Leitsatz (amtlich)
›Wer fahrlässig eine Freileitung des Elektrizitätswerks durchtrennt, haftet einem angeschlossenen Abnehmer für den Schaden, den dieser dadurch erleidet, dass auf ununterbrochene Stromzufuhr angewiesene Sachen (hier: Eier in einem elektrischen Brutapparat) verderben.‹
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 11.12.1962) |
LG Krefeld |
Tatbestand
Die Erstbeklagte verbreitete im März 1960 in behördlichem Auftrag die P.-Straße zwischen K. und M. Am 14. März 1960 ließ sie durch eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Zweitbeklagten, ihres damaligen Vorarbeiters, Straßenbäume fällen. Einer von ihnen stürzte gegen 13.30 Uhr auf eine elektrische Freileitung des RWE unmittelbar am Grundstück des Klägers, auf dem dieser eine Geflügelzucht betreibt. Dadurch fiel u.a. der Strom für den Betrieb des mit Eiern beschickten Brutapparats aus.
Der Kläger hat behauptet, die Stromunterbrechung habe sechs Stunden gedauert. Dadurch seien aus 3.600 Eiern statt der zu erwartenden 3.000 Küken nur einige verkrüppelte, unverkäufliche Tiere geschlüpft. Der Schaden betrage bei einem Verkaufspreis von 0,60 DM je Küken 1.800 DM; hinzu seinen 75,- DM für nutzlos aufgewandten Strom zu rechnen. Der Kläger hat Ersatz dieses Verlustes nebst Zinsen mit der Begründung verlangt, er habe vor Arbeitsbeginn den Zweitbeklagten und den Betriebsführer H. jun. der Erstbeklagten darauf hingewiesen, dass die Freileitung keinesfalls beschädigt werden dürfe, weil ihm sonst ein hoher Schaden entstehe. Gleichwohl sei der Baum unsachgemäß und unvorsichtig gefällt worden.
Die Beklagten haben um Klageabweisung gebeten. Sie haben jegliches Verschulden an dem Unfall bestritten, desgleichen die vom Kläger behauptete Warnung und die von ihm angegebene Höhe des Schadens. Die Erstbeklagte hat hinsichtlich des Zweitbeklagten den Entlastungsbeweis nach § 831 BGB erboten. In rechtlicher Hinsicht haben die Beklagten ausgeführt, das Ereignis habe das Eigentum oder den Gewerbebetrieb des Klägers nicht unmittelbar geschädigt; für seinen allenfalls als weitere Folge des Unfalls eingetretenen Verlust könne er nach den Bestimmungen über unerlaubte Handlungen keinen Ersatz verlangen.
Das Landgericht hat die Klage hinsichtlich der verlangten 75,- DM für Stromkosten abgewiesen und den Klageanspruch im Übrigen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Beide Beklagten haben Berufung mit dem Ziel der vollen Klageabweisung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat vorab die Berufung des Zweitbeklagten als unbegründet zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, um deren Zurückweisung der Kläger bittet, erstrebt der Zweitbeklagte weiterhin die gänzliche Abweisung der Klage, soweit sie gegen ihn gerichtet ist.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsgericht hat die Haftung des Zweitbeklagten in dem noch streitigen Umfang bejaht, weil das unsachgemäße Fällen des Baumes unmittelbar zu einer Verletzung des Eigentums des Klägers geführt habe (§ 823 Abs. 1 BGB). Unter diesen Umständen, so hat das Berufungsgericht dargelegt, stelle sich die Frage nach den Haftungsgrenzen im Hinblick auf den Schutzzweck der Vorschrift und den Kreis der Ersatzberechtigten nicht, wie sich auch die Prüfung erübrige, ob zugleich ein unzulässiger Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Klägers vorliege.
Hiergegen greifen die Rügen der Revision nicht durch.
Für die Verletzung einer Person oder Sache wird nach § 823 Abs. 1 BGB unabhängig davon gehaftet, ob die gesetzte Ursache den Schaden unvermittelt oder erst nach ihrer Fortpflanzung durch eine Ursachenkette hervorruft. Wer auf ein Kraftfahrzeug auffährt, das dadurch seinerseits auf einen vorausfahrenden Wagen prallt, hat für die Schäden an beiden Fahrzeugen einzutreten; beide Eigentümer sind unmittelbar Geschädigte. Davon sind die Fälle zu unterscheiden, in denen die Verletzung des unmittelbar Geschädigten Auswirkungen auf den Rechtskreis eines Dritten hat (so wenn dieser auf die Dienste des Verletzten verzichten muss); solche Drittschäden sind in der Regel nicht zu ersetzen. Die Revision verkennt diese Unterscheidung nicht, ist jedoch der Auffassung, dass hier ein Fall der zweiten Gruppe vorliege, d.h. dass nur das Elektrizitätswerk unmittelbar einen Schaden (an der ihm gehörenden Leitung) erlitten habe, während der Kläger lediglich ein (infolge des Stromausfalls) mittelbar geschädigter Dritter sei.
