Händler unter Ausnutzung des von diesem begangenen Vertragsbruchs erwirbt, vom Vertriebsbinder nicht in Anspruch genommen werden kann (zur Rechtslage in der Schweiz BGE 114 II 91 = GRUR Int. 1988, 706 - Dior-Vertriebsbindung; BGH GRUR 1989, 832, 833 - Schweizer Außenseiter; zur Rechtslage in Österreich OGH ÖBl. 1985, 68 = GRUR Int. 1986, 210 - Grundig-Vertriebsbindung).
2. Entfällt das Erfordernis der praktischen Lückenlosigkeit, das in der Vergangenheit eine kaum überwindbare Schranke für die Inanspruchnahme des Außenseiters durch den Vertriebsbinder dargestellt hat, stellt sich die Frage, ob generell an der Möglichkeit einer solchen Inanspruchnahme auch in Fällen festgehalten werden kann, in denen lediglich ein Ausnutzen eines fremden Vertragsbruchs, nicht dagegen ein Verleiten zum Vertragsbruch oder ein Schleichbezug in Rede steht. Dies ist zu verneinen.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes handelt der Kaufmann, der den Vertragsbruch eines Vertragspartners seines Wettbewerbers nur ausnutzt, ohne den Gebundenen zu dem Vertragsbruch zu verleiten, nicht wettbewerbswidrig, solange nicht besondere die Unlauterkeit begründende Umstände hinzutreten (vgl. u.a. BGH, Urt. v. 30.1.1976 - I ZR 108/74, GRUR 1976, 372, 374 = WRP 1976, 237 - Möbelentwürfe; Urt. v. 4.10.1990 - I ZR 139/89, GRUR 1991, 449, 453 - Betriebssystem, insoweit nicht in BGHZ 112, 264; Urt. v. 24.2.1994 - I ZR 74/92, GRUR 1994, 447, 449 = WRP 1994, 511 - Sistierung von Aufträgen; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 21. Aufl., § 1 UWG Rdn. 703 ff. m.w.N.). Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß die schuldrechtliche Bindung zwischen dem Wettbewerber und seinem Vertragspartner Dritten gegenüber im allgemeinen keine rechtlichen Wirkungen zu entfalten vermag und daß die Annahme eines Wettbewerbsverstoßes schon bei einem Ausnutzen fremden Vertragsbruchs gewissermaßen zu einer – im Interesse der Verkehrsfähigkeit unerwünschten – Verdinglichung der schuldrechtlichen Verpflichtungen führen würde.
b) Allein darin, daß der Außenseiter den Vertragsbruch eines gebundenen Händlers ausnutzt, liegen keine besonderen Umstände zur Begründung der Unlauterkeit.
aa) In den Fällen der Preisbindung hat die Rechtsprechung ein solches zusätzliches Unlauterkeitsmerkmal in der Weiterveräußerung der Ware unter dem gebundenen Preis gesehen (vgl. BGHZ 37, 30, 34 - Selbstbedienungsgroßhandel; BGH GRUR 1968, 272, 274 f. - Trockenrasierer III). Dabei wurde berücksichtigt, daß jede Preisunterbietung durch einen Außenseiter das Bindungssystem gefährdet, weil dem Gebundenen die Einhaltung der vorgegebenen Preise nicht mehr zugemutet werden kann, wenn seine Preise von ungebundenen Wettbewerbern unterboten werden. Ob diese Umstände in Fällen der Preisbindung für die Annahme eines Wettbewerbsverstoßes ausreichen, bedarf im Streitfall keiner Klärung.
bb) Bei der Vertriebsbindung ist lediglich auf den wettbewerblichen Vorsprung abgestellt worden, den der Außenseiter in zweifacher Weise erziele: zum einen im Verhältnis zu anderen ungebundenen Mitbewerbern dadurch, daß er im Gegensatz zu ihnen sein Sortiment durch die Waren des Vertriebsbinders vervollständigen könne (BGHZ 37, 30, 34 f. - Selbstbedienungsgroßhandel; BGH GRUR 1968, 272, 275 - Trockenrasierer III), und zum anderen im Verhältnis zu den gebundenen Händlern, die verpflichtet seien, die Vorgaben des Vertriebsbinders einzuhalten (vgl. Baumbach/Hefermehl aaO § 1 Rdn. 803 a.E., 804). Beide Gesichtspunkte reichen nach Ansicht des Senats bei wertender Betrachtung nicht aus, um eine Unlauterkeit zu begründen.
