Leitsatz (amtlich)
Die prozeßbeendende Wirkung des gerichtlichen Vergleichs kann nicht mit der Begründung angegriffen werden, ihm habe die Geschäftsgrundlage gefehlt (Erg. zu BGH, Urt. v. 6.6.1966 – II ZR 4/64 = LM ZPO § 794 Abs. 1 Ziff. 1 Nr. 15).
Normenkette
ZPO § 794 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 14. Dezember 1984 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger hat gegen den Beklagten Vollstreckungsgegenklage wegen mehrerer titulierter Ansprüche erhoben. Vor dem Landgericht haben die Parteien „zur Abgeltung der titulierten Ansprüche” einen Vergleich geschlossen, um dessen Wirksamkeit es im Revisionsverfahren geht. Dem liegt im einzelnen folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Beklagte machte über ein Inkassobüro, das durch Rechtsbeistand H… T… vertreten wurde, aus mehreren, schon geraume Zeit (1969) zurückliegenden vollstreckbaren Titeln Forderungen von insgesamt 51.918,60 DM gegen den Kläger geltend; in diesem Betrag sind Zinsen enthalten. Nachdem sich der Kläger hinsichtlich eines Teils der Zinsansprüche auf Verjährung berufen hatte, bezifferte Frau T… in einem Schreiben vom 19. Januar 1984 die Gesamtforderung mit noch 37.057,22 DM.
Der Kläger hat mit seiner Klage beantragt, die Zwangsvollstreckung aus den vollstreckbaren Titeln für unzulässig zu erklären. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Parteien hätten am 30. November 1983 telefonisch eine Vereinbarung getroffen, daß gegen Zahlung von 15.000,– DM sämtliche Titel herausgegeben werden sollten.
Mit Beschluß vom 19. April 1984 hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts C… den Rechtsstreit Richter am Landgericht S… als Einzelrichter übertragen. Der Beschluß war vom Vorsitzenden Richter am Landgericht B… und Richter am Landgericht S… unterschrieben. Er enthielt außerdem den von B… unterschriebenen Vermerk:„Richter am LG W… ist in Urlaub.” In einer dienstlichen Äußerung vom 22. November 1984 hat der Kammervorsitzende erklärt, daß Richter am Landgericht W… ab 19. April 1984 in Urlaub war, es aber möglich sei, daß er an seinem ersten Urlaubstag an Beratungen teilgenommen habe.
Im Termin vom 23. Mai 1984 hat der Einzelrichter die Parteien und deren Prozeßbevollmächtigte darauf hingewiesen, daß die Zinsansprüche nicht verjährt seien. Die Parteien schlossen einen gerichtlichen Vergleich, der im wesentlichen bestimmt, daß der Kläger an den Beklagten zur Abgeltung der titulierten Ansprüche 35.000,– DM in zwei Teilbeträgen zahle. Des weiteren ist eine Verfallklausel und die Verpflichtung des Beklagten vereinbart, die Titel nach Zahlung des Vergleichsbetrags an den Kläger herauszugeben.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 25. Mai 1984 die Unwirksamkeit des Vergleichs geltend gemacht und vorgetragen, er sei nur geschlossen worden, weil die Prozeßbeteiligten irrtümlich angenommen hätten, die Zinsansprüche seien nicht verjährt; die im Vergleich vereinbarte Summe von 35.000,– DM stehe in auffälligem Mißverhältnis zu den tatsächlich geschuldeten 37.057,22 DM. Er hat Feststellung beantragt, daß der Prozeßvergleich unwirksam bzw. nichtig sei. Das Landgericht hat mit Endurteil festgestellt, daß das Verfahren durch den Vergleich erledigt sei. Die Berufung des Klägers, mit der er in der Sache seinen Feststellungsantrag weiterverfolgt, ist zurückgewiesen worden. Hiergegen richtet sich seine – zugelassene – Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Der Prozeßvergleich sei wirksam, obwohl die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter (§ 348 ZPO) nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Der Wirksamkeit des Vergleichs stünden auch keine anderen Gründe entgegen. Er beruhe weder auf einem streitausschließenden Irrtum der Parteien über den als feststehend zugrunde gelegten Sachverhalt (§ 779 BGB) noch greife die Anfechtung des Klägers wegen Irrtums (§ 119 Abs. 2 BGB) oder arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) durch. Die Regeln über das Fehlen der Geschäftsgrundlage könnten nicht zu dem Ergebnis führen, daß das Festhalten an dem Vergleich in Widerspruch zu Treu und Glauben stehe. Auch die Voraussetzungen der unzulässigen Rechtsausübung oder der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB lägen nicht vor.
Hiergegen wendet sich die Revision im Ergebnis ohne Erfolg.
II.
1. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß der Rechtsstreit durch den Beschluß vom 19. April 1984 nicht ordnungsgemäß auf Richter am Landgericht S… übertragen worden ist (§ 348 ZPO), weil der Beschluß nur unter Mitwirkung von zwei Richtern zustandegekommen sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob der erkennende Senat hieran nach § 561 ZPO gebunden ist oder ob er eigene Feststellungen treffen könnte, weil es um eine Voraussetzung für die Weiterführung des durch den Vergleich beendeten Prozesses geht. Denn es fehlt an jedem Anhaltspunkt dafür, daß eine abweichende Feststellung über das tatsächliche Zustandekommen des Beschlusses möglich ist.
Die rechtliche Würdigung durch das Berufungsgericht, daß trotz des fehlerhaften Übertragungsbeschlusses vor dem Einzelrichter ein wirksamer Prozeßvergleich abgeschlossen werden konnte (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), ist nicht zu beanstanden. Der Bundesgerichtshof hat für den Vergleichsabschluß vor einer nicht ordnungsmäßig besetzten Zivilkammer entschieden, daß die Rechtswirksamkeit des Vergleichs auch unter Berücksichtigung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG davon nicht berührt werde (BGHZ 35, 309, 312 f.), weil – anders als bei der Streitentscheidung (s. dazu OLG Düsseldorf, NJW 1976, 114) – die Aufgabe des Gerichts lediglich in der Beurkundung eines Privatvertrags bestehe und es deshalb gerechtfertigt und geboten sei, nicht jedem Mangel der ordnungsgemäßen Besetzung die Folge der Unwirksamkeit des Vergleichs beizulegen. In der Entscheidung wird auch ausdrücklich der Umstand gewürdigt, daß – worauf die Revision abhebt – die Mitwirkung des Gerichts bei der Vorbereitung und Formulierung des Vergleichs von nicht zu unterschätzender Bedeutung im Sinne einer Beratung und Förderung sein könne. Beim Vergleichsabschluß selbst – so der Bundesgerichtshof – beschränke sich jedoch die Tätigkeit des Richters auf die Protokollierung dessen, was die Parteien wollten. Im Hinblick auf diese Funktion kann es für die Wirksamkeit des Vergleichs keine Rolle spielen, daß der Einzelrichter ohne einen ordnungsmäßigen Übertragungsbeschluß tätig geworden ist. Hieran ändert auch nichts, daß der Einzelrichter das Gespräch der Parteien über den im Vergleich anzusetzenden Zahlungsbetrag entscheidend beeinflußt und gestaltet hat. Er blieb damit immer noch außerhalb des Bereichs der Streitentscheidung.
2. Dem Vergleich würde die verfahrensrechtliche Wirkung der Prozeßbeendigung auch dann entzogen, wenn er aus materiell-rechtlichen Gründen nichtig oder anfechtbar ist (BGHZ 79, 71, 74). Das hat das Berufungsgericht im Ergebnis mit Recht verneint.
a) Ein rechtserheblicher Irrtum über die Vergleichsgrundlage (§ 779 Abs. 1 BGB) liegt nicht darin, daß sowohl der Einzelrichter als auch die Prozeßbevollmächtigten beider Parteien im Termin vom 23. Mai 1984 der Ansicht waren, die Zinsansprüche auf die titulierten Forderungen seien nicht verjährt (§ 218 Abs. 1 BGB, wonach rechtskräftig festgestellte Ansprüche in 30 Jahren verjähren). Danach hätten die aufgrund der Titel durchsetzbaren – also nicht einredebehafteten – Forderungen entsprechend der ursprünglichen Berechnung von Rechtsbeistand T… rund 52.000,– DM betragen. Die rechtliche Beurteilung im Vergleichstermin war jedoch unzutreffend. Denn nach § 218 Abs. 2 BGB bewendet es hinsichtlich regelmäßig wiederkehrender, erst künftig fällig werdender Leistungen bei der kürzeren Verjährung. Hierunter fallen auch Zinsen (RGZ 70, 68; RGRK-Johannsen, BGB, 12. Aufl., § 218 Rdnr. 7), die nach § 197 BGB in vier Jahren verjähren.
Das Berufungsgericht hat dahingestellt sein lassen, ob die beiderseits unzutreffende Beurteilung der Verjährungsfrage zu einem nach § 779 BGB erheblichen Sachverhaltsirrtum oder nur zu einem Rechtsirrtum geführt hat (vgl. BGH, Urteil vom 13. Mai 1954 IV ZR 27/54, LM BGB § 779 Nr. 10 a; kritisch zu dieser Unterscheidung MünchKomm-Pecher, BGB, 2. Aufl., § 779 Rdnr. 40; Soergel-Lorentz, BGB, 11. Aufl., Rdnr. 20; Staudinger-Marburger, BGB, 12. Aufl., § 779 Rdnr. 65, 79). Das ist rechtlich nicht zu beanstanden, weil nach § 779 BGB nur ein streitausschließender Irrtum zur Unwirksamkeit des Vergleichs führt (RGZ 149, 140, 142; BGH, Urteil vom 21. Februar 1952 – IV ZR 103/51, LM BGB § 779 Nr. 2 unter II.1 = NJW 1952, 778). Die Parteien haben aber nicht über die Verjährung der Zinsen, sondern darüber gestritten, ob am 30. November 1983 eine Vereinbarung getroffen worden ist, wonach die Titel gegen Zahlung von 15.000,– DM herausgegeben werden sollten. Dieser Streit wäre auch bei richtiger Beurteilung der Frage, innerhalb welcher Frist die Zinsansprüche verjähren, nicht ausgeräumt gewesen. Ohne Belang ist hierbei, ob es zu einem Vergleich anderen Inhalts gekommen wäre (RG a.a.O.).