Dieser Ansicht kann nicht beigetreten werden.
Dass es für die Haftung des Schädigers bedeutungslos ist, ob die Eigentumsverletzung unvermittelt oder im Wege einer "Kettenreaktion" bewirkt worden ist, gilt - eingeschränkt durch den Gesichtspunkt der Adäquanz - auch dann, wenn es nur an einer besonderen Beschaffenheit der zunächst betroffenen Sache liegt, dass weitere Gegenstände in Mitleidenschaft gezogen werden. Wer schuldhaft den Bruch eines Wasserrohres verursacht, muss auch für die Schäden eintreten, die weiteres Eigentum durch das ausströmende Wasser erleidet. Entsprechendes gilt von der Beschädigung sonstiger Versorgungsleitungen, wenn sie etwa zum Austritt von Öl, Gas oder auch elektrischem Strom führt. Hätte im vorliegenden Fall der stürzende Baum stromführende Drähte herabgerissen und in solcher Weise in Verbindung mit dem Eigentum des Klägers gebracht, dass dieses durch den fehlgeleiteten Starkstrom vernichtet worden wäre, so läge eine zum Schadensersatz verpflichtende Einwirkung auf das Eigentum vor. Der Kläger wäre unmittelbar Geschädigter ohne Rücksicht darauf, dass der stürzende Baum nicht schon durch seinen Fall, sondern erst durch Vermittlung der hergestellten elektrischen Verbindung den Untergang der Sachen bewirkt hätte. Die Haftung für die Beschädigung von Versorgungsleitungen beschränkt sich also nicht etwa von vornherein auf die Kosten ihrer Wiederherstellung.
Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt nur darin, dass das Eigentum des Klägers nicht durch die fehlerhafte Zuleitung, sondern durch die Unterbrechung des elektrischen Stromes beschädigt worden ist. Das rechtfertigt jedoch keine abweichende Beurteilung. Bedarf eine Sache zur Erhaltung ihrer Substanz der ständigen Zufuhr von Wasser, Strom oder dergl., so bewirkt (im Rechtssinne) auch derjenige ihre Zerstörung, der sie durch Abschneiden dieser Zufuhr vernichtet. Wer die Bewässerungsanlagen einer Gartenkultur, die Heizung eines Treibhauses schuldhaft außer Betrieb setzt, haftet deshalb für den an den Pflanzen entstehenden Schaden, gleichviel in wessen Eigentum sie stehen. Nicht anders ist es bei der Unterbrechung der Stromzufuhr, wenn auf deren Stetigkeit angewiesene Sachen dadurch untergehen. Hierzu gehören vor allem Erzeugnisse, die einer elektrisch konstant gehaltenen Temperatur (Wärme oder Kühlung) bedürfen, um nicht zu verderben. Wird dieser Verderb durch eine schuldhafte Durchtrennung der Stromkabel herbeigeführt und sinkt oder entfällt dadurch der Verkaufswert der Produkte, so ist dieser Vermögensverlust lediglich ein aus der Eigentumsverletzung hervorgehender Folgeschaden, der im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB zu ersetzen ist.
Anders liegt es, wenn der Stromausfall nicht den Untergang von Sachen bewirkt, sondern nur dazu führt, dass die Fertigung bestimmter Erzeugnisse vorübergehend unterbrochen wird. Insoweit handelt es sich um einen reinen Vermögensschaden. Sein Ersatz kann auch nicht aus dem Gesichtspunkt des unzulässigen Eingriffs in einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gefordert werden, weil die Durchtrennung des Kabels zumindest in aller Regel keinen unmittelbaren, d.h. betriebsbezogenen angriff auf das Unternehmen darstellt (Urteil des erkennenden Senats BGHZ 29, 65). Ob im Einzelfall aus der Verletzung landesrechtlicher Bauordnungen in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB Schadensersatzansprüche hergeleitet werden könnten (so Tegethoff, BB 1964, 19, 21), braucht hier nicht erörtert zu werden. Von allenfalls denkbaren Ausnahmen abgesehen, ist die Produktionsunterbrechung ein nicht ersatzfähiger Vermögensschaden eines lediglich mittelbar geschädigten Dritten, der deshalb Ausfälle erleidet, weil das unmittelbar geschädigte Elektrizitätswerk die vertraglich zugesagte Stromlieferung vorübergehend nicht erbringen kann.
Dieser letzten Fallgruppe hat das Berufungsgericht den vorliegenden Sachverhalt mit Recht nicht zugeordnet. Die Produktion ist hier nicht bloß unterbrochen worden, d.h. sie konnte nicht nach der Wiederherstellung der Stromzufuhr am alten Punkte wieder aufgenommen und - wenn auch nach Zeitverlust - zu Ende geführt werden. Die angebrüteten Eier waren vielmehr inzwischen, wie unstreitig ist, endgültig vernichtet oder zumindest schwer geschädigt. Darin hat das Berufungsgericht rechtlich zutreffend eine Eigentumsverletzung erblickt, durch die der Kläger unmittelbar betroffen worden ist.
Es geht auch nicht über den Schutzzweck von § 823 Abs. 1 BGB hinaus, dem Zweitbeklagten die Haftung für einen Schaden der eingetretenen Art aufzuerlegen. Das durch die Schadensersatzpflicht ausgedrückte Gebot, fremdes Eigentum nicht zu beschädigen, bezweckt bei Einrichtungen von weittragender Bedeutung nicht nur den Schutz ihrer Substanz, sondern auch ihrer Funktion. Dass Dämme, Signalanlagen, Versorgungsleitungen nicht zerstört werden dürfen, hat nicht nur den Sinn, ihren Eigentümern den Aufwand der Wiederherstellung zu ersparen. Das Verbot der Beschädigung will vielmehr auch und gerade Schutz vor dem Eintritt der typischen Folgen bieten. Aus der ständig steigenden und immer empfindlicher werdenden Abhängigkeit der Allgemeinheit von der Energieversorgung erwächst für jedermann die Pflicht, die Freileitungen und Kabel nicht nur als Gegenstände, sondern ganz besonders im Hinblick auf ihre Bedeutung in Acht zu nehmen. Die Sanktion dieser Pflicht durch u.U. weitgehende Verbindlichkeiten zum Schadensersatz ist § 823 Abs. 1 BGB durchaus zu entnehmen; Schäden der eingetretenen Art bewegen sich nicht außerhalb des Rechtswidrigkeitszusammenhangs.
Dementsprechend hat das Berufungsgericht auch die allgemeine Voraussehbarkeit des Schadens mit Recht bejaht. Wer eine elektrische Freileitung durchtrennt, weiß nicht nur, dass er damit mehr als ein Stück Drahtseil zerstört, sondern bei durchschnittlicher Lebenskenntnis auch, dass an das unterbrochene Netz wahrscheinlich zahlreiche Anlagen zur Konservierung von Sachen angeschlossen sind, die bei längerem Stromausfall verderben könnten. Von Tiefkühltruhen und elektrischen Backöfen ist dies allgemein bekannt. Dass sich der Zweitbeklagte gerade die Schädigung keimender Küken in einem Brutapparat hätte vorstellen können, d.h. dass er auch den speziellen Schadensverlauf vorherzusehen vermochte, ist zur Bejahung seines Verschuldens nicht erforderlich.
Entgegen der Meinung der Revision muss der Kläger nicht einen Teil seines Schadens selbst tragen, weil er kein Notstromaggregat bereitgehalten hat. Ob der Kläger eine solche verhältnismäßig kostspielige Anlage im Hinblick darauf anschaffen wollte, dass sich die Elektrizitätswerke regelmäßig von der Haftung für betrieblich bedingte Stromunterbrechungen freizeichnen, stand bei ihm und brauchte sich nur nach seinen wirtschaftlichen Erwägungen zu richten. Keinesfalls war der Kläger gehalten, diese Anschaffung zur Entlastung Dritter zu machen, die möglicherweise störend in die Stromversorgung eingreifen könnten. - Ebenso wenig wäre es dem Kläger als Selbstverschulden anzulasten, wenn er nicht schon vor dem Fällen des Baumes, sondern erst nach der Unterbrechung des Stromes auf den in seinem Betrieb drohenden Schaden hingewiesen hätte. Als er den Beginn der Arbeiten zufällig wahrnahm, durfte er voraussetzen, dass der offenbar sachkundig geleitete Trupp die erhöhte Sorgfalt beachten werde, zu der die Nähe der deutlich erkennbaren Freileitung zwang. Die Rüge der Revision, dass das Berufungsgericht die erbotenen Beweise für den Zeitpunkt der Warnung hätte erheben müssen, geht deshalb fehl.
Nach alledem ist die Revision des Zweitbeklagten nicht begründet. Sie musste deshalb mit der Kostenfolge nach § 97 ZPO zurückgewiesen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 2992665 |
BGHZ 41, 123 |
BGHZ, 123 |
BB 1964, 372 |
DB 1964, 508 |
NJW 1964, 720 |
DRsp I(145)16Nr. 128 |
JZ 1964, 457 |
JuS 1964, 288 |
MDR 1964, 407 |