(1) Was zunächst das Verhältnis zu anderen ungebundenen Wettbewerbern angeht, ist es diesen unbenommen, sich ebenfalls mit der Ware einzudecken, die – ohne daß dies der Vertriebsbinder zu verhindern vermochte – in den ungebundenen Handel gelangt ist und damit ungeachtet vertraglicher Beschränkungen, die zwischen dem Vertriebsbinder und seinen Händlern bestehen, ein verkehrsfähiges Wirtschaftsgut darstellt. Ihnen gegenüber scheidet daher ein lauterkeitsrechtlich bedenklicher Wettbewerbsvorsprung aus. Würde der Vorwurf des sittenwidrigen Verhaltens allein daran anknüpfen, daß ein Händler die Ware auf einer vorgelagerten Absatzstufe entgegen einer vertraglichen Verpflichtung an einen Wiederverkäufer veräußert hat, haftete der Ware trotz eines in sachenrechtlicher Hinsicht einwandfreien Erwerbs ein Makel an, der ihre Verkehrsfähigkeit beeinträchtigen würde. Der vertraglichen Bindung zwischen dem Hersteller und seinem Abnehmer würde damit zu Unrecht eine quasi-dingliche Wirkung zugebilligt (vgl. die Kritik an der bisherigen Rechtsprechung bei Emmerich in Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl., § 16 Rdn. 138; Klosterfelde/Metzlaff in Langen/Bunte, Kartellrecht, 8. Aufl., § 16 GWB Rdn. 122; Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rdn. 401).
(2) Aber auch im Verhältnis zu den gebundenen Händlern verschafft sich der Außenseiter keinen die Unlauterkeit begründenden Vorsprung. Dabei ist zu berücksichtigen, daß er eine unbeschränkt verkehrsfähige Ware erwirbt und daß er in der Art und Weise, wie er mit dieser Ware weiter verfährt, an keinerlei Verpflichtungen gebunden ist, die ohne seine Beteiligung im Zuge eines vorangegangenen Erwerbsvorgangs schuldrechtlich vereinbart worden sind. Ihn treffen die Verpflichtungen gerade nicht, deren Beachtung der systemgebundene Händler vertraglich übernommen hat. Der gebundene Händler bedarf auch nicht des lauterkeitsrechtlichen Schutzes. Ihm steht es frei, ob er sich gegenüber dem Hersteller bindet, u.a. weil er auf eine zuverlässige Belieferung oder auf sonstige Vorzüge Wert legt, in deren Genuß nur die systemangehörigen Händler kommen, oder ob er sich bemüht, sich mit der fraglichen Ware wie der Außenseiter auf dem freien Markt einzudecken. Wählt er den Weg in die Vertriebsbindung, können Störungen, die sich aufgrund des Wettbewerbs durch ungebundene Händler ergeben, nur im Verhältnis zum Vertragspartner, also zum Hersteller, beseitigt werden, den der Abnehmer beispielsweise dazu anhalten kann, alle Abnehmer den gleichen Bindungen zu unterwerfen und die Einhaltung der von den Abnehmern übernommenen Verpflichtungen zu kontrollieren. Auch der Hersteller, der sich durch das Verhalten des Außenseiters beeinträchtigt sieht, ist auf die Vertragsbeziehungen zu seinen Abnehmern zu verweisen, denen gegenüber ihm vertragliche Erfüllungs- und gegebenenfalls Schadensersatzansprüche zustehen (vgl. hierzu Kraßer, Der Schutz von Preis- und Vertriebsbindungen gegenüber Außenseitern, 1972, S. 208 ff., 270 ff.).