b) Die Vorinstanz hat mit Recht angenommen, daß auch die Irrtumsanfechtung des Klägers (§ 119 Abs. 2 BGB) nicht durchgreift. Die Parteien sind demselben Irrtum unterlegen. Dessen Beurteilung richtet sich nach den Regeln über das Fehlen der Geschäftsgrundlage (§ 242 BGB, vgl. BGH, Urteil vom 13. November 1975 – III ZR 106/72, LM § 242 Bb Nr. 80 = NJW 1976, 565 unter II.1; Palandt/Heinrichs, BGB, 45. Aufl., § 242 Anm. 6 C d aa). Infolgedessen kann offenbleiben, ob der Kläger sich bei der Annahme, die Zinsansprüche seien verjährt, im Sinn von § 119 BGB über eine verkehrswesentliche Eigenschaft dieser Forderungen geirrt hat (vgl. allgemein BGH, Urteil vom 21. Februar 1952 a.a.O. unter II.4).
c) Für ein sittenwidriges Verhalten des Beklagten beim Zustandekommen des Vergleichs hat das Berufungsgericht keinen Anhaltspunkt gesehen. Das ist rechtlich bedenkenfrei und wird von der Revision auch nicht angegriffen.
d) Die Revision kann für sich nichts daraus herleiten, daß sie auf den Vortrag des Klägers zurückkommt, der Beklagte habe die titulierten Forderungen schon vor Erhebung der Vollstreckungsgegenklage an die K…Polstermöbel-GmbH abgetreten und sei daher nicht berechtigt gewesen, über sie durch Vergleich zu verfügen, und auch nicht in der Lage, die Titel an den Kläger herauszugeben. Das Berufungsgericht hat – bei der Prüfung, ob eine Täuschungshandlung des Beklagten vorliege – die Abtretung nicht als bewiesen angesehen und dabei auch den Inhalt des an das Inkassobüro gerichteten „Überwachungsauftrags” vom 21. Februar 1983 berücksichtigt. Daß seine Würdigung auf Rechtsfehlern beruht, zeigt die Revision nicht auf. Da die Behauptung des Klägers, der Beklagte habe die Forderungen abgetreten, schon nicht erwiesen ist, kann dahingestellt bleiben, unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt sie überhaupt den Bestand des Prozeßvergleichs berühren könnte.
3. Das Berufungsgericht hat auch geprüft, ob die Regeln über das Fehlen der Geschäftsgrundlage eingreifen, aber verneint, daß das Festhalten an dem Vergleich durch den Beklagten in Widerspruch zu Treu und Glauben stehe (§ 242 BGB). Diese Beurteilung in der Sache war ihm bei dem Streit darüber, ob der Prozeß durch den Vergleich erledigt ist, verwehrt. Der gemeinsame Irrtum der Parteien kann unter dem Gesichtspunkt des Fehlens der Geschäftsgrundlage nur zu einer Anpassung des Vergleichs führen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 1967 – II ZR 27/65, WM 1967, 315 unter II.1; Urteil vom 13. November 1975 a.a.O.), die seinen rechtlichen Bestand und seine prozeßbeendende Wirkung grundsätzlich nicht berührt. Der Bundesgerichtshof hat für den Wegfall der Geschäftsgrundlage des Vergleichs (wegen veränderter Verhältnisse) ausgesprochen, daß diese Frage nicht durch Fortsetzung des durch den Vergleich erledigten Rechtsstreits zu entscheiden sei (BGH, Urteil vom 6. Juni 1966 – II ZR 4/64, LM § 794 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO Nr. 15 = WM 1966, 793; z. Gegenstand des fortgesetzten Verfahrens s. auch BGH, Urteil vom 15. Januar 1985 – X ZR 16/83, WM 1985, 673 unter I.1, 2). Für das Fehlen der Geschäftsgrundlage kann nichts anderes gelten. Es führt zu denselben Rechtsfolgen wie der Wegfall der Geschäftsgrundlage, nämlich zu einer Anpassung des Vergleichs, und berührt nicht – wie etwa die Unwirksamkeit gemäß § 779 BGB oder die Nichtigkeit nach § 142 BGB – seine rechtliche Existenz.
Die vorstehenden Ausführungen dienen zur Klarstellung über den rechtskraftfähigen Inhalt des Erledigungsurteils. Der Bestand der Entscheidung des Berufungsgerichts bleibt hiervon unberührt. Da der Kläger mit seinem Rechtsmittel unterlegen ist, hat er nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten zu tragen.
Fundstellen
Haufe-Index 609727 |
NJW 1986, 1348 |