(3) Bei der Bejahung des Außenseiteranspruchs hat in der Vergangenheit noch ein weiterer – unausgesprochen gebliebener – Gesichtspunkt eine Rolle gespielt. Im Hinblick auf das von der Rechtsprechung in der Vergangenheit geforderte Merkmal der praktischen Lückenlosigkeit wurde jedes Vertriebsbindungssystem schon durch das Auftreten eines Außenseiters in seinem Bestand gefährdet. Denn dieses Erfordernis beruhte auf der Annahme, daß den gebundenen Abnehmern die Einhaltung der vertraglichen Pflichten nicht mehr zuzumuten sei, wenn sie dem Wettbewerb ungebundener Händler ausgesetzt seien. Wird aber an dem Erfordernis der praktischen Lückenlosigkeit ohnehin nicht festgehalten, entfällt auch das beschriebene besondere Schutzbedürfnis (vgl. dazu die Vorschläge von Schricker, GRUR 1976, 528, 543; ferner Fezer, GRUR 1990, 551, 553 ff.).
3. Die selektiven Vertriebsbindungssysteme werden bei dem zugrundegelegten Verständnis nicht schutzlos gestellt. Handelt es sich um ein nach deutschem und europäischem Kartellrecht unbedenkliches System und ist – beispielsweise aufgrund einer diskriminierungsfreien Behandlung aller Abnehmer innerhalb des in Rede stehenden Wirtschaftsraums – ein Mißbrauch nicht zu erwarten, steht es dem Hersteller frei, die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen durch ein Nummernsystem zu kontrollieren (vgl. BGH GRUR 1999, 1109, 1112 f. - Entfernung der Herstellungsnummer, m.w.N.). Wird dem Hersteller die Kontrolle eines solchen nicht zu beanstandenden Systems durch die Entfernung oder durch das Unkenntlichmachen der Kontrollnummern erschwert, steht ihm auch gegenüber dem Außenseiter, der eine solche veränderte Ware vertreibt, unter dem Gesichtspunkt einer wettbewerbswidrigen Behinderung ein Unterlassungsanspruch nach § 1 UWG zur Seite. Außerdem wird die Entfernung oder Veränderung der – legitimen Zwecken dienenden – Kontrollnummer im allgemeinen dazu führen, daß eine Erschöpfung nicht eintritt (§ 24 Abs. 2 MarkenG), so daß dem Hersteller insoweit auch markenrechtliche Ansprüche gegen die Weiterverbreitung der veränderten Ware zustehen werden. Dem stehen die Senatsentscheidungen „Entfernung von Kontrollnummern I bis IV” (BGHZ 104, 185; BGH, Urt. v. 5.5.1988 - I ZR 179/86, GRUR 1988, 826 = WRP 1988, 725; Urt. v. 1.6.1988 - I ZR 83/87, WRP 1989, 369; Urt. v. 26.5.1988 - I ZR 238/86, WRP 1989, 366) nicht entgegen. Dort ist lediglich ausgesprochen, daß die Entfernung derartiger Nummern wettbewerbsrechtlich dann nicht untersagt werden kann, wenn sie der Durchsetzung eines Systems dienen, das den Schutz der Rechtsordnung nicht für sich in Anspruch nehmen kann (vgl. BGH GRUR 1999, 1109, 1112 - Entfernung der Herstellungsnummer).
IV. Ebenfalls ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Abweisung der Klage mit dem Antrag zu 2a. Mit diesem Antrag beanstandet der Kläger, die Beklagte habe es versäumt, auf den Umstand hinzuweisen, daß die Garantiefrist für die in den Zeitungsanzeigen beworbenen Fahrzeuge bereits mit der Auslieferung des Fahrzeugs durch den ausländischen Vertragshändler zu laufen begonnen habe. Hierin liegt indessen kein Wettbewerbsverstoß. Wie der Senat inzwischen entschieden hat, muß ein Händler, der in Zeitungsanzeigen für fabrikneue Fahrzeuge wirbt, die aus dem EU-Ausland importiert worden sind und bei denen die Herstellergarantie wegen einer im Ausland erfolgten Erstzulassung bereits zu laufen begonnen hat, auf diesen Umstand nur dann hinweisen, wenn zum Zeitpunkt der Werbung bereits ein nicht unerheblicher Teil der Garantiezeit verstrichen ist (BGH, Urt. v. 15.7.1999 - I ZR 44/97, GRUR 1999, 1122, 1123 f. = WRP 1999, 1151 - EG-Neuwagen I; Urt. v. 19.8.1999 - I ZR 225/97, GRUR 1999, 1125, 1126 = WRP 1999, 1155 - EG-Neuwagen II). Ein solcher Sachverhalt ist vom Berufungsgericht nicht festgestellt und auch vom Kläger nicht vorgetragen worden. Nach dem Klagevorbringen muß vielmehr davon ausgegangen werden, daß im Streitfall zwischen der Erstzulassung im Ausland und der beanstandeten Werbung nur wenige Tage oder Wochen lagen. Unter diesen Umständen kann eine Pflicht der Beklagten, bereits in der Zeitungswerbung auf jede auch noch so geringe zeitliche Einschränkung der Werksgarantie hinzuweisen, nicht angenommen werden.
V. Schließlich hat die Revision auch insoweit keinen Erfolg, als sie sich gegen die Abweisung der Klage mit dem Antrag zu 2b wendet. Dieser Antrag – mit ihm wird das Fehlen eines Hinweises in der Werbung beanstandet, daß VW/Audi für das angebotene Fahrzeug nicht ohne weiteres eine Herstellergarantie übernehme – ist ebenfalls unbegründet. Allerdings kann dem Berufungsgericht insofern nicht beigetreten werden, als es einen Hinweis auf die gesetzlichen Gewährleistungsansprüche für entbehrlich angesehen hat. Damit ist das Berufungsgericht dem Klagebegehren nicht gerecht geworden. Wären die Käufer – wie offenbar vom Berufungsgericht angenommen – auf die gesetzlichen Gewährleistungsansprüche beschränkt, stünden ihnen also lediglich Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Verkäufer bei einer Gewährleistungsfrist von sechs Monaten zu, läge hierin – gegenüber der üblichen einjährigen Herstellergarantie – ein wesentlicher Nachteil der beworbenen Fahrzeuge, mit dem die Verbraucher auch bei „EG-Neuwagen” eines händlerfremden Fabrikats nicht zu rechnen brauchten. Mit Recht weist die Revisionserwiderung jedoch darauf hin, daß die Regelung in Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 lit. a der Gruppenfreistellungsverordnung (EG) Nr. 1475/95 (ABl. Nr. L 145 v. 29.6.1995, S. 25) darauf hindeutet, daß jeder VW- oder Audi-Händler für einen innerhalb der Europäischen Union erworbenen Neuwagen Gewähr zu leisten hat, unabhängig davon, wo und bei welchem Unternehmen das Fahrzeug im Gemeinsamen Markt gekauft worden ist (vgl. Pfeffer, NJW 1996, 681, 684; skeptisch Creutzig, EuZW 1995, 723, 726; vgl. aber ders., EuZW 1996, 197, 200 unter Hinweis auf den Leitfaden der Kommission „Der Vertrieb von Kraftfahrzeugen”). Daß der Anspruch auf Wandelung oder Minderung anders als der Nachbesserungsanspruch nicht gegenüber einem deutschen VW- oder Audi-Händler, sondern gegebenenfalls gegenüber der Beklagten sowie gegenüber dem ausländischen VW- oder Audi-Händler geltend gemacht werden muß, bei dem das Fahrzeug erworben worden ist, stellt keinen Umstand dar, auf den bereits in einer Anzeige der in Rede stehenden Art hingewiesen werden muß.
VI. Danach ist die Revision des Klägers mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Erdmann, RiBGH Prof. Dr. Mees ist ausgeschieden und daher an der Unterschriftsleistung verhindert. Erdmann, v. Ungern-Sternberg, Bornkamm, Pokrant
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 01.12.1999 durch Führinger